Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/Norbert Burgmüller

Neue Symphonieen für Orchester Gesammelte Schriften über Musik und Musiker (1854) von Robert Schumann
Norbert Burgmüller
Etuden für das Pianoforte (4)


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Nach Franz Schubert’s frühzeitigem Tod konnte keiner schmerzlicher treffen, als der Burgmüller’s. Anstatt daß das Schicksal einmal in jenen Mittelmäßigkeiten decimiren sollte, wie sie schaarenweise herumlagern, nimmt es uns die besten Feldherrentalente selbst weg. Franz Schubert sah sich zwar noch bei seinen Lebzeiten gepriesen; Burgmüller aber genoß kaum der Anfänge einer öffentlichen Anerkennung und war nur einem kleinen Kreise bekannt, und diesem vielleicht noch mehr als ein „curioser“ Mensch, wie als Musiker.[1] So ist es denn Pflicht, wenigstens dem Todten die Ehren zu erzeigen, die wir dem Lebenden, vielleicht nicht ohne sein Verschulden, nicht erzeigen konnten.

Zwar kennen wir nur Weniges von ihm: eine Symphonie, die, nur einmal an uns vorübergegangen, noch in der Erinnerung mit Freude erfüllt, ein Heft [146] Lieder[H 2], das die Zeitschrift schon früher besprochen und erhoben, eine Sonate, eine Rhapsodie und wieder ein Heft Lieder, die drei letzten erst vor Kurzem erschienen. Dies Wenige aber reicht hin, die Fülle von Kraft, die nun gebrochen, auf das Innigste betrauern zu müssen. Sein Talent hat solche leuchtenden Vorzüge, daß über dessen Dasein nur einem Blinden Zweifel aufkommen könnte; selbst die Masse, glaub’ ich, würde er später zur Anerkennung gezwungen, der Reichthum seiner Melodieen müßte sie gepackt haben, wenn sie auch die wahrhaft künstlerische Bearbeitung der Theile nicht zu würdigen verstanden.

Wie Beethoven, am deutschen Rheine geboren, nahm er vielleicht frühzeitig von seinen reizenden Umgebungen in sich auf; möglich daß auch das rege Kunstleben im nahen Düsseldorf nicht ohne Einfluß auf ihn war. Später sehen wir ihn in Cassel. Der Einfluß Spohr’s, bei dem er hier studirte, wiewohl er nicht zu verkennen, erscheint indeß in dem uns Bekannten nur als ein leiser Nachhall; die Schülerschaft ist bereits der Selbstständigkeit gewichen; Spohr selbst hat ihn sicher in diesem Sinne der Lehre entlassen, und wie man sagt, mit schönen Hoffnungen seiner zukünftigen Bedeutung. Auch Hauptmann, der eben so gründliche als fein schaffende Tonsetzer, darf nicht unerwähnt bleiben, bei dem Burgmüller gleicher Weise gelernt.[H 3] In solcher Kraft der Selbstständigkeit zeigt er sich nun namentlich in der Rhapsodie;[H 4] sie zählt nur sechs Seiten, aber den Eindruck [147] möcht’ ich beinahe der ersten Wirkung des Goethe’schen Erlkönigs vergleichen. Welch meisterliches Gebilde, wie in Einem Moment gedacht, entworfen und vollendet, und mit wie wenig Aufwand, wie bescheiden vollendet! Der Phantasie des Musikers auf den Grund sehen zu wollen, ist gefährlich; bei der Rhapsodie scheint es mir aber gewiß, daß noch etwas im Spiele, daß der Musik vielleicht eine besondere Veranlassung zum Grunde liegt, ein Gedicht, ein Bild, ein Lebensereigniß. Einem Dichter, der gut Musik verstände, möchte die Deutung am leichtesten gelingen. Wie dem sei, die Rhapsodie wirkt gleich einer Erscheinung aus anderer Welt; den Augen nicht trauend, sehen wir noch lange um uns, wenn sie schon entschwunden.

