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Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)
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Am achtzehnten Sonntage nach Trinitatis.

1. Cor. 1, 4–9.
4. Ich danke meinem Gott allezeit eurerhalben für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christo JEsu, 5. Daß ihr seid durch Ihn an allen Stücken reich gemacht, an aller Lehre und in aller Erkenntnis. 6. Wie denn die Predigt von Christo in euch kräftig worden ist, 7. Also daß ihr keinen Mangel habt an irgend einer Gabe, und wartet nur auf die Offenbarung unsers HErrn JEsu Christi; 8. Welcher auch wird euch fest behalten bis ans Ende, daß ihr unsträflich seid auf den Tag unsers HErrn JEsu Christi. 9. Denn Gott ist treu, durch welchen ihr berufen seid zur Gemeinschaft Seines Sohnes JEsu Christi, unsers HErrn.

 DAs erste Geschäft, deßen wir uns auch heute wieder zu entledigen haben, ist die Aufsuchung des Zusammenhangs zwischen den beiden gewählten Texten des Tages. Das Evangelium, aus Matth. 22, 34–46 genommen, behandelt zwei große Fragen: die nach dem größten Gebote, und die andere: wer ist Christus? Beide Fragen sind von der Art, daß man am Ende wohl sagen kann, es müße in ihrer Beantwortung, wie sie auch laute, die Summa aller Religion eingeschloßen sein, aller Reichtum des göttlichen Wortes. So kann man also auch sagen, das Evangelium handele von allem Reichtum des göttlichen Wortes, von allen den Schätzen, welche uns der heilige Geist in Seine Offenbarungen niedergelegt hat. Damit sind wir aber, so wenig es für den ersten Augenblick auch scheinen mag, dem Inhalte der Epistel unsers heutigen Sonntags sehr nahe, denn diese Epistel handelt von nichts anderem, als von dem großen geistlichen Reichtum der corinthischen Gemeinde, von einem Reichtum also, der wesentlich kein anderer sein kann, als eben der, von welchem das Evangelium spricht. Was im Evangelium als Frage und Antwort, als Lehre und Offenbarung erscheint, das wird im epistolischen Texte als geistiges fruchttragendes Eigentum der neutestamentlichen Gemeinde gezeigt. Es muß daher sowohl Evangelium als Epistel unter die reichen Texte des Kirchenjahres gestellt werden. Dennoch aber sind beide Texte so| übersichtlich, und doch auch so kurz, daß es kein Wunder ist, wenn sie dem oberflächlichen Leser nicht den Eindruck des Reichtums, sondern eher der Armuth machen, wenn man überhaupt ein Recht hätte, einen Unterschied zwischen reichen und armen Texten des göttlichen Wortes zu setzen. Vielleicht gelingt es uns jedoch, für diesmal wenigstens an der Epistel einigermaßen zu zeigen, daß wir oft den Reichtum in Armuth verkehren, so wie wir allenfalls auch geneigt sind, die Armuth für Reichtum zu halten.

 Bei der eingehenderen Betrachtung unseres Textes dürfen wir übrigens nicht mehr sagen, wie schon geschehen, er handele von dem geistlichen Reichtum der corinthischen Gemeinde. Ist gleich auf diese Weise der Text charakterisiert, wie es dem Evangelium gegenüber erwünscht ist, so erfordert doch auch die allgemeinste Inhaltsbezeichnung desselben eine andere Fassung. Sagen wir also lieber, die heutige Epistel enthalte den Dank des heiligen Apostels für allen geistlichen Reichtum der corinthischen Gemeinde, sammt Ausspruch darauf gegründeter Hoffnung für sie.

