Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band/10. Das Jahr 1521

Die großen Jahrzehnte Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band
von Rudolf Wackernagel
Das Jahrzehnt der Reformation
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Zehntes Buch
Das Jahr 1521


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Auf der Höhe der Zeit liegt das denkwürdige Jahr 1521, in dem Erasmus bleibende Wohnung in Basel nimmt, Reublin die Predigt des Evangeliums beginnt, der Rathausbau vollendet wird.

Hier im Rathause kommt es während des Jahres 1521 zu einer Reihe wichtigster Beschlüsse, die der Auseinandersetzung mit dem Bischof, der Verfassungsrevision, den Beschwerden des Handwerkes, der Allianz mit Frankreich, dem Pensionenwesen gelten.


Der Kampf der Stadt gegen das Hochstift hat uns zuletzt beschäftigt in der Zeit Bischof Christophs. Nach schweren Kämpfen nähert sich diese Zeit ihrem Ende, und der städtische Rat ist entschlossen, der Bahn weiter zu folgen, auf der er die Erfolge von 1506 und 1515 gehabt hat.

Schon beim Eintritte des Domdekans Niclaus von Diesbach in die Würde eines Coadjutors 1519 erklärt er, daß durch dieses Aufhören der Regierung Christophs auch die Handfeste von 1506 ihr Ende erreicht habe.

Dann bestellt er eine Spezialkommission, in der die Erprobten Jacob Meyer, Ulrich Falkner, Hans Gallizian, Johann Gerster u. A. sitzen, und läßt sie die großen Fragen der Ratsordnung und Verfassung prüfen.

Mit großer Anschauung stellt er das lokale Wesen in den Zusammenhang allgemeiner Verhältnisse. Die Zugehörigkeit Basels zur Eidgenossenschaft nimmt er zur Grundlage eines neuen Rechtes. Weil der Bund mit ihr ewig ist und kein Ende in dieser Zeit haben soll, müssen sich Basel und seine Regierer den Eidgenossen gleich machen; mit dem eidgenössischen Wesen Basels ist die bisherige Verpflichtung gegenüber dem Bistum nicht zu vereinigen. So gelangt der Rat zu neuen Festsetzungen. Das Recht zu diesen hat er aus der vom heiligen Reich ihm gegebenen Freiheit.

Unter solchen Erwägungen, mitten im Drange zahlreicher und folgenschwerer Traktanden, bei gewaltiger Erregung aller Behörden und der Gemeinde, wie wir sahen in enger Verbindung mit der Liquidation der Pfäffinger Sache, kommt am 12. März 1521 der Ratsbeschluß zu Stande, der die seit Jahrhunderten auf der Handfeste ruhende Ratsverfassung aufhebt [302] und das städtische Gemeinwesen für immer vom alten Bischofsrechte frei macht. „Mit hohem Ernst“ und in einer Redeweise von ungewöhnlicher Kraft erklärt der Rat seinen Willen. Es wird festgesetzt, daß weder Rat noch Gemeinde noch irgend Jemand weltlichen Standes zu Basel künftig dem Bischof, seinem Stift oder irgend Jemand von seinetwegen auf irgend welche Weise verpflichtet sein und schwören solle. Ferner: daß die Wahl des Rates und der Häupter künftig nicht mehr Sache des Bischofs, sondern ausschließlich Sache des Rates sein solle, in der Weise, daß der jeweilen abtretende Rat den neuen Rat und dann beide Räte zusammen die Häupter wählen. Diesen fundamentalen Sätzen folgt die Verordnung über das Wahlverfahren im Einzelnen. Nichts mehr ist dabei von den ehrwürdigen Geberden und Formen, keine Gesandtschaft an den Bischof, keine Ratsmahlzeit in seinem Palaste, kein Teilnehmen von Gotteshausdienstmannen und Domherren, keine Kieser, keine Wahl im Bauhause, keine Funktion des Bischofs und kein Schwur vor allem Volke auf dem feierlichen Stiftshofe beim Münster. Alles ist neu, ist profan und rein städtisch geordnet. Während des ganzen Wahlaktes, jeweilen am Sonnabend vor Johann Baptist, ist der Rat unter sich und handelt bei geschlossenen Türen im Rathause. Erst am Tage darauf, Sonntags, erfährt davon auch die Bürgerschaft; sie vernimmt die Namen der Gewählten und hört Diese den Eid leisten. Gleichen Sonntags am Nachmittage wählen dann die Vorstände der Zünfte, jeder in deren Hause versammelt, die Meister. Endlich acht Tage später, wiederum Sonntags, schließt die nach altem Brauch geschehende Eidesabnahme auf den Zünften durch den Oberstzunftmeister die ganze Handlung. Überall wird nur der Stadt geschworen, nirgends irgendwie des Bischofs oder des Domstiftes gedacht.

