Seite:Gesammelte Schriften über Musik und Musiker Bd.3 (1854).pdf/145

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


Nach Franz Schubert’s frühzeitigem Tod konnte keiner schmerzlicher treffen, als der Burgmüller’s. Anstatt daß das Schicksal einmal in jenen Mittelmäßigkeiten decimiren sollte, wie sie schaarenweise herumlagern, nimmt es uns die besten Feldherrentalente selbst weg. Franz Schubert sah sich zwar noch bei seinen Lebzeiten gepriesen; Burgmüller aber genoß kaum der Anfänge einer öffentlichen Anerkennung und war nur einem kleinen Kreise bekannt, und diesem vielleicht noch mehr als ein „curioser“ Mensch, wie als Musiker.[1] So ist es denn Pflicht, wenigstens dem Todten die Ehren zu erzeigen, die wir dem Lebenden, vielleicht nicht ohne sein Verschulden, nicht erzeigen konnten.

Zwar kennen wir nur Weniges von ihm: eine Symphonie, die, nur einmal an uns vorübergegangen, noch in der Erinnerung mit Freude erfüllt, ein Heft


  1. Vgl. einen Aufsatz von Immermann in Band VIII, Nr. 27 der Zeitschrift.[H 1]

Anmerkungen (H)

  1. [WS] richtig: Neue Zeitschrift für Musik, 1838, Bd. 8, Nr. 7, S. 26–27. Es handelt sich um den Nachdruck einer „Stelle in Immermann’s dramatischen Erinnerungen (in Dr. Frank’s Taschenbuch dramatischer Originalien v. 1838 stehend)“. Google
    Es heißt dort:
    Norbert Burgmüller.

