Fliegende Blätter Heft 17 (Band 1)
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Jeden Augenblick meinte er, jetzt müsse Marie in dem blauen Hauskleide mit der weißen Schürze, die große Suppenschüssel in der Hand, durch diese Thüre eintreten. Aber viele Stunden waren nach dem Maßstabe seiner Ungeduld schon vergangen, und noch immer kam sie nicht; sie wird doch nicht krank sein! dachte er plötzlich. Ein Pruhsten und Schnauben und ungleichmäßiges Fußtappen zeigte an, daß der krummbeinige Martin, wie gewöhnlich, seine Promenade unter den Fenstern des Refektoriums mache, damit die Morgensonne, wie er sich auszudrücken pflegte, die bösen Nebel vom vorigen Tage zerstreuen möchte. „Heh Martin, Martin!“ schrie Franz, und ehe noch eine Antwort erfolgen konnte, war er gewandt durch’s Fenster an dem dichten Epheugeflechte, die, wegen des hohen Fundaments nicht unbeträchtliche Höhe, hinabgeklettert. Marie ist doch nicht krank? wollte er fragen, aber so wenig er sonst in dem Augenblicke zum Lachen aufgelegt war, der Anblick des guten Martin war gar zu komisch. Martins gestriger Rausch mußte tüchtig gewesen sein, denn die Kleider hatten den höchst möglichen Grad von Knappheit erreicht. Wie eine Ente wankte der Alte daher in den mehr als chinesisch engen Schuhen; die gleich Trico anschließenden Hosen zeigten die kreisförmige Bildung dieses charakteristischen Körpertheils Martins in seiner ganzen Schönheit, die Aermel endlich reichten kaum bis zum Ellenbogen und der schmale Streif, welcher vom Rückenstück übrig war, zog die Schultern des alten Knaben zurück, daß ein Rekrut, der reiten lernt, daran hätte ein Beispiel nehmen können.
„Ihr habt gut lachen in Euern bequemen Kleidern,“ sagte Martin unwirsch, „aber das wird schon aufhören, wenn der Martin nicht mehr zu Markte gehen und Speisen für Euch holen kann! in den Kleidern halt’s der Teufel aus, und gestern sind mir schon die Buben bis eine halbe Stunde von der Stadt nachgesprungen, so daß ich ihnen zuletzt in der Wuth ein Ei um’s andere an den Kopf warf.“
„Sei nur ruhig, Alterchen,“ tröstete ihn Franz, „ich schenke dir meine Sonntagskleider, denn ich komme ja doch nicht unter die Leute. Nur den Tag, wann ich mit der Marie zur Kirche gehe, um mich trauen zu lassen, mußt du mir sie wieder leihen. Aber sprich, weißt du nicht, was es mit der Marie ist, daß sie noch immer nicht herunter kommt von ihrer Schlafstube?“
„Na, was solls denn sein,“ brummte Martin, und machte wieder einen vergeblichen Versuch, sich etwas bequemer in seiner sammtnen Behausung einzurichten. „Schon seit zwei Stunden habe ich vor ihrem Gesinge nicht mehr schlafen können. Erst ein Morgenlied und dann ein Duzend Schelmenlieder, und das Blitzmädel hat eine so helle Stimme, daß weit und breit im Walde die Vögel antworteten. Für Euer Anerbieten mit den Kleidern danke ich, aber wißt Ihr denn nicht, daß wenn ich nur einen Tag andere Kleider als die ererbten [130] auf den Leib bringe, der ganze reine Judenseelen-Zauber vernichtet ist, und ich nie werde hexen können, wenn ich mir auch, wie ich wünsche und hoffe, in meinen alten Tagen das Trinken abgewöhnen sollte! Mit der Hochzeit, das schlagt euch aber aus dem Sinne. So seid ihr junges Volk, gestern verliebt und heute soll’s schon geheirathet sein. – Liebes Kind, Heirathen kostet Geld, viel, viel Geld! Da mußt du einen Tauf-, Pocken-, Confirmations-, Heimaths- und Militärfreiheits-Schein haben. Ferner, wenn du auch nie dieses Kloster verlassen hast, so muß doch der Herr Pfarrer an dreien Sonntagen dich von der Kanzel werfen, das heißt, er muß fragen, ob nicht ein anderes Mädchen Etwas gegen deine Heirath einzuwenden hat, weil du ihr schon früher die Ehe versprochen.
