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Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)
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Am Sonntage Lätare.

Evang. Joh. 6, 1–15.
1. Darnach fuhr JEsus weg über das Meer an der Stadt Tiberias in Galiläa. 2. Und es zog Ihm viel Volks nach, darum, daß sie die Zeichen sahen, die Er an den Kranken that. 3. JEsus aber gieng hinauf auf einen Berg und setzte Sich daselbst mit Seinen Jüngern. 4. Es war aber nahe die Ostern, der Juden Fest. 5. Da hob JEsus Seine Augen auf und siehet, daß viel Volks zu Ihm kommt und spricht zu Philippo: Wo kaufen wir Brot, daß diese eßen? 6. (Das sagte Er aber, ihn zu versuchen, denn Er wußte wohl, was Er thun wollte.) 7. Philippus antwortete Ihm: Zwei hundert Pfenning werth Brots ist nicht genug unter sie, daß ein jeglicher unter ihnen ein wenig nehme. 8. Spricht zu Ihm einer Seiner Jünger, Andreas, der Bruder Simonis Petri: 9. Es ist ein Knabe hier, der hat fünf Gerstenbrote und zween Fische; aber was ist das unter so viele? 10. Jesus aber sprach: Schaffet, daß sich das Volk lagere. Es war aber viel Gras an dem Ort. Da lagerten sich bei fünf tausend Mann. 11. JEsus aber nahm die Brote, dankte und gab sie den Jüngern, die Jünger aber denen, die sich gelagert hatten: desselbigen gleichen auch von den Fischen, wie viel Er wollte. 12. Da sie aber satt waren, sprach Er zu Seinen Jüngern: Sammelt die übrigen Brocken,| daß nichts umkomme. 13. Da sammelten sie und fülleten zwölf Körbe mit Brocken von den fünf Gerstenbroten, die überblieben denen, die gespeiset worden. 14. Da nun die Menschen das Zeichen sahen, das JEsus that, sprachen sie: Das ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll. 15. Da JEsus nun merkte, daß sie kommen würden und Ihn haschen, daß sie Ihn zum Könige machten, entwich Er abermal auf den Berg, Er Selbst alleine.

 DRei Evangelien der Fastenzeit haben uns den HErrn JEsus Christus als einen Ueberwinder des Teufels vorgestellt, als einen Erlöser von allem Uebel. Anderer Art ist unser heutiges Evangelium. Es zeigt uns den HErrn als einen Versorger und Ernährer der Menschen, denn Er speist aus der reichen Fülle Seines guten und allmächtigen Willens fünf tausend Mann, ungerechnet Weiber und Kinder. Erst damit vollendet sich das Segensbild des HErrn. Wir haben nur die Hälfte Seines Heils erkannt, wenn wir sahen, wie Er uns von allem Uebel erlöst; die andere Hälfte sehen wir darin, daß Er Seine Erlöseten mit allem Gute füllt. Von dieser zweiten Hälfte redet unser Text und dieser Vortrag. Wenn ich euch in diesem vom Bilde des Erlösers und Erhalters der Welt − denn so dürfen wir unsern HErrn JEsus Christus nennen, − manch einzelnen Zug enthülle, nicht bloß bei einem einzigen verweile, so laßet mich freundlich gewähren. Es verleihe euch der Geist des HErrn, jeden einzelnen aufgezählten Zug so zu bewahren und zu benützen, daß er euch eine Quelle reichen Segens werde. Gehen wir miteinander bedächtig schauend von Zug zu Zug, von einem Blick ins Angesicht JEsu zum andern!


