Fliegende Blätter Heft 20 (Band 1)

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Titel: Fliegende Blätter Heft 20 (Band 1)
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aus: Fliegende Blätter, Band 1, Nr. 20, S. 153–160.
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
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Erscheinungsdatum: 1845
Verlag: Braun & Schneider
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Erscheinungsort: München
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Quelle: MDZ München, Commons
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[153]



Nro. 20.
Bestellungen werden in allen Buch- und Kunsthand- Erscheinen monatlich zwei bis drei Mal. Subscriptionspreis
lungen, sowie von allen Postämtern und Zeitungs- für den Band von 24 Nummern 3 fl. 36 kr. R.-W. od. 2 Rthlr.
expeditionen angenommen. Einzelne Nummern kosten 12 kr. R.-W. od. 3 ggr.


Fritz Beutels wunderbare Fahrten und Abenteuer
zu Wasser und zu Lande.
(Fortsetzung.)


Zweites Kapitel.
Fritz Beutels Geburts-, Jugend und Erziehungsgeschichte.

In der gewöhnlichen Weinkneipe, zu der gewöhnlichen Stunde, vor dem gewöhnlichen Auditorium hält Fritz Beutel heute folgenden Vortrag:

„Was der Mensch will, das kann er auch. Zwei Momente gibt es jedoch, über die nach der gebräuchlichen Annahme der Mensch keine Macht besitzt: Geburt und Tod. Daß diese Annahme falsch sei, kann ich mit meinem eigenen Beispiele beweisen. Ich bin mehrmals so gut wie todt gewesen, habe mich aber stets wieder bloß durch meinen festen Willen zum Leben zurückgebracht. Merkwürdige Fälle dieser Art erzähle ich Ihnen ein andermal. Heute habe ich es jedoch nur mit meiner Geburt zu thun.

Mein Vater war nämlich ein armer Schulmeister, mithin war meine Mutter auch arm. Vier und zwanzig ihrer Kinder waren bereits gestorben, vier und zwanzig lebten noch. Nicht zu verwundern, meine Herren! denn meine Mutter brachte immer Sechslinge zur Welt, einmal hatte sie die Menschheit gar um einen Zwölfling vermehrt. Ich aber war ein gewöhnlicher Einling, obschon in jeder andern Hinsicht ungewöhnlich genug. Ihrer Armuth wegen hatten sich nun meine Aeltern vorgenommen, daß ich absolut nicht geboren werden sollte. Ich aber, von jeher ein Trotzkopf, der vor keinem Hindernisse zurückschreckte, hatte mir fest in den Kopf gesetzt, geboren zu werden – und ich wurde geboren. Mit den Worten: „Guten Morgen, liebe Aeltern!“ erblickte ich an einem schönen Frühlingsmorgen das Tageslicht.



Ich erinnere mich ganz deutlich, wie ich sogleich die große Schüssel mit dem Mehlbrei ergriff, der für meine vier und zwanzig Geschwister zum Frühstück bestimmt war, die Schüssel an den Mund setzte und bis zur Nagelprobe ausschlürfte. [154] Man kann sich vorstellen, wie meine zwei Dutzend Geschwister auf mich loszankten. Ich aber ergriff mit der einen Hand die Schüssel als Schild, mit der andern den Löffel als Degen, stülpte mir auch noch den Suppentopf als Helm auf den Kopf, und setzte mich in Positur. Meine Geschwister ihrerseits nahmen auch ihre Löffel zur Hand und so lieferte ich damals meine erste Schlacht. Hier parirte ich einen Hieb, dort theilte ich einen aus, brauchte auch die Kriegslist, mit meinem Löffel in die Schüssel meines Vaters zu fahren und meinen Geschwistern den Mehlbrei in die Augen zu spritzen, so daß sie dieselben nicht aufthun konnten, und trieb sie zuletzt vollkommen in die Flucht. Hiervon hat auch die Löffelgarde ihren Namen erhalten. Meine Aeltern waren zwar über meinen guten Appetit anfangs ziemlich erschrocken, brachen aber zuletzt in ein herzliches Gelächter aus, und mein Vater sagte in richtiger Ahnung meiner künftigen Größe: dieser Junge wird einst dem Namen Beutel Ehre machen! Erwähnen muß ich noch, daß ich, durch ein mir angebornes Schamgefühl getrieben, mich gleich nach meiner Geburt in ein Bettuch gehüllt und solches wie eine Toga malerisch um meine Schultern geworfen hatte. Kurz, ich war schon im ersten Momente meines Daseins ein ganzer Kerl!