„Das thut der Herr Pfarrer wieder nicht umsonst; dann mußt du Bürger werden, mußt einen Ansässigmachungs-, Gewerbs und Ehe-Consens haben, und endlich für’s Trauen selbst verlangt der Herr Pfarrer wieder Geld und sein Küster dazu, und dann für die Hochzeit muß doch ein Braten, ein Kuchen, und viel, viel guter Wein daher, und selbst wenn du für all dieses mit der Zeit Geld auftreiben könntest, was gar nicht möglich ist, selbst wenn ich mir das Trinken noch einmal abgewöhnen sollte, was wiederum nicht sehr wahrscheinlich ist, so kommen am Ende Kinder, und Kinder, die wollen getauft, erzogen, confirmirt und ausgesteuert sein, was noch viel mehr Geld kostet, kurz du mußt dir die Sache wieder aus dem Kopfe schlagen.“
„Das kann ich nicht, das will ich nicht, das werd ich nicht!“ schrie Franz außer sich vor Wuth und packte den Alten so derb an, daß dessen so schon überspannte Kleider in allen Richtungen Risse bekamen; „ehe das geschieht, schmeiß ich dich und das Kloster und die ganze Welt zusammen. – „Franz!“ tönte hell und versöhnlich Mariens Stimme aus dem Refektorium herunter, „bist du dort unten? ich glaubte du triebst dich noch immer im Walde herum, und war schon recht besorgt und ungeduldig, weil du mich so lange warten ließest; komm doch herauf, die Suppe wird kalt.“ Und in der That, wie fröhlich war Marie aufgestanden, denn wenn sie auch nicht recht mehr gewußt hatte, wovon sie die Nacht geträumt, so hatte sie doch das Nachgefühl eines sehr schönen Traumes gehabt, und wußte sie anderer Seits auch seit gestern, ohne daß sie Jemand darum gefragt, wie lieb, wie recht von Herzen lieb sie den Franz hätte.
Aber hatte sie Franz auch wieder lieb? war er nicht gerade seit gestern so zerstreut und kurios, und gleich nach dem Essen war er fortgelaufen und die ganze Nacht ausgeblieben! Diese ersten, wenn auch noch sehr unklaren Anfänge von Eifersucht, hatten der Marie ihre Liebe zum Bewußtseyn gebracht, und die schönen Träume dieser Nacht, der helle Morgensonnenschein und ein vertrauungsvolles Gebet hatten auch dieses erste Mißtrauen Mariens gegen Franzens Treue schnell wieder entfernt; aber als er jetzt auch beim Frühstück auf sich warten ließ, und dann wieder so zufahrig und jähzornig den alten Martin prügeln wollte, ohne daß dieser etwas Ungewöhnliches gethan, das war gar nicht mehr ihr Franz von ehemals! Der alte Trunkenbold hatte ihn gewiß mit einem Mädchen drunten im Dorfe bekannt gemacht, und jetzt geht die Geschichte nicht wie sie soll, und dafür hat der Martin Schläge gekriegt, und das schadet ihm gar nichts und so weiter.