 Der HErr war über den See Genezareth gefahren, und das Volk, das Seine Wunder gesehen hatte, zog Ihm nach; der HErr aber sah von einem Berge herunter die Haufen, welche Ihm nachgezogen waren. Er, der von allen Thaten der Menschen das Unreine herausfand, des vollkommener Menschenkenntnis kein Seelenschmutz verborgen blieb, sah mit sichrem Blick, was zunächst die Menge anzog, nemlich Seine Wunder. Wäre Er gesinnt gewesen, wie heut zu Tage so viele, die mit keinem zu schaffen haben mögen, der in sein richtiges Streben Unreines einzumischen scheint, auf anerkannt rechtem Wege nicht völlig tadellos wandelt: so würde Er Sich dem Volk entzogen und vor allem vermieden haben, die verkehrte Sucht nach Wundern durch ein neues gewaltiges Wunder zu nähren. Aber so war Er nicht, Er war größer an Erbarmen, und da Er nur der Menschen Heil wollte, nicht Seine eigene Ehre, so sorgte Er nicht einzig und vor allem, daß man Sein Thun nur nicht misdeuten möchte. Er verwarf die große Schaar, die Seiner wartete, darum nicht, daß ihr Herz und Weg nicht völlig rein war, Er hatte Geduld mit ihr, in der Gewisheit, daß von der unreinen Neugier eines wundersüchtigen Herzens an der Hand des göttlichen Geistes ein Weg zur heiligen Begier der Vereinigung mit Ihm selber gefunden und betreten werden kann. Er gab dem armen Volke, was es suchte, gab es ihnen aber also, daß sie über Bitten und Verstehen empfiengen und unvermerkt zu höheren Stufen der Erkenntnis geleitet wurden.


 Das große Volk, welches JEsus vor Sich sah, war hungrig geworden. Aber es ist nicht der Hunger gewesen, der sie zu JEsu trieb, Hunger hatte sich erst unter Weges eingefunden; so treibt sie auch der Hunger nicht von JEsu weg zur Speise, die edlere Begier, Seine Werke zu schauen, hält das Gefühl des Hungers nieder; auch bitten sie den HErrn nicht um Brot; daß zugleich ihr Auge und ihr Hunger, zugleich ihrer Seelen und ihres Leibes Verlangen gestillt werden könnte oder würde, fiel ihnen wohl gar nicht ein. Sie warten auf das, was Er aus freiem Erregen Seines Herzens thun würde, auf Seine Worte, Seine Werke; ihr Auge hängt an Ihm, ihr Ohr ist weit geöffnet, um nichts zu übersehen und keines Seiner Worte zu verlieren: Was wird Er reden, was wird Er thun? Ungebeten entschließt sich der HErr in der Wüste, ihr Wirth zu sein. Er weiß, daß sie hungern und ladet sie zu Gaste! Das vorhandene Bedürfnis behandelt Er wie ein Gebet, weil es ja doch niemand stillen kann, als Er, − und gibt also kund, daß „Er versteht des Herzens Sehnen und der Augen Thränen.“ Ist Er nicht leutselig, nicht entgegen kommend, nicht zuvorkommend? Da Er selbst hungernd in der Wüste ist,| gibts keinen Stein, den Er zu Brot verwandeln möchte; Er lebt von des Vaters Wort. Aber die Menge, die das nicht kann, die kann Er mit irdischer Speise nähren, die will Er nähren und nährt sie auch. − Wie sind wir dagegen anzusehen? Wir können nicht viel thun, aber wenn und wo wir etwas können, da laßen wir es an uns kommen; wir kommen nicht entgegen, nicht zuvor − und hätten es doch so gerne, daß man uns entgegen käme, wenn wir selbst in Noth sind!