Dieser Beschluß wurde gefaßt im neugebauten Saale des Großen Rates; die Sitzung, in der er zu Stande kam, war die erste in diesem Raum abgehaltene.

Dem Geiste dieses Beschlusses entsprach die Regelung der äußern Form, wonach die Versammlung der Bürgerschaft, die Vorstellung der Häupter und Räte, sowie deren Eidesleistung von nun an auf dem Petersplatze geschehen sollte.

Schon am 4. Juli 1520 war die Beschwörung der eidgenössischen Bünde auf diesem Platze vorgenommen worden.

Es war bis dahin etwas nicht Kleines, bei aller Starrheit der Zeremonie doch Vielsagendes gewesen, daß die Stadt alljährlich auf Burg hinauf hatte gehen müssen, um sich ihre Behörde zu holen. Die Verlegung dieser [303] Staatssolennität auf den Petersplatz, in den ganz weltlichen Bezirk von Zeughaus und Schützenhaus, zeigte deutlicher als alle Auseinandersetzungen, daß von nun an Wählen und Schwören und das ganze Regiment nichts Anderes seien als rein städtische Geschäfte.

Inmitten des überreichen Schrifttums dieser Zeit ist von starkem Eindrucke, wie diese eine gewaltige Neuerung, die einen Jahrhunderte alten Zustand schloß und eine Kluft zwischen bisher Verbundenem auftat, beinahe keine Akten hat. Der Rat ließ es gar nicht zu Verhandlungen kommen. Er beschloß endgültig, er allein, und schuf damit zunächst nur eine stumme Erbitterung der Gegner.

Erst nach Wochen ließen Diese sich vernehmen. Aber nicht beim Rate, auch nicht beim Kaiser, sondern bei den Eidgenossen. Vor ihnen erhoben Bischof Coadjutor und Domkapitel im Juni 1521 Klage darüber, daß sich Basel bei Besetzung seines Rates nicht mehr an die beschworene Handfeste halten wolle.

Als der Rat dem Bischof Eid und Pflicht aufsagte, motivierte er dies durch den Hinweis auf seine neuen eidgenössischen Pflichten. Wenn jetzt, da der Bischof sich beschwerte, diese selben Eidgenossen sich nicht ohne Weiteres zu Basel bekannten, so geschah dies vielleicht auf Betreiben des mit dem Bischof verburgrechteten und dem Coadjutor Diesbach nahe stehenden Bern. In der Tat gab die Tagsatzung dem Rate zu verstehen, daß er sich an die Handfeste halten möge. Anderes aber unternahm sie nicht, sondern ließ den Dingen ihren Lauf. Um so eher, da der Basler Rat mit Deutlichkeit sich jede Einmischung verbat in eine Sache, die er „mit sich selbst abgemacht“ habe.

Am 16. Juni nahm der Rat seine Bestellung vor, nach der neuen Ordnung, aber acht Tage vor dem in dieser Ordnung festgesetzten Termine. „Sie eilten mit der Sache, besorgend, daß ihr Vorhaben noch gehindert werden könnte.“ Der Bischof protestierte und lud die Stadt zur üblichen Ratserneuerung auf Burg, unter Drohungen für den Fall des Ungehorsams. Ohne Erfolg.

Bei diesen Wahlen am 16. Juni war der Ratsherr der Safranzunft, der Tuchhändler Adelberg Meyer, zum Bürgermeister erhoben worden; er trat an die Stelle des Ritters Wilhelm Zeigler.


Dem großen Ereignisse der Lösung vom Bistum folgte nach wenigen Wochen das andre große: die Allianz mit Frankreich.

Seitdem im Jahre 1516 die Eidgenossen den Frieden geschlossen, brachten die Kriegsentschädigungs- und Pensionsgelder jedem einzelnen Orte [304] dauernde Berührungen mit Frankreich über den bisher üblichen Verkehr hinaus. Sie brachten aber auch Geldsummen, deren Größe sie vor allen andern Einnahmen auszeichnete. Jede dieser Zahlungen wurde gegeben und genommen als eine Mahnung an die Kraft Frankreichs und an die Vorteile seiner Freundschaft; neben den Glanz dieses Goldes trat die Kunst der Agenten.