Nur weniges Einzelne will ich noch aus meiner frühesten Lebensperiode anführen. So wurde drei Tage nach meiner Geburt ein großes Concil gehalten, um über den Namen zu berathen, den ich in der Taufe empfangen sollte. Alle Muhmen und Vettern wurden hierzu versammelt. Christian, Christoph, Christlieb, Hans, Michel, Paul, Peter, Traugott, Fürchtegott, Leberecht wurden genannt, und ich sollte unter diesen Namen die Auswahl haben, da ich ein so gescheidter Junge war. Ich schüttelte jedoch zu allen diesen schönen Namen mißbilligend den Kopf, besonders zu dem Namen Leberecht, gegen den sich ich weiß nicht welches Gefühl in mir sträubte. Endlich begann ich: „Meine verehrten Aeltern! liebwerthe Muhmen und Vettern! Eigentlich hieße ich lieber gar nicht. Ich füge mich jedoch, da dies gegen allen christlichen Brauch und gegen alle polizeilichen Bestimmungen verstossen würde. Vor meiner Geburt, theuerster Herr Vater! habe ich sie oft aus einem Buche vorlesen hören, worin die hochherzigen Thaten des großen Fritz, des berühmten Preussenkönigs, beschrieben waren. Diese Thaten haben mich schon damals höchlichst interessirt, und so verlange ich denn, auf den Namen Fritz getauft zu werden. Und somit heiße ich gegenwärtig als Fritz Beutel – Mensch, und als Mensch – Fritz Beutel. Es ist auch nicht zu leugnen, daß ich zu Pferde einige Aehnlichkeit mit dem großen Friedrich habe, schon dadurch, daß ich zu Pferde sitze. Zufällig habe ich zwei Portraits bei mir, das eine mich, das andere Friedrich den Großen zu Pferde darstellend.



Da! hier! haben Sie die Güte, beide Portraits und namentlich beide Pferde zu vergleichen. Freilich sieht das meine etwas dürftig aus, aber es hat doch auch seinen Schwanz, seine vier Beine und ähnliche Gliedmassen, die es als Pferd erscheinen lassen. Beide, Pferd und Reiter, sind hier im zusammengefrornen Zustande aufgenommen, im aufgethauten sehen sie weit vollständiger aus. Ja, davon muß ich Ihnen sogleich erzählen, meine Herren! Auf meine Jugend- und Erziehungsgeschichte komme ich ein andermal zurück. Ich erzähle Ihnen jetzt meine, berühmte, obgleich von der jetzigen Generation mißdeutete und darum schwer verstandene Entdeckungsreise nach dem Nordpol.


[155]

Drittes Kapitel.
Fritz Beutel's Entdeckungsreise nach dem Nordpol.

Sie wissen, meine Herren! wie oft man und immer vergebens nach der nordöstlichen und nordwestlichen Durchfahrt gesucht hat. Ich habe mehr gethan; ich habe diese Durchfahrt durchritten und sogar einen Abstecher nach dem Nordpol gemacht. Aber ich habe stets Undank geerntet; Franklin,[WS 1] dessen berühmter Nordpolexpedition ich beiwohnte, hat mich in seiner Schrift gar nicht erwähnt, und meinen Berichten wollte man in London nicht glauben, obschon ich damals von den Einwirkungen des Nordpols noch so sehr magnetisirt war, daß sich alle Magnetnadeln auf der ganzen Erde nach mir drehten. Da ich damals gerade keinen so festen Wohnsitz hatte, wie jetzt in diesem Weinhause, so waren die Magnetnadeln, Compasse und Boussolen in der erstaunlichsten Unruhe, worüber Sie in den Zeitungen die merkwürdigsten Hypothesen gelesen haben müssen. Was half es mir, daß ich in London vor der naturforschenden, vor der geographischen, vor den verschiedenen Handelsgesellschaften ein Stück Nordpol, welches ich abgeschlagen hatte, zum Beweise meiner wichtigen Entdeckung vorwies, daß ich, wenn ich Abends durch die Straßen ging, aus allen Körpertheilen Nordlichter und knisternde Funken von mir gab? Es wollte Niemand, trotz dieser thatsächlichen Beweise, meine Erzählung für wahr halten.