 Der HErr will helfen, speisen, aber wie soll das geschehen? Es ist ja doch nur ein wenig Brod und Fisch da, und die Jünger wißen auf Sein Befragen gar keinen Rath. Seine liebsten Freunde stehen hierin weit hinter Seiner Mutter zurück, die es auf der Hochzeit zu Cana so schön verstand, das Räthsel menschlicher Rathlosigkeit Ihm zur Lösung zuzuschieben. Sie hatten aus so vielen Wunden und Hilfleistungen, deren Zeugen sie gewesen, noch nicht gelernt, mit wem sie es zu thun hatten, und freilich, als Ernährer und Versorger der Welt hatten sie seit der Hochzeit zu Cana ihren armen Meister, der Wohlthat von nachfolgenden Frauen annahm, selten gesehen. So mußte denn der fromme HErr nicht bloß ohne Bitte der Bedürftigen, sondern auch ohne die Fürbitte seiner Freunde, völlig ungebeten die herrliche Lösung jener Frage aus großen Nöthen geben, und beweisen, daß Ihm der Prophet, welcher Ihn im Geiste gesehen, nicht umsonst den Namen Rath gegeben hat. So müßen wir erkennen, wie völlig man Ihm trauen darf, wie ruhig man, gleich Abraham, sich und der Seinen ferneren Gang in Seine Hände legen darf − auch unter Umständen, wo nichts zu hoffen ist! An den Jüngern aber sehen wir, welcher Freuden sich ein ahnungsloses, rathloses, Ihm nicht völlig vertrauendes Herz verlustig macht. Sie merken, ahnen, glauben nicht, daß der HErr etwas Großes vorhat, ihr Auge ist nicht geöffnet: so erfahren sie auch nicht, was da kommen will, sehen es nicht keimen, nicht sproßen, sondern dienen mehr blindlings einer That, deren Ausführung und Endschaft sie nicht sehen und nicht verstehen.


 Der HErr aber weiß, was Er vorhat. Mit sicherem, fröhlichem Geiste bereitet Er allem Volk Speise und Freude. Erst befiehlt Er, daß sich das Volk lagere und Seine heiligen Apostel müßen den Befehl ausrichten. In Schichten von fünfzig und fünfzig lagert sich alles, hundert Tischgesellschaften sondern und ordnen sich aus der Menge zusammen auf grünen Gras, lieblich anzusehen. Ueber ihnen allen steht der segnende König Christus, und die ersten Seines Reiches, die heiligen Apostel, warten Seines weiteren Befehles, zu dienen. − Die Leute hätten auch stehend, untereinander sprechend und sich unterhaltend Seine Speise empfangen können; aber siehe, Er will nicht so. Eine übersichtliche Tischordnung richtet Er an; entwirren, reinlich und lieblich zu Schichten versammeln sollen sich die Haufen; gesondert und geordnet sollen sie stehen, alle Augen auf Ihn warten, auf Seine reichen Hände schauen und merken oder ahnen, was Er vorhat. Die Ordnung soll zum Aufmerken dienen: vertheilen und empfangen soll dadurch nicht bloß leichter und lieblicher, sondern auch feierlicher und heiliger werden. Seht ihr hier wieder einmal, daß der HErr ein Freund der Ordnung und aller der Annehmlichkeiten ist, die aus der Ordnung hervorgehen? Sieh doch in dich, ehe wir weiter gehen! Der HErr liebt die Ordnung, bei Tisch, überall: und du? Liebst und hältst du nicht Ordnung? Ordnung erleichtert, Unordnung erschwert alle Dinge; jene ist süß, diese so verdrießlich: gehst du leicht einher in deinem Leben, weil du Ordnung hast, und heiter, weil du die heitere Ordnung liebst? Oder bist du schwerfällig, mürrisch und unleidlich, weil dich überall Unordnung wie ein Vorbild der Hölle umgibt und belastet. Sei versichert, im Himmel ist Ordnung und in der Hölle das Gegentheil, und kein Himmelskind, kein werdender Himmelsbürger ist, der sich nicht von äußerer, wie von innerer Unordnung zur schönen Zier der Ordnung bekehrt.