Dem gegenüber machte sich noch immer das deutsche Reich geltend, seit dem 28. Juni 1519 in der Person des neugewählten Königs Karl. Dessen Kommissäre bewirkten, daß Basel (mit Zürich Schwiz Schaffhausen) dem Reiche das Wort hielt und eine Verbindung mit Frankreich ablehnte; an der großen eidgenössischen Konferenz, die unter Schiners Anwesenheit im November 1519 in Basel statthatte, sagte Basel (mit den drei Orten) dem König zu, bis zum 24. Juni 1520 mit Niemandem eine Verbindung einzugehen, unter der Bedingung, daß während dieser Zeit auch Karl kein der Eidgenossenschaft nachteiliges Bündnis schließe.

Aber Frankreich ließ nicht nach. Dem Könige Franz lag daran, mit den Eidgenossen nicht nur im Frieden zu stehen, sondern sie sich als Ailiierte zu verpflichten. Sein mit Geld reich ausgestatteter Gesandter Antoine de Lamet besuchte im Herbste 1520 auch Basel und agitierte.

Wir kennen die einzelnen Vorgänge nicht. Jacob Meyer der Bürgermeister war Freund Schiners, Ulrich Falkner der Oberstzunftmeister war Parteigänger Frankreichs. Sie Beide aber waren die mächtigen Führer des Rates und hinter Jedem scharten sich seine Anhänger. Die Entscheidung stand schwebend über diesem Streit, in dem die großen politischen Gegensätze, nationales Gefühl, persönliche Leidenschaft, Überzeugung und Verpflichtetsein rangen und in dem zuletzt eine Kleinigkeit den Ausschlag geben konnte.

Diese Kleinigkeit war die uns bekannte Verhandlung über Liebenzweiler. Basel wünschte dieses Elsässer Dörflein zu kaufen, wurde aber mit seinem Vorschlage durch Österreich in schnöder Weise abgewiesen. Trotz deutlicher Warnung wegen der Konsequenzen. So lächerlich unbedeutend der Handel selbst, so groß doch seine Wirkung. Allen Schwachen und noch Schwankenden gegenüber wurde er natürlich durch die Franzosenpartei ausgenützt; die Führer der kaiserlichen Sache aber fanden sich selbst beleidigt und in ihrem Eifer gelähmt. Eine letzte Anstrengung des Verführers Lamet tat das Übrige.

Am 7. Mai 1521 schloß in der Reihe der eidgenössischen Orte (außer Zürich) auch Basel die Allianz und Militärkonvention mit Frankreich; bei der Besiegelung des Traktates in Dijon, am 18. Juli, war die Stadt durch den Haupthelfer Falkners, Hans Gallizian, vertreten.

[305] Diese Allianz, die neben den Ewigen Frieden von 1516 trat, war ein Defensivbündnis. Sie gab dem Könige das Recht, zum Schutze seines Landes, nicht zu offensiver Verwendung, jederzeit Mannschaft in der Schweiz zu werben; sie verpflichtete den König zur Hilfeleistung für den Fall, daß die Eidgenossenschaft angegriffen würde. Sie erhöhte die Pension um die Hälfte.

„Der unser Todfeind gewesen, wurde jetzt um Geldes willen unser Freund“, urteilte ein Basler. Jedenfalls trat die Eidgenossenschaft in eine dauernde Abhängigkeit von Frankreich, der gegenüber der habsburgische Einfluß — auf der mit der Allianz im Grunde nicht vereinbaren Erbeinigung von 1511 ruhend — zurückwich. Im Auslande konnte die Empfindung berechtigt sein, daß durch den Ewigen Frieden und dieses Bündnis die Eidgenossenschaft eine außerdeutsche Macht geworden sei.


Befreiung der Stadt vom Bischofsrecht, Übernahme der französischen Verpflichtung, — das Eine wie das Andere stand noch im Zusammenhange der bisherigen Art des Regierens und war das Werk Derjenigen, die seit einem Jahrzehnt die Geschicke der Stadt in Händen hielten. Es waren auch ihre letzten ansehnlichen Leistungen.

Was aber unmittelbar folgte, war das Werk eines neuen Geistes.