Wie Sie bereits von mir gehört haben, wohnte ich und zwar in mehrfacher Eigenschaft, der Franklin’schen Nordpolexpedition[WS 2] bei, theils aus Reiselust und Entdeckungseifer, theils als Weinreisender des Hauses Brandt zu Guben, um die verschiedenen Sorten Lausitzer Weine unter den Bewohnern der Labradorküste abzusetzen. Sehr bald hatte ich eingesehen, daß der gewöhnliche Weg zu Schiffe in den höheren Nordpolgegenden ein ganz falscher und unausführbarer sei; denn wie will sich so ein Schiff durch die immer mächtiger werdenden Eisschollen und Eisberge Bahn brechen, und wie wenn es zuletzt ganz einfriert? Was aber einfriert, das liegt in der Regel still, wie ich an mir selbst erfahren habe.

Nun hatte ich aber von der Königin von Tombuktu, meiner Gemahlin, von welcher später die Rede sein wird, ein allerliebstes Rößlein zum Andenken erhalten, welches eine Gazelle zur Mutter und einen Berberhengst zum Vater hatte. Dieses Ding bestand mehr aus Knochen als aus Fleisch, mehr aus Feuer als aus Blut. Seine Flanken waren im eigentlichsten Sinne durchsichtig zu nennen, und seine zierlichen Beine glichen geschmeidigen Weidengerten; ich habe sie später nach dem Tode des lieben Pferdleins an einen Stiefelputzer und Kleiderreiniger als Ausklopfstöcke verkauft.

Mein Roß hatte von seiner Mutter, der Gazelle, wie ein Windspiel laufen und von einem Jugendfreunde, einem afrikanischen Gemsbock, springen gelernt. Nun spekulirte ich so: Je höher nach Norden, desto mehr häufen sich im Polarmeere die Eisblöcke und Eisschollen. Auf die Geschicklichkeit meines Pferdes im Springen rechnend, durfte ich daher gar nicht im Zweifel sein, von Eisscholle zu Eisscholle und so allmälig bis zum Nordpol zu gelangen. Nur dies schien bedenklich, wie mein an die Hitze der afrikanischen Sonne gewöhntes Roß die Polarkälte ertragen würde. Doch auch dafür wußte ich Rath. Ich ließ in London ein großes Brennglas von zehn Schritt Durchmesser verfertigen, welches ich sodann an den dem Erfrieren ausgesetzten Stellen meines Pferdes anbrachte, um die Sonnenstrahlen auf den bedrohten Punkt zu concentriren. So gelang es mir lange Zeit, mein Pferd vor dem Erfrieren zu schützen oder bereits erfrorene Stellen sofort aufzuthauen.

Zu dem Kapitäne Franklin äußerte ich gleich, daß er mit seinem Schiffe nicht weit kommen würde; und wie ich gesagt, so geschah es, das Schiff fror zuletzt ein und lag still, nicht auf seinen Lorbeern, sondern auf Eis. Allmählich wurde es so kalt, daß selbst die Worte, die man sprach, zu Eis erstarrten und gefroren in der Luft stehen blieben; auf dem höchsten Stadium der Kälte wurde sogar die Flamme auf dem Herde in Eis verwandelt und mußte mit kochendem Wasser wieder aufgethaut werden, – kurz die Kälte verrichtete auf unserm Schiffe ganz unglaubliche Dinge, die nur in meinem Munde als wahr erscheinen können.

Mein Brennglas war uns zu dem größten Nutzen. In der Regel froren wir über Nacht ein, wovor uns die wärmsten Decken, Matratzen und Pelze nicht schützen konnten; man hätte uns in irgend einem Museum ausstellen können und [156] wir würden an Starrheit und Unbeweglichkeit den vollendetsten Antiken Ehre gemacht haben – aber wie uns am andern Morgen aufthauen? Da half mir mein Brennglas. Mit den ersten Strahlen der Morgenröthe erhob ich mich von meinem Lager.