 Als nun alle gelagert waren, vor den Augen, vor den Ohren aller nimmt der HErr die Speise und dankt. Er ist selbst der Geber; der Vater hat Ihm gegeben, das Leben zu haben in Ihm selber und alle Genüge, Er gibt nun nach freiestem Entschluß: und doch dankt Er. Er dankt, weil Seine Gäste sehen sollen, von wannen Er Selbst Seine Macht ableitet, wo Sein Zusammenhang ist, nemlich im Himmel. Er dankt − und Seine Menschheit erscheint in der allerschönsten Abhängigkeit von Gott, sie ist die empfangende, die Gottheit| ist gebend. Er dankt − warum nicht auch nach Seiner Gottheit, da Ihm, dem Sohn von gleichem Wesen, gleicher Majestät und Ehre, dennoch alles von dem Vater zufließt, und Sein Danken nichts ist als eine Hinweisung auf den Vater, aus deßen Wesen Er ewiglich stammt, der alles durch Ihn wirkt und nichts wirkt ohne Ihn? Ist dir aber das zu kühn, so bleibt doch immer wahr: der Gottmensch dankt, auf daß man erkennt, wie Er dem Vater die Ehre gibt und ohne Ihn Sich und Sein Thun nimmermehr gedacht haben will. − Brüder, erkennen wir des Dankens Absicht und Seligkeit am Beispiel unsers HErrn. Der Dankende erkennt und bekennt, daß er alles hat vom Vater durch den Sohn, daß er ganz und gar von Gott abhängt und in Ihm ruht, wurzelt und gründet; und das Bewußtsein dieser Abhängigkeit ist Seligkeit, so wie es in uns lebhaft und recht empfunden wird. In dieser seligen Abhängigkeit war der Mensch geschaffen, − und das ganze Paradies, das er besaß, sollte ihm zu einem immerwährenden Anlaß dienen, diese Abhängigkeit von Gott dankbar zu erkennen, zu bekennen. Dankbar von Gott abzuhangen war dem Menschen im Paradies gegeben, im Fall genommen, und es wieder herzustellen, war die Absicht JEsu bei Seinem großen Werk. Dank − seliges Abhangen von dem HErrn ist durch Christum wieder möglich, Seine Heiligen haben und vermögen es wieder. Durch den Menschensohn ist alles wieder geworden, wie es erst war; wer es nur ergreift! Durch den Sohn sind wir dem Vater wieder verbunden, sind wir wieder Sein, − und nun wachsen wir durch die Gnade des Heiligen Geistes von Tag zu Tage mehr in dieß selige Glück hinein. Wir wachsen hinein, spreche ich, wie wenn wir alle allezeit annähmen, was Er uns darreicht. Er helfe uns doch allen hier und völlig dort, daß wir, unserm Haupte gleich, danken können und selig sein im Dank!

 Am Danke JEsu sehen wir des Dankes Kraft und Macht. Der HErr dankt für das, was erst gegeben werden soll. Es ist Sein Dank eine Voraussicht und gewisse Weißagung zukünftiger Güter; was andern verborgen ist, ist Ihm offenbar; Glück und Güter, die erst in weiter Ferne stehen, sind für Ihn schon sicherer Besitz. Ja, weil der Dank des HErrn die Stelle des Bittens vertritt, das Bitten aber sich um zukünftige Dinge bemüht, so ist nicht zu leugnen, daß Er das Zukünftige nicht bloß mit gewissem Blick vorhersieht, sondern auch herbeizieht. Er versetzt nicht bloß in die Zukunft, sondern Er versetzt die Zukunft in die Gegenwart, schafft herbei, was ferne liegt, hat eine Macht, die Verheißung und Weißagung zu beschleunigen, und theilt die Güter Gottes aus, welche andere gar nicht als vorhanden schauen. Es ist eine wunderbare Sache mit dem Danke des HErrn: er hat alle Eigenschaften des Bittgebetes in verstärktem Maße und überdieß das, was ihm alleine eignet, was das Bittgebet nicht hat; als eine höhere Art des Gebetes trägt er alles Gute der niederern Gebetsart in sich. Man sollte, geliebte Brüder, vielleicht sagen: Gleichwie sich bei Christo das Bittgebet ins Dankgebet verklärt, so sollte sich bei einem jeden Christen je länger je mehr dieselbe Umwandlung erweisen und endlich stätig und ständig werden. Je zuversichtlicher das Bittgebet ist, desto näher verwandt ist es ja ohnehin dem Dank. Je gewisser ich weiß, daß ich erhöret bin, desto leichter ist der Uebergang des Amen ins dankende Halleluja. Je mehr ich das Zukünftige als gegenwärtig sehe, desto mehr verklärt sich mein betendes Verlangen zur dankenden Befriedigung. Wird mir gegeben, etwas als gewis kommend zu schauen, so verliert die Gegenwart, die ich noch habe, ihre Bedeutung, und ich lebe mehr in der Zukunft, die ich noch nicht habe. Je mehr ich glaubend und hoffend bin, je mehr ich in der Zukunft und ihren Gütern lebe, desto freudiger bin ich, desto jugendlicher werd ich, − für andere ein Prophet, bin ich in meinen Augen nichts weniger als das, ich lebe im Himmel, in der Erfüllung aller Weißagungen, und das Reich ist mir gekommen. − Und wie viele Sätze dieser Art ließen sich nicht sagen! Und wie würden sie alle gleich den gesagten uns das Glück empfehlen, statt beten danken zu können; wie würden sie uns alle zeigen, daß der Dank ein göttlich Leben ist! − Möchten nur fürs Erste alle Dinge, um die wir bitten, von der Art sein, daß wir sie als gewis und sicher kommend erbitten, daß wir, ihres Kommens gewis, für sie schon danken könnten! Möchten wir jede Bitte aus Herz und Mund verweisen, die wir in der Gestalt des Dankes nicht denken könnten, ohne den HErrn zu beleidigen!