Die Sonate[H 5] ist ein nicht minder treffliches Werk. Der einzige Vorwurf, den ihr der anspruchvolle Musiker machen dürfte, wäre die Wiederholung des 2ten Themas im 2ten Theile, wie sie sich in der Sonate und im ersten und letzten Satze findet; so ausdrucksvoll der Gesang ist, so müßte doch an dieser Stelle die Phantasie einen andern, kühneren Weg sich brechen. Das Machen ist freilich immer schwerer, als das Rathen hinterher. Im Uebrigen weht durch den ganzen[H 6] Satz eine so schöne, kräftige Leidenschaft, und der Dichter erscheint trotz dem darin seiner Aufregung so sehr Meister, daß er eben so rührt wie beruhigt; ich weiß nicht, in welchem Alter die Sonate geschrieben, ich möchte sie aber für auf dem Wendepunct vom Jünglings- zum Mannesalter entstanden [148] halten, wo so viele Träume Abschied von uns nehmen, um der Wirklichkeit Platz zu machen. Die folgenden Sätze tragen denselben Doppelcharakter von Resignation und Lebemuth, obwohl ich nicht läugne, nach solchem ersten Satz im letzten etwas Tieferes an Combination erwartet zu haben. Doch genügt dem Wohlwollenden auch das Gegebene.

Das jüngst erschienene Liederheft[H 7] gibt dem früheren an Reichthum und Gehalt nichts nach. Die Texte sind mit feinem Auge herausgefunden, die Zustände der melancholischen, aufgeregten Natur des Tonsetzers verwandt: „wer nie sein Brot mit Thränen aß“ (Goethe) – „hell glühen die Sterne im dunklen Blau“ (Stieglitz) — „ich schleich’ umher, betäubt und stumm“ (Platen) — „wundes Herz hör’ auf zu klagen“ (J. Schopenhauer) — „ich reit’ in’s finstre Land hinein“ (Uhland). Alles finden wir hier, was wir von einem Lied fordern dürfen: poetische Auffassung, belebtes Detail, glückliches Verhältniß des Gesanges zum Instrument, überall Wahl und Einsicht und warmes Leben. Am wenigsten kann ich mich indeß mit dem Goethe’schen Gedicht einverstanden erklären; die Figur, wiewohl sie sich durch den Harfenspieler deuten ließe, scheint mir zu äußerlich, zu zufällig, und das zarte Leben des Gedichtes zu übertönen. Bei Franz Schubert erschien dies Festhalten einer Figur das ganze Lied hindurch als etwas neues; junge Liedercomponisten sind vor der Manier sehr zu warnen. Tiefern Ursprungs sind aber [149] die andern Lieder, und trifft namentlich das letzte unmittelbar, daß es meisterlicher vollführt kaum gedacht werden kann.

Der Verleger, der noch mehre Compositionen von Burgmüller im Besitz hat, möge rasch an ihrer Veröffentlichung arbeiten lassen; er wird es nicht zu bereuen haben.[H 8] Verleger scheinen mir auch oft wie Fischer; unwissend, was Glück und Zufall bringen, werfen sie ihre Netze aus und es fängt sich allerhand großes und kleines Gesindel, bis denn einmal das schwere Gewicht einen seltenen Gast verheißt und der Fischer hocherfreut einen kostbaren Schatz aus der Tiefe zieht. Ein solcher glücklicher Zug war Burgmüller.




  1. Vgl. einen Aufsatz von Immermann in Band VIII, Nr. 27 der Zeitschrift.[H 1]

Anmerkungen (H)

  1. [WS] richtig: Neue Zeitschrift für Musik, 1838, Bd. 8, Nr. 7, S. 26–27. Es handelt sich um den Nachdruck einer „Stelle in Immermann’s dramatischen Erinnerungen (in Dr. Frank’s Taschenbuch dramatischer Originalien v. 1838 stehend)“. Google
    Es heißt dort:
    Norbert Burgmüller.