Franz kam langsam durch die Thüre herein; er erwiederte Nichts auf Mariens kaum hörbaren guten Morgen, keins wagte das Andere anzusehen, sondern mit klopfendem Herzen, hochrothen Wangen und finsteren Blicken saßen sie einander gegenüber und rührten in der Suppe. Der alte Martin kam gar nicht herauf, sondern lief, doppelt so stark, als gewöhnlich, pruhstend, schnaubend und tappend unter dem Fenster auf und ab. Alles war anders, als sonst. Nach einer Weile stand Marie, ohne einen Bissen zu essen, auf, und trat an die Fensteröffnung. Franz blickte verstohlen nach ihr hinüber, er sah eine große, blitzende Thräne fallen; das hatte sie ihm verbergen wollen. Ach sie hatte ihn ja wieder so lieb, sie hatte ja so viel von ihm geträumt, und jetzt war er so verdrießlich und widerwärtig, wie wehe mußte ihr das thun! Unwillkührlich stand er auf und stellte sich, nur flüchtig sie anblickend, dicht neben ihr hin ans Fenster. Wenn er ihr auch nicht seine Liebe gestehen durfte, weil er sie nicht heirathen konnte, warum sollte er denn unfreundlich gegen sie sein? warum sollte er sie nicht trösten, es war ja nichts vorgefallen? warum sollte er nicht gegen sie sein ganz wie früher? – Erst einen Kuß; dann guten Morgen liebe Marie. Sei mir nicht böse, weil ich heut Morgen so widerwärtig bin, ich habe nicht gut geschlafen, es war so heiß, die Mucken haben so arg gebrummt in meinem Zimmer, sonst ist gar nichts vorgefallen. Komm laß uns unsere Suppe essen und dann lustig an die Arbeit. Dem alten Martin schenke ich meine Sonntagskleider, da ist er auch
[131] wieder zufrieden. – Nein um Alles in der Welt konnte er so nicht thun und sprechen, und bei den Kleidern und bei dem Martin, da fiel ihm gleich wieder die Hochzeit ein. Was die Marie heut schön war, und wie schön müßte sie jetzt sein, wenn sie mal wieder, wie sonst, stets ein fröhliches Gesicht machen würde! Aber so traurig hatte sie selbst nicht beim Tode Florians ausgesehen; die Wangen bleich, die Augen starr und blicklos, und um Gottes willen, sie bog sich so weit zum Fenster hinaus, – er umfaßte sie kräftig, um sie zu halten, und im Nu ruhten Mund auf Mund zu einem langen warmen Kusse. Der günstige Leser wird entschuldigen, wenn es uns durchaus unmöglich ist, ihm zu sagen, ob Franz ihn zuerst gab oder Marie ihn zuerst in Empfang nahm. „Juhhe!“ schrie gerade unter ihnen der alte Martin, daß sie mit den Köpfen auseinander fuhren, als ob sie auf einem Diebstahl ertappt wären. „Wenn die Noth am größten, ist die Hilfe am nächsten,“ fuhr der Alte fort, „hab’s dem Herrn Florian immer gesagt, daß in dem alten Gemäuer hie und da Schätze versteckt seyn müßten, warum spielten sonst Nachts so oft die blauen Flämmchen um das Fundament?“
„Die geistlichen Herren haben manches schöne Geschenk von frommen Wallfahrern erhalten, und können unmöglich verzehrt gehabt haben, was die schönen Güter einbrachten, als sie der Krieg vertrieb.“
Hier an dieser Stelle müßte man nachgraben, da würde man bald mehr finden, solche Vögel fliegen nicht allein, seht her, welch ein schöner blanker Dukaten, ein Ritter ist darauf“ – aber Franz und Marie hörten kein Wort von allem dem, sondern selig Aug’ in Auge hängend, erzählten sie sich stumm Alles, was sie seit gestern gefühlt und gedacht hatten, und dazwischen kam immer wieder ein Kuß, um die Betheuerungen zu besiegeln, und alles Unrecht, das sie sich gegenseitig gethan, abzubitten. – „Potz Mohren, Fetzen, Fandango, Seladon, Austerlitz, da wissen wir endlich auch, was für eine Gabe Herr Florian der Marie vermacht hat. Nur zugeküßt, schrie der Alte von unten, nur zugeküßt, da gibts desto eher eine Hochzeit! Aber einen Augenblick müßt ihr euch abmüssigen, um zu sehen, wie’s hier Dukaten regnet bei jedem Kuße, den ihr Euch gebt.“