|  Kehren wir jedoch unser Auge von uns wieder zu dem dankenden HErrn. Was ists, das Sein Dank herbeizieht und wofür dankt Er? Speisen sind es, Erdengüter. Erdengüter sind nur Erdengüter, aber dennoch Gaben Seiner Hand, Gottesgaben, gute Gaben, um die Er selbst den Vater bittet, für die Er dankt, − Er, der doch so völlig richtig und rein urtheilt. Also schätzt der HErr auch Erdengüter in ihrem Maße, und also sollen auch wir sie in gleichem Maße schätzen? Ohne Zweifel ist es so, theure Brüder, − und darum will sie der HErr auch in keiner Weise vernachläßigt haben, sondern geht uns im Evangelium mit Seinem heiligen Beispiel vor und übt in den Gütern, an denen Er so reich ist, heilige Sparsamkeit. Oder ist es etwas anderes, als Sparsamkeit und Achtung der irdischen Güter, was sich in dem Befehle des HErrn ausdrückt, die Brocken vom großen Mahle zu sammeln? Liebe Brüder, wie ferne Sparsamkeit und Geiz von einander sind, das sieht man an dem vollkommenen HErrn. Sparsam ist Er, nicht geizig. Nicht für Sich, für andere hält Er Haus und spart Er. Möge das von uns allen richtig beobachtet werden, und keiner von uns allen Sparsamkeit und Geiz verwechseln, keiner sich Geiz unter dem Namen von Sparsamkeit verzeihen. Prüfe dich nur, zu welchem Zwecke du das irdische Gut schonest: ists, daß du deine eigenen und eigensüchtigen Zwecke erreichest, dann wehe, dann fürchte dich vor Geiz! Ists aber des HErrn Ehre, Seines Reiches Mehrung, der Brüder Nutz und Heil, entbehrst du, auf daß andere nach Leib und Seele eßen und die Fülle haben, und freust du dich, bei eigener Armuth andere satt und reich zu machen: das ist JEsu Straße, die sei dir und du seist auf ihr gesegnet, bis du an ihrem Ende reichlich findest den Eingang in das ewige Reich.

