Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)/Trinitatis 17
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Am siebenzehnten Sonntage nach Trinitatis.
- 1. So ermahne nun euch ich Gefangener in dem HErrn, daß ihr wandelt, wie sichs gebühret eurem Beruf, darinnen ihr berufen seid. 2. Mit aller Demuth und Sanftmuth, mit Geduld, und vertraget einer den andern in der Liebe, 3. Und seid fleißig zu halten die Einigkeit im Geist, durch das Band des Friedens. 4. Ein Leib und Ein Geist, wie ihr auch berufen seid auf einerlei Hoffnung eures Berufs. 5. Ein Herr, Ein Glaube, Eine Taufe, 6. Ein Gott und Vater unser aller, der da ist über euch alle, und durch euch alle, und in euch allen.
DAs Evangelium dieses Sonntags erzählt von dem Gastmahl eines Obersten der Pharisäer, an welchem unser HErr nach Seiner Leutseligkeit und Menschenfreundlichkeit Theil nahm. Bei diesem Mahle war auch ein Waßersüchtiger anwesend, welchen der HErr angesichts der bigotten Juden von seiner Krankheit heilte. Darauf gieng es zum Eßen, die Gäste begannen sich zu lagern, und der HErr gab ihnen nun die schöne Lehre von der heiligen Tischzucht und der Rangordnung derer, die zum Hochzeitmahle geladen sind. Wie sich Vorbild und Gleichnis zu dem Urbild und der Erfüllung der Gleichnisse verhält, so verhält sich das hohe Evangelium zu dem epistolischen Texte. Nicht von dem hochzeitlichen Mahle eines Menschen, aber wohl von dem Hochzeitmahle des Sohnes Gottes handelt die Epistel, also von der Hochzeit, die unser HErr bei dem heutigen Evangelium ohne Zweifel mehr im Sinn hatte, als das Gastmahl des Pharisäers und die Rangordnung hochmüthiger Juden. Ebenso: zwar nicht von dem Verhalten bei Tisch, wohl aber von dem Verhalten der Hochzeitgäste Gottes bei dem himmlischen Hochzeitmahle,| das bereits auf Erden beginnt, von dem, den Bau der Kirche auf Erden fördernden Benehmen der Christen handelt die Epistel, und wie im Evangelium in der zeitlichen Rangordnung beim Mahle die bescheidene Demuth den Sieg behält, so wird gleichermaßen in der Epistel Sieg und Krone im Werk der Erbauung der Kirche Gottes der bescheidenen Demuth zugesprochen. Woran der HErr im Evangelium denkt, das predigt in der Epistel der Apostel auf den Dächern, und was der HErr wünscht, das befiehlt der Knecht. So finden wir also auch in diesen beiden Texten Zusammengehörigkeit und Einklang, und erkennen daraus, wie ganz im Sinne des HErrn wir handeln, wenn wir die Worte Seiner Apostel ins Auge faßen und uns mit ihnen beschäftigen, und das, meine Freunde, ist ja heute auch unsere ganze und volle Absicht.
Wollen wir den Sinn unserer heutigen Epistel zusammenfaßen in eins, so können wir sagen, sie handele von dem Beruf der Gemeinde auf Erden und ihrem des Berufes würdigen Wandel. Damit haben wir schon gesagt, daß sie von zweierlei handele, vom Berufe erstens, und zweitens vom Wandel. Des Berufes geschieht alsbald im ersten Verse des Textes Erwähnung, in welchem wir ja lesen: „So ermahne nun euch, ich Gefangener in dem HErrn, daß ihr wandelt wie sichs gebühret eurem Beruf, darinnen ihr berufen seid.“ Der in Rom gefangen liegende Paulus denkt also in seinen Banden an den Beruf der Gemeinde zu Ephesus und dann an den Wandel, der sich für diesen Beruf geziemt. Um nun aber dies Hauptwort unseres Textes recht zu verstehen, zu wißen und zu würdigen, was der Apostel unter dem Berufe meine, müßen wir zum ersten Verse der Epistel alsbald die letzten Verse derselbigen ziehen und sie überhaupt im Zusammenhang des Briefes an die Ephesier faßen. So heben wir also den Schluß oder zweiten Theil unseres Textes empor zum Anfang und verweisen ihn in den ersten Theil unseres Vortrags, während wir die Ermahnung Pauli zum berufeswürdigen Wandel in unserem zweiten Theile folgen laßen.