„Sie waren ja aber eingefroren, Herr Beutel!“ bemerkte hierbei einer der Anwesenden.

„A posteriori wohl, aber nicht a priori,“ sagte hierauf der unerschütterliche Beutel –„oder vielmehr nur von hinten, nicht von vorn, gleichsam nur in der Realität, aber nicht in der Idee. Mein philosophisches Bewußtsein ließ mich nicht zum gänzlichen Erfrieren kommen. Ohnehin war ich so vorsichtig, vor Schlafengehen ein paar Tropfen Gubener Landwein zu mir zu nehmen, und dieser Landwein ist bekanntlich so hitziger Natur, daß er auch dem äußersten Kältegrad Widerstand leistet. Es blieb also immer ein Fleckchen in meinem Gehirne übrig, welches nicht einfror. Zudem hatte ich das besagte Brennglas so an meinem Lager angebracht, daß die ersten Strahlen der Morgensonne auf meine erstarrten Glieder concentrirt wurden und mein gefrorenes Blut aufthauten. Mit selbigem Brennglas thaute ich auch die übrige Schiffsmannschaft auf, den Kapitän, den Steuermann, den Hochbootsmann, den Koch, die Matrosen, Einen nach dem Andern. Ich muß noch bemerken, daß in diesen hohen Breitegraden das Erfrieren der eigentliche normale Zustand ist, und wunderbar belebend und erquickend auf die Nerven wirkt.



Endlich wurde ich dieses ewigen zwecklosen Erfrierens und Aufthauens überdrüßig, setzte mich zu Pferde, überließ das Schiff seinem Schicksal, und sprengte geradezu auf den Nordpol los. Wo das Meer spiegelglatt gefroren war, hatte ich eine ganz treffliche Reitbahn, hie und da traf ich aber auch auf offene Stellen, und hier galt es nun, mit meinem Pferde geschickt von Eisscholle zu Eisscholle, von Eisberg zu Eisberg zu setzen. Denken Sie sich nun meinen Schreck, als einmal mein Pferd mitten im Sprunge einfror, so daß ich hoch in der Luft zwischen zwei gewaltigen Eisbergen schwebte, was wohl noch keinem Sterblichen wiederfahren ist. Glücklicherweise war auch die untere Luftschicht ganz dick und fest gefroren, so daß ich wenigstens vor der Gefahr eines tödtlichen Sturzes gesichert war. Lange Zeit hielt ich mich dadurch wach, daß ich von Zeit zu Zeit einige Tropfen Gubener Landwein auf Zucker zu mir nahm. Es wurde Nacht und diese Nacht wollte kein Ende nehmen; die Sterne schimmerten überaus hell, die Nordlichter knisterten und funkelten rings um mich her. Ich befand mich ganz in der Nähe des Nordpols, dieß erkannte ich daran, daß mehrere eiserne Instrumente, die ich mit mir führte, aus meinen Taschen und direkt auf den Nordpol zu sprangen, der sie magnetisch an sich riß. Mit Schaudern bemerkte ich, daß der Winter angebrochen war, der in diesen Regionen in einer sechs Monat dauernden Nacht besteht. Ich ergab mich in mein Schicksal, setzte mich zum Erfrieren möglichst bequem, stellte mein Brennglas gegen Osten auf, damit nach Ablauf der sechs Wintermonate die ersten Strahlen der Sonne auf mich fallen und einen allgemeinen Aufthauungsprozeß an Reiter und Pferd veranlassen möchten, schloß meine Augen – und erfror –.“

Bei diesen Worten zuckt Fritz Beutel zusammen und sitzt mit aufgesperrtem Munde und weit aufgerissenen Augen, starr und steif, wie ein Todter da.

Man drängt sich um ihn, man fragt was ihm fehle, ob ihn der Schlag getroffen; man holt Wasser herbei und will ihm die Schläfe damit waschen.

Plötzlich stößt Fritz Beutel mit lauter Stimme den Namen „Tombuktu!“ hervor, und wischt sich mit den Worten: „Welch wohlthätiger Schweiß!“ die Stirn, dann fährt er weiter fort:

„Meine Herren! die bloße Vorstellung, wie ich so in der Luft schwebend mit meinem Pferde erfror, brachte mich so eben dem Erfrieren nahe. Mit Gewalt versetzte ich mich daher in die Vorstellung der Aequatorialhitze von Tombuktu, ein kritischer Aequatorialschweiß brach sogleich aus allen Poren aus, und die Gefahr zu erfrieren war beseitigt.