 Für andere spart JEsus die übrigen Brocken − und für wen zunächst? Doch wohl für Seine Apostel, denen Er − einem jeden einen Korb voll − vom Ueberblieb geben will. Denn so viel Apostel sind, so viele Körbe bleiben übrig; jeder Apostel hob einen Korb auf. So weiß der HErr freundlich Seine Diener zu lohnen. Bei der Versorgung des Volkes haben sie Ihm gedient; nachdem das Volk versorgt ist, nehmen auch sie aus der Fülle des Volkes ihren Antheil, und zwar keinen geringen. Zwar sind es Brocken vom Mahle der großen Gemeinde; die Gemeinde hat nicht mit ihnen gegeßen, sondern sie eßen vom Mahle der Gemeinde; aber dennoch haben sie genug und übergenug, und zwar Wunderbrot, Brot der Vorsehung JEsu. Es ist niemals der Wille des HErrn gewesen, daß Seine Knechte, die um Seinetwillen den Gemeinden dienen, kärglichen Lohn empfangen. Ist eine Gemeinde JEsu Braut, so hat sie JEsu Sinn, so kann sie ihrem Elieser, der sie dem HErrn zugeführt hat, kein ander Wort geben, als Laban: „Komm herein, du Gesegneter des HErrn, warum willst du draußen stehen!“ Ja, hat eine Gemeinde JEsu Sinn, so wird sie wie Er beim Mahle sparen, damit die Diener JEsu ihre Speise haben. Die am Altar dienen, sollen vom Altar eßen, − die der Heerde pflegen, genießen ihrer Milch, − ja, damit wir das Wort nicht verschmähen, deßen Anwendung auch Apostel nicht verschmäht haben, − es wird dem Ochsen, der da drischt, das Maul nicht verbunden! − Ach, wer schwiege nicht gerne davon, zumal wenn keine eigene Klage vorhanden ist. Aber es soll doch nichts verschwiegen bleiben, wovon der HErr und Seine Apostel sprechen, und darum sei es getrost gepredigt: Der HErr und Seine Braut sparen auch für Elieser! Wenn der HErr der Gemeinde hilft, hilft Er zugleich Seinen Knechten!


 Der HErr hatte geholfen und die Menschen hatten begriffen, wie und von wannen die Hilfe kam. Was für eine Wirkung des Gastmahls in ihrem Herzen war, hatte der HErr erkannt; sie wollten kommen und Ihn zum König machen. Aber hier zeigte sich des HErrn Sinn im schönsten Glanze. Er will keine Erdenkrone; Er geht andere Wege und hat ein anderes Ziel im Auge; Er gibt uns ein Beispiel von Weltentsagung und himmlischer Gesinnung. Irdische Höhen hat Er Sich nicht erwählt, Er entbehrt nichts an ihnen, es kostet Ihn nichts, ihnen zu entsagen. Vielmehr ist es Seines Herzens Wahl und Meinung, ein Kreuz zu erwählen und die tiefste Schmach zu erdulden; Leiden und Tod locken Ihn mehr als irdisches Leben und Glück. Doch locken Ihn auch Leiden und Tod nicht so, daß Er sie ihretwillen erwählen würde. Irdische Tiefen, irdische Höhen sind beide Seine Heimath nicht. Nach dem ewigen Zion trachtet Er; dort ist Sein Thron, ach wie erhaben über Erdenthrone! Dorthin geht Er und dorthinauf| will Er die Menschheit führen, und weil Er nicht alleine hinkommen, weil Er sie mitbringen, miterhöhen will als Seine Verwandtin, so steigt Er in ihre Leiden und in ihren Tod; aus den tiefen Thalen ihres Fluches führt Er sie hinauf! So ist Er zugleich demüthig und hochgemuth − − und das empfiehlt sich von selbst zur Nachahmung. Ein Durchgangspunkt für Pilgrime zur ewigen Heimath ist dieses Jammerthal des Lebens: wer hinauf will zu Bergesgipfeln, muß vom Thal anfangen zu steigen. Demuth ists, womit unser Gang beginnt, Demuth hebt uns den Fuß, Demuth gibt uns den Boden und den Weg unter die Füße, welchen wir wandeln sollen, Demuth geleitet uns aufwärts. Wer ohne Demuth aufwärts steigen will, vermag es nicht! Demuth aber und Selbst- und Weltverleugnung sind innigst verwandt. Es mag wohl Selbst- und Weltverleugnung ohne Demuth geben, aber Demuth ohne jene? Wer wollte das glauben? Demuth ist innerlich frei von der Welt, und wenn sie in Krone und Purpur gienge; Demuth ist ihrer und der Welt, der Sünde und Eitelkeit satt − und was sie will, das ist alles dort, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. JEsu Jüngerin, JEsu Nachfolgerin ist sie, bleibt sie, bis auch sie vom Thal der Welt zu Seinem Throne gekommen ist.

