Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Trinitatis 27

« Trinitatis 26 Wilhelm Löhe
Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)
Register der Sommer-Postille
Marien Reinigung »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|

Am siebenundzwanzigsten Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Matth. 25, 1–13.
1. Dann wird das Himmelreich gleich sein zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen, und giengen aus, dem Bräutigam entgegen. 2. Aber fünf unter ihnen waren thöricht, und fünf waren klug. 3. Die thörichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen nicht Oel mit sich. 4. Die klugen aber nahmen Oel in ihren Gefäßen, sammt ihren Lampen. 5. Da nun der Bräutigam verzog, wurden sie alle schläfrig, und entschliefen. 6. Zur Mitternacht aber ward ein Geschrei: Siehe, der Bräutigam kommt; gehet aus, Ihm entgegen! 7. Da standen diese Jungfrauen alle auf, und schmückten ihre Lampen. 8. Die thörichten aber sprachen zu den klugen: Gebt uns von eurem Oel, denn unsere Lampen verlöschen. 9. Da antworteten die klugen, und sprachen: Nicht also, auf daß nicht uns und euch gebreche. Gehet aber hin zu den Krämern, und kaufet für euch selbst. 10. Und da sie hingiengen zu kaufen, kam der Bräutigam; und welche bereit waren, giengen mit ihm hinein zur Hochzeit; und die Thür ward verschloßen. 11. Zuletzt kamen auch die andern Jungfrauen, und sprachen: Herr, Herr thue uns auf! 12. Er antwortete aber, und sprach: wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euer nicht. 13. Darum wachet; denn ihr wißet weder Tag noch Stunde, in welcher des Menschen Sohn kommen wird.

 ALs unser HErr vor dem geistlichen Gerichte stand und auf Verlangen Seine göttliche Abkunft mit einem Eide besiegelte, that ers unter ausdrücklicher, feierlicher Hinweisung auf Seine zweite Erscheinung, auf Seine Wiederkunft zum Gericht. Als Er unter Sein Kreuz gebeugt, unter den Thränen der Weiber Jerusalems zur Schädelstätte gieng, wendete Er Sich zu ihnen und verkündete ihnen Gottes Rache über Jerusalem. Bereits ganz zum Gotteslamm geworden, das unsre Sünden trug, führte Er die Sprache des von Gott bestellten Richters aller Welt. Ueberhaupt redete Er in Seiner letzten Woche viel von dem zukünftigen letzten Gericht und dem Gericht über Jerusalem. Die Nähe der großen Versündigung des jüdischen Volkes an Ihm, dem Heiland und König, mußte Seinem Herzen dergleichen Gedanken zuführen, und Seine unaussprechliche Liebe mußte Ihn reizen, diese Gedanken zur starken Warnung auszusprechen. Denkt an Seine thränenvollen Worte, welche Er schon beim Einzug in Jerusalem am Palmensonntag über Jerusalems nahendes Schicksal sprach; denkt an die unglückweißagende Verdorrung des unfruchtbaren Feigenbaums am Montag der Leidenswoche und an die gewaltigen Reden, welche der HErr am darauffolgenden Dienstag zum Beschluß Seines öffentlichen Lehramtes im Tempel gesprochen hat. Denkt insonderheit an den Kreiß von Reden, welche Er an demselben Dienstag, nach Niederlegung des Lehramtes, im engeren Kreiß Seiner Jünger beim Weggang vom Tempel, auf dem Oelberg und auf dem Weg nach Bethanien, gehalten hat. Er weißagte vom Ende der Welt und Jerusalems, Er sprach vom Lohn der guten, von der Strafe der bösen Knechte, von den zehn Jungfrauen, von den anvertrauten Zentnern, und zu allerletzt von dem endlichen großen Akte der Gerechtigkeit, welchen Er dermaleins unter der unzähligen Menge der Auferstandenen halten würde. Eine Rede, ein Gleichnis ist ernster und gewaltiger als das andere − und alle sind sie von Einem Gedanken getragen und durchdrungen: von dem Seiner Wiederkunft zum Gerichte. Diese letzten Reden JEsu, namentlich aber die von dem heiligen Apostel Matthäus im 24. und 25. Capitel aufbewahrten, sind nun aber nicht, wie manche vorher Seinen Feinden gegenüber gesprochenen, Ankündigungen von Rache und Zorn des Allerhöchsten, sonst würden sie die Gewalt über Seine Freunde nicht ausgeübt und behalten haben, welche ihnen eigen ist. Sie sind Warnungen und Ermunterungen an die Seinigen voll feuriger, mächtiger Liebe und haben dem ganzen Leben der Christen den vom HErrn gewollten Charakter aufgeprägt, welchen es auch in den besten Zeiten der Kirchen, namentlich den allerersten, unverkennbar getragen hat, − nemlich den Charakter eines Lebens, das von dannen weg und mit ernster Feier dem Tag der Erscheinung des Weltrichters entgegenschreitet, den| Charakter der heiligen großen Zukunft des Endes und der Ewigkeit. Im Glauben und in der Liebe leben, wahrlich, das ist selig und heilig, aber das Glaubens- und Liebesleben bekommt doch dann erst seine herrlichste, schönste Gestalt und sein innerlich blühendstes Leben, wenn es ein Leben in Hoffnung und in der Ehrfurcht des kommenden ewigen HErrn und Heilands ist. Wer für irgend eine Zukunft lebt, der hat ein jugendliches, strebendes, rüstiges Leben, − und nun erst für jene große Zukunft des jüngsten Tages leben, das bringt dem ganzen Wesen des Christen die bräutliche Feier, welche, wo sie erscheint, mächtig ergreift und ein lautredendes Zeugnis davon ist, daß der Christ nicht von dannen ist, sondern seinen Wandel, seine Bürgerschaft im Himmel hat.