Früher schon Gesagtes ist nicht zu wiederholen. Zur angebornen Tadelsucht der Basler tritt eine durch den Weltverkehr, aber auch durch die geistigen Mächte des Ortes selbst geweckte Unbefangenheit des Urteils; bei der Kritik des Regimentes durch die Einwohnerschaft, die hiebei zu Stande kommt, handelt es sich um einen nicht wegzudenkenden Teil öffentlichen Wesens. Auf dem Gegensatze der Regenten und der Volksmenge ruht das politische Leben der Stadt. Er bewegt auch jetzt Gedanken und Leidenschaften. Aber es ist nicht mehr der Widerstreit des gemeinen Mannes gegen die traditionell in die Herrschaft Geborenen, sondern der Gegensatz innerhalb der Welt des gemeinen Mannes selbst.

Adel und Patriziat sind ganz oder beinahe dahin. Die Gewalt des Staates ist in den Händen der Zünfte. Indem nun einige fähige und ehrgeizige Zünftler, Repräsentanten einer nur engen Gruppe, diese Gewalt für sich in Anspruch nehmen und üben, unter ihnen aber die gestaltenreiche Masse des Volkes wogt und, nach seiner Meinung durch Jene übervorteilt, gleichfalls Fähigkeiten und Rechte geltend macht, entsteht ein Kampf, der neuer Art ist und noch tiefer trifft und verwundet und erregt, als der ehemalige [306] Streit der Plebs mit Edeln und Achtbürgern. Wie es hiebei zugeht, kann ein Vorfall von 1505 zeigen. Da wird der Dreizehnerherr Heinrich Einfältig aus dem Rate getan, weil er zu sehr „gebollen“ hat; er und seine Freunde Hans Plarer, Hans Steinacher u. A. schreien, daß die Zeit kommen müsse, da auch sie zu den Dingen sehen; eines schönen Tages werde die Gemeinde regieren und nicht der Rat.

Aber wir können hier nur auf die Gesamterscheinung achten, nicht auf Besonderheiten.

Träger der Opposition sind nicht die im Großen Rate vereinigten Zunftvorsteher, sondern die Zunftgemeinden selbst, und nicht allein sie, sondern noch Viele, die sich außerhalb der zünftischen Körperschaften rühren. Die „Gemeinde“ im Sinne der gesamten Bevölkerung, die große Menge, das „vielköpfige Ungeheuer“.

Wie die Masse damals in vielen Städten des Reiches gegen die regierenden Geschlechter aufsteht, wie rebellischer Geist auch die Bauernschaften emportreibt, so regt sich in Basel immer mehr die Opposition aller irgendwie Eingeengten und Gedrückten, aller nach ihrem Gefühle Benachteiligten wider die bestehenden Mächte. Sie kämpft unter dem Schlagworte vom gemeinen Nutzen. Es ist dasselbe Verlangen nach Sprengung alter Bande, das den Humanismus begeistert, Priester und Mönche schmäht. Handelsherren und Kapitalisten angreift. Mit der tiefen Empfindung, daß die sozialen Zustände geändert werden sollten, verbindet sich vulgäre Respektlosigkeit gegenüber Eigenartigem und Erlesenem. Aber in dieser gewissermaßen allgemein begründeten Opposition gähren auch spezielle Erregungen, die Unzufriedenheit mit der großen Politik der Stadt, das Mißtrauen gegen die Machthaber, die Bündnisse schließen. Jahr um Jahr das Volk auf die Schlachtfelder schicken, in ergebnislosen und teuren Territorialplänen sich ergehen.

Haß und Gier von allen Seiten her drängen zu revolutionärer Unruhe. Ihre erste Kraftprobe geschieht auf dem Gebiete der Stadtwirtschaft.


Der Kampf des Handels mit dem Handwerk dauerte schon lange. Vom Nebeneinander und Widereinander dieser beiden Mächte nährte sich von je her das wirtschaftliche Leben der Stadt.

In den 1490er Jahren hatte das Handwerk über die Kleinhändler gesiegt, noch nicht auch über die Großhändler. Jetzt, dreißig Jahre später hatte es die Gunst der Zeit und die Kraft, das damals nicht Vollbrachte nachzuholen.

[307] Der erste Schritt hiezu geschah anläßlich der Entkleidung der Hohen Stube von ihren politischen Vorrechten, 1515. Indem die bisher üblich gewesene Assoziations- oder Commandit-Beteiligung von Stubenherren an Geschäften Handelszünftiger als unzulässig erklärt und durch Forderung der Abgabe eines Vermögenszehntels von neuen Stubenherren die ökonomische Kraft der Stube geschwächt wurde, war der Boden vorbereitet zum Angriff auf die zünftigen Großbetriebe.

