Fliegende Blätter Heft 19 (Band 1)

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Titel: Fliegende Blätter Heft 19 (Band 1)
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aus: Fliegende Blätter, Band 1, Nr. 19, S. 145–152.
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
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Erscheinungsdatum: 1845
Verlag: Braun & Schneider
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Erscheinungsort: München
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Quelle: MDZ München, Commons
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[145]



Nro. 19.
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Demant und Rose.


Der Abend neigte sich seinem Ende zu, als wir von einem Ritte heimkehrten, der uns um die Mauern von Konstantinopel geführt hatte. Noch voll des Eindruckes, den die großartigen Denkmale der altberühmten Stadt in unserer Seele hinterlassen mußten, bestiegen wir bei den sieben Thürmen eines jener leichten, zierlichen, aber auch gefährlichen Fahrzeuge, welche der Orientale Kaik nennt, und die, wie Wasservögel, zu Tausenden den Bosporus und das goldene Horn durchkreuzen. Wir hatten noch nicht die Hälfte unserer Fahrt nach dem gegenüberliegenden Galata zurückgelegt, als der Sonnenball, feurig und roth wie glühendes Eisen, hinter den fernen Höhen versank, nur eine leise goldene Glorie am Horizonte zurücklassend. In diesem Augenblicke verhallte der letzte Gesang des Muezzins von den Minarets, auf den Kriegsschiffen wurden unter Kanonendonner die Flaggen eingezogen, und wenige Minuten später lagerte tiefe Stille über den Wassern.

In jenen Himmelsstrichen folgt die Nacht fast unmittelbar auf den Sonnenuntergang. So begann es schon tief zu dunkeln, als wir landeten. Doch zu aufgeregt, um bereits in den engen Zimmern unsres Gasthofes den Schlummer zu suchen, beschlossen wir, nicht sogleich nach Pera hinaufzusteigen, sondern zuvor noch in einem der nahe gelegenen Kaffeehäuser ein Stündchen zu verplaudern.

Dort wollte jedoch kein rechtes Gespräch in Gang kommen. Der Eine von uns, der wohl jetzt, ausruhend, die Ermüdung seiner Glieder spürte, lehnte sich schläfrig in die Ecke des Divans zurück; ein Anderer glaubte die Zeit nicht besser benützen zu können, als durch Eintragen einiger Bemerkungen in seine Schreibtafel; ich selbst gedachte der mancherlei Schicksale, welche seit langen Jahrhunderten über die Stätte hingegangen waren, auf der ich wandelte. So schwiegen wir Alle, und bliesen, an dem Bernsteinstücke des langen Tschibuks saugend, den gewürzigen Dampf desselben in bläulichen Strahlen vor uns hin.



Nicht weit von uns hatte ein alter Armenier von ehrwürdigem Ansehen Platz genommen; er schien mit dem österreichischen Schiffskapitain, dessen schnell segelndes Fahrzeug uns von Smyrna herüber geführt hatte, in ein ernstes Gespräch vertieft. Mit meinen Gedanken beschäftigt, merkte ich nicht auf die Unterredung der Beiden, bis endlich der Armenier aufbrach und mit einem schweren Seufzer sagte: „Ja, Signor Angelo, heute sind es drei Jahre, und seitdem hatte ich bei Tage keine Freude, bei Nacht keine Ruhe. Und so [146] wird es bleiben, bis ich über den Wolken wieder finde, was unter den Wassern begraben liegt. Schlaft wohl“

Der Armenier ging, und Angelo wandte sich grüßend zu uns. Nachdem wir von mancherlei Tagesneuigkeiten, von Wind und Wetter und von den Herrlichkeiten Stambuls geplaudert hatten, konnte ich nicht umhin, den Capitain über den Greis zu befragen, dessen seltsame Worte mir im Gedächtnisse geblieben waren.