Die heutige Epistel steht in engem Zusammenhang mit der vorachttägigen, in welcher von dem Berufe der Heiden zu Einer Gemeinschaft mit den Gläubigen aus den Juden die Rede war. Das große Thema des vorigen Textes wirkt in Lehre und Vermahnung auch in den Worten fort, welche die heutige Lection bilden. Das Wort „Beruf“ im ersten Verse des heutigen Textkapitels weist rückwärts, und der Blick rückwärts lehrt uns, daß wir unter dem Berufe, von welchem die Rede ist, nichts anders zu verstehen haben, als einen Beruf zur Kirche, und zwar zur Einheit ihrer verschiedenen Theile, der Juden und Heiden. Die Kirche ist berufen zu einer großen Mannigfaltigkeit ihrer einzelnen Theile, und dennoch zur vollkommensten Harmonie und Einheit deßen, was an und für sich verschieden ist. Ihr Beruf ist, die Mannigfaltigkeit durch die Einheit nicht zu verschlingen, nicht aufzuheben, wohl aber zu verklären und zu Einem heiligen Zwecke zu verbinden.
Dieser Beruf aus der Mannigfaltigkeit zur Einheit, ja aus dem Gegensatze zur Einigkeit wird nun in dem zweiten Theile unserer Epistel von dem vierten bis zum sechsten Verse insofern eingehender dargelegt, als die reiche Fülle alles desjenigen aufgezählt wird, was die Vereinigung der mancherlei verschiedenen Elemente bewirken kann und soll. Das laßt uns nun fröhlich betrachten. Die drei genannten Verse vom vierten bis zum sechsten verfolgen ihrem Inhalt nach die umgekehrte Ordnung der drei Artikel unseres apostolischen Glaubensbekenntnisses. In diesem wird erst der Vater und Seine Werke, dann der Sohn und zuletzt der heilige Geist bekannt. Unser Text aber ruft im Gegentheil denjenigen, welche zur Einigkeit der Kirche berufen sind, in steigender Gewalt zu: „Ein Geist, Ein HErr, Ein Gott und Vater über alles.“ Wer innerlich von Einem und demselbigen Geiste, äußerlich von Einem HErrn JEsus Christus regiert wird und unter der Obhut Eines und desselben höchsten Gottes und Vaters steht, von Dem, durch Den und zu Dem alle Dinge sind, der hat Ursach, alle diejenigen, die ein Gleiches von sich sagen dürfen, für seine Brüder und Verwandten zu halten, sich mit ihnen als Eine heilige Familie zu erkennen, so viele zufällige Unterschiede sich auch finden mögen. Doch sagt der Apostel keineswegs allein, daß wir zu den Personen der allerheiligsten Dreieinigkeit berufen seien, sondern er verbindet mit einer jeden von den drei Personen noch andere Ursachen und Gründe der allertiefsten Einigkeit. Ein Geist regiert alle Glieder der Kirche und verursacht, daß sie selbst alle Eines| Geistes Kinder seien und gewissermaßen Ein Geist werden und von denselbigen geistlichen Bewegungen und Regungen durchdrungen. Aber die Kirche ist auch berufen zu Einem Leibe: „Ein Leib“ ruft St. Paulus. Wenn ich mir auch alle Mühe gebe, dies Wort „Leib“ recht geistig zu faßen, so zwingt mich doch der Ausdruck „Ein Leib und Ein Geist“, die Zusammensetzung der beiden Wörter „Leib und Geist“, bei aller Vereinigung und Einheit dennoch einen Unterschied anzuerkennen. Die Kirche ist berufen, mit allen ihren Gliedern Ein Geist zu sein, d. i. von dem heiligen Geiste sich in allem innerlich regieren zu laßen; es liegt in diesem Ausdruck die nothwendige Verbindung aller gläubigen Seelen zu einerlei innerlichem Leben ausgesprochen. Wenn es nun aber heißt: „Ein Leib“, so liegt darinnen schwerlich noch einmal allein die innere Zusammengehörigkeit