Um indeß für heute der Gefahr eines Rückfalls zu entgehen, will ich mir die Beschreibung des Nordpols mit seinen zahlreichen Wundern auf einen andern Abend versparen, und erlaube mir noch, Ihnen einen Vorgeschmack von den Abenteuern zu verschaffen, welche ich in Tombuktu erlebte.“




(Fortsetzung folgt.)

[157]

Käuzlein und Raupe
(Alter deutscher Spruch.)
Manch Käuzlein mit schönem Gefieder,


Legt sich als Eule nieder.


Manche kriecht als Raupe aus dem Bette


Und kommt als Schmetterling von der Toilette.

[158]

Die Deputation.
(Pfälzisch.)



Die Bäuch, die Bäuch, die dicke Bäuch,
Die Bäuch sin unser Schade!
’S wär besser werrlich, sag ich Euch,
Mir Bäcker hädde gar keen Bäuch

5
     Keen Backe un keen Wade!


Noch Billigkeit un noch Vernunft
Is unser Tax zu nieder:
Drum war auch unser ganzi Zunft
Bei ihrer letschte Zsammekunft

10
     Als wie een Mann darwider.


Mir sage unserm Zunftschkriwent:
„Jetz Alder schpitz dein Fedder,
„Schreib daß mer nimmer lewe könnt,
„Mach e Lamento ohne End,

15
     „Sunscht hol dich’s Dunnerwetter:“


Er hot gedhan sein Schuldigkeit,
Die Schrift war schier zum Flenne,
So kläglich wie die dheuer Zeit,
E Chrischt, e Judd, e Derk, e Heid

20
     Hätt sich erbarme könne.


Mir knöchle siewe Mann eraus,
Zufällig lauder Dicke;
Die gehn zum Präsident in’s Haus
Un rücke mit der Bittschrift raus

25
     Un denke ’s durchzudrücke.


Was hot der Präsident gedhan?
Er lest die Schrift un lächelt:
„Ihr Herrn, guckt Euch nor selwer an;
„Euch sieht mer doch keen Mangel an; –“

30
     Des war nig gut geknöchelt!


Mir gucke an uns in der Rund, –
Do war nix mehr zu mache;
Mir Fetzekerl, all kugelrund,
E Jeder wiegt dreihunnert Pund!

35
     Mir mußte selwer lache.


Drum noch e Mol: die Bäuch, die Bäuch,
Die Bäuch sin unser Schade!
’S wär besser werrlich, sag ich Euch,
Mir Bäcker hädde gar keen Bäuch,

40
     Keen Backe un keen Wade!
K. G. Nadler.



Väterliches Regiment.



Gensdarm.     Den Schlafrock aus, den polizeiwidrigen, der verweichlicht! hier eine abhärtende Jacke, nach dem Landeskinder-Jacken-Staatsmodell, Stempel Nr. 20 gegen 10 Thlr. 8 Sgl. 73/4 hl.

Lorenz Kindlein.[WS 3]     Aber, verzeihen Sie, ich werde mich erkälten.

Gensdarm.     Einfältiges Landeskind auf niederem Standpunkte. Wir wissen am Besten wo der Schuh dich drückt.


[159]