 Ohne Zweifel die größte Rede im 24. und 25. Capitel Matthäi ist die letzte, welche das Evangelium des vorigen 26. Sonntags nach Trinitatis bildete. Wenn man den großen Vergelter unter der auferstandenen Menschheit gleichsam stehen sieht und richten hört: was für eine Majestät ist es und wo in aller Welt fände sich Aehnliches zu lesen oder zu hören! Da lernt man, wie aus einem Blick hinter den aufgerollten Vorhang der Ewigkeit, verstehen, was St. Paulus Röm. 2, 6 ff. predigt: „Er wird geben einem jeglichen nach seinen Werken, nemlich Preis und Ehre und unvergängliches Wesen denen, die mit Geduld und guten Werken trachten nach dem ewigen Leben; aber denen, die da zänkisch sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber dem Ungerechten, Ungnade und Zorn; Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die da Böses thun; Preis aber und Ehre und Friede denen, die da Gutes thun.“ Mit einem mächtigeren Tone, als diesem Tone aus der Posaune des Weltgerichts ist es nicht möglich, ein Kirchenjahr zu schließen: der Ton ruft alle verborgenen Kräfte der Seelen in den Dienst der thätigen Liebe und des lebendigen Glaubens. Von einer allerdings ganz anderen Beschaffenheit ist das Evangelium des heutigen, selten eintretenden 27. Sonntags nach Trinitatis. Es lebt auch ganz von den Kräften des Endes und der zukünftigen Welt, wie das Evangelium des vorigen Sonntags und wie alle Reden des 24. und 25. Capitels Matthäi; aber es unterscheidet sich doch auch sehr merklich von allen. Das Gleichnis von dem bösen und guten Knecht schildert die hohe Verantwortlichkeit, welche das Thun und Laßen der neutestamentlichen Amtsträger und ihre Berufsthätigkeit innerhalb der angewiesenen Gemeinden und Arbeitskreiße hat. Das Gleichnis von den anvertrauten Zentnern fordert Angesichts der Wiederkunft des HErrn die eifrigste Thätigkeit aller mit Amt und Gabe Betrauten für die Ausbreitung des Reiches Gottes, für das Wuchern mit Gottes Pfunden zum Heil der Welt. Das Evangelium des letzten Sonntags, die letzte Rede des HErrn, an dem großen Dienstag an die Seinen gehalten, preist unter dem Schein und Morgenroth des jüngsten Tages die edlen Werke der Barmherzigkeit und bezeugt das Wohlgefallen Christi wie am Wittwenscherflein, das Er beim Ausgehen aus dem Tempel segnete, so an jedem Becher kalten Wassers, dem Durstigen gereicht. Alle diese Reden preisen eine heilige Thätigkeit und Geschäftigkeit; aber das heutige Evangelium von den zehn Jungfrauen redet von keinem Thun nach außen hin, sondern von einem feierlich ruhenden Warten auf den HErrn und von der Klugheit, die man bei diesem Warten haben soll, und eben damit zeigt es, worin die größte Vollendung des der Zukunft geweihten Christenlebens besteht.