der Christen, vermöge welcher sie gliedlich zusammenhangen und vor Gott ein heiliges Ganzes bilden, sondern das Wort „Ein Leib“ deutet im Unterschied von dem Einen Geiste auf eine leibliche und sichtbare Zusammengehörigkeit und Geschiedenheit von der Welt und ihren Kindern hin. Es ist offenbar, daß die Christenheit vielfach in sich selbst geschieden und getrennt ist, aber es gibt nichtsdestoweniger auch eine Verbindung und Zusammengehörigkeit aller, auch der unter sich Geschiedenen und Verschiedenen, und eine kenntliche Zusammengehörigkeit gegenüber der Welt. Zur Darstellung dieser Zusammengehörigkeit sind alle berufen, die zur Kirche gehören, woher sie auch kommen mögen, und es ist nicht ein eitler, sondern im Gegentheil, ein heiliger und großer Zweck der Kirche auf Erden: was sie unvermeidlich ist, auch mit allem Fleiße zu sein und immer mehr zu werden, nemlich Ein Leib. Hier und dort Ein Geist und Ein Leib, haben alle, die zu der Kirche Einigkeit berufen sind, auch einerlei Hoffnung, wie der Apostel sagt: „Einerlei Hoffnung des Berufs“; wie wir einerlei Beruf haben, so haben wir auch einerlei Hoffnung, nemlich jene ewige Verklärung der Kirche Gottes, von welcher allen Aposteln Zunge und Lippe übergeht, von welcher die Propheten reden. Was wir hier in Schwachheit sind, Ein Leib und Ein Geist, das sollen wir dermaleins in Herrlichkeit sein und alle Klarheit der heiligen Kirche soll an denen erscheinen, die hier schon in Geduld und Glauben vereinigt sind, und diese sichere Hoffnung und Gewisheit soll uns um so mehr antreiben, hier schon eins zu sein und unsere Berufung aus der Mannigfaltigkeit durch die seligste Gemeinschaft zu verherrlichen.So viele Gründe hat der Apostel Paulus den Ephesiern angegeben, um sie zur Einigkeit zu bewegen, und sie die Größe ihres Berufs, der allewege ein Beruf zur Einigkeit, weil zu der Einen Kirche ist, schätzen zu lehren. Wer durch alles das, was aufgezählt worden, nicht geneigt wird, einen Beruf aller Christen zur Einigkeit anzuerkennen, der hat wohl die drei mal drei Bande der Einigkeit in den letzten Worten unseres Textes entweder nicht erwogen oder nicht verstanden, oder er ist ein Feind des menschlichen Geschlechtes, welchem in diesem Rufe das größte Glück angeboten wird für Zeit und Ewigkeit. Es wäre daher wohl eine hohe Pflicht aller, die Lehre des heiligen Paulus von dem Berufe zur Einigkeit und den Gründen dazu fleißig und ernstlich zu betrachten und zu erwägen, was alles in der Einigkeit der Kirche für Heil und Seligkeit liegt. Gerade das ist ein Punkt, welchen wir nicht nach Würden erwägen, der überhaupt in unserer Zeit nicht genug erwogen wird. So recht man thut, vor allen Dingen darauf zu sehen, daß man ein Glied Christi sei und immer mehr werde, so blind ist man doch oftmals in Betreff der Erreichung seines Zwecks, indem man übersieht, wie kräftig unsere Verbindung mit Christo JEsu und das Heil der einzelnen Seele durch die Einigung der Glieder zum Ganzen und die Gemeinschaft der Kirche Gottes gefördert wird. Der Kirche liegt an der Lehre von ihrer eigenen Einheit und Einigkeit und ihrem seligen Berufe, innerhalb einer Welt voll Mannigfaltigkeit und Gegensatz Ein heiliger Leib und eine eng verbundene, gottverlobte Schaar zu sein, so viel, daß sich ein jeder an ihr versündigt, der diese Lehre und Einheit nicht treibt und fördert. Wenn dir ein Gegensatz