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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

 Kehren wir jedoch unser Auge von uns wieder zu dem dankenden HErrn. Was ists, das Sein Dank herbeizieht und wofür dankt Er? Speisen sind es, Erdengüter. Erdengüter sind nur Erdengüter, aber dennoch Gaben Seiner Hand, Gottesgaben, gute Gaben, um die Er selbst den Vater bittet, für die Er dankt, − Er, der doch so völlig richtig und rein urtheilt. Also schätzt der HErr auch Erdengüter in ihrem Maße, und also sollen auch wir sie in gleichem Maße schätzen? Ohne Zweifel ist es so, theure Brüder, − und darum will sie der HErr auch in keiner Weise vernachläßigt haben, sondern geht uns im Evangelium mit Seinem heiligen Beispiel vor und übt in den Gütern, an denen Er so reich ist, heilige Sparsamkeit. Oder ist es etwas anderes, als Sparsamkeit und Achtung der irdischen Güter, was sich in dem Befehle des HErrn ausdrückt, die Brocken vom großen Mahle zu sammeln? Liebe Brüder, wie ferne Sparsamkeit und Geiz von einander sind, das sieht man an dem vollkommenen HErrn. Sparsam ist Er, nicht geizig. Nicht für Sich, für andere hält Er Haus und spart Er. Möge das von uns allen richtig beobachtet werden, und keiner von uns allen Sparsamkeit und Geiz verwechseln, keiner sich Geiz unter dem Namen von Sparsamkeit verzeihen. Prüfe dich nur, zu welchem Zwecke du das irdische Gut schonest: ists, daß du deine eigenen und eigensüchtigen Zwecke erreichest, dann wehe, dann fürchte dich vor Geiz! Ists aber des HErrn Ehre, Seines Reiches Mehrung, der Brüder Nutz und Heil, entbehrst du, auf daß andere nach Leib und Seele eßen und die Fülle haben, und freust du dich, bei eigener Armuth andere satt und reich zu machen: das ist JEsu Straße, die sei dir und du seist auf ihr gesegnet, bis du an ihrem Ende reichlich findest den Eingang in das ewige Reich.


 Für andere spart JEsus die übrigen Brocken − und für wen zunächst? Doch wohl für Seine Apostel, denen Er − einem jeden einen Korb voll − vom Ueberblieb geben will. Denn so viel Apostel sind, so viele Körbe bleiben übrig; jeder Apostel hob einen Korb auf. So weiß der HErr freundlich Seine Diener zu lohnen. Bei der Versorgung des Volkes haben sie Ihm gedient; nachdem das Volk versorgt ist, nehmen auch sie aus der Fülle des Volkes ihren Antheil, und zwar keinen geringen. Zwar sind es Brocken vom Mahle der großen Gemeinde; die Gemeinde hat nicht mit ihnen gegeßen, sondern sie eßen vom Mahle der Gemeinde; aber dennoch haben sie genug und übergenug, und zwar Wunderbrot, Brot der Vorsehung JEsu. Es ist niemals der Wille des HErrn gewesen, daß Seine Knechte, die um Seinetwillen den Gemeinden dienen, kärglichen Lohn empfangen. Ist eine Gemeinde JEsu Braut, so hat sie JEsu Sinn, so kann sie ihrem Elieser, der sie dem HErrn zugeführt hat, kein ander Wort geben, als Laban: „Komm herein, du Gesegneter des HErrn, warum willst du draußen stehen!“ Ja, hat eine Gemeinde JEsu Sinn, so wird sie wie Er beim Mahle sparen, damit die Diener JEsu ihre Speise haben. Die am Altar dienen, sollen vom Altar eßen, − die der Heerde pflegen, genießen ihrer Milch, − ja, damit wir das Wort nicht verschmähen, deßen Anwendung auch Apostel nicht verschmäht haben, − es wird dem Ochsen, der da drischt, das Maul nicht verbunden! − Ach, wer schwiege nicht gerne davon, zumal wenn keine eigene Klage vorhanden ist. Aber es soll doch nichts verschwiegen bleiben, wovon der HErr und Seine Apostel sprechen, und darum sei es getrost gepredigt: Der HErr und Seine Braut sparen auch für Elieser! Wenn der HErr der Gemeinde hilft, hilft Er zugleich Seinen Knechten!


 Der HErr hatte geholfen und die Menschen hatten begriffen, wie und von wannen die Hilfe kam. Was für eine Wirkung des Gastmahls in ihrem Herzen war, hatte der HErr erkannt; sie wollten kommen und Ihn zum König machen. Aber hier zeigte sich des HErrn Sinn im schönsten Glanze. Er will keine Erdenkrone; Er geht andere Wege und hat ein anderes Ziel im Auge; Er gibt uns ein Beispiel von Weltentsagung und himmlischer Gesinnung. Irdische Höhen hat Er Sich nicht erwählt, Er entbehrt nichts an ihnen, es kostet Ihn nichts, ihnen zu entsagen. Vielmehr ist es Seines Herzens Wahl und Meinung, ein Kreuz zu erwählen und die tiefste Schmach zu erdulden; Leiden und Tod locken Ihn mehr als irdisches Leben und Glück. Doch locken Ihn auch Leiden und Tod nicht so, daß Er sie ihretwillen erwählen würde. Irdische Tiefen, irdische Höhen sind beide Seine Heimath nicht. Nach dem ewigen Zion trachtet Er; dort ist Sein Thron, ach wie erhaben über Erdenthrone! Dorthin geht Er und dorthinauf

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/157&oldid=- (Version vom 28.8.2016)