„Der gute, gute Florian!“ rief Franz und wollte die nun sich sträubende Marie schon wieder küssen. „Kind, sträube dich nicht,“ sagte er, „es ist keine Sünde, so Geld zu machen; denn die Hälfte der Dukaten wollen wir täglich zu Seelenmessen verwenden, damit unser braver Florian früher aus dem Fegfeuer herauskommt. Aber schon nächsten Sonntag muß uns der Herr Pfarrer zum erstenmal von der Kanzel werfen. In drei Wochen können wir auf diese Weise mehr als genug Geld zusammen bringen, nicht wahr Martin?“ – „Freilich, freilich,“ sagte dieser, welcher jetzt, die Dukaten lustig in seiner Kappe herumrasselnd, zur Thüre hereingesprungen kam. „Jetzt kaufen wir den Herren Administratoren das Gut noch einmal mit gutem Golde ab, und dann müssen alle Keller voll Wein und Bier vom besten Gewächs – aber setzte er kleinlaut hinzu und kratzte sich hinter den Ohren, „der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Hab ich mir so eben erst noch fest vorgenommen, ich wollte mir das Trinken abgewöhnen, das heißt das zuviel, damit ich hexen und euch glücklich machen könnte! Aber ach was, ich will lieber hier lustig und arm leben und dann jenseits nicht erst dreißig Millionen Jährchen im Fegfeuer auf den Himmel warten. Hole der und jener die Hexerei, so lange ihr euch lieb habt und euch treu und aufrichtig küßt, gibts Dukaten die Hülle und Fülle, da werden auch einige für den alten Martin übrig seyn.“
„So ist’s recht,“ sagte Franz, „wir werden alle nicht dabei zu kurz kommen. Ich werde die Marie schon gerne küssen und sie wird mir auch nicht untreu werden, denn ich kann’s ja gleich an ihren Träumen sehen, wenn ich den Tag über nicht so ganz, ganz lieb gegen sie gewesen bin, und du Martin sollst morgen am Tage Kleider haben so weit, daß dir’s nicht zu enge wird, und wenn du auch zehn Schoppen über den Durst getrunken hast!“
Vier Wochen darauf war richtig Hochzeit, und Franz ist ein reicher, reicher Guts-Herr geworden, und Marie Mutter von zehn Kindern,
[132] und Martin blieb lustig und durstig bis an sein selig Ende.
Und was ist die Moral von dieser langen, verlegenen Geschichte? wird vielleicht der günstige Leser fragen, weil er wahrscheinlich weiß, daß es keine Dukaten bringt, wenn man die Mädchen küßt, und daß selbst bei den treuesten nicht ihre Träume auf die Kammerthüre geschrieben stehen, und daß Einem nicht die Kleider zu enge werden, wenn man sich einen Rausch trinkt – sonst wäre die löbliche Schneiderzunft noch übermüthiger, als sie jetzt schon ist. – – Wenn du auch Alles andere verschläfst und vergissest, lieber Leser, die Moral von der Geschichte merke dir, denn sie heißt: Fröhlich gelebt und selig gestorben, so wird dem Teufel die Rechnung verdorben. –
Ich will doch sehen, ob ich dem verfluchten Buben keine Zuneigung zu mir beibringen kann.
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Im Kerzenschimmer glänzt der Saal,
Ein Lichtmeer strömt von Girandolen,
Der hebt zum Munde den Pokal
Und Jener schöpft aus Silberbowlen;
Am Busen, der sie wogen macht,
Und weit durch Kiew’s Winternacht
Des Festes Kläng’ und Strahlen sprühen.
Musik zum raschen Tanze rauscht,
Um schlanke Hüften weitgebauscht,
Weh’t wie das Banner üpp’ger Freude.
Und nebenan, am grünen Tuche,
Da wird gespielt mit Haufen Gold,
Und rollt zurück mit leisem Fluche.
„Faites votre jeu – le jeu est fait,“
Und wie die Taille ist geschlagen –
„Rouge gagne“ – wer drängt sich in die Näh’,
Ein hoher Mann im Mönchsgewande,
Die blassen Züge stolz und rein,
Gebückt, in Demuth tritt er ein
Und stellt sich zu des Tisches Rande.
Im Mönchsrock mit geschor’nen Haaren;
Ein Degen, wie man wen’ge traf,
Herz, Aug’ und Arm, wie wen’ge waren,
Als er im Kampf noch, hoch zu Rosse
Ein Schreck für Russ’ und für Tartar,
Des Sieg’s verwöhntester Genosse.
