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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

das bereits auf Erden beginnt, von dem, den Bau der Kirche auf Erden fördernden Benehmen der Christen handelt die Epistel, und wie im Evangelium in der zeitlichen Rangordnung beim Mahle die bescheidene Demuth den Sieg behält, so wird gleichermaßen in der Epistel Sieg und Krone im Werk der Erbauung der Kirche Gottes der bescheidenen Demuth zugesprochen. Woran der HErr im Evangelium denkt, das predigt in der Epistel der Apostel auf den Dächern, und was der HErr wünscht, das befiehlt der Knecht. So finden wir also auch in diesen beiden Texten Zusammengehörigkeit und Einklang, und erkennen daraus, wie ganz im Sinne des HErrn wir handeln, wenn wir die Worte Seiner Apostel ins Auge faßen und uns mit ihnen beschäftigen, und das, meine Freunde, ist ja heute auch unsere ganze und volle Absicht.

 Wollen wir den Sinn unserer heutigen Epistel zusammenfaßen in eins, so können wir sagen, sie handele von dem Beruf der Gemeinde auf Erden und ihrem des Berufes würdigen Wandel. Damit haben wir schon gesagt, daß sie von zweierlei handele, vom Berufe erstens, und zweitens vom Wandel. Des Berufes geschieht alsbald im ersten Verse des Textes Erwähnung, in welchem wir ja lesen: „So ermahne nun euch, ich Gefangener in dem HErrn, daß ihr wandelt wie sichs gebühret eurem Beruf, darinnen ihr berufen seid.“ Der in Rom gefangen liegende Paulus denkt also in seinen Banden an den Beruf der Gemeinde zu Ephesus und dann an den Wandel, der sich für diesen Beruf geziemt. Um nun aber dies Hauptwort unseres Textes recht zu verstehen, zu wißen und zu würdigen, was der Apostel unter dem Berufe meine, müßen wir zum ersten Verse der Epistel alsbald die letzten Verse derselbigen ziehen und sie überhaupt im Zusammenhang des Briefes an die Ephesier faßen. So heben wir also den Schluß oder zweiten Theil unseres Textes empor zum Anfang und verweisen ihn in den ersten Theil unseres Vortrags, während wir die Ermahnung Pauli zum berufeswürdigen Wandel in unserem zweiten Theile folgen laßen.

 Die heutige Epistel steht in engem Zusammenhang mit der vorachttägigen, in welcher von dem Berufe der Heiden zu Einer Gemeinschaft mit den Gläubigen aus den Juden die Rede war. Das große Thema des vorigen Textes wirkt in Lehre und Vermahnung auch in den Worten fort, welche die heutige Lection bilden. Das Wort „Beruf“ im ersten Verse des heutigen Textkapitels weist rückwärts, und der Blick rückwärts lehrt uns, daß wir unter dem Berufe, von welchem die Rede ist, nichts anders zu verstehen haben, als einen Beruf zur Kirche, und zwar zur Einheit ihrer verschiedenen Theile, der Juden und Heiden. Die Kirche ist berufen zu einer großen Mannigfaltigkeit ihrer einzelnen Theile, und dennoch zur vollkommensten Harmonie und Einheit deßen, was an und für sich verschieden ist. Ihr Beruf ist, die Mannigfaltigkeit durch die Einheit nicht zu verschlingen, nicht aufzuheben, wohl aber zu verklären und zu Einem heiligen Zwecke zu verbinden.

 Dieser Beruf aus der Mannigfaltigkeit zur Einheit, ja aus dem Gegensatze zur Einigkeit wird nun in dem zweiten Theile unserer Epistel von dem vierten bis zum sechsten Verse insofern eingehender dargelegt, als die reiche Fülle alles desjenigen aufgezählt wird, was die Vereinigung der mancherlei verschiedenen Elemente bewirken kann und soll. Das laßt uns nun fröhlich betrachten. Die drei genannten Verse vom vierten bis zum sechsten verfolgen ihrem Inhalt nach die umgekehrte Ordnung der drei Artikel unseres apostolischen Glaubensbekenntnisses. In diesem wird erst der Vater und Seine Werke, dann der Sohn und zuletzt der heilige Geist bekannt. Unser Text aber ruft im Gegentheil denjenigen, welche zur Einigkeit der Kirche berufen sind, in steigender Gewalt zu: „Ein Geist, Ein HErr, Ein Gott und Vater über alles.“ Wer innerlich von Einem und demselbigen Geiste, äußerlich von Einem HErrn JEsus Christus regiert wird und unter der Obhut Eines und desselben höchsten Gottes und Vaters steht, von Dem, durch Den und zu Dem alle Dinge sind, der hat Ursach, alle diejenigen, die ein Gleiches von sich sagen dürfen, für seine Brüder und Verwandten zu halten, sich mit ihnen als Eine heilige Familie zu erkennen, so viele zufällige Unterschiede sich auch finden mögen. Doch sagt der Apostel keineswegs allein, daß wir zu den Personen der allerheiligsten Dreieinigkeit berufen seien, sondern er verbindet mit einer jeden von den drei Personen noch andere Ursachen und Gründe der allertiefsten Einigkeit. Ein Geist regiert alle Glieder der Kirche und verursacht, daß sie selbst alle Eines

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/491&oldid=- (Version vom 1.8.2018)