begegnet oder eine doppelte Meinung über irgend einen Punkt des Glaubens oder des christlichen Lebens, so sei nicht leichtsinnig darinnen, sondern ergreife die Wahrheit nach dem göttlichen Wort. Du hast auch nicht Erlaubnis, selbst nur die geringste Wahrheit gering zu schätzen, nicht einmal um der kirchlichen Einigkeit willen. Es liegt allerdings mehr an der Vereinigung mit Gott, die wir durch gläubiges Erfaßen Seiner Wahrheit finden, als an der Vereinigung mit der Kirche. Aber laß dir ebensowenig die heilige Pflicht verdunkeln oder entrücken, die Einigkeit zu pflegen, so weit sie da ist. Durch eine kräftige und lebendige Vereinigung für die gemeinsame Wahrheit wird sogar die Einigungslust und Einigungskraft in Betreff derjenigen Punkte gestärkt, in denen man uneinig ist, und man wird durch Anerkennung des Verwandten und Gemeinschaftlichen für das Reich der Wahrheit sicherlich nicht weniger schaffen und gewinnen als durch Erwägung der Unterschiede.
Hier wenden wir uns nun, meine lieben Brüder, zu demjenigen Theile unseres Textes, welcher von dem des Berufes würdigen Wandel spricht; ja man kann sagen, wir hätten schon einige Augenblicke uns ganz mit diesem Theile des Textes im Allgemeinen beschäftigt. Der Apostel ermahnt zu einem Wandel, der des Berufes würdig ist. Der Beruf ist ein Beruf zur Einigkeit; es kann also kein Wandel des Berufes würdig sein, der Ziel und Zweck des Berufes hindert. Sind wir zur Einigkeit berufen, so muß| unser Wandel Einigkeit zum Zwecke haben. Dieser Zweck ist auch alle dem, was St. Paulus von dem würdigen Wandel im Texte spricht, ganz deutlich abzumerken. „Mit aller Demuth und Sanftmuth, mit aller Langmuth traget einander in der Liebe und seid eifrig zu halten die Einigkeit des Geistes in dem Bande des Friedens,“ das sind die Worte des heiligen Paulus. Vor allem andern setzt er die Liebe voraus, in welcher man sich gegenseitig tragen soll, ohne welche Demuth, Sanftmuth und Langmuth nicht geboren werden, nicht ins Leben treten. Die Liebe, von welcher die Rede ist, ist die kirchliche Liebe, die Bruderliebe, vermöge welcher einer den andern als Theil des Ganzen und theilhaftig des gleichen Berufes anerkennt und ihn demgemäß im Herzen trägt und äußerlich behandelt. Es ist übrigens diese verwandtschaftliche Liebe nicht bloß ein menschlicher Gedanke, sondern eine übernatürliche, göttliche Kraft, die uns ermuthigt, treibt und stark macht, unsere Brüder brüderlich zu behandeln. Der Liebe erste Tugend ist die Demuth oder der niedrige Sinn. Eben weil die Menschen nach ihrem natürlichen Drang sich so gerne ungebührlich erheben, muß uns die Liebe dahin führen, niedrig zu werden, damit der Erhebung des Bruders nicht bloß das rechte beßere Beispiel, sondern auch glühende Kohlen der Reue und Buße darzureichen. Was wird daraus werden, wenn die Erhebung des einen die des andern hervorruft und sich eitel hochmüthige Geister begegnen? Die rechte Heilung für das hochmüthige Gebahren unserer Brüder ist die heilige, bewußte Demuth derer, die da wachen und ihr eignes und der Brüder Heil im treuen Auge haben. Der mit dem Geringen zufrieden ist, ist der würdigste und siegreichste Gegner desjenigen, der immer nach Höhen trachtet; das sieht die Welt nicht, sie glaubt es auch nicht, das Gegentheil will und sucht sie, aber es ist dennoch wahr, was die Kirche singt: „Sanftmuth sieget, Demuth überwindet.