Es handelte sich in der Hauptsache um die Angehörigen der Handelszünfte. Die Vertreter dieser Zünfte im Rate haben wir kennen gelernt als die Regenten der Stadt, und wie sie diese Macht ihren eigenen Interessen dienen ließen, zeigt beispielsweise der Beschluß über Beschaffung des Geleites für die zur Frankfurter Herbstmesse 1617 reisenden Basler, der ausdrücklich festsetzte, die Zahlung der Geleitgelder aus dem gemeinen Gute solle künftig nicht mehr nur für die Kaufherren geschehen, sondern auch für die „niedern Zünfte“. Es war die Zeit, da im Zusammenhange mit der allgemeinen Bewegung gegen Monopole und Großkaufmannschaft die Leute des Kleinbetriebes, des Handwerkes auch hier Geltung begehrten. Die Auflehnung gegen die Stadtherrschaft der Zunftgewaltigen äußerte sich in Erhebung der Untern Zünfte. Indem die wirtschaftlich Unzufriedenen ihre Beschwerden über die Geldmächte laut werden ließen, gaben sie diesem Stoße zugleich die Wucht des politischen Kampfes. Sie fügten ihre wirtschaftliche Sondertendenz in den großen Komplex der allgemeinen demokratischen Bewegung und halfen ihr damit zum Erfolge.

Sie setzten im Rate den Beschluß durch, daß alle Zünfte aufgefordert werden sollten, gewerbliche Mängel und Schäden zu nennen. Es geschah dies im Frühsommer 1521. Die Folge war, daß die Handelsgewerbe sich zufrieden äußerten, vom Handwerk aber eine Fülle von Beschwerden und Änderungsbegehren kam. Damit hatten die Neuerer die Reform nach ihrem Willen eingeleitet.


Überall spüren wir das Fieber, das während dieser Monate das Leben Basels in seiner Gewalt hat.

Als etwas noch kaum Faßbares stellen sich vor jeden Einzelnen Fragen und Forderungen einer neuen kirchlichen Lehre; während der Eindruck eines so mächtigen Beschlusses, wie der über Abschüttelung des Bischofsrechtes war, noch lange nachbebt, während die Wühlereien schwer verletzter Stubenherren noch kaum zur Ruhe gekommen sind, gibt die Ungewißheit über den Ausgang der Gewerbereform jedem Arbeiten Mißtrauen und Haß an [308] die Seite. Alle endlich, Regierte und Regenten, sehen sich gezwungen zur Teilnahme am politischen Kampf.

Schon die nahen Weltbegebenheiten bringen Aufregung: der Krieg Karls wider Frankreich, die Züge Sickingens. Berichte aller Art kommen den Rhein herauf, dazu Warnungen, daß der Kaiser auch die Schweizer angreifen wolle. Das exponierte Basel wendet sich an die Eidgenossen; es gießt Kanonen, revidiert Türme und Mauern, verstärkt die Wachen usw.

Basel, seit Kurzem alliiert mit Frankreich, ist durch die Erbvereinung auch dem Haus Österreich-Burgund verpflichtet und steht überdies im Bunde mit Papst Leo. Die Folge hievon, das Hinundhergerissen- und Verwirrtwerden durch Interesse Neigung Pflichtgefühl, lebt für uns in den Parteiungen der Bürgerschaft und in den kriegerischen Ausmärschen.

Am 14. März 1521 ziehen dreihundert Basler, als Teil der durch die Tagsatzung für Verteidigung des päpstlichen Gebietes bewilligten Armee, unter dem Befehle des Ratsherrn Hans Bondorf. Im Juli und im August sodann ziehen dem Könige von Frankreich eine Freischar unter Heinrich Isenflam, dem Papst eine solche unter Jacob Baumgarter zu. Der päpstliche Zug im März ist nicht durch die Stadt geordnet und gerüstet, aber doch offiziell autorisiert; der Rat gibt das schwarzweiße Fähnleintuch dazu. Die beiden andern Züge aber sind völlig freie Unternehmungen. Der Zug im März hat auch seine Besonderheit als der letzte Heerzug, den Basel für den Papst leistet; ein Heerzug ohne Taten und ohne Ruhm, als „Leinlakenkrieg“ berüchtigt. Von da an ist die Form der Teilnahme Basels an den Welthändeln nicht mehr obrigkeitlicher Heerzug, sondern Reislauf, bald konzessioniert bald verboten. Mit der Willkür und Formlosigkeit solchen Verfahrens. So viel Einzelheiten uns die im Leinlakenkriege Marschierenden wissen lassen, so wenig erfahren wir von den übrigen Zügen.