 Das wundervolle Textesgleichnis schließt sich an die Sitte des Morgenlandes an. Am Abend des Hochzeittages kommt der Bräutigam in Begleitung seiner Freunde, seine Braut heimzuholen. Die Braut wartet seiner festlich im Vaterhause. Ihre Freundinnen aber, die Jungfrauen, gehen mit hellen Lampen freudig dem Bräutigam entgegen und führen ihn ein zu seiner Braut, daß er sie aus des Vaters Haus heimführe in sein eigenes Haus. − Herrliche Anwendung, welche in unserem Texte die an und für sich schon so liebliche und würdevolle Sitte des Morgenlands findet! Der Bräutigam ist Christus − und Seine zweite Zukunft ist hier von der allerfröhlichsten Seite dargestellt, nemlich Seine Braut, die heilige Kirche und ihre wahren Glieder zu dem verheißenen ewigen Freudenleben mit Ihm selbst zu führen. Jedoch schweigt das Gleichnis von der Braut und gedenkt allein ihrer Gespielinnen, weil nicht das Bild der Braut, wohl aber das der Gespielinnen den erwünschten Anhalt bietet, von der Klugheit zu reden, welche| der HErr den auf Seine Zukunft wartenden Seelen so ernstlich empfehlen möchte. Nicht die unsichtbare Kirche, Christi Braut, sondern die sichtbaren Kirchen, welche im Bilde der zehn Brautjungfern dargestellt sind, − oder wenn man lieber will, die einzelnen Gläubigen sind es, an welche sich Christi Gleichnis wendet und von denen es lautet. Er, der himmlische Bräutigam will, daß alle sichtbaren Gemeinschaften, die sich nach Seinem Namen nennen, Brautjungfrauen sein sollen, die auf den Bräutigam warten, und Ihm in hellem Hauf mit brennenden Lampen entgegen gehen und Ihn zur Braut einführen, wenn Er kommen wird. Also sollen alle sichtbaren Kirchen für die Zukunft und in beständiger Hinsicht auf den großen Tag Seiner Wiederkunft leben. Nicht hier sich einbürgern, nicht die Erde dieser Welt einnehmen, sondern durchs Erdenleben voller Sehnsucht und Verlangen dem Tag der Vollendung entgegenwallen, unaufhaltsam, von allem, was rechts und links ist, ungeirrt, geradehin zum Ziele dringen, − in allem und allem „der Zukunft Christi entgegenkommen,“ das ist der von dem HErrn gewollte Charakter Seiner Kirchen und Gemeinden auf Erden.

 Bei diesem Charakter kommt es nun aber darauf an, daß man ihn nicht bloß eine kleine Zeit habe, sondern ihn behalte bis auf den Tag, des wir warten, und an diesem größten aller Tage selbst. Auf den HErrn zu warten − immer und allezeit, immer und in jedem Augenblick bereit zu stehen, bereit zu sein, vom entscheidenden Augenblick nicht überrascht zu werden, sondern, derselbe komme, wann er will, jedenfalls fertig zum Empfang des Bräutigams zu sein: das ists, was Noth ist, − und wißen, wie man’s dahin bringe, das ist die größte Weisheit. Und diese Weisheit und Himmelsklugheit zeigt eben unser HErr in unserm Gleichnis. Laßet uns diese Klugheit lernen!