“ Unsers Berufes würdig zu wandeln, ist unsere heilige Pflicht, die wir nun einmal nicht erfüllen, wenn wir alle hoch und groß sein wollen; es ziemt uns vielmehr, nicht nach hohen Dingen zu trachten, sondern uns herabzuhalten zu den niedrigen. Bereits haben wir schon erwähnt, daß die Kirche singt: Sanftmuth sieget, Demuth überwindet; sie vereint also mit der Demuth die Sanftmuth. Dasselbe geschieht in unserem Texte, nur daß die Demuth der Sanftmuth vorangestellt ist, weil ohne Demuth die Sanftmuth nur eine Lüge genannt werden kann. Sanftmuth ist wie eine Form der Demuth, so fern sich diese gegen die Brüder kehrt: man kann sagen, sie sei eine nothwendige Form der Demuth. Denke dir nur Demuth ohne Sanftmuth, und du wirst es faßen. Wenn du in dir selbst dich für den Geringsten unter allen halten und es für deine heilige Pflicht erkennen würdest, das niedrige Loos und die niedrige Stellung als die dir zustehende zu erwählen, so ließe sich das immer noch denken und dabei ein gewißer Grimm und innerlicher Verdruß, daß es so und nicht anders ist, der sich in einem mürrischen, kurzen, harten Benehmen gegen andere kund gäbe und ohne alle Erbarmung und Liebe gegen die Brüder auftreten könnte. Das Leben bietet uns solche Widersprüche, sie sind und bleiben aber dennoch, so viele ihrer wären, Widersprüche, die man verantworten muß vor dem allerhöchsten Richter, Widersprüche, welche der Demuth einen Theil ihrer Wahrhaftigkeit und überdies allen Segen nach außen nehmen, ihr Glauben und Vertrauen abschneiden. Daher es auch unumgänglich nöthig und erforderlich ist, daß der Demüthige sanftmüthig sei und damit beweise, daß seine Demuth durch Gottes Erbarmen gemildert und die Erkenntnis der Sünden durch das Oel der göttlichen Erbarmung gelindert ist. Die beiden Tugenden, Demuth und Sanftmuth sind wie die Jünger des HErrn, von denen geschrieben steht: Der HErr sandte sie je zween und zween. Eine soll der andern zu ihrem Leben und Wesen helfen. Wenn nach innen Demuth, nach außen gegen die Brüder hin Sanftmuth in den Gliedern der Gemeinde herrscht, dann hat der des Berufes zu Einer heiligen Kirche würdige Wandel seinen geziemenden Anfang gefunden, und der Grund ist gelegt zum Wohlsein aller. Doch muß dem Anfang der Fortgang, und dem Grunde das Gebäude folgen, und dazu gehört denn, wie wir auch aus anderen Texten schon öfters gelernt haben, die heilige Langmuth, mit welcher sich die Glieder der Gemeinde gegenseitig tragen sollen. Eine Demuth, eine Sanftmuth ohne Ausdauer, ohne Langmuth, – was werden sie ausrichten? Was ist überhaupt eine Tugend ohne Beständigkeit, wenn nicht eine Läugnung ihrer selbst, ein Kind ohne Lebenskraft, ein Dasein, das sein selbst Spott und Zerstörung wird, dadurch,| daß es das naturgemäße Alter nicht erreicht. Es muß daher jede Tugend erstarken, nach Kraft und Dauer und unausgesetzter Uebung trachten, jede Tugend ihre Langmuth haben, sonderlich aber die demüthige Sanftmuth, welche ihr Werk zum Heile der Gemeine und zur Erreichung ihres Berufes gewis nicht leisten wird, wenn sie das Mannesalter der Langmuth nicht erreicht. Siebenmal siebenzigmal vergeben, nimmer die Hoffnung aufgeben, am Heile des Nächsten nicht verzagen, so lang sein Odem ein- und ausgeht, ihn trotz aller Hindernisse und Sünden dennoch auf liebenden Armen tragen, wie das im Worte des heiligen Textes liegt, nach welchem wir