„Ein Flecken nur – der Zornesmuth,
Im Kampf mit sich ein schlechter Krieger;
Glich er dem wunden Königstieger;
Dann aller Seinen Furcht und Schrecken,
Sah man ihn einst den Säbel zieh’n
Gen einen armen Knecht und ihn
„D’rum griff er zu dem Büßerhemd
Und sein Pallast ward zum Spitale;
So unserm Leben fern und fremd
Leert er der Reue Wermuthschale!“ –
Erfüllend seines Ordens Pflicht,
Streckt seine Rechte aus und spricht
Zu Einem, der zunächst gesessen:
„Für meine Kranken, Herr!“ Vertieft, zerstreut,
Dann zupft er leise ihn am Kleid;
Der Spieler auf, – des Grafen Wange
Wird seiner kräft’gen Faust zum Ziele:
„Da, Mönch!“ ruft er mit wüth’gem Blick,
Und wendet fluchend sich zum Spiele.
Der Graf stand todtenblaß; dann roth,
Roth wie Vulkanens nächtlich flammen:
Aus seinem Auge dräu’t der Tod,
Der Stirne Ader schwillt zum Springen,
Er hat die Rechte fest geballt,
Und schwer muß sich, wie mit Gewalt,
Der Odem seiner Brust entringen.
Um – beide an die Brust zu pressen;
Ein feuchter Blick in seinem Aug’
Als ob die ganze Schmach vergessen;
Er spricht – man hört die Stimme wanken,
„Mein Herr! das eben war für mich;
Nun gebt mir was für meine Kranken!“ –
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2. Der Wetterprophet. Wir haben es hier mit keinem gewöhnlichen Wetterpropheten zu thun, der den Kalender zu Rathe zieht und auf die ordinären Wetteranzeichen merkt, in die jeder Bauer und jedes Kind eingeweiht sind. Wenn die Wolken weiße lange Streifen am Himmel bilden, so bekommen wir Wind, wenn die Sonne blutroth hinter Wolken untergeht, so gibt es morgen einen regnerischen Tag, wenn das Feuer spuckt oder wenn die Hühneraugen schmerzen, so ändert sich das Wetter und dergleichen – nein! mit solchen Bauernregeln hat es unser Wetterprophet nicht zu thun. Er hat vielmehr seine Vorhersagungen in ein wissenschaftliches System gebracht, er spekulirt in’s Große, in die fernsten Zeiten, er sagt auf Jahre das Wetter voraus, ja, wie der bekanntermaßen nie trügende hundertjährige Kalender, auf Säcula.
Hat er einmal einen schönen Tag angekündigt und der rebellische Tag straft ihn durch Regengüsse Lügen, so regnet es doch für ihn nicht; er behält Recht, und er beweist dies dadurch, daß er ohne Regenschirm eine Landparthie macht, bis auf die Haut durchnäßt nach Hause kommt, und gegen seine ihn auszankende Frau keck und geringschätzig behauptet: „Das soll Regen sein! es tröpfelt ja nur; ja wenn ihr gewöhnlichen Leute so ein Tröpfeln Regen nennt, dann regnet es alle Tage.“ –
Was hilft es, daß seine Frau die ganz durchnäßten Kleider vor ihm ausringt und auswindet? Er bleibt auf seinem Satze stehen: es seien nur einzelne Tropfen gefallen und der ganze Spaß nicht der Rede werth. –
Für das Jahr 1844 sagte er einen empfindlich kalten April voraus, aber die Aprilsonne brannte wie im Hochsommer. Unser Wetterprophet ließ sich keineswegs schrecken. Man sah ihn täglich Mittags die Ludwigsstraße entlang gehen, wie ein Grönländer tief in den Mantel gehüllt, eine Pelzmütze mit Ohrlappen auf dem Kopfe, Ueberschuhe an den Füßen, Pelzhandschuhe an den Fäusten. Der Schweiß rann ihm von der Stirne. Dennoch klagte er gegen alle Bekannte, die ihm zufällig begegneten, über die für den Aprilmonat ganz unnatürliche empfindliche Kälte, und schüttelte sich vor Frost. –
„Aber wie können Sie es nur in dieser entsetzlichen Hitze aushalten?“ fragte ihn ein Bekannter. „Sie sind über und über Pelz wie ein Eisbär, und uns übrigen gescheidten Leuten ist es noch im Frack und in Sommerbeinkleidern zu warm.“
„Weil Sie eine Verschwörung gegen mich angestiftet haben, und weil Sie mich verspotten wollen,“ antwortete der erzürnte Wetterprophet. „Man sieht es Ihnen an, wie sehr Sie in Ihren Sommerhosen frieren. Lassen Sie das dumme Zeug sein und verwahren Sie sich besser, sonst ziehen Sie sich noch eine Krankheit auf den Hals! Seit Jahren haben wir im April nicht einen so empfindlich kalten, schneidenden Ostwind gehabt wie heuer.“ Am meisten hatten hierbei seine Frau und seine Kinder zu leiden: da er zu Hause wie bei einer Kälte von 20° einheizen ließ und in allen Zimmern eine schwebende Hitze unterhielt. Die Fenster wurden von Neuem mit Moos verstopft, der Bettwärmer wieder hervorgeholt, kurz eine Menge Anstalten getroffen, um die Sommerhitze des Aprils Lügen zu strafen.