Statt dessen haben wir dieses Basel selbst vor uns, wo im engsten Rahmen, vielfach verzerrt, die Geschicke der Welt noch einmal gespielt werden.

Durch Alles hindurch geht die Parteiung. Überall ist Wortwechsel und Zank. Die zu Hause bleiben, streiten und schmähen über Papst und Kaiser und König; die aus den Kriegen heimkehren, bringen alle Wildheit des Lagers und der Wahlstatt mit. Lebendige Bilder gibt uns der Annalist von dieser „großen Uneinigkeit“, da der Eine wider den andern ist. Da allerhand Reden, auch über die Obern, von Munde zu Munde gehen, Rottierungen sich bilden, die Erhitzten aufeinanderstoßen und schlagen. Nicht nur von draußen herein, von Freiburg usw., tönen böse Worte über die käuflichen Schweizer. Auch ein Mann wie Amerbach beklagt den Alles [309] störenden Zwist, beklagt das „Vergoldetwerden“ durch Frankreich, das die ganze Stadt in seinen Dienst zwingen möchte.

In grellem Scheine zeigt sich, wie diese Allianz die Gegensätze schärft, die Gesinnung schändet. „Daß wir nicht in gutem Frieden und bürgerlichem Wesen leben, das bringt dieses Bündnis und dieses Geld“. Es gilt wieder wie beim Friedenspakt von 1516: „das böse Geld ist Meister“.

Das ist Stimmung des gemeinen Mannes.

Der Rat sucht zu bessern, indem er „Ufwigler und Geldschlucker“ straft. Er hält den Grundsatz fest, daß man an Frankreich die Bundespflicht zu erfüllen, dem Papst aber jeden über Defensive hinausgehenden Beistand zu versagen habe. Mit Strenge verfährt er daher gegen die wider das Verbot zum Papste Laufenden, schließt ihnen die Häuser in Basel und schickt ihnen Weiber und Kinder nach. Er sucht damit dem Furchtbaren zu begegnen, daß draußen auf den Schlachtfeldern und bei den Stürmen und Verteidigungen Basler gegen Basler kämpfen; es kommt gleichwohl dazu, so bei dem gewaltigen, für die Zukunft Italiens entscheidenden Ereignisse, der Eroberung Mailands durch das von Pescara geführte kaiserliche Heer, am 19. November 1521.

Denn was wirken obrigkeitliche Verbote in einer Zeit, da „Jeder tut, was er will, und kein Gehorsam ist“. Leute wie Hans Bondorf, der Hauptmann des Zuges in die Romagna, reden Drohworte gegen den Rat; der Hufschmied Wolf Iselin, der Rebmann Großhans Burger hetzen zum Aufruhr; u. dgl. m. In die Reihe dieser Friedestörer gehören auch die großen Parteigänger und Werbhauptleute: Antoni Dichtler, Heinrich Isenflam, vor Allen Jacob Baumgarter. Dieser ist Gewandmann von Beruf; aber sein Blut läßt ihm keine Ruhe. Er ist „ein großer Schreier, der viel ungeschickte Worte redet“, ein unbändiger Kriegsmann und Haudegen, eine Hauptfigur des ungestümen Lebens. Wie er im August 1521 die für Frankreich geworbene Dichterische Freischar rasch umstimmt und zum Papste führt, spricht so gut für seine Energie wie für die unzähmbare Kriegslust dieser Menschen und die Leichtfertigkeit ihrer Entschlüsse.

Bei solcher Wildheit der Zustände kommt vorerst nicht die politische Haltung ins Wanken, wohl aber das was als Integrität der regierenden Herren hat gelten können. Das durch französische Agenten und mächtige Eidgenossen bis dahin oft verlachte Einweisen der privaten Pensionen Basels in das gemeine Gut erscheint jetzt nicht mehr als die gebotene Vorsicht von Magistraten, die frei und aufrecht bleiben wollen. Die Intriguen, die seit [310] den Wühlereien von 1516 wachsend die Mehrheit des Basler Rates schließlich der Allianz geneigt gemacht haben, lassen diese Mehrheit auch an das Glück eines französischen Pensionärs glauben. Daß die Enthaltung nicht nur Eigenheit, sondern Auszeichnung Basels gewesen ist, wird nicht anerkannt; überzeugend aber sind die Argumentationen der Zuredenden und der Glanz des Goldes. Basel hat bisher, in Unklarheit des Handelns allerdings, die Privatpensionen zwar für das gemeine Gut, aber eben doch angenommen. Jetzt ist man so weit, die Sache bei ihrem Namen zu nennen und dasjenige wirklich zu tun, was den Intentionen der Zahlenden entspricht. Ende Augusts 1521 entschließt sich der Rat. „Da wir uns während langer Jahre geweigert haben, Pensionen anzunehmen, sind wir deswegen wiederholt von Eidgenossen verspottet und als Eigensinnige verachtet worden; um daher den Eidgenossen gleich zu werden, haben wir zuletzt in diesem Jahre Pensionen angenommen“; mit diesen Worten verkündet der Rat den Tagherren in Luzern seine Bekehrung. Die französischen Kronen werden nun auch in Basel an einzelne Empfänger gezahlt, an die Ratsmitglieder Sechser Schultheißen Schreiber Stadtknechte Läufer. Es ist eine Jahrgeldspende von gewaltiger Ausdehnung; bis in die hintersten Winkel der offiziellen Welt Basels rollt das wälsche Geld.