 Worin besteht also wesentlich die Klugheit des auf den HErrn Christus wartenden Lebens? Im Allgemeinen in der Bereitschaft, denn V. 10 heißt es: „Welche bereit waren, giengen mit dem Bräutigam hinein zur Hochzeit und die Thür ward verschloßen.“ Allein worin besteht diese Bereitschaft? Man könnte dem Text gemäß antworten: „Die Bereitschaft besteht in einem ununterbrochenen Wachen, denn das ist im Gleichnis das letzte Wort: Wachet, denn ihr wißet weder Tag noch Stunde, in welcher des Menschen Sohn kommen wird.“ Es wird auch kein Mensch leugnen können, daß das „Wachen“ in der innigsten Verwandtschaft mit der wahren Bereitschaft stehen muß, weil ja der HErr Selbst es in Verbindung damit setzt und nach vorgetragenem Gleichnis spricht: „Darum wachet“. Aber dies Wachen ist eine Sache, welche wir zum Theil bei den klugen Jungfrauen des Gleichnisses eben so wenig finden, als bei den thörichten, denn sie fangen alle an zu nicken und sie schlafen alle ein, − und welche sich andern Theils bei den Thörichten eben so wohl findet, als bei den Klugen, denn sie wachen alle auf, da das Geschrei vernommen wird: „Siehe, der Bräutigam kommt; gehet aus, Ihm entgegen.“ Wachen ist das Gegentheil vom Schlafen. Schlafen heißt − auf den HErrn nicht warten, in die gegenwärtige Ruhe, in das eigenste, innerste Leben versunken sein; nicken, schläfrig werden heißt vom Warten auf Christum und Seine Wiederkunft müde werden, nicht mehr so angestrengt hinausschauen, ob Er noch nicht kommt, lau werden in Hoffnung und Erwartung Seiner Zukunft; wachen heißt Seiner warten, auf Ihn hoffen, das Aug, den Sinn, die Gedanken auf Ihn richten. Im ersten Jahrhundert nach der Auffahrt Christi, da wartete die Kirche unverrückt ihres Bräutigams; daher das helle Feierkleid, die himmlische Pracht ihres ganzen Lebens. Als aber die Apostel entschlafen waren, ohne daß der HErr wieder gekommen war, − als Jerusalem in Staub lag, ohne daß alsbald ihr nach die Welt in Staub zergieng, − als der Bräutigam verzog: da fieng man an zu nicken, müde zu werden, nicht mehr so streng auf der Hut zu sein. Und als die Kirche ansäßig ward auf Erden, des Landes Güter erbte, Kaiser und Könige ihre Säugammen wurden, da gefiel es ihr auf Erden, da schien ihr das Reich schier schon gekommen, − sie fieng an, die Zukunft Christi in einen fernen Hintergrund der Zeiten zurückzustellen; sie hatte es zu gut, um sehr nach endlicher Erlösung zu verlangen: aller Eifer des Wachens erstarb − und noch ist es so. Sieh über die Erde hin: welche Kirche wacht, welche steht auf der Hut des HErrn, welche sieht nach Aufgang? Alles schläft − niemand wartet mehr, keine Kirche zeichnet sich vor der andern durch besonderes Leben der Hoffnung aus: man kann Kluge und Thörichte nicht| unterscheiden. Darum kann im Wachen an sich die von dem HErrn gerühmte himmlische Klugheit nicht bestehen. – – Es wird zwar anders werden. Es gibt und gab zu allen Zeiten des langen Schlafens einzelne Wächter, welche Gott hie und da erweckte, daß sie auf die Warte traten und sahen, ob die Nacht schier hin ist. Es wird immer solche einzelne Wächter geben − und eine Zeit wird kommen, da werden sie die Zeichen des Bräutigams erkennen. Es wird Mitternacht sein, d. i. alles wird in tiefem Schlafe liegen, gar kein Wachen, kein Warten, kein Hoffen auf die Wiederkunft Christi wird vorhanden sein − und zur Zeit der sorglosesten, allgemeinsten Sicherheit, während welcher die Kirchen sich in Erwartungslosigkeit der Welt werden gleichgestellt haben: da, grade da, werden die einsamen Wächter mächtig rufen: „Siehe, der Bräutigam kommt; gehet aus, Ihm entgegen.“ Ihre Stimme wird Kraft haben, die Kirchen werden den bekannten Ruf hören; aber sie werden ihn alle hören − alle werden aus dem Schlafe fahren, nun werden sie die längst erwartete Zukunft von Nahem sehen, wer wird nun schlafen können, die Christen werden wachen bis in die tiefste Seele hinein, − und am Wachen an und für sich selbst wird man dann eben so wenig als vorher am Schlafe die Klugen von den Thörichten scheiden können − und das Unterscheidungszeichen der Klugheit und Thorheit wird drum in etwas anderem bestehen müßen.