Umgekehrt hatte er für das Jahr 1845 einen äußerst milden, frühlinghaften Februar, einen maiähnlichen, mit Veilchenduft, Lerchengesang und Baumblüthe überreich gesegneten März prophezeit. Wir erinnern uns noch alle an die kamschadalische Wuth, womit der Februar und März vom Jahr 1845 gegen Mensch und Vieh aufgetreten sind. Die Hasen erfroren im Felde, und, wenn wir uns gestatten dürfen, es auszusprechen, die zartgliedrigen Flöhe im Bette. Die Sonne schüttelte sich, der Mond klapperte vor Frost und die Sterne
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schnitten die übelsten Gesichter. Nur unser Wetterprophet schwitzte oder gab vor zu schwitzen. In seinem Schlaf- und Arbeitzimmer durfte nicht geheitzt werden, und bei seinen täglichen Spaziergängen die Ludwigsstraße auf und nieder, suchte er die Schattenseite, wie er im April 1844 stets die Sonnenseite gesucht hatte. Er trug ein leichtes Sommerfräckchen, dünne Nankinghosen, Schuhe und seidene Strümpfe, die bebrillte Nase hoch in die Luft gesteckt und den Hut unter dem Arme, während er den angeblichen Schweiß mit dem Taschentuche von der Stirn wischte.
„Aber Mann Gottes!“ sagte einmal ein Bekannter zu ihm, „wie können Sie es nur so aushalten?“
„Ja, das sage ich selbst,“ antwortete gelassen unser Wetterprophet, „es ist, nämlich für den Winter, wo man an dergleichen nicht gewöhnt ist, so unausstehlich schwül, daß man kaum die Kleider auf dem Leibe dulden mag,“ und er pustete auf’s schrecklichste und wischte sich den Schweiß von dem ganz blau gefrornen Gesichte.
Unser Wetterprophet beweist, daß es auch jetzt noch Märtyrer gibt, die um ihres Glaubens willen allen Mühsalen, Schmerzen und Peinigungen mit dem unerschütterlichsten Heldenmuthe Trotz zu bieten wissen.
Paris den 1. Juli 1845. Sie haben vermuthlich schon längst gelesen, daß die Armirung unserer Forts nunmehr nach heftigen Debatten genehmigt, und bereits die Summen hiefür angewiesen sind; aber die Art der Geschütze selber, die aus der Menge der zur Probe gestellten Modelle, die von Toulon, Arras, Brest und weiß Gott woher eingesandt kamen, gewählt wurde, ist Ihnen ohne Zweifel noch fremd. Ich beeile mich, Sie davon in Kenntniß zu setzen.
Gestern Abend in Gesellschaft bei General Laidet[WS 1] kam Thiers[WS 2] auf mich zu und sagte: „Sehen Sie, Freund, wir haben jetzt gefunden, was wir längst gesucht. Betrachten Sie sich einmal dieß Blättchen.“ Dabei langte er aus seinem Portefeuille, das er beständig unter dem Arme trägt, eine kleine Zeichnung hervor, die er mir nachher überließ, und die ich Ihnen hier beilege. Er erklärte mir nun Alles ganz ausführlich – ich gebe es kurz wieder.