„Ihr meint den alten Jussuf?“ versetzte Angelo. „Er ist ein würdiger, vom Schicksal schwer geprüfter Mann. Der blühende Wohlstand seines Hauses vermag ihm nicht zu ersetzen, was ihm die Treulosigkeit der Menschen und das falsche Meer geraubt. Wir sind alte Bekannte und ich habe unter seinem gastlichen Dache drüben in Scutari vor Zeiten manchen frohen Tag verlebt. Freilich,“ setzte er mit einem wehmüthigen Ausdrucke hinzu, „dort sieht es nun eben so öde und traurig aus, wie in seiner Brust.“

Unsere Neugier war gespannt. Wir rückten näher zusammen und drangen in Angelo, uns die Geschichte von des Armeniers Unglück mitzutheilen, was er denn auch mit folgenden Worten bereitwillig that:

„Wenn Sie die große Straße von Pera hinaufgehen, der Moschee der tanzenden Derwische zu, so werden Sie die Trümmer eines aus der Zeit der Genueser stammenden Gebäudes bemerken, welches seit der letzten Feuersbrunst nicht wieder aufgebaut wurde. Dort wohnte vor mehreren Jahren ein fränkischer Kaufmann, Philipp Reynaud mit Namen, der, ziemlich unbemittelt hier angelangt, rascher, als es gewöhnlich zu geschehen pflegt, zum Besitze von nicht unansehnlichen Glücksgütern gediehen war. Freilich verlautete mancherlei Seltsames über die Quellen dieses so schnell errungenen Wohlstandes, welchen seine Neider lieber einer unlauteren Handlungsweise, als seinem rastlosen Fleiße, und dem Glücke, das ihn bei manchen gewagten Unternehmungen begünstigte, zuschreiben wollten. Er verachtete indessen das Gerede der Leute und sah die Zahl seiner Freunde mit dem Wachsthume seines Vermögens täglich zunehmen. Mit Jussuf hatte er längst in Geschäftsverbindungen gestanden; endlich gelang es ihm auch, sich als Freund in sein Haus einzuführen, in welchem damals noch Leben und Freude herrschte. Denn Jussufs Frau war munter und fröhlich von Natur, und Maria, sein einziges Kind, stand eben in der vollen Blüthe des jungfräulichen Alters.

Selten ist mir ein reizenderes Wesen vorgekommen. Sie war schlank und zierlich gebaut, und jede ihrer Bewegungen von unaussprechlicher Anmuth. Aus dem großen freundlichen Auge, dem Spiegel ihrer Seele, blickte die reinste Herzensgüte, und wer nur einmal dies feine von leise durchschimmerndem Roth belebte Antlitz aus dem üppigen Gelock des seidenweichen goldbraunen Haars hervorlauschen gesehen, der gönnte dem holden Kinde sicher den bezeichnenden Namen der „Rose von Scutari“, welchen die Mädchen jenes Stadtviertels der Freundin gegeben hatten. Man beneidete schon im Voraus den Glücklichen, der Marien einst heimführen würde, nicht allein um ihrer Anmuth und Tugend willen, sondern zugleich auch wegen der Aussteuer und des reichen Erbes, das ihr Bräutigam erwarten durfte. Dennoch mochte es keinem Franken in den Sinn kommen, sich um ihren Besitz zu bemühen, da, der alten Sitte getreu, die Töchter der Armenier sich selten anders verheirathen, als an ihre Landsleute und Glaubensgenossen. Mit um so größerem Erstaunen sah man daher Philipps Besuche so häufig werden, daß sich fast mit Gewißheit auf ein Verhältniß zwischen ihm und der Tochter des Armeniers schließen ließ, bis er endlich selbst das längst verbreitete Gerücht von seiner nahe bevorstehenden Verbindung mit der schönen Maria bestätigte.



Philipp mochte dreißig Jahre alt seyn. Er war ein gewandter und entschlossener Mann, von angenehmer Lebensart, in abendländischer und morgenländischer Sitte gleich wohl erfahren. Die Bildung seines blassen, von kurz geschnittenem Haar und glänzend schwarzem Barte eingefaßten Gesichtes hätte fast regelmäßig schön heißen können; sein dunkles Auge war feurig und durchdringend, nur ein eigenthümlich unheimlicher Zug, der ihm in aufgeregten Augenblicken, einem bitteren Lächeln nicht unähnlich, um die scharf geschlossenen Lippen zuckte, wollte mir niemals recht gefallen. In der Unterhaltung war er lebhaft und witzig; er erzählte gut, und wußte von seiner Heimath, von seinen Reisen und Abenteuern auf das Anziehendste zu berichten. Was Wunder, wenn Maria dem schönen Manne, welchen sie noch dazu von ihren Aeltern begünstigt sah. bald lieber zuhörte, als jedem Andern, und endlich mit der ganzen Schwärmerei einer jugendlichen Seele sich ihm hingab. Ich überlasse es Ihnen, sich die volle Süßigkeit eines derartigen Brautstandes in diesem zum Genusse u. zur Liebe geschaffenen Himelsstriche auszumalen; bedenken Sie aber zugleich, daß für uns arme Sterbliche das Paradies verloren ging und [147] lassen Sie mich eine Erzählung rasch zu Ende bringen, die ich besser nicht begonnen hätte.