Unter welchen Debatten und Auftritten, durch Ulrich Falkner terrorisiert, der Rat zu seiner Entschließung kommt, wissen wir nicht. Eine einzige Aufzeichnung läßt Licht hineinfallen: der Ratsbeschluß vom 29. August 1521. Er zeigt uns eine Gruppe von Ratsmitgliedern, die sich weigern, das französische Geld anzunehmen: den Altbürgermeister Wilhelm Zeigler, die Ratsherren Hans Bernhard Meyer und Jacob Meyer zum Hirzen, den Meister Franz Bär, die Sechser Hans Irmi, Rudolf Frey, Lux Iselin, Bernhard Meyer, Heinrich David, Hans Wiler, Hans Oegli. Im ganzen elf Personen; sie werden um ihres „bedauerlichen“ Eigensinnes willen — einer Majorität von Zweihundertunddreißigen gegenüber! — durch Eintragung ihrer Namen ins Ratsbuch übermütig gebrandmarkt.

Bemerkenswert ist auch die am gleichen Tag erlassene, ebenfalls durch Falkner und seinen Anhang durchgesetzte Bestimmung, daß nur Baselkinder d. H. in Basel selbst geborene Bürger zu Ratsherren Meistern und Sechsern gewählt werden dürfen. Nicht an eine gewöhnliche reaktionäre Novelle zu der erst im März geschaffenen Verfassung ist dabei zu denken; eher daran, daß die „ausländischen Burger“ fast durchweg aus dem Reiche stammen und daher ihr Eintritt in Zunftvorstände und Rat durch die zur Zeit mächtige Franzosenpartei gehindert wird.

[311] In charakteristischer Bewegung tritt hier die Gestalt Ulrich Falkners hervor. Wir erfahren, wie herrisch er sich im Rate benimmt; mit Drohworten und Hetzreden zeigt er, daß er seiner Macht vertraut. Er hat zahlreiche Feinde; sein Wappenfenster in der Stube zu Weinleuten wird ihm durch einige junge Herren zu Scherben geschlagen. Aber auch über Bürgermeister Jacob Meyer zum Hasen gehen allerhand Reden; man munkelt von seinen bösen listigen Anschlägen. Immer mehr verdichtet sich in diesem an Aufregungen reichen Sommer das „Gemurmel“ über die Machthaber zu bestimmten Anklagen. Allmählich auch erhält man voll Staunens und Unwillens Kunde davon, auf welchen Wegen das den Meisten im Volke verhaßte französische Bündnis zu Stande gekommen ist. Man ist hauptsächlich durch unrichtige Rapporte der Basler Tagsatzungsgesandten Falkner und Gallizian über die Haltung übriger Orte in diese Allianz hineinbetrogen worden. Schon diese Treulosigkeit kann genügen, um die Opposition zum Angriffe zu treiben. Bei ihr sammeln sich nun Alle, die zu klagen haben: die durch Falkner von der Magistratur ausgeschlossenen „ausländischen Burger“; die dem neuen Pensionenbrauche feindlichen Mitglieder der Räte; Diejenigen, die das gemeine Gut um die bisher ihm zufließenden Pensionengelder verkürzt sehen; die Masse Derer, denen unerträglich ist, daß man nun auch in Basel „Kronenfresser“ haben und die private Bereicherung der Räte aus der Politik dulden soll. Täglich droht Aufruhr in der Bürgerschaft, deren große Majorität dem Kaiser zugetan ist gegenüber einer französisch gerichteten Minorität. Wie dann vollends bekannt wird, daß Falkner und Gallizian und andere Ratsmitglieder sich von Frankreich haben große Sondergelder über die vertragsmäßige Privatpension hinaus zahlen lassen, ja daß Jacob Meyer und Andere Geld von zweien Herren zugleich, vom Papst und vom Könige, genommen haben, bricht der Zorn los, der ein allgemeiner und gewaltiger Zorn über die im Rathause herrschende Korruption ist.