Es ist dieß die Erfindung von Mr. Baudequin, früher in der großen Gießerei von Mr. Halette in Arras beschäftigt.
Fig. 1 stellt die allgemeine Form des Geschützes dar. Schon beim ersten Anblick fällt jedem das Leichtbewegliche in der Construction auf. Man braucht es nur hinten oder vorne an den Seitenringen aufzuheben, um es schnell vom Platze und in jede beliebige Richtung zu bringen. Dieß ist indessen gar nicht nothwendig, da die Pièce beständig auf einem Flecke stehen bleiben soll und vorne und hinten losgeht, und deßhalb 2 Kammern und 2 Zündlöcher hat. In dieser Form werden nun die verschiedenen Kaliber angefertigt, (nämlich 800 Stück Sechsunddreißigpfünder, 1200 Stück Vierzigpfünder und 600 Achtundvierzigpfünder) und dergestalt auf den Wällen placirt, daß die eine vordere Seite, die mit dem Wappen von Paris und der Inschrift: Pour l’honneur et la gloire de la patrie geziert ist, nach dem Lande zu gerichtet wird, und die Rückseite mit dem Wappen von Frankreich und der Devise: dedié à la capitale fidèle, in die Stadt hinein sieht. Bereits wurden mit der einen neuen fertigen Pièce (die jetzt auf dem Fort von Ivry steht) in Arras Proben gemacht, die nach Urtheil von Sachverständigen, äußerst genügend ausgefallen sind.
Fig. 2 gibt diese Pièce im Grundplan.
Fig. 3 ist das Modell einen Schilderhäuschens, was vornen und hinten offen steht, und wohlweislich 2 Windfähnlein hat, um zu sehen, ob der Wind von der Stadt kommt, oder von außen. Die Schildwachen selber anbelangend will man bedacht seyn, lauter Schielende anzustellen, deren Augen dergestalt divergiren, daß sie zu gleicher Zeit die 2 entgegengesetzten Seiten bestreichen können.
Fig. 4 ist der verbesserte Delvigne’sche Carabiner mit Bajonett, gleichfalls von Mr. Baudequin. Vorderhand sind 30,000 Stücke in Arbeit.
Es war 1 Uhr 23 Minuten, als ich mit den Herzogen von Saumur und Chartres den Salon verließ. Thiers eilte mir nach und sagte, indem er mir auf die Achsel klopfte: „Vielleicht können Sie das Ding für die feuilles volantes brauchen. – Grüßen Sie mir die Herren Braun und Schneider. Gute Nacht.“ –
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Criticus quaestuarius.
Ahomo recensens.
Tirannus artistico - encyclopaedicus anonymus.
Familie der Parasiten.
Zu Deutsch: Der Kunsttirann.
Kennzeichen: Trägt statt des Dolches eine sehr spitzige Feder; geht immer verkappt und scheut das Licht; heißt sich selbst in seinen Aufsätzen „Wir“ wie Könige und Fürsten, setzt jedoch aus guten Gründen seinen wahren Namen nirgends darunter.
Fundort: In öffentlichen Blättern. Gegenwärtiges Exemplar, schon ziemlich ausgewachsen, wurde gefangen in einer gewöhnlichen Rezensentenfalle oder Kritikerschlageisen; er lieferte nämlich in der …… Zeitung eine Recension über ein Concert, was gar nicht statt fand, und über ein Bild, was nie gemalt worden war.
Dieser wahre Schatz unserer Sammlung ist nur noch wenige Tage zu sehen. Er wird dann umgebracht, da der Unterhalt zu viel kostet; er nährt sich nämlich nur von Künstlerherzblut!
München, Verlag von Braun & Schneider. – Papier und Druck von Fr. Pustet in Regensburg.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Mit General Laidet ist offensichtlich gemeint: Fortuné Leydet (1780–1854), französischer Offizier und Politiker.
- ↑ Gemeint ist offensichtlich Adolphe Thiers (1797–1877), französischer Politiker und Historiker.