Der Hochzeittag kam heran. Die Trauung sollte zuerst in der französischen Kirche zu Pera, sodann nach armenischem Ritus vollzogen werden. Darum mußte Jussuf mit seiner Familie von Scutari herüberkommen. Er hatte das Haus eines seiner Verwandten in Galata zum Versammlungs-Orte gewählt, und die dritte Stunde nach Mittag war für die heilige Handlung festgesetzt. Ich fand bereits die meisten Gäste zur Stelle, als ich zur anberaumten Zeit erschien; bald nach mir trafen auch die Aeltern mit der festlich geschmückten Braut ein, auf deren blühendem Antlitz süße Befangenheit mit sehnsüchtiger Erwartung kämpfte. Nur der Bräutigam fehlte noch immer. Nach morgenländischer Weise reichte man einstweilen Kaffee und eingemachte Früchte umher, die Männer rauchten, die Frauen plauderten, aber eine Viertelstunde verging nach der andern und Philipp kam nicht. Jetzt war es vier Uhr, die Gäste fingen an unruhig zu werden und steckten bedenklich die Köpfe zusammen; als eine zufällige Verspätung ließ sich das räthselhafte Ausbleiben des Bräutigams kaum mehr erklären, es mußte etwas vorgefallen seyn. Jussuf, von banger Ahnung ergriffen, schickte nach der Wohnung des Franzosen; der Bote fand sie verschlossen. Was war zu thun? Man harrte noch immer, eine peinliche Stille lag über der Gesellschaft, denn von gleichgültigen Dingen mochte Niemand reden, noch weniger seine Befürchtungen aussprechen; der Armenier ging, erzürnt und geängstigt zugleich, mit großen Schritten im Zimmer auf und nieder; die Frauen beschäftigten sich um Marien und suchten die in Thränen Schwimmende zu trösten.

Da plötzlich gibt es ein hastiges Hin- und Wiederrennen auf der Straße, die Luft verdunkelt sich auf einen Augenblick, wie durch ein schnell heraufziehendes Gewölk und scheint dann in einen fahlen Schimmer getaucht; fern erhebt sich ein dumpfes Getümmel, ein verworrenes Geschrei, das wachsend immer näher und näher sich heran wälzt, bis man zuletzt deutlich den Schreckensruf: „Feuer! Feuer!“ vernimmt.

Wer hier zu Constantinopel keine Feuersbrunst erlebte, kann sich von der Gewalt des Elements, von der furchtbaren Schnelligkeit, mit welcher die Flamme um sich greift, von den ungeheuern Zerstörungen, welche sie anrichtet, kaum einen Begriff machen. Bei dem Mangel aller tüchtigen Löschanstalten und der gedrängten Bauart der meist hölzernen Wohnungen werden ganze Häuserreihen in wenigen Augenblicken ein Raub der Gluthen; nur die schleunigste Flucht bietet Heil, außer dem nackten Leben ist selten etwas zu retten. So hatte sich denn auch jetzt von Pera her der Brand bis in unsere Nähe gewälzt, ehe wir recht zur Besinnung kamen, und uns blieb nichts übrig, als das Haus zu verlassen und nach dem Strande zu flüchten. Mit Schrecken vernahmen wir auf der Gasse, daß das Feuer zuerst in Philipps Hause ausgebrochen sei. Ich mochte die düstere Ahnung, die mich bei dieser Nachricht erfüllte, nicht aussprechen.