    Ein Unwohlsein Mendelssohn’s verhinderte, daß die bereits für das vorige Abonnementconcert angesagte Symphonie [27] von N. Burgmüller gegeben werden konnte. Bei weitem den Meisten wird der Name dieses jung gestorbenen Künstlers unbekannt sein, wie wir selbst erst seit Kurzem durch eine Stelle in Immermann’s dramatischen Erinnerungen (in Dr. Frank’s Taschenbuch dramatischer Originalien v. 1838 stehend) auf ihn aufmerksam wurden. In diesen Erinnerungen, die dem Andenken des Dichters Grabbe gewidmet sind, wird am Schluß auch N. Burgmüller, als Grabbe’s letzter Freund eingeführt. Die Beschreibung ist so anziehend, daß wir sie unverändert abdrucken lassen
    N. Burgmüller war der Sohn des alten wunderlichen Kauzes, dessen Zelter im dritten Theile seines Briefwechsels mit Goethe gedenkt. Von diesem Schlemmer kann man kaum reden, ohne daß die Schilderung in das Komische verfällt. Ein Musikant, klug, toll, lustig, aus der früheren debauchirenden Schule. Fünfhundert Stück Austern war er zu bezwingen im Stande, und wenn in ihm der Gedanke an einen gebratenen Kapaun erregt wurde, so schnalzten die Lippen, und er weinte Thränen der Rührung über die Gnade Gottes, welche der Erde solche Gaben gönnte. Ich habe sein Bild, in Kupfer gestochen, gesehen. Die Backen gleichen zwei Pfannenkuchen, an denen die Butter nicht gespart ist, frisch aus dem Tiegel, die Augen sind ihm vor Fett, bis auf eine schmale Spalte, zugewachsen. Außerdem hat er Waden besessen, über das Maß der Sterblichkeit hinaus. Die ganze Familie aß aus dem Topfe, worin die Speise bereitet war; Teller wurden für Ueberfluß gehalten.
    In dieser Wirthschaft wuchs Norbert auf, und da mag er die Anlage zum genialen Umherschlendern, welches ihm eigen war und seinem Glücke schädlich ward, empfangen haben. Sein Talent zeigte sich sehr früh, mußte sich aber vorzeitig – er war kaum vierzehn Jahre alt – in Lectionen abquälen. Nach dem Tode des Vaters studirte er in Kassel unter dem vortrefflichen tiefgelehrten Harmonisten Hauptmann und kam zu Spohr in die vertrautesten Beziehungen. Spohr liebte ihn sehr und hegte von seinen Fähigkeiten die größten Erwartungen.
    Dort bildete er sich zum gründlichsten Musiker aus. Nach Düsseldorf zurückgekehrt, lebte er von Unterstützungen des Grafen Nesselrode und vom Stundengeben. Daneben schrieb er an seinen Werken. Die Natur hatte ihm eine Fülle wahrer Melodieen zugetheilt, die durch den Unterricht bei Hauptmann Consistenz gewannen. In Kassel schrieb er sein erstes Concert, ein Werk von großer Schwierigkeit und suchendem, etwas düsterm Sinn. In Düsseldorf folgte die erste Symphonie, worin sich die reiche Harmonie zu klarer Darlegung oft ganz neuer Gedanken ausgearbeitet hatte; dann setzte er mehre Nummern zu einer Oper, die er des Textes wegen späterhin aufgab. Hier war er faßlich für Jeden, doch hatte er dafür auch Einiges gewöhnlicher genommen, als in der Symphonie. Nachmals hat er noch sehr tief und richtig empfundene Lieder, ein vortreffliches Quartett und drei Nummern zu einer zweiten Symphonie geschrieben, in welchen Arbeiten aber ein bedeutender Fortschritt zur Klarheit sichtbar war und Alles aus innerer Fülle strömte. Seine Werke tragen ganz das Gepräge seines Wesens. Fein und sentimental im besten Sinne, dennoch tief und oft humoristisch war er und das, was er schrieb. Er setzte nie eine Note hin, um sie nur da sehen zu haben; eine lebendige Nothwendigkeit erzeugte jeden Ton. Lieber ließ er Etwas unvollendet, als daß er sich in nicht empfundenen herkömmlichen Weisen beschwichtigt hätte. Den vierten Satz zu seiner zweiten Symphonie konnte er nicht finden, und es war halb komisch, halb rührend, wenn man ihn auf Befragen antworten hörte: Er ist immer noch nicht da!
    Mit diesem ausgestatteten Menschen kam Grabbe hinter der Flasche fleißig zusammen, und es entspann sich zwischen Beiden ein fröhliches Verhältniß, dem auch die Innigkeit nicht gemangelt zu haben scheint. Vielleicht wäre dem Einen wie dem Andern ein Freund von gesetzterem Charakter dienlicher gewesen; schlägt man aber den Genuß, den die Verbindungen unter den Menschen gewähren sollen, auch für Etwas an, so kann man nur sagen, daß die beiden phantasievollen Naturen einander zum Glück gefunden hatten. Grabbe schrieb für seinen Freund einen tollkomischen Operntext, in Verspottung der Bücher dieser Art, worin einem Schafe eine bedeutende Partie zugefallen war. Es ließ sich über diesen Unsinn, der nichts Anderes sein wollte, als Unsinn, besser lachen, als über Aschenbrödel und das Lustspiel.
    Im Mai 1836 reiste Norbert nach Aachen, um sich von alt-eingewurzelten Uebeln zu heilen. Seit seiner Kindheit schwächlich, war er späterhin epileptischen Zufällen unterworfen gewesen. Plötzlich wurden wir durch die Nachricht erschreckt, daß er todt in der Badewanne gefunden worden sei.
    Grabbe widmete ihm einige Zeilen der Erinnerung in einem öffentlichen Blatte. Folgende Worte kommen darin vor: „Noch sind es kaum acht Tage, wo er mich Podagristen gutmüthig Abends aus dem Theater nach Haus führte, und sagte, er reise morgen zu einem Musikfeste oder Concerte nach Aachen, und werde in vierzehn Tagen zurückkommen. – Norbert, Du hast Dein Wort schlecht gehalten, bist weiter gereist und kommst nicht wieder, starbst am siebenten Mai, welcher diesmal für Jeden, der Dich kannte, kein Wonnemond ist! –“
    „… Es vergeht, es stirbt so mancher Treffliche – man könnte bisweilen wünschen, auch in der Gesellschaft zu sein, auch deshalb, weil die Todten stumm sind, und nicht klatschen und verleumden.“ –