 Zur Zeit, wo der Bräutigam kommt, wird es Nacht sein, d. h. es wird nicht bloß tiefer Schlaf, tiefe Sicherheit und Sorglosigkeit auf den Menschen liegen, also daß sich niemand des Himmels Einfall wird träumen laßen; sondern man wird auch, wenn man aufwacht und die Zeit erkennt, nichts sehen, es wird dunkel sein, nicht bloß stille, − und wenn man nun dem Bräutigam entgegengehen soll, so wird man, da kein natürlich Licht am Himmel steht, andere Lichter haben müßen, die Brautlampen werden brennen müßen − damit man an ihrem Schein entgegengehen und den Bräutigam hereinführen kann zu seiner Braut. Wenn dann also die Brautlampen hell und munter brennen, dann wohl! Aber wie, wenn das Licht verlöschte mitten in Finsternis − in jener Nacht und Finsternis, in jenen entscheidungsvollen, von ewigen Folgen schweren Stunden und Augenblicken: welch ein Schrecken! Man sieht und merkt wohl hier, noch ehe man das Gleichnis völlig versteht, worin die Klugheit und Thorheit der Kirchen und Jungfrauen besteht. Oel genug, Nahrung für die Lampe und ihr Licht, auf alle Fälle Oel und Nahrung genug herbeischaffen, daß nicht im wichtigsten Augenblick die Lampe verlösche: das ist Weisheit und Klugheit der Kirchen, die auf Christi Wiederkunft warten. Gewis, meine Theuren, ihr gebt mir Recht, wenn ich sage: „Nicht das Wachen selbst ist Weisheit, nicht das Schlafen Thorheit, − jene Weisheit hat niemand, diese Thorheit befällt alle, wie der Schlaf den Müden; aber die wache Zeit, die man wirklich hat, benützen, um Oel genug herbeizuschaffen; so lang man wacht, also wachen, daß man nicht das Wichtigste verschläft, − das ist Klugheit. Die klugen Jungfrauen schlafen zwar ein, aber sie haben gesorgt, daß sie beim Erwachen Oel genug haben, darum sind sie klug; die thörichten Jungfrauen wachen zwar auch auf, da die Wächter rufen, aber sie waren eingeschlafen, ohne für Oel gesorgt zu haben, und das war ihre Thorheit.“ − Gewiß, wiederhole ich, ihr gebt mir recht, denn ihr leset ja: „die Thörichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen nicht Oel mit sich; die Klugen aber nahmen Oel in ihren Gefäßen sammt den Lampen.“ Aber ihr werdet sagen: was ist Licht, was ist Oel? Und ihr habt Recht. Daran liegt alles. Entweder lernen wir das, dann ist die Hauptsache und alles im Gleichnis klar; oder wir finden das nicht, und dann gehen wir hungrig von dannen und ungeweiset, wie wir klug werden sollen für den jüngsten Tag.