Halb entseelt brachten wir die Frauen in eines unserer Boote, bestiegen mit Jussuf das zweite und stießen ab. Es war indessen Abend geworden. Ein heftiger Ostwind schürte das Feuer, das durch die dichten Dampfwolken hoch und roth empor schlug und seinen schauerlichen Glanz auf die dunkeln Wogenhäupter warf. Wir befanden uns in der Mitte der Meerenge – das Boot mit den Frauen dicht bei dem unsrigen – als ein französischer Kauffahrer mit vollem Winde aus dem Hafen segelte und bald so dicht an uns vorüber fuhr, daß wir auf dem Verdecke die hohe Gestalt Philipps, dessen bleiche Züge von den Flammen scharf erleuchtet wurden, deutlich erkennen konnten. Im nächsten Augenblicke war das Schiff in Rauch und Nacht verschwunden, aber zu gleicher Zeit traf ein herzzerreißender Schrei unser Ohr. Maria stand mit weit ausgebreiteten Armen aufrecht zwischen den Frauen, das Kaik von der gewaltsamen Bewegung erschüttert, schwankte heftig, dann schlug es um und sank mit Allen, die es getragen, in die bodenlose Tiefe hinab.

Sie wissen, der Bosporus verlangt sein Opfer. Der kühnste Schwimmer vermag nicht aufzutauchen, wenn seine Wirbel ihn gefaßt. Wie es kam, daß uns nicht gleiches Schicksal traf, daß wir Jussuf zu halten vermochten und die Barke bei unsern Bewegungen nicht ebenfalls eine Beute der Fluthen ward, ist mir noch immer ein Räthsel. Ich brachte den Alten nach Hause und verließ ihn erst den folgenden Tag, krank, düster, schwermuthsvoll, wie Sie ihn heute gesehen haben. Die Aerzte fristeten sein Leben, aber seinen Gram können weder sie, noch kann ihn die Zeit heilen.

Vergebens verhieß Jussuf demjenigen, der ihm wenigstens die theuren Hüllen zur Bestattung überliefern würde, alle die Edelsteine, mit welchen sie an jenem Schreckenstage geschmückt waren. Der finstere Meergott gab die Rose von Skutari nicht wieder heraus.“

Angelo hielt inne und rief nach einer neuen Pfeife, um der Wehmuth, die sich seiner unwillkührlich bemeistert hatte, gewaltsam Herr zu werden.

„Am nächsten Tage,“ fuhr er fort, „legte sich die Wuth des Brandes, welcher mit reißender Schnelligkeit hunderte von friedlichen Wohnungen verwüstet hatte. Man fieng an, die Trümmer für den Neubau fortzuräumen; viele Leichname und Verwundete wurden aus dem Schutte gezogen. So drang man auch in des Franzosen Haus, dessen Hintergebäude bei der entschieden östlichen Richtung des Windes von den Flammen fast gänzlich verschont geblieben war. Gleich beim Eintritte stieß man auf einen schwer verwundeten schwarzen [148] Sklaven, welcher bald als zum Serail gehörig, erkannt wurde. Im Krankenhause geheilt, ward dieser durch Drohungen und Versprechungen zu Geständnissen vermocht, die sowohl über Philipps schnell erworbenes Vermögen, als auch über sein plötzliches Verschwinden ein furchtbares Licht verbreiteten. Der Schwarze sagte nämlich aus: er selbst, so wie mehrere seiner Genossen hätten seit längerer Zeit mit dem fränkischen Kaufmanne in Verkehr gestanden, und demselben eine Menge kostbarer Gegenstände, welche sie nach und nach aus dem Serail entwandt, zu geringen Preisen überlassen. Zuletzt war es dem Neger gelungen, eines Diamanten von nie gesehener Größe habhaft zu werden. Weil er aber eine Entdeckung fürchtete, so wollte er den Edelstein nur unter der Bedingung an Philipp abtreten, daß dieser auf einem eben segelfertigen Schiffe die Stadt augenblicklich verlassen, ihn mitnehmen, und den Erlös des ungerechten Gutes in Frankreich mit ihm theilen solle. Der Franzose hatte lange gezaudert und unterhandelt, dann aber, das Kleinod an sich nehmend, plötzlich nach einem Pistol gegriffen und den Sklaven durch einen Schuß zu Boden gestreckt. Weiter wußte dieser nichts zu bekennen. Wir dürfen indeß wohl mit Wahrscheinlichkeit schließen, daß Philipp, da er den Schwarzen nur verwundet sah, theils aus Scheu, den begonnenen Mord eigenhändig zu vollenden, theils um sein Entweichen in ein undurchdringliches Geheimniß zu hüllen, sein Haus selbst angezündet habe. Wer aber möchte an seiner Stelle gewesen seyn, als er, durch Flammen und Nacht dahin fahrend, den kalten glänzenden Stein mit so viel Jammer erkauft sah, als die Braut vor seinen Augen versank bei dem Leuchten der schrecklichen Hochzeitsfackel, die er angefacht!“