  2. [GJ] [Werk 3]
  3. [GJ] Hauptmann nennt Burgmüller einen „langschmächtigen, stillen Menschen mit vielem Talent“ (Briefe an Hauser II, 245 Google). B. schrieb sein Fis moll-Concert (Werk 1) noch in Cassel; „er hat wohl ein Jahr daran gearbeitet, weil er die meiste Zeit [Krankheit halber] nichts thun konnte, — und es klingt, als wär’s in Einem Sitz gemacht.“ Mendelssohn spielte es einmal in Düsseldorf aus dem Manuskript. II.187 Commons
  4. [GJ] [Werk 13, in D]
  5. [GJ] [Werk 8, F moll]
  6. [GJ] [ersten]
  7. [GJ] [Werk 6]
  8. [GJ] Hofmeister druckte später noch ein Quartett (W. 14) von N. Burgmüller. — Von Schumanns dauernder Vorliebe für den begabten Componisten zeugt es, daß er das unvollendete Scherzo aus dessen nachgelassener zweiter Symphonie (D dur) im December 1851 instrumentirte. Die Symphonie wurde, jedoch ohne das Scherzo, 1864 in Leipzig zur Aufführung gebracht. — Burgmüller starb den 7. Mai 1836, 26 Jahre alt, zu Aachen, wo ihn, während er ein Bad nahm, ein epileptischer Zufall überkam und das Wasser den Bewußtlosen erstickte. Zu seinem Leichenbegängniß in Düsseldorf schrieb Mendelssohn, der schon zu den Proben des Musikfestes dort anwesend war, den Trauermarsch (A moll), der später als op. 103 aus dem Nachlaß veröffentlicht wurde. Anmerkung 38, II.517 Commons
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