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Der Büßende.

Im Kerzenschimmer glänzt der Saal,
Ein Lichtmeer strömt von Girandolen,
Der hebt zum Munde den Pokal
Und Jener schöpft aus Silberbowlen;

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Rubin und Diamanten glühen

Am Busen, der sie wogen macht,
Und weit durch Kiew’s Winternacht
Des Festes Kläng’ und Strahlen sprühen.

Musik zum raschen Tanze rauscht,

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Und Indien’s Musselin und Seide,

Um schlanke Hüften weitgebauscht,
Weh’t wie das Banner üpp’ger Freude.
Und nebenan, am grünen Tuche,
Da wird gespielt mit Haufen Gold,

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Die Karte fliegt, die Summe rollt,

Und rollt zurück mit leisem Fluche.

„Faites votre jeu – le jeu est fait,“
Und wie die Taille ist geschlagen –
„Rouge gagne“ – wer drängt sich in die Näh’,

20
Darf der in diesen Kreis sich wagen?

Ein hoher Mann im Mönchsgewande,
Die blassen Züge stolz und rein,
Gebückt, in Demuth tritt er ein
Und stellt sich zu des Tisches Rande.

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Da flüstert man: „Das ist der Graf

Im Mönchsrock mit geschor’nen Haaren;
Ein Degen, wie man wen’ge traf,
Herz, Aug’ und Arm, wie wen’ge waren,
Als er im Kampf noch, hoch zu Rosse

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Entgegensprengte der Gefahr,

Ein Schreck für Russ’ und für Tartar,
Des Sieg’s verwöhntester Genosse.

„Ein Flecken nur – der Zornesmuth,
Im Kampf mit sich ein schlechter Krieger;

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Denn übermannt von seiner Wuth,

Glich er dem wunden Königstieger;
Dann aller Seinen Furcht und Schrecken,
Sah man ihn einst den Säbel zieh’n
Gen einen armen Knecht und ihn

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Zur Stelle todt darniederstrecken.


„D’rum griff er zu dem Büßerhemd
Und sein Pallast ward zum Spitale;
So unserm Leben fern und fremd
Leert er der Reue Wermuthschale!“ –

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So flüstert’s rings; der Graf indessen,

Erfüllend seines Ordens Pflicht,
Streckt seine Rechte aus und spricht
Zu Einem, der zunächst gesessen:

„Für meine Kranken, Herr!“ Vertieft, zerstreut,

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Hört dieser nicht; der Mönch steht lange,

Dann zupft er leise ihn am Kleid;
Der Spieler auf, – des Grafen Wange
Wird seiner kräft’gen Faust zum Ziele:
„Da, Mönch!“ ruft er mit wüth’gem Blick,

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Lehnt dann im Sessel sich zurück,

Und wendet fluchend sich zum Spiele.

Der Graf stand todtenblaß; dann roth,
Roth wie Vulkanens nächtlich flammen:
Aus seinem Auge dräu’t der Tod,

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Die Lippe krampfhaft bebt zusammen;

Der Stirne Ader schwillt zum Springen,
Er hat die Rechte fest geballt,
Und schwer muß sich, wie mit Gewalt,
Der Odem seiner Brust entringen.

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Er hebt den Arm – den andern auch

Um – beide an die Brust zu pressen;
Ein feuchter Blick in seinem Aug’
Als ob die ganze Schmach vergessen;
Er spricht – man hört die Stimme wanken,

70
Und voller Demuth neigt er sich:

„Mein Herr! das eben war für mich;
Nun gebt mir was für meine Kranken!“ –


L. Schücking

Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/137&oldid=- (Version vom 21.5.2018)