„Kurze Zeit nach jenen Ereignissen,“ erzählte Angelo weiter, „kam ich nach Marseille, wohin die Helene, (so hieß die Goëlette, auf welcher Philipp entfloh) bestimmt gewesen war, und erkundigte mich dort nach ihrer Ankunft. Gescheitert im Angesichte des Hafens und untergegangen mit Mann und Maus, gab man mir zur Antwort, nur ein einziger Passagier war gerettet worden. Ich forschte nach, es konnte Niemand gewesen seyn, als Philipp. Die heimathliche Erde hatte das Schiff zurückgestoßen, das den Schuldbeladenen trug; aber auch das Meer wollte nichts mit ihm zu schaffen haben und warf ihn aus. Halbtodt wurde er des Morgens am Felsenufer von Fischern gefunden, die sich mitleidig seiner annahmen, und nach manchen Bemühungen ihn endlich zum Bewußtseyn brachten. Seine erste Bewegung war ein Griff nach dem Ledergurte, den er über den Hüften trug und in welchem er den Edelstein verborgen hatte. In ärmlichen Kleidern, die er von seinen Rettern entlehnte, machte er sich, nachdem er schnell zu Kräften gelangte, auf den Weg in die Stadt und begab sich dort zu einem Juwelier, den er bat, sein Kleinod zu schätzen. Dieser bewunderte die Größe und Reinheit des Diamanten und erklärte mit leuchtendem Auge den Werth anfangs für unberechenbar – dann betrachtete, prüfte und wog er ihn genauer, lächelte seltsam und gab ihn endlich Philipp mit den Worten zurück: „Es wundert mich nicht, daß ihr euch täuschen ließet, mein Freund; wäre doch mir beinahe das Gleiche wiederfahren. Was Kunst vermag, ward hier geleistet; aber euer Diamant ist und bleibt dennoch nicht mehr und nicht weniger, als ein wunderbar geschliffenes Stück Bergkrystall.“

Philipp nahm den Stein und ging. Am folgenden Tage fand man seinen Leichnam zerschellt unter einer Klippe.

Hier schwieg Angelo. Es war spät geworden. Wir verabschiedeten uns und traten den Heimweg an. Er führte uns bei den Trümmern des genuesischen Hauses vorüber, die der spät ausgegangene Mond beschien. Drinnen regte sich’s im Schutte und rauschte durch’s Gestrüpp; die Vögel der Nacht hatten ihren Wohnsitz dort aufgeschlagen.


E. Geibel.


[149]

Eisenbahnvermessung.



Lorenz Kindlein.[WS 1]      Aber mein Herr, so schätzenswerth mir die Ehre Ihres Besuches ist, so muß ich doch gestehen, daß ich die Absicht hatte, auch heute nach Beendigung meiner gewöhnlichen Anzahl Verse, dort in dem Bette zu schlafen.       Der Geometer.      Herr, schlafen Sie wo Sie wollen oder mögen, aber merken Sie sich diese officielle Verkündigung: Im Namen der Eisenbahn! Wer irgend einen der zu der Vermessung nöthigen Pfähle, Pflöcke und Merkzeichen auch nur auf kurze Zeit herauszieht, muß die sämmtlichen Vermessungskosten zahlen. Im Namen der Eisenbahn! – Guten Abend.



1845.
1945.

[150]

Der orthographische Narr.



Ein eigenthümlicher Narr, der über gewisse Schwankungen und Unsicherheiten in der deutschen Rechtschreibung und Grammatik irre geworden, in allen übrigen Dingen aber ein überaus verständiger und gescheidter Mann ist.