 Wir finden das öfter in den Eingängen paulinischer Briefe, daß der Apostel für Gnaden dankt, welche den Gemeinden zu Theil geworden sind. Dies fleißige Danken zeigt uns in ihm den großen Beter. Danken ist schwerer als Bitten; zur Bitte treibt Bedürfnis und Noth, jedenfalls die kräftigsten Hebel menschlicher Bewegungen; wenn aber Dankenszeit ist, ist keine Noth mehr vorhanden, und ein Bedürfnis zu danken, hat die arme verderbte Menschenseele von Natur nicht. So wird dann schwer, was den Heiligen Gottes süß ist und von der Schrift ein köstlich Ding genannt wird. Ist nun aber Danken überhaupt schwer, so muß man gestehen, daß diese Schwierigkeit um so mehr eintritt, wenn man nicht für sich, sondern wie der Apostel für andere danksagt. Die Fürbitte ist schon schwerer als die Bitte in eigener Angelegenheit, weil Noth und Bedürfnis zur Fürbitte nicht da sind, wie zur Bitte, und die Liebe selten mit ihrem höheren Triebe den Mangel des Bedürfnisses oder der Noth ersetzt. Manche Menschen beten daher immer nur für sich, während sie keine Erinnerung für Andere haben, wenn sie vor Gott stehen, oder wenigstens ihre Inbrunst erkaltet, so wie sie sich in ihrem Bitten zur Fürbitte kehren. Das ist nun alles noch viel mehr der Fall, wenn sichs um das Dankgebet im fremden Namen handelt. Die Noth des Bruders erregt Mitleid, das Mitleid kann auch zur Fürbitte bereit sein; ist aber Noth und Leiden des Nächsten gewendet, Heil, Hilfe und Freude eingekehrt, so vergißt der, dem geholfen ist, wie die Neune im Evangelium, so gern den Dank, geschweige der andere, der aus Mitgefühl danken soll. Ist es daher eine edle Seele, die für andere betet, so kann man derjenigen noch einen höhern Adel zuschreiben, die für andere dankt, welcher nicht bloß fremde Leiden, sondern fremde Freuden, Gluth und Inbrunst schaffen, sich zu Gott zu nahen. Eine solche Seele ist die des Apostels Paulus, von welcher wir aber noch höheres Lob zu berichten haben. Es kommt ja wohl zuweilen einmal über jeden ein Hauch vom Himmel und eine so tiefe und starke Einladung für das Glück des Bruders zu danken, daß man nur schwer widerstehen kann. Wenn nun auch über dich je einmal so ein gesegneter Augenblick kommt, und du ihm folgst, so bilde dir nur nicht ein, daß du ein Bruder Pauli und sein Genoße in Lob und Dank bist. Du dankst vielleicht einen Augenblick und dann nicht mehr, während St. Paulus von sich die Worte schreiben kann: ich danke meinem Gott allezeit für euch. Bei ihm ist also das vorübergehende Lob zu einem Zustand, zu einer Tugend geworden. Ihn ergreift nicht bloß zuweilen einmal ein Dankgefühl für andere, sondern er kann danken, er hat es durch Erfahrung und Uebung gelernt. Es wird ihm nicht schwer, sich mit anderen zu freuen und im Mitgefühle mit ihnen sich lobend und preisend dem HErrn zu nahen, er lebt in fremden Freuden, fremdem Glücke, selbst in mannigfachen Leiden wird er durch Mitgefühl und Dank für fremde Freuden erquickt. Auf dieser Höhe einer betenden Seele stehen wir nun freilich nicht, lieben Brüder, zumal ja der heilige Paulus für die Corinther nicht als für Lieblinge dankt, sondern wie bereits gesagt, für alle Gemeinden, für alle beten, ja für alle danken kann. Das klingt nahezu, wie immer und ohne Ende danken, das Leben in Dank verzehren, und das ist wohl ein herrlicher Gedanke für uns alle, bei wem ist es aber, wie bei dem heiligen Paulus Wirklichkeit? Merk also zu deiner Beschämung am Eingang dieser Betrachtung die Stufenleiter: beten für andere; danken für andere; immer| beten und danken für andere; und laß uns also vorbereitet in unserem Texte weiter gehen.

