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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

daß die Brautnacht vorhanden ist, daß der Bräutigam kommt, daß er nicht kommt, zu richten und zu verderben, sondern die Braut und ihre Jungfrauen zu ewiger Seligkeit zu führen, daß nun nicht die Sünde gewogen und bestraft, sondern eine ewige Vergebung ausgetheilt wird: und dieses Wißen wird in der Nacht ihr Licht sein, an dem sie Zuversicht und Muth finden werden, durch die heulende Welt, unter den brechenden Himmeln, mit Freudengang und Jubelpsalm dem Bräutigam entgegenzugehen, der sie nicht beschämen wird. Zwar kann es wohl kommen, daß es bei dem allgemeinen, unerhörten Aufruhr den Jungfrauen geht, wie Petro auf dem Waßer, sie können einen Wind gewaltiger Anfechtung daher kommen sehen, daß sie für ihr Lichtlein fürchten; aber − das Licht verlischt nicht, denn sie haben Oel. Sie haben ihre Erkenntnis von dem jüngsten Tage und von der Eigenschaft, welche er für die Frommen haben wird, nicht bloß vom Hörensagen der Menschen, und ihre Ueberzeugung ist keine menschliche Vernunftüberzeugung, ihr Lichtlein brennt nicht von ihren eignen Kräften, sondern Gottes Wort und im Worte der Geist hat ihnen die überlieferte Ueberzeugung zum wahren Glauben und zur gewissen Zuversicht des, das sie hoffen, verklärt − und es wird ihnen, da sie Gottes Wort reichlich kennen und bei sich haben und sich drauf gründen, gegeben, ihres Glaubenslichtes froh zu sein, unerschrocken, heiter, ein Widerspiel der zerbrechenden Welt, als Brautjungfern Christo entgegenzugehn. Das Licht, welches ihnen leuchtet, ist also die gläubige Erkenntnis, welche sie von dem kommenden Christo und Seinem jüngsten Tage haben, − und das Oel ist der Geist im Wort, der ihr Herz der Erkenntnis gewis und froh, und die Erkenntnis zum felsenfesten, überwindenden, göttlichen Glauben macht. Das Licht dieser Erkenntnis ist für die, welche es am jüngsten Tage haben werden, ein fröhlicher Führer zu Christo und vertreibt ihnen die Nacht, die Finsternis und alle Ungewisheit der Dunkelheit dieser Welt; für den HErrn, den Bräutigam aber ist es die schönste Hochzeit- und Freudenfackel − denn an der Erkenntnis und den Jubelpsalmen Seiner Christen, mit denen sie die Schrecken einer untergehenden Welt verspotten, will und wird Er zeigen, was Er aus Sündern machen kann, und wie stark in Seiner Huld, zu welchen Wundern von Kraft und Heldenmuth die armen, schwachen Menschen umgewandelt werden können. Unter den Lobgesängen Seiner Heiligen will Er zum letzten Tage in die Welt einziehen.

 Wer dann freilich an der christlichen Wißenschaft vom jüngsten Tage keine göttliche Ueberzeugung haben wird, wer sie wird angenommen haben, ohne daß sein Herz aus Gottes Wort und durch den heiligen Geist des ewigen Lebens versichert wurde, der wird dann den thörichten Jungfrauen gleich sein, deren Lampen verlöschen, da sie am hellsten brennen sollen, und denen das Oel ausgeht, wenn es ihnen am meisten dienen soll. Sie werden inne werden, daß eine wenn auch angelernte und angewohnte, aber nicht auf Gottes Wort gegründete, durch den heiligen Geist eingeprägte, zur innerlichen Erfahrung und göttlichen Ueberzeugung gewordene Erkenntnis in den Wehen des jüngsten Tages und seinen Schrecken nicht Stand halten kann. Die reinste Erkenntnis − die nicht an der Erfahrung des göttlichen Wortes entbrannt ist, ist sterblich und vergänglich. Dieselbe Wahrheit, welche, vom Geist gelehrt, eine wohlgenährte, unauslöschliche, göttliche Flamme genannt werden muß, − ist, ohne daß sie uns Gottes Geist zu eigen gab, ohne daß Er sie uns gründlich einprägte und siebenfach läuterte, ein Licht, das aus Mangel an Nahrung verlischt, wenn man’s braucht, und für deßen Erhaltung und Erstattung denn endlich auch noch guter Rath, wie bei den thörichten Jungfrauen, zu spät kommt. Denn wenn des Glaubens Zeit vorüber ist, ist auch die Zeit zu lernen und zu erfahren vorüber, − und geschloßen ist der Hochzeitsaal, der allen herzlichen Schülern des heiligen Geistes so lang und weit offen stand.

 Nun, meine theuern Brüder, könnt ihr sehen, was die Klugheit der klugen Jungfrauen ist. Wenn gesagt wird, sie seien entschlafen, so heißt das nicht, sie seien in allen Stücken lau und matt geworden, sondern es bedeutet weiter nichts, als daß ihr Eifer im Warten und Verlangen des HErrn JEsus Christus erkaltete. So gewis nun das ein großer Mangel des Christenlebens ist, welches ja nur durch die Wiedergeburt zu einer lebendigen Hoffnung die Verklärung erlangen kann, welche ihm Gott vergönnt hat; so gewis ist es doch auch, daß Glaub und Liebe blühen können, auch ohne daß man in der Hoffnung recht lebendig blüht und grünt und ohne daß alles was man hie lebt, in lauter brennender Erwartung des jüngsten

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/499&oldid=- (Version vom 31.7.2016)