Neulich tritt er in großer Hast bei mir ein. „Freund!“ ruft er in großer Aufregung aus: „Schreiben Sie Direktor mit einem c oder k? Da habe ich eine Correktur zu besorgen, doch um Vergebung: wie schreiben Sie Correktur, mit einem c oder k? Mir schwindelt der Kopf – oder wie sagen Sie: mir oder mich schwindelt der Kopf? Mir oder mich träumt? Mir oder mich schwant? Mir oder mich dünkt? – Ich werde noch verrückt über diese Mir oder Mich’s, diese k’s und c’s? Wie schreiben Sie Direktor?“

„In der Regel mit einem k,“ antwortete ich, „es gibt aber auch Leute, die das Wort, vielleicht mit demselben Rechte, mit einem c schreiben.“

„Da haben wir’s: in der Regel, sagen Sie, mit einem k! Ist das Consequenz? Heißt das nicht: Sie schreiben es ausnahmsweise auch wohl mit einem c?“

„Nach Bequemlichkeit,“ antwortete ich, „man hat keine bestimmte Regel dafür.“

„Zum Teufel!“ rief mein Freund in vollster Wuth, „in der Orthographie gibt es keine Bequemlichkeit. Doch halt: schreiben Sie „giebt“ mit oder ohne ein e? Der Verfasser, dessen Werk ich hier korrigire, läßt in toller Consequenz das e fort; da müßte er doch auch „libt“ statt „liebt“ u. s. w. schreiben, oder gar „schrib“ statt „schrieb“, „blib“ statt „blieb“ u. s. f.

„So schreibt er auch „mehre“ statt „mehrere“, lauter revolutionäre Bewegungen gegen das alte Grundgesetz der Grammatik. Produktion schreibt der Eine Produkzion, der Andere Production, ein dritter wohl gar Produkcion, und da will man noch von einer Einheit Deutschlands und einem Streben nach Einheit sprechen! Früher schrieb ich die Lokal- und Personal-Adjektiva mit einem großen Anfangsbuchstaben, z. B. „Hoffmann’sche Tropfen, Frankfurter-Würste,“ jetzt fordert der modische Brauch, daß sie mit einem kleinen Initial-Buchstaben geschrieben werden. In der Interpunktion, oder Interpunkzion, oder Interpunction herrscht gerad eine eben solche Anarchie; kurz, es geht so bunt und regellos her, wie auf einem Carneval – doch um Vergebung: schreiben Sie der oder das Carneval? Es gibt jetzt aufrührerische Rädelsführer, welche sich an die Spitze der Empörung gegen den Carneval stellen und das Carneval zum Herrscher ausrufen. Wie steht es mit der oder das Münster? In meiner Kindheit verband ich mit dem Begriff des straßburger Münsters zugleich den Begriff von etwas mannhaft Ehrwürdigem, von etwas Beseeltem, weil man damals der straßburger Münster schrieb, jetzt soll ich ihn als etwas Unbelebtes, als etwas Sächliches denken und das straßburger Münster sprechen und schreiben. Ist es nicht gerade eben so mit der Scepter, wofür man jetzt das Scepter eingeführt hat?“ „Das Wort ist im Griechischen generis neutrius,“ bemerkte ich. – „Was ich eben so gut weiß, wie Ihr Gelehrten,“ fuhr er auf; „denn ich habe mein Griechisch ebenfalls getrieben; ganz so gut müßte aber auch die Fenster statt das Fenster gesprochen werden, denn das stammt von fenestra her und fenestra ist bekanntlich generis feminini. Du lieber Himmel, wenn wir das Geschlecht aller Worte, die bei uns das Bürgerrecht erworben haben und naturalisirt sind, auf ihr ursprüngliches Geschlecht, dem sie im Hebräischen, Indischen, Persischen, Griechischen, Lateinischen, Französischen, Spanischen, Russischen, Mexikanischen, Kamtschadalischen u. s. w. angehörten, zurückführen wollten, das müßte ja zuletzt eine babylonische Verwirrung geben! Das Wort Comité hat mich schon vollständig in Raserei versetzt. Früher sagte und schrieb man einzig und allein „das Comité“; da kamen andere kluge Männer, welche ihre Kenntniß des Französischen an den Tag legen wollten, und meinten: Comité ist im Französischen männlichen Geschlechts, folglich muß es heißen: der Comité. Endlich schlugen Andere einen Mittelweg ein und schrieben die Comité, wofür höchstens dies als Grund angeführt werden kann, daß in den Comités zuweilen auch wohl höchst weibische Schwätzer sitzen. Könnte man nicht über diese Schwankungen in bester und anständigster Form verrückt werden? Doch wie sagen Sie: über diese oder diesen Schwankungen verrückt werden? Früher sagte man: ich vergesse mich über diese Sache, jetzt heißt es: ich vergesse mich über dieser Sache. Sollte man nicht eben so gut sagen dürfen: ich denke über diesem Falle nach? oder ich brüte über diesem Gedanken? so daß man mich förmlich wie eine Henne über ihren Eiern brütend sitzen sehe. Früher durfte ich sagen: Ich glaube, daß ich mich über dich, Geliebte! vergessen kann; jetzt muß ich sagen: daß ich mich über dir, Geliebte! vergessen kann. – Schreit ein solcher Zustand orthographischer und grammatikalischer Verwirrung nicht zum Himmel? Sollte ich einmal in’s Irrenhaus kommen, so wissen Sie, über welchen Gegenstand – oder soll ich sagen: über welchem Gegenstande? – ich närrisch geworden bin. Leben Sie wohl!“