 Man soll am jüngsten Tage, wenn das Geschrei erschallt, dem HErrn entgegen gehen. Es werden am Geschrei der Wächter und an den Zeichen des Menschensohnes nicht bloß die Jungfrauen, die Kirchen und Christen, erwachen und erkennen, was es nun gilt, sondern alle Menschen, alle Geschlechter der Erde. Aber es wird ein gewaltiger Unterschied sein zwischen den andern erwachten Menschen und den erwachten Christen. Jene werden voll Schrecken sein, denn für sie kommt kein Bräutigam und keine Hochzeit, sondern ein gestrenger Richter, Ungnade und Zorn, Trübsal und Angst − und darum werden heulen alle Geschlechter der Erde. Diese aber werden eben wißen, daß alle die schrecklichen Ereignisse des Endes der Zeit ihren Charakter nicht nehmen können; sie werden wißen,| daß die Brautnacht vorhanden ist, daß der Bräutigam kommt, daß er nicht kommt, zu richten und zu verderben, sondern die Braut und ihre Jungfrauen zu ewiger Seligkeit zu führen, daß nun nicht die Sünde gewogen und bestraft, sondern eine ewige Vergebung ausgetheilt wird: und dieses Wißen wird in der Nacht ihr Licht sein, an dem sie Zuversicht und Muth finden werden, durch die heulende Welt, unter den brechenden Himmeln, mit Freudengang und Jubelpsalm dem Bräutigam entgegenzugehen, der sie nicht beschämen wird. Zwar kann es wohl kommen, daß es bei dem allgemeinen, unerhörten Aufruhr den Jungfrauen geht, wie Petro auf dem Waßer, sie können einen Wind gewaltiger Anfechtung daher kommen sehen, daß sie für ihr Lichtlein fürchten; aber − das Licht verlischt nicht, denn sie haben Oel. Sie haben ihre Erkenntnis von dem jüngsten Tage und von der Eigenschaft, welche er für die Frommen haben wird, nicht bloß vom Hörensagen der Menschen, und ihre Ueberzeugung ist keine menschliche Vernunftüberzeugung, ihr Lichtlein brennt nicht von ihren eignen Kräften, sondern Gottes Wort und im Worte der Geist hat ihnen die überlieferte Ueberzeugung zum wahren Glauben und zur gewissen Zuversicht des, das sie hoffen, verklärt − und es wird ihnen, da sie Gottes Wort reichlich kennen und bei sich haben und sich drauf gründen, gegeben, ihres Glaubenslichtes froh zu sein, unerschrocken, heiter, ein Widerspiel der zerbrechenden Welt, als Brautjungfern Christo entgegenzugehn. Das Licht, welches ihnen leuchtet, ist also die gläubige Erkenntnis, welche sie von dem kommenden Christo und Seinem jüngsten Tage haben, − und das Oel ist der Geist im Wort, der ihr Herz der Erkenntnis gewis und froh, und die Erkenntnis zum felsenfesten, überwindenden, göttlichen Glauben macht. Das Licht dieser Erkenntnis ist für die, welche es am jüngsten Tage haben werden, ein fröhlicher Führer zu Christo und vertreibt ihnen die Nacht, die Finsternis und alle Ungewisheit der Dunkelheit dieser Welt; für den HErrn, den Bräutigam aber ist es die schönste Hochzeit- und Freudenfackel − denn an der Erkenntnis und den Jubelpsalmen Seiner Christen, mit denen sie die Schrecken einer untergehenden Welt verspotten, will und wird Er zeigen, was Er aus Sündern machen kann, und wie stark in Seiner Huld, zu welchen Wundern von Kraft und Heldenmuth die armen, schwachen Menschen umgewandelt werden können. Unter den Lobgesängen Seiner Heiligen will Er zum letzten Tage in die Welt einziehen.

 Wer dann freilich an der christlichen Wißenschaft vom jüngsten Tage keine göttliche Ueberzeugung haben wird, wer sie wird angenommen haben, ohne daß sein Herz aus Gottes Wort und durch den heiligen Geist des ewigen Lebens versichert wurde, der wird dann den thörichten Jungfrauen gleich sein, deren Lampen verlöschen, da sie am hellsten brennen sollen, und denen das Oel ausgeht, wenn es ihnen am meisten dienen soll. Sie werden inne werden, daß eine wenn auch angelernte und angewohnte, aber nicht auf Gottes Wort gegründete, durch den heiligen Geist eingeprägte, zur innerlichen Erfahrung und göttlichen Ueberzeugung gewordene Erkenntnis in den Wehen des jüngsten Tages und seinen Schrecken nicht Stand halten kann. Die reinste Erkenntnis − die nicht an der Erfahrung des göttlichen Wortes entbrannt ist, ist sterblich und vergänglich. Dieselbe Wahrheit, welche, vom Geist gelehrt, eine wohlgenährte, unauslöschliche, göttliche Flamme genannt werden muß, − ist, ohne daß sie uns Gottes Geist zu eigen gab, ohne daß Er sie uns gründlich einprägte und siebenfach läuterte, ein Licht, das aus Mangel an Nahrung verlischt, wenn man’s braucht, und für deßen Erhaltung und Erstattung denn endlich auch noch guter Rath, wie bei den thörichten Jungfrauen, zu spät kommt. Denn wenn des Glaubens Zeit vorüber ist, ist auch die Zeit zu lernen und zu erfahren vorüber, − und geschloßen ist der Hochzeitsaal, der allen herzlichen Schülern des heiligen Geistes so lang und weit offen stand.