 Habet ihr nun, meine Brüder, gehört und aufgenommen, was ich euch sagte, so habet ihr auch eine Speisung empfangen. Denn JEsum Christum haben wir ja etwas mehr erkannt, und Ihn erkennen, ist Speisung, Genüge und Leben. „Das ist das ewige Leben, so spricht Er selbst, daß sie Dich, Vater, und den Du gesandt hast, JEsum Christum erkennen.“ Hätte ich aber nun gleich die Beruhigung, aufmerksamen und willigen Seelen etwas Speise und Gnade dargereicht zu haben: von diesem Predigtstuhle dürfte ich dennoch nicht gehen; es ist noch etwas rückständig zu bemerken, das darf ich nicht vergeßen, nicht dahinten laßen. − Es ist eine Eigenheit des heiligen Evangelisten Johannes, Wunder um der Reden willen zu erzählen, welche sich anschloßen. Diese Eigenheit offenbart sich auch in diesem Evangelio. Auch das Wunder der Speisung der fünftausend Mann ist zunächst um der Reden willen erzählt, welche dadurch angeregt wurden und von dem Apostel unmittelbar nach dem Wunder vorgelegt werden. Und nicht bloß das, sondern aus diesen Reden erkennen wir erst recht, welche Gedanken und Absichten der HErr bei dem Wunder hatte. Zwei Gedanken sind es, welche der HErr in den gedachten Reden theils ausspricht, theils merken und ahnen läßt. Der eine ist der: „Ich bin das Brot des Lebens, − das Brot, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben;“ der andere ist der von dem Genuße Seines Fleisches und Blutes im heiligen Abendmahle, durch welchen Seine Rede: „Ich bin das Brot des Lebens“ erst völlig zu dem von Ihm selbst beabsichtigten Verständnis kommt. Jener Gedanke ist ausgesprochen, dieser liegt unverkennbar nahe; zu sehr kommt jener im heiligen Mahle in Erfüllung, als daß dieser dem HErrn bei Seinen Reden vom Lebens- und Himmelsbrot hätte unbewußt sein oder ferne liegen können. Faßen wir die beiden Gedanken recht, dann wird uns unser Evangelium zu einem gewaltigen Passionstexte − und wir sehen von ihnen aus mit desto herzlicherer Theilnahme in die Textgeschichte.

 Zu dem großen Propheten JEsus kommen Tausende, die von Ihm alles erwarten, nur nicht das, daß Er sie speise, nur nicht, daß Er selbst ihre Speise werde für Leib und Seele, nur nicht, daß Er Seinen Leib und Sein Blut ihnen zur Speisung Leibes und der Seelen reiche. Was aber keine Seele geahnt, kein Herz begehrt, geschweige gesucht hat, das gibt Er unaufgefordert zur Ueberraschung der Tausende und der Millionen, der ganzen Welt. Er wird nicht allein ein Erlöser unseres Leibes und unserer Seele, sondern ein Lebensbrot für beide, in dem wir alles finden, was wir bedürfen und was wir wünschen können: Reinigung unserer Menschheit, Vereinigung mit der Gottheit, eine ewige Fülle und Herrlichkeit für Leib und Seele, − mit allbekannten Worten: Vergebung der Sünde, Leben und Seligkeit. Gleichwie Er im Wunder unsers Textes Leib und Seele Seiner Zuhörer im Auge hat, ihren Leib speiset und zugleich für die Speisung der Seele durch Sein Wort Sorge trägt, so thut Er auch jetzt noch allewege und insonderheit in Seinem heiligen Mahle: Er speiset den Leib und die Seele und zwar sorgt Er für jenen in doppelter Weise, daß er vergängliche und unvergängliche Speise erhalte; auch der Leib erhält Anwartschaft auf ein ewiges Dasein und wird für dasselbe gespeist. Und wie Seine Diener bei dem Gastmahl im Texte nicht zu kurz kommen, so haben sie auch an den Gütern Seines Hauses und namentlich bei dem| heiligen Abendmahle ihren reichlichen Antheil. Sie dienen der Gemeinde zur Sättigung und erben selbst den Ueberfluß der Gemeinde, werden satt und fröhlich von alle dem Guten, welches der HErr Seinem Volke gibt.