Damit stürzte mein Freund in Wuth und Verzweiflung fort. Und es ist wahr: die Schwankungen in Deutschland, die grammatikalischen und orthographischen mit inbegriffen, sind wirklich zum Närrischwerden.

H. M.

[151]

Schach!!




Die Fabel von der Nase.


Die Tafel war gedeckt zum Fest;
Es traten ein die hohen Gäst’;
Darunter auch ein Ritter war
Mit grauem Bart und rothem Haar

5
     Und einer ungeheuren Nase.


Der Narr, der mit zu Tische stand,
Die Nase gar possierlich fand;
Er lugt sie an, er lacht sie an.
Und spricht, daß’s Jeder hören kann:

10
     Hu! welche große, grause Nase!






Der Herr, ob dieser frechen Red’
Den Narren streng bestrafen thät;
Der merkt es sich, und geht in sich,
Und spricht gar leis und höfelich:

15
     Ei! welche kleine, feine Nase!



Der Herr, ergrimmt ob diesem Wort,
Schafft alsobald den Narren fort;
Der sinnet nach und grübelt nach.
Und spricht, um abzuthun die Schmach:

20
     Gelt: du hast wohl gar keine Nase!






Und hat euch nun die Mähr ergötzt,
So merkt euch diesen Spruch zuletzt:
Wer über fremde Mängel spricht,
So gut er’s macht, er trifft es nicht –

25
     Das lehrt die Fabel von der Nase.


[152]

Ein deutsches Sängerfest.



Ich wollt’, ich wär ein König,
Dazu ein König vom Rhein!
Dann lüd’ ich vom deutschen Lande
Die Sänger alle ein.

5
Auf meiner höchsten Veste,

Dem Ehrenbreitenstein,
Da sollten sie singen und trinken
Von meinem besten Wein!

Dann regte sich wohl tief unten

10
Held Roland im Grabesschoos,

Und käme vom fernen Lande
Herbei zu Rheinkönigs Schloß!

Das hörte im nahen Aachen
Wohl Kaiser Karol auch,

15
Der zöge herüber und sänge

Mit uns nach altem Brauch!

Der starke Siegfried säße
Gewiß im großen Kreis,
Und sänge zum Harfengetöne

20
Chriemhildens Ruhm und Preis!


Und hört’ es im Hunnenlande
Herr Volker, der Sänger kühn;
Er würde gar schnell sich erheben,
Zur Burg am Rhein zu ziehn!

25
Ich säß’ auf hohem Throne,

Mit güldener Rebenkron’,
Und gäbe dem besten Sänger
Den besten Wein zum Lohn.

Und Frauen hold und sittig,

30
Sie mehrten des Festes Lust,

Dann glitten süßer dem Sänger
Die Lieder aus voller Brust.

So wollt’ ich es halten für immer
Auf meiner Burg am Rhein:

35
Da zöge wohl Keiner vorüber,

Und Alle kämen herein.

Und Alle wollt’ ich empfangen,
Bewirthen auf’s allerbest’!
Das wäre im deutschen Lande

40
Ein rechtes Sängerfest!


Joh. B. Vogl.




München, Verlag von Braun & Schneider.Papier und Druck von Fr. Pustet in Regensburg.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Hier wird Bezug genommen auf die Figur des armen Poeten Lorenz Kindlein aus dem Schauspiel Der arme Poet von August von Kotzebue.