 Nun, meine theuern Brüder, könnt ihr sehen, was die Klugheit der klugen Jungfrauen ist. Wenn gesagt wird, sie seien entschlafen, so heißt das nicht, sie seien in allen Stücken lau und matt geworden, sondern es bedeutet weiter nichts, als daß ihr Eifer im Warten und Verlangen des HErrn JEsus Christus erkaltete. So gewis nun das ein großer Mangel des Christenlebens ist, welches ja nur durch die Wiedergeburt zu einer lebendigen Hoffnung die Verklärung erlangen kann, welche ihm Gott vergönnt hat; so gewis ist es doch auch, daß Glaub und Liebe blühen können, auch ohne daß man in der Hoffnung recht lebendig blüht und grünt und ohne daß alles was man hie lebt, in lauter brennender Erwartung des jüngsten| Tages lebt. Wenn man nun seine Lebenszeit, sonderlich die einzelnen Zeitabschnitte, in denen man auch von Erwartung des jüngsten Tages mehr als sonst ergriffen ist, und nach dem Sinne unseres Textes nüchterner und wachsamer ist, dazu anwendet, die heilige Schrift zu erforschen und zu erfahren, und sich in die Schule des heiligen Geistes, der uns in alle Wahrheit einführt, zu begeben: so hat man die Weisheit der klugen Jungfrauen, die zu guter Zeit und ehe sie im Harren und Warten ermüdeten, das Oel herbeischafften, das sie nachher zur „Schmückung“, d. h. zur stärkeren Entflammung ihrer Lampen so trefflich brauchen konnten. Prüfung und Erfahrung der Schrift, Hingabe an den Geist des HErrn, der uns so gerne lehrt, wirkt im Menschen, auch wenn ers gar nicht beabsichtigt, viel Brenn- und Zündstoff für die Hoffnung und für die Freudigkeit unter den Schrecken des jüngsten Gerichts. Trägheit in der Erkenntnis und Erfahrung der Schrift rächt sich in allen Fällen, sonderlich am jüngsten Tage, wo man eine reiche und starke Glaubensüberzeugung braucht, um durch den allgemeinen Umsturz dem HErrn Christo mit hellen Lampen und bräutlicher Feier entgegenzugehen. Diese Thorheit brandmarkt sich, jene Klugheit empfiehlt sich selbst; wer Ohren hat, zu hören, faßt sich und ergreift einen Entschluß am Ende des Kirchenjahrs, künftighin in der Schule des heiligen Geistes und Seines Wortes fleißiger zu sein.

 Meine Brüder! Heute schließt ja, wie ich schon andeutete, das Kirchenjahr. Erleben wir den nächsten ersten Adventsonntag, so wird gleich das erste Wort, welches uns vom Altare aus Gottes Wort gelesen werden wird, das sein, was wir in der Adventsepistel Röm. 13, 11. lesen: „Die Stunde ist da, aufzustehen vom Schlafe, sintemal unser Heil jetzt näher ist, denn da wirs glaubten“. − „Wachet“, schließt heute die evangelische Lection, − „wachet, denn ihr wißet weder Tag noch Stunde, in welcher des Menschensohn kommen wird.“ − „Die Stunde ist da aufzustehen vom Schlafe“, dringet und dränget das neue Jahr. Von welchem Schlafe soll man aufstehen? Vom Schlaf der Sicherheit, da man an keine Wiederkunft Christi, noch jüngsten Tag denkt. Und welches Heil ist jetzt näher als in der ersten Zeit des Glaubens? Christus, unser Heil, der Bräutigam der Seelen! Ach, wir müßen ja näher am Ziele sein, wir dürften und sollten daher aufwachen und einmal anfangen, für die heilige, große Zukunft zu leben: unser ganzes Leben sollte endlich in Bezug auf den jüngsten Tag gelebt werden. Sind wir aber ja zu sehr angesteckt von der sichern, nächtlich finstern Welt, ach, so sammelt doch wenigstens Oel, so forschet nur in der Schrift und gebt euch in die Schule des heiligen Geistes, „auf daß ihr immer mehr reich werdet in allerlei Erkenntnis und Erfahrung, daß ihr prüfen möget, was das Beste sei, auf daß ihr seid lauter und unanstößig bis auf den Tag Christi, erfüllt mit Früchten der Gerechtigkeit, die durch JEsum Christum geschehen in euch zu Ehre und Lobe Gottes.“ (Philipp. 1, 9–11.) Amen.




« Trinitatis 26 Wilhelm Löhe
Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)
Marien Reinigung »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).