einander in Liebe mit Sanftmuth empor halten und tragen sollen, das ist die hohe heilige Kunst derer, die des Berufes würdig wandeln wollen. Meister in der Kunst ist JEsus, der unermüdlich die verlornen Schafe sucht und alle Seine Schafe weidet; Gesellen und Genoßen in Seiner Liebesarbeit sind alle Seine Heiligen. – So hätten wir also Demuth, Sanftmuth, Langmuth, diese drei. Damit nun aber alle drei vollkommen seien, muß noch eine vierte Tugend hinzutreten, nemlich der Fleiß oder der Eifer. Verflucht ist, wer das Werk des HErrn läßig treibt. Lauheit, Trägheit hindern alle Werke der Heiligen, halten das Wachstum, die Zeit und die Ernte auf, während der Eifer zur Demuth, Sanftmuth und Langmuth zugleich wie ein feuchtes Erdreich für die ausgestreute Saat und wie eine heiße, segensreiche Sonne über den Fluren ist. Die Einheit der Gemeine wird bei einer läßigen Demuth, Sanftmuth und Langmuth entweder nicht oder doch ungleich weniger gefördert und erbaut werden, als wenn der Eifer sprüht und der Fleiß vorwärts treibt. Es wird übrigens dieser Eifer in unserem Texte noch näher beschrieben in den Worten: Seid eifrig oder fleißig, zu halten die Einigkeit des Geistes durch das Band des Friedens. Als vorhanden wird angesehen die Einigkeit des Geistes, sintemal wir ja hören, daß der Apostel sagt: „Ein Leib, Ein Geist.“ Wo die Kirche Gottes ist, da ist auch Einigkeit des Geistes. Aber gehalten muß sie werden, damit sie nicht entschwinde, nicht verloren gehe. Gehalten aber wird sie durch das Band des Friedens. Gott gibt die Einigkeit des Geistes, den Einen Geist und alle Seine Gaben. Den behalten die Friedfertigen, den Friedenlosen und Streitenden entschwingt er sich. Welche nicht durch den Frieden, wie durch ein Band zusammengehalten werden, bei denen bleibt weder der Eine Geist, noch wird der Eine Leib unversehrt erhalten. Darum ist von Anfang an der Teufel ein Störenfried der Schafe JEsu und ist nichts eifriger zu thun bemüht, als den Frieden wegzunehmen aus der Kirche. Da müßen die Judenchristen wider die Heidenchristen aufgeregt werden und beide sich von einander trennen, die Kirche in Stücken gehen, damit wo möglich die hohe Absicht JEsu aus Gliedern aller Völker die Kirche zu vereinen, vernichtet und der Beruf der Mannigfaltigkeit aller Zungen zu einer heiligen Einheit zerstört werde. Da muß zu allen Zeiten über die Wahrheit gestritten, statt ihr alle Herzen zugeneigt werden; da muß es Rotten und Spaltungen und Sekten und Ketzereien geben, der Menschen Haß und Leidenschaft in die Geschichte der heiligen Schriftforschung hineingetragen werden, damit ja allezeit etliche Glieder des Leibes ersterben und der Eine Leib den Frieden des Einen Geistes nicht besitze. O wie ists da so nöthig, daß das Band des Friedens immer neu gewoben, immer aufs Neue um die Glieder des Einen Leibes geschlungen und so die Einigkeit des Geistes erhalten werde. Was braucht es dazu für Demuth, Sanftmuth, Langmuth, und welch ein Eifer, welch ein großes Maß von Fleiß ist da vonnöthen! Da müßen alle Kräfte empor gehen zu dem heiligen Zwecke, den Beruf der Kirche im Frieden auszuführen, und wo sie empor gehen, da freut sich der Himmel und in Jerusalem ist Wonne, daß dem Satan auf Erden sein Werk nicht gelingt, sondern die Kirche ihres Bräutigams würdig wandelt und Seines heiligen Berufes.
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