 Damit Christi Leib und Blut, damit Er selbst uns zur unverweslichen und lebendigmachenden Speise werden möchte, hat Er gelitten, ist Er gestorben. Er ist in heißer Liebe, in heißen Flammen der Leiden und des Todes zur Speise der Menschheit zubereitet worden. Ohne Sein Leiden und Sterben wäre Er Gottes Brot für die Menschheit nicht; durch Sein Leiden ist Er das alles erst geworden. Erst mußte Er unsre Strafen büßen, unsern Tod und unsre gesammte Noth verschlingen, ehe Er uns ein Mittler der zukünftigen und himmlischen Güter werden konnte. Erst durch Seinen Sieg, durch Seine glorreiche Auferstehung ist Er auf den Berg erhoben, von wo aus Er in Wahrheit allen Millionen thun kann, was Er nach der Fülle Seiner Macht den Jüngern schon am Abend vor Seinem Tode gethan hatte, nemlich mit Sich, mit Seinem Leib und Blute zum ewigen Leben speisen und tränken.

 Viele Millionen stehen schon vor Seinem Throne, von Ihm zum ewigen Leben gespeist, Seiner, Seines Leibes und Blutes ewig froh. Und noch immer ist übrig für Millionen. Alle, die in die Welt gekommen sind, alle, die in die Welt kommen werden, sollen Seiner satt und ewig froh werden. Er ist reich für alle, noch reicht Er die gesegnete Speise Seinen Knechten und freut Sich, ohne Unterlaß zu sättigen, die durch die Wüste dieses Lebens ziehen. Das ist gut für uns und eine Freudenbotschaft. Wir sind so arm, so jämmerlich, so sehnsüchtig, so voll Noth und ungestillten Hungers − ohne Ihn, und mit Ihm sind wir so reich. Sind wir jung: es ist doch eine eitle Eitelkeit mit der Jugend, wenn ER, wenn Sein Leib und Blut uns nicht mit himmlischer, unverwelklicher Jugend speist. Nur wer Ihn hat, hat wahre Jugend; nur um Seine Altäre blüht wahrhaft frisches, balsamisches, heiliges Jugendleben. Sind wir alt, haben wir Lust und Leid genug erfahren, Ehren und Güter errungen: wir haben ein schales Leben hinter uns, einen bittern Tod und eine unbegreifliche, schreckenvolle Ewigkeit vor uns, wenn wir nicht Seiner satt und froh und in Seinem Abendmahle Seines Fleisches und Blutes werden. „Wer Sein Fleisch ißet und trinket Sein Blut, der wird nimmermehr sterben, der hat das ewige Leben, Christus ist in ihm, er ist in Christo“ − das sind Wahrheiten, die uns verjüngen, gleich dem Adler, wenn wir alt werden, und lebensfroh machen im Todesthal, nemlich froh des ewigen Lebens.

 Laßet uns beten, daß wir den Geschmack an dieser Welt verlieren, daß uns gallenbitter werde, was dieser Welt Kinder erquickt und erfreut. Fröhliche Weltverschmähung werde uns gegeben. Das Herz werde entleert von dem, was unrein ist, damit wir ewige Güter faßen können. Laßet uns beten, daß wir frei werden vom Ballast unsers Schiffes und mit anderer Fülle durch die Wogen gehen. Laßet uns beten, daß uns keine Feßel und kein Band mehr am Ufer des sündlichen Lebens festhalte. Laßt uns um Kraft und Stärke himmlischen Verlangens bitten, daß wir unsern Anker am jenseitigen Ufer und jenseits des Vorhangs einschlagen können. − Laßt uns beten, daß wir satt werden, wenn wir erwachen nach Seinem Bilde! Amen.




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