    Ein Unwohlsein Mendelssohn’s verhinderte, daß die bereits für das vorige Abonnementconcert angesagte Symphonie [27] von N. Burgmüller gegeben werden konnte. Bei weitem den Meisten wird der Name dieses jung gestorbenen Künstlers unbekannt sein, wie wir selbst erst seit Kurzem durch eine Stelle in Immermann’s dramatischen Erinnerungen (in Dr. Frank’s Taschenbuch dramatischer Originalien v. 1838 stehend) auf ihn aufmerksam wurden. In diesen Erinnerungen, die dem Andenken des Dichters Grabbe gewidmet sind, wird am Schluß auch N. Burgmüller, als Grabbe’s letzter Freund eingeführt. Die Beschreibung ist so anziehend, daß wir sie unverändert abdrucken lassen
    N. Burgmüller war der Sohn des alten wunderlichen Kauzes, dessen Zelter im dritten Theile seines Briefwechsels mit Goethe gedenkt. Von diesem Schlemmer kann man kaum reden, ohne daß die Schilderung in das Komische verfällt. Ein Musikant, klug, toll, lustig, aus der früheren debauchirenden Schule. Fünfhundert Stück Austern war er zu bezwingen im Stande, und wenn in ihm der Gedanke an einen gebratenen Kapaun erregt wurde, so schnalzten die Lippen, und er weinte Thränen der Rührung über die Gnade Gottes, welche der Erde solche Gaben gönnte. Ich habe sein Bild, in Kupfer gestochen, gesehen. Die Backen gleichen zwei Pfannenkuchen, an denen die Butter nicht gespart ist, frisch aus dem Tiegel, die Augen sind ihm vor Fett, bis auf eine schmale Spalte, zugewachsen. Außerdem hat er Waden besessen, über das Maß der Sterblichkeit hinaus. Die ganze Familie aß aus dem Topfe, worin die Speise bereitet war; Teller wurden für Ueberfluß gehalten.
    In dieser Wirthschaft wuchs Norbert auf, und da mag er die Anlage zum genialen Umherschlendern, welches ihm eigen war und seinem Glücke schädlich ward, empfangen haben. Sein Talent zeigte sich sehr früh, mußte sich aber vorzeitig – er war kaum vierzehn Jahre alt – in Lectionen abquälen. Nach dem Tode des Vaters studirte er in Kassel unter dem vortrefflichen tiefgelehrten Harmonisten Hauptmann und kam zu Spohr in die vertrautesten Beziehungen. Spohr liebte ihn sehr und hegte von seinen Fähigkeiten die größten Erwartungen.
    Dort bildete er sich zum gründlichsten Musiker aus. Nach Düsseldorf zurückgekehrt, lebte er von Unterstützungen des Grafen Nesselrode und vom Stundengeben. Daneben schrieb er an seinen Werken. Die Natur hatte ihm eine Fülle wahrer Melodieen zugetheilt, die durch den Unterricht bei Hauptmann Consistenz gewannen. In Kassel schrieb er sein erstes Concert, ein Werk von großer Schwierigkeit und suchendem, etwas düsterm Sinn. In Düsseldorf folgte die erste Symphonie, worin sich die reiche Harmonie zu klarer Darlegung oft ganz neuer Gedanken ausgearbeitet hatte; dann setzte er mehre Nummern zu einer Oper, die er des Textes wegen späterhin aufgab. Hier war er faßlich für Jeden, doch hatte er dafür auch Einiges gewöhnlicher genommen, als in der Symphonie. Nachmals hat er noch sehr tief und richtig empfundene Lieder, ein vortreffliches Quartett und drei Nummern zu einer zweiten Symphonie geschrieben, in welchen Arbeiten aber ein bedeutender Fortschritt zur Klarheit sichtbar war und Alles aus innerer Fülle strömte. Seine Werke tragen ganz das Gepräge seines Wesens. Fein und sentimental im besten Sinne, dennoch tief und oft humoristisch war er und das, was er schrieb. Er setzte nie eine Note hin, um sie nur da sehen zu haben; eine lebendige Nothwendigkeit erzeugte jeden Ton. Lieber ließ er Etwas unvollendet, als daß er sich in nicht empfundenen herkömmlichen Weisen beschwichtigt hätte. Den vierten Satz zu seiner zweiten Symphonie konnte er nicht finden, und es war halb komisch, halb rührend, wenn man ihn auf Befragen antworten hörte: Er ist immer noch nicht da!
    Mit diesem ausgestatteten Menschen kam Grabbe hinter der Flasche fleißig zusammen, und es entspann sich zwischen Beiden ein fröhliches Verhältniß, dem auch die Innigkeit nicht gemangelt zu haben scheint. Vielleicht wäre dem Einen wie dem Andern ein Freund von gesetzterem Charakter dienlicher gewesen; schlägt man aber den Genuß, den die Verbindungen unter den Menschen gewähren sollen, auch für Etwas an, so kann man nur sagen, daß die beiden phantasievollen Naturen einander zum Glück gefunden hatten. Grabbe schrieb für seinen Freund einen tollkomischen Operntext, in Verspottung der Bücher dieser Art, worin einem Schafe eine bedeutende Partie zugefallen war. Es ließ sich über diesen Unsinn, der nichts Anderes sein wollte, als Unsinn, besser lachen, als über Aschenbrödel und das Lustspiel.
    Im Mai 1836 reiste Norbert nach Aachen, um sich von alt-eingewurzelten Uebeln zu heilen. Seit seiner Kindheit schwächlich, war er späterhin epileptischen Zufällen unterworfen gewesen. Plötzlich wurden wir durch die Nachricht erschreckt, daß er todt in der Badewanne gefunden worden sei.
    Grabbe widmete ihm einige Zeilen der Erinnerung in einem öffentlichen Blatte. Folgende Worte kommen darin vor: „Noch sind es kaum acht Tage, wo er mich Podagristen gutmüthig Abends aus dem Theater nach Haus führte, und sagte, er reise morgen zu einem Musikfeste oder Concerte nach Aachen, und werde in vierzehn Tagen zurückkommen. – Norbert, Du hast Dein Wort schlecht gehalten, bist weiter gereist und kommst nicht wieder, starbst am siebenten Mai, welcher diesmal für Jeden, der Dich kannte, kein Wonnemond ist! –“
    „… Es vergeht, es stirbt so mancher Treffliche – man könnte bisweilen wünschen, auch in der Gesellschaft zu sein, auch deshalb, weil die Todten stumm sind, und nicht klatschen und verleumden.“ –