 Wofür dankt nun aber Paulus dem HErrn, seinem Gott, im Namen der Corinther? Das sagt er im vierten Verse selbst, indem er spricht: „Ich danke meinem Gott allezeit eurethalben für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christo JEsu.“ Auch dem flüchtigen Leser unseres Textes würde sich aufdrängen, daß der Apostel im Verlaufe des Textes die Ursachen seines Dankes noch weiter und ins Einzelne ausführt; aber es ist auch leicht zu bemerken, daß die Worte, welche wir so eben angeführt haben, alle Ursachen des Dankes kürzlich zusammenfaßen, ja daß sie alle zusammengefaßt sind in dem Wort „Gnade“. Man denkt bei dem Wort Gnade und Gnadengabe oft gar nicht daran, daß damit ein Gegensatz ausgesprochen ist zu allem Verdienste und verdienten Lohne; aber es ist nichtsdestoweniger dennoch wahr, und wer des achtet, hat davon selige Frucht: alles, was wir aus der Hand des HErrn empfangen, großes oder kleines, wird ihm pur lautere, unverdiente Gnade. Ebenso übersieht man insgemein den Beisatz, den die Gnade Gottes hat, die Worte: „in Christo JEsu“, die uns doch deutlich sagen, daß alle Gnade und Gnadengabe uns nur durch JEsum Christum kommt und uns nur dann gegeben wird, wenn wir in Christo JEsu sind, wenn wir Ihm eingepflanzt sind durch Sein theures Wort und Sakrament. Man kann die Gnade und die Gnadengabe von Christo JEsu niemals trennen. Wenn man dasjenige, was den Heiden und Ungläubigen von Gott Gutes erzeigt wird, mit dem Namen „Gnade“ bezeichnen, zu einer Art von vorlaufender Gnade machen will, woran man ja ganz recht thut, so kann man auch das nicht von den Wunden JEsu trennen, denn es ist alles Seines Schweißes und Blutes, auch was denen geschieht, die nicht in Christo JEsu sind, denen das Brot der Kinder Gottes wie den Hündlein des cananäischen Weibes zugetheilt wird. Insonderheit aber ziemt es den Kindern Gottes selbst, alle Gabe als Gnade und alle Gnade aus der durchbohrten Hand zu nehmen. Alles, was wir haben, soll uns an das Blut JEsu Christi erinnern, und so oft wir irgend etwas empfangen, werden wir aus dem Staub gehoben, aus dem Staub und Fluch der Sünden, und wir empfangen damit Gruß und Kuß von den Lippen des gnädigen Vaters JEsu Christi.

 Sagt nun der Apostel, daß er für die, den Corinthern in Christo JEsu gegebene Gnade danke, so wißen wir damit noch nicht, ob die Gnade, den Corinthern gegeben, groß oder klein, reichlich oder spärlich ist. Da begibt sich nun aber das Wort St. Pauli erklärend immer weiter vom Allgemeinen zum Besonderen, und seine heilige Feder legt uns aus, was er unter Gnade versteht. Er schreibt ja: „Ich danke Gott für die Gnade, die euch gegeben ist in Christo JEsu, daß ihr seid durch Ihn an allen Stücken reich gemacht.“ Weiß man damit auch noch nicht, was das für Stücke sind, so sieht man doch, daß eine reiche Gnade den Corinthern gegeben ist und daß sie mit den mannigfaltigsten Gnadengaben überschüttet worden sind, also Grund und Ursach genug vorhanden ist, dem HErrn zu danken, so wie nur jemand vorhanden ist, der den Willen und die Kunst hat, Dank zu sagen. Nun sehe man aber desto mehr, wie St. Paulus die Stücke alle, welche er im Sinn hat, in zwei große Klassen eintheilt und wie uns sein Finger auf zwei weite, reiche Gnadenmeere, auf zwei Sammlungen gnädiger Waßer des HErrn, hindeutet. „Ihr seid reich gemacht an allen Stücken,“ sagt er, und setzt erklärend hinzu „an aller Lehre und in aller Erkenntnis.“ Oder genau am Ausdruck: „An allem Wort und an aller Erkenntnis.“ Wohlan, da sehen wir also den corinthischen Reichtum und womit der allmächtige HErr die gesammte Pracht und allen den Reichtum der großen Handelsstadt Corinth überbieten wollte. Vor allem bekamen die Corinther sein theures Wort, und in demselben Lehre und Unterricht über alle Dinge des ewigen und des zeitlichen Lebens; aus dem Worte aber floß den Corinthern allerlei Erkenntnis zu. Das Wort rauschte also nicht über sie hin, wie über die Häupter der Kirchenschläfer und derer, die auch im Gotteshause ihre Gedanken bei allen möglichen anderen Dingen haben; das Wort schlug an an den Herzen, es schuf Licht und Erkenntnis, und die offenbarte göttliche Weisheit erzeugte in den Herzen Christenweisheit, Erkenntnis der Kinder Gottes, so daß in der corinthischen Gemeinde und bei ihren Gliedern Licht, Rath und Urtheil über alle Dinge zu finden war. Die Corinther| waren also nicht wie unsere gegenwärtigen Gemeinden zu sein pflegen: arm an Gottes Wort, weil geringe, unwißende Lehrer an ihnen arbeiten, blind, unwißend, einsichtslos, auch wenn das Wort reichlich gepredigt wird. Der Teufel nahm ihnen nicht alsbald nach jeder Predigt den Samen wieder hinweg, der ihre Seelen selig machen konnte, sondern sie wurden durchleuchtige, geistesvolle Menschen, von deren Leibe das Waßer des ewigen Lebens, das in sie gekommen war, troff, ja strömte. Und deshalb lobte und dankte der heilige Apostel, so oft er an die Corinther dachte. Er gehörte also nicht zu den Leuten, die das Wort und die Erkenntnis für nichts achten. Wie fällt vielen das Wort Gottes so beschwerlich, wie lästig ist ihnen Predigt und Lehre, wie lustig sind sie, alles thörichte, eitle, irdische Geschwätz zu hören, während sie ein Ekel befällt, so wie das Gespräch auf geistliche Dinge kommt; wie freudlos und werthlos ist ihnen das Wort, welches doch auch Engel gelüstet zu hören! Und die Erkenntnis in göttlichen Dingen, was gibt man für sie? Entweder erscheint sie als hinderlich für dieses Leben, oder doch nicht als förderlich, sie gilt für unnütz und man erlaubt sich gegen sie zu reden wie gegen das aufblähende Wißen derjenigen, welche die Offenbarungen und die mitgetheilte Erkenntnis des heiligen Geistes hochmüthig sich selbst zueignen und von Gottes heiligen Gütern die Zinsen sich in Rechnung schreiben. Was ist das für ein Gegensatz gegen die große und selige dankbare Freude des Apostels an Wort und Erkenntnis, die sich in unserm Texte ausspricht! Wenn auch er so gedacht hätte, hätte er unsern heutigen Text schreiben können? Hätte er behaupten können, daß an allen Stücken reich gemacht ist, wer an Wort und Erkenntnis reich ist? Laßt uns von ihm lernen, was uns lieber sein muß als viel tausend Stück Goldes und Silbers, als Honig und Honigseim und wofür wir als für eine Fülle aller Gnaden zu danken haben, wenn wir sie besitzen, und darnach streben, wenn wir sie nicht besitzen. Wort und Erkenntnis steige bei uns durch das apostolische Lob und St. Pauli Dank in Werth und Ehren.