Zur Geschichte der Riegelhäubchen



Im Britischen Museum befindet sich ein merkwürdiges Fragment, welches aus den Ruinen des Isistempels in Tentyra stammt, mit einer bildlichen Darstellung, wovon wir oben eine getreue Abbildung geben. In der „Galery of Antiquities selected from the British Museum,“ von F. Arundale und J. Bonomi herausgegeben und mit Beschreibungen von S. Birch versehen, findet sich hierüber Folgendes: „Die drei Figuren scheinen weibliche zu sein, die vielleicht einer Göttin Huldigung und Opfer darbringen; vor der Ersten ist Etwas, was beinahe einem Kandelaber ähnlich sieht, und eine Lotusblume; die Zweite trägt den Nilschlüssel und einen Nilmesser in den Händen; die Dritte möchte auf die Hathor oder die ägyptische Venus, die an einem Sperber- oder Falkenkopfe kenntlich war, hindeuten, wofür zugleich die graziöse Haltung und das edelschöne Antlitz sprechen. Freilich waren auch Osiris, Phtha und andere altägyptische Gottheiten mit solchen sperberähnlichen Köpfen versehen. Die Kappe oder Kapuze dieser Personen ist die gewöhnliche Calantica. Merkwürdig aber sind die auf diesen Kappen befindlichen Aufsätze, oder die nach rückwärts gekrümmten zwei Lappen, die unter andern auch Osiris trug, und welche offenbar die Urform für die weltberühmten Riegelhäubchen der Münchener Bürgermädchen abgegeben haben. Man darf sich jene Kopfläppchen nur noch mehr nach hinten verlängert denken, so daß sie eine Art Dach bilden, woran der Regen ungehindert ablaufen kann. *) Wie nun jene altägyptischen Kopfläppchen nach München verpflanzt worden sind, das bedarf freilich noch genauerer Untersuchung, dürfte aber zu sehr wichtigen Aufschlüssen über die Wanderschaft, Abstammung und Verbindung der Völker führen. Wir überlassen es den deutschen Archäologen, der von dem englischen Forscher aufgefundenen Spur weiter nachzugehen. Welche Ueberraschung, wenn nachgewiesen würde, daß die schönen Münchenerinnen ihre Ur-Verwandtschaften unter den ägyptischen Mumien zu suchen hätten! – Man vergleiche gefälligst mit den obigen anmuthigen Alt-Aegypterinnen die folgende Abbildung eines Münchener Bürgermädchens mit ihrem Riegelhäubchen.




*) Es läßt sich überhaupt nachweisen, daß alles Moderne uralt ist. Man betrachte z. B. die Sperberfeder auf dem Haupte der dritten Figur nach obiger Abbildung. Solche etwas nach rückwärts gekrümmte Sperberfedern trugen unter andern auch Osiris und Djom oder Gom, der ägyptische Herkules. Wer denkt hierbei nicht unwillkührlich an den Federkopfputz unserer modernen Damen oder an die Federstutze auf den Czacos unserer Bürgergarde?

Archäologische Section der Redaction der fliegenden Blätter.

[160]


manicula     Heute zum letzten Male.     manicula[WS 4]



Naturgeschichte


     Femina lucina.
     Obstetrix Succurrens.
     Familie der Adjuvanten.
     Zu Deutsch: Die Sagefemme oder: Die Madame.

Kennzeichen:     Allerlei Gepäck in dem Ridicule, ein Geschoß eigener Art unter dem Arme und immer Eile, wie es scheint.

Fundort:     Für München und seine Vorstädte siehe „Sieberts Adreßbuch von München etc.“ (Ausgabe v. 1842.) S. 75. (Ueberhaupt mögen Ehemänner und andere Leute, die es angeht, sich selber und bei Zeiten um die Fundörter erkundigen, damit nicht bei Nachtzeit ganze Stadtvierttheile durch unsinniges Gelärm und Geschelle an unrechten Glocken aus dem Schlafe geschreckt, und furchtbar geärgert werden.)

Zweck:     Speditionsgeschäfte.




München, Verlag von Braun & Schneider.Papier und Druck von Fr. Pustet in Regensburg.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Sir John Franklin (1786–1847) war ein britischer Konteradmiral und Polarforscher.
  2. Die Franklin-Expedition startete im Jahre 1845 mit dem Ziel, die Nordwestpassage von Ost nach West vollständig zu durchsegeln und kartographisch zu erfassen. Das Vorhaben misslang. Zwischen 1845 und 1848 (also nach dem Erscheinen der vorliegenden Geschichte) starben alle 129 Expeditionsteilnehmer.
  3. Hier wird Bezug genommen auf die Figur des armen Poeten Lorenz Kindlein aus dem Schauspiel Der arme Poet von August von Kotzebue.
  4. Und dennoch findet sich in Heft 21 auf Seite 168 ein weiterer Beitrag aus dieser Reihe, versehen mit dem Vermerk: „Heute zum allerletzten Male.“