Im Oktober ist der Große Rat in wiederholten Sitzungen mit dieser Sache beschäftigt. Mann für Mann des Kleinen Rates muß bei seinem Eid angeben, wie viel Jahrgeld er bezogen habe. Einige wie Gallizian fliehen aus der Stadt; Falkner und Meyer kommen in Haft. Das Ende ist, daß die Hauptschuldigen ihrer Ratswürden entsetzt werden: der Bürgermeister Jacob Meyer, der Oberstzunftmeister Ulrich Falkner, der Ratsherr Martin von Selz, die Meister Eucharius Holzach, Hans Gallizian, Hans Heinrich Gebhart, Jacob Suracher. Auch der einst vielgenannte Hans Trutman sowie Andere müssen weichen, so daß im Ganzen sechzehn Stellen im Rate neu zu besetzen sind. In einer „wüsten rumy“ wird die Behörde gesäubert.

[312] Aber diese Maßregelung trifft nicht nur den Frevel Einzelner, sondern ein System. Sie bewirkt sofort, daß das Pensionenwesen wieder seine frühere Ordnung erhält. Nach dem Willen des Volkes selbst. Noch im August haben neben den Ratsherren und Meistern die Sechser sich das französische Geld gefallen lassen; jetzt am 19. Oktober 1521 wird zufolge einer von Zunft zu Zunft geschehenen Urabstimmung beschlossen, daß hinfort in ewigen Zeiten Niemand in der Stadt oder ihrer Landschaft eine Pension oder ein Dienstgeld von Herren Fürsten Kommunen oder sonst Jemandem annehmen dürfe, unter Androhung schwerer Strafe. Zugleich wird die Beschränkung der Ratswahlfähigkeit auf Baselkinder beseitigt und die alte Freiheit des Wählens wieder hergestellt.


Die Ergebnisse des Jahres 1521 sind: die neue Orientierung der Politik infolge der französischen Allianz; die neue Führung der Stadtwirtschaft infolge der gewerblichen Enquete; die neue Gestaltung des Regimentes infolge der Verfassungsrevision und der Mutation des Rates beim Pensionensturm.

Im Allgemeinen aber hat dieses Jahr die Bedeutung, daß es das Ende einer mächtigen und leidenschaftlichen Zeit bezeichnet.

An die Stelle der nach Großem begehrenden und Großes wagenden Führung des Staatswesens tritt die ruhige bescheidene Abmessung und Überlegung. Das Beseitigen markanter Hauptgestalten des bisherigen Rates und die Wahl neuer Männer an die leeren Plätze zeigt, daß fortan eine an vernünftige Grenzen und schonende Rücksichten sich bindende Tüchtigkeit mehr gelten soll als kühne und zu Anwendung aller Mittel bereite Kraft.

Die Regierung wird übernommen durch eine Gruppe, die in der Hauptsache bisher die Opposition geführt und nun zu zeigen hat, was sie vermag.

Auch sie steht nicht als Repräsentantin der Volksgesamtheit da, sondern dieser gegenüber. Auch sie übt oligarchisches Regiment gleich ihren Vorgängern, nur daß die bischöfliche Mitwirkung jetzt ausgeschaltet ist. Aber wir beachten doch auch, was ihre Anfänge begleitet; wir sehen die gesamte Einwohnerschaft die Stimme abgeben für die neue Regelung des Pensionenwesens, wir sehen überhaupt das ganze Geschehen des Jahres 1521 umgeben durch die Macht der öffentlichen Meinung, durch den Willen und den Geist des Volkes. Dieser selbe Geist und Wille offenbart sich nun auch auf dem Felde des kirchlichen Kampfes.

[313] Monumental festgehalten wurden die Ereignisse von 1521 in den holbeinischen Wandgemälden des neuen Großratssaales. Indem diese, im großen Stile des Altertums die Unbestechlichkeit und die Gleichheit Aller vor dem Gesetze verherrlichend, Alles das aussprachen, was man sich nach den überstandenen Stürmen wünschte und vornahm, was man tadelte und was man bereute, waren sie bestimmt, Generationen von Räten als grandiose Mahner und Warner vor Augen zu stehen.