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 Mit Wort und Erkenntnis in den innigsten Verband setzt der Apostel die Befestigung des Zeugnisses Christi in den Corinthern. „Ihr seid reich gemacht in allem Wort und aller Erkenntnis, wie denn das Zeugnis Christi in euch fest geworden ist“; so sagt der Apostel, oder nach Luthers Uebersetzung: „Wie denn die Predigt von Christo in euch kräftig worden ist.“ Der Menschen Gedanken weben hin und her, und es ist in ihnen nichts Festes. Was der eine mit Gründen sagt, wird von dem andern mit Gründen widersprochen. Was einen Augenblick fest schien, fängt hernach wieder an zu wanken, und unter dem beständigen Hin- und Herschweben der Seele kommt man oft in die Gefahr, gar nichts mehr gewis zu wißen, allen Halt zu verlieren. Da ist in der That wahr, was geschrieben steht: es ist ein köstlich Ding, daß das Herz fest werde, und dem Menschen ist daher nichts mehr zu wünschen und zu gönnen, als sichere Festigkeit und eine ruhige Gewisheit in der Wahrheit. Wenn wir das Wort von Christo haben und die Erkenntnis, und unsere Seele dadurch nicht ruhig wird, uns vielmehr die Einbildung sagt, es könnte auch Wort und Erkenntnis wie alles andere ein menschlicher Wahn und nicht vermögend sein, dies Leben und den Tod zu überdauern, so nagt an dem Herzen ein beständiger, wenn auch tief verborgener, heimlicher Wurm, der uns tief unglücklich macht und mit einem Wimmern des Todes den tiefsten Grund unseres Wesens erfüllt. Wir werden nicht froh, bis unser Herz fest geworden und uns eine göttliche Ueberzeugung gegeben ist von Christo JEsu und Seinem Heil. Haben wir diese, so schwindet die Furcht vor allem Unglück und jedem Tode, und wir sehen hinaus auf die Zukunft, obwohl sie dunkel ist, mit aller Gewisheit, daß sie sich nicht anders enthüllen könne, als zu unserem ewigen Heile. Diese unaussprechliche Wohlthat und dieses einzige Glück des Lebens hatten die Corinther. Sie hatten nicht bloß Wort und Erkenntnis, sondern von beiden die volle Wirkung, den unaussprechlichen Frieden, daß es mit ihnen ewig wohl stehe; das Zeugnis von Christo ruhte in ihnen, wie ein Fels im bewegten Meere. Deshalb war der Apostel froh und dankte dem HErrn für solche große Wohlthat. Aus dieser Wohlthat leitet er aber wiederum andere ab, denn er sagt ja: „das Zeugnis von Christo ist in euch fest, die Predigt kräftig geworden, also, daß ihr keinen Mangel habt an irgend einer Gabe.“ Wo also die Gnade des HErrn waltet, das göttliche Wort der Gnaden uns anhaucht, das Licht der Erkenntnis| uns durchleuchtet, die gewisse Ruhe einer göttlichen Ueberzeugung im Herzen gegründet ist, da sind alle Bedingungen gegeben für ein reiches, überfließendes Leben, da strömen alle Gnadengüter, da mangelt es an nichts mehr, da wird eine Gabe nach der andern erweckt, eine Blüthe und Frucht des innern Lebens zeigt sich nach der andern. Wenn nun auch der Apostel die einzelnen Gaben und Güter nicht auslegt, so wißen wir doch damit, auf welchem Wege wir alles bekommen können, was wir wünschen oder für die Mahnung und Vollendung unseres geistlichen Lebens hoffen, und wer Gott reichen Dank sagen will und reiche Ursach dazu haben, der kann sich zum Ziele helfen, weil er nur Gnade, Wort, Erkenntnis und Festigkeit suchen darf, lauter Dinge, deren eines vom andern abhängt, und alle vom ersten, so daß mit diesem die Quelle von allen eröffnet ist.

 So hat dann der Apostel in den Euch vorgelegten Worten den großen Reichtum der Corinther übersichtlich dargestellt, und man könnte nun fragen, ob denn also für diese Gemeinde gar nichts mehr zu wünschen übrig bliebe? Reich in dieser Zeit an allen Gottesgaben und Gütern, welche zum geistlichen Wohlsein gehören, was sollen sie da noch begehren, was können sie vermissen? Zwar sind viele Arme unter ihnen, und an irdischen Dingen mangelt dem einen viel, dem andern wenig; aber was liegt daran für das innere Wohlsein, das unter allen Umständen und mannigfaltigen Verschiedenheiten des irdischen Looses blühen kann, wenn nur die geistlichen Schätze vorhanden sind? Für diese Welt fehlt nichts mehr, das Fehlende liegt vorwärts in der Zukunft, und diese wird ohne Zweifel den Kindern Gottes, die in der Gegenwart die reichen Pfänder Seiner Gnaden besitzen, eine Herrlichkeit bieten, die ihre kühnsten Erwartungen übertreffen wird. Das sagt auch der Apostel in den Worten: „Ihr habt an keiner Gabe Mangel und wartet nur auf die Offenbarung JEsu Christi.“ Die Zukunft JEsu Christi, du magst nun je nach deiner Einsicht in Gottes Wort darunter jene verstehen, welche am jüngsten Tage sich ereignen wird, oder die zur Verstörung des antichristlichen Reiches und zur Aufrichtung des Reiches David auf Erden, von welchem ebensowohl der Engel redet, welcher der gebenedeiten Mutter die Geburt ihres Sohnes ankündigte, als die Jünger am Auffahrtstage ihres hochgelobten HErrn – die Zukunft JEsu Christi, Seine persönliche, siegreiche Erscheinung, Sein mächtiger Eintritt in den Schluß aller Geschichte ist aller Apostel Ziel und Sehnsucht; sie nennen dieselbe geradezu Hoffnung, ja die Hoffnung. Niemand war im apostolischen Zeitalter mit dem, was da war, zufrieden, denn jeder wußte, daß der HErr für die Zukunft noch etwas versprochen hatte, welches, wenn es groß genug war, um von Ihm versprochen zu werden, auch groß genug sein mußte, um von uns erwartet zu werden. Was für einen Reichtum hatten die Corinther, wie voll aller Güter war ihre Seele und ihr ganzes Leben: der Apostel dankte dafür, wie wir wißen, so oft er an die Corinther gedachte. Dennoch fehlte ihnen allen etwas, das erst kommen muß, die persönliche, leibliche Erscheinung ihres HErrn, Sein Anschauen, wie man es in den vierzig Tagen zwischen Ostern und Himmelfahrt zu genießen hatte. Reich in allen Stücken leben sie dennoch in der Spannung, noch mehr zu empfangen, und mit der süßen Befriedigung für die Gegenwart vereinigt sich ein heiliges Verlangen nach der Zukunft. Hätten sie dieses Verlangen nicht gehabt, so wären sie weniger gegen die Gefahr des Ermattens geschützt gewesen, denn den Menschen, welcher glücklich und aller Güter voll ist, überfällt die Sicherheit und die Trägheit, wie eine schwere Last, wenn er nicht immer vom Zuge der Zukunft und von einer Hoffnung angefrischt wird. Aller geistliche Reichtum ohne Hoffnung ist daher nicht geeignet, den Menschen völlig glücklich zu machen und ihm dies Glück zu sichern; man kann sagen, daß zum wahren Reichtum die Hoffnung wesentlich gehöre, wie zum wahren Besitze die Verwendung, ohne welche das Wort wahr wird, das geschrieben stehet: wer nicht hat, dem wird auch genommen was er hat. Indem daher der Apostel von dem Warten der Corinther auf die Wiederkunft ihres HErrn redet, macht er im Grunde nur das Verzeichnis ihres Glückes vollständig; er setzt demselben damit keine Grenzen, er erweitert es, und zeigt ihnen so den Grund und Boden, auf dem sich sein letzter Wunsch für sie erfüllen kann.

 Noch leben ja die Corinther in der Zeit, sie besitzen reiche Güter und warten auf Den, der da kommen soll, als auf die Krone aller ihrer Güter, sie sind also reich und glücklich, denn sie haben alles| was glücklich macht, ihr Glück vollendet sich in ihrer Hoffnung. Aber können sie es denn nicht verlieren? Ist denn irgend etwas, was man auf Erden besitzt, so ganz und gar Eigentum des Menschen, daß es ihm unter allen Umständen verbleiben müßte? Sei die Ernte noch so reich, die wir besitzen, ruhe sie immerhin schon in den Scheunen und Vorrathskammern, man kann doch sagen, sie sei noch nicht völlig unser, so lang man sie nicht verwendet hat. Ebenso kann auch die Hoffnung verwelken und verderben, wie ein grünes Saatfeld, ehe es zur Reife kommt. Daher liegt auch für den Glücklichsten alles daran, daß sein Glück Bestand habe, und wer es daher noch nicht zu der ewigen Sicherheit gebracht hat, oder keine Gewisheit hat, es dahin zu bringen, den kann immer wieder die Furcht überfallen, die Angst und Sorge um seine liebe Gegenwart und seine freundliche Hoffnung. Es muß daher wie noch einen Wunsch, so bis ans Ende auch noch eine Wohlthat geben, und diese ist die Gnade der Beständigkeit alles unseres Glückes. Eben dieselbe fällt aber ganz und gar zusammen mit der Andauer unserer Buße, unseres Glaubens und unserer Heiligung, mit Einem Worte, unseres innerlichen rechten Verhaltens und Befindens. Wer daher sich selbst oder andern andauerndes Glück und bleibende Hoffnung wünscht, der wünsche ihm die Dauer eines unsträflichen Verhaltens, und weil der Wunsch zur Sache nicht hilft, so wenig als die Sorge, so laße er Wunsch und Sorge nach dem bekannten apostolischen Gebote zum Gebete werden. Weil aber das Gebet um geistliche nothwendige Güter von Seiten unsers HErrn immer erhört wird, und die Erhörung auch ins Leben tritt, wenn der Mensch nicht widerstrebt, so kröne der rechte Beter sein Gebet mit Zuversicht, und wage es getrost, die Zuversicht wie eine Weißagung auszusprechen in der Weise, die wir bei St. Paulo in unserm Texte lernen. Denn er sagt ja zu den Corinthern: „Er wird euch auch fest behalten bis ans Ende, auf daß ihr unsträflich seid, auf den Tag unsers HErrn JEsu Christi. Denn Gott ist treu, durch welchen ihr berufen seid zur Gemeinschaft Seines Sohnes JEsu Christi, unsers HErrn.
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 So hat uns denn diese heilige Epistel von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende allen Reichtum vorgelegt, den eine Gemeinde aus der Hand des guten HErrn empfangen kann. Wie man ein Land in Provinzen theilt, so ist das ganze Gebiet dieses Textes in drei herrliche Theile, in Anfang, Mittel und Ende abgegrenzt. Der Anfang ist gemacht mit Wort und Erkenntnis, im Mittel steht die Befestigung und Kräftigung des Zeugnisses JEsu im Herzen, jene männliche Fülle alles Guten, daß man an keiner Gabe Mangel hat, und das selige Hoffen und Warten auf die Offenbarung unsers HErrn JEsu Christi; am Ende steht die Bewahrung und Festbehaltung bis ans Ende, und die Unsträflichkeit bis auf den Tag des HErrn. Schreibe nun über das ganze reiche Gebiet, welches so den Christen übergeben wird, einen gemeinschaftlichen Titel, welchen kannst du wählen? Ich rathe dir, ihn aus dem letzten Verse des Textes zu nehmen. Schreib getrost „Gemeinschaft des Sohnes Gottes JEsu Christi.“ In der Gemeinschaft JEsu findet man alle diese Güter, außer ihr ist kein Reichtum und kein Heil. Wer zu dieser Gemeinschaft von Gott berufen wird, der wird zu all dem Reichtum berufen, von welchem dieser Text geredet hat, und wer von Gott dem HErrn Selbst dazu berufen ist, der braucht keine Sorge zu haben, ob ihm auch alles werde zu Theil werden, ob er Anfang, Mittel und Ende finden wird, denn Gott, der ihn berufen hat, ist treu: was Er zusagt, das hält Er gewis; Er ist nicht ein Mensch, daß Er lüge, noch ein Menschenkind, daß Ihn etwas gereuen könnte: wenn jemand nur nicht widersteht, nicht boßhaft widersteht, so wird der HErr Seinen heiligen Willen, ihn zu einem Denkmal ewiger Gnaden zu machen, durchführen und ihn vollbereiten bis an den Tag, an welchem die Hochzeit des Lammes herein bricht und stattfindet die Einsetzung der Braut in alle Güter ihres Bräutigams. Dem treuen Gott traue daher, liebe Seele, und beginne schon hier im Glauben den Dank für allen den Reichtum, den du in Christo JEsu besitzest. Vertrauend und dankend gehe vorwärts vom Anfang zum Mittel und bis zum Ende; erfahre durch gläubiges Annehmen aller Güter des HErrn Seine göttliche Treue; je mehr dir verliehen wird, desto mehr danke, bis du endlich deinen Fuß durch die Pforten des leiblichen Todes auf das Gebiet des ewigen Lebens setzen kannst und alsdann dein Glaube| vom Schauen und dein Vertrauen in die Treue Gottes von ewigem, mächtigem Dank für diese Treue verschlungen wird.

 Das alles predige ich euch nach der Epistel des Tages. Es ist aber heute in der bayerischen Landeskirche auch Erntefest, und ich habe mit Ausnahme einer zufälligen Beziehung, die ihr etwa gar nicht einmal merktet, von der irdischen Ernte des Jahres achzehnhundertundachtundfünfzig noch kein Wort gesagt. Es kann zwar kein Mensch leugnen, daß der Reichtum, von welchem der heilige Paulus in der Epistel dieses Sonntags predigt, gar wohl mit einer reichen Ernte verglichen werden kann; aber von einer leiblichen Ernte ist eben doch keine Rede, so daß man bei Hervorhebung der geistlichen Ernte des Textes die leibliche nur in Schatten und Hintergrund stellt. Da man nun das Erntefest nicht feiert, um die irdische Ernte in Hintergrund zu stellen, sondern um sie hervorzuheben, so könnte mir wohl jemand zumuthen, euch um Verzeihung zu bitten, daß ich keinen anderen Text als diesen gewählt habe. Ich weiß auch gar wohl, daß es nöthig ist, euch zum rechten Danke für die leibliche Ernte aufzuwecken; ihr an eurem Theile wißet, daß ich es seit zwei Jahrzehnten an Versuchen, euch dazu zu wecken, nicht habe fehlen laßen. Ich werde es auch heute nicht fehlen laßen, hoffe ich, da ich ja am Nachmittage noch einmal meinen Mund unter euch aufzuthun habe; für diesen Vormittag aber gestehe ich euch, daß mich meine Textwahl keineswegs reut, und wenn ich den einen oder andern unter euch etwa getäuscht haben sollte, so enttäusche ich ihn hiemit zu seiner Beßerung und zu seinem Heile. Meine Textwahl diene euch zur Lehre, denn es ist euch hohe Noth, zu begreifen, daß die geistliche Ernte St. Pauli die rechte Ernte ist, welche jede irdische Ernte unermeßlich übertrifft. Möge mein Wort euch, mein lehrendes, zur Erkenntnis gereichen, Wort und Erkenntnis bei euch reichlich kommen. Meine Textwahl gereiche euch ferner zur Strafe, die ihr in der That bedürfet, weil ihr bisher größtentheils meinen Ruf so schmählich verachtet und die zeitliche Ernte eurer Felder höher geschätzt habet und noch schätzet, als die Schätze, die aus den fünf blutenden Wunden JEsu quillen und den ganzen Reichtum Seiner Gemeinschaft in Wort und Sakrament. O daß ihr einmal eure Sünde und Missethat beweintet, wie jener Landmann, der mir einst seine vollen Kornböden zeigte und mit strömenden Thränen bekannte, daß sein Sündenreichtum die zahllosen Kornkörner seiner Ernte übertreffe! Meine Textwahl diene euch zur Beßerung. Seid ihr bisher den Eintagsfliegen gleich gewesen, die im Wintersonnenstrahle hoch erfreut über dem unwirtbaren Schneegefilde kreißen, weil sie am Wintertage geboren sind und sterben müßen: so erinnert euch beim Anblick der ewigen Gaben, die euch Paulus predigt, an eure höhere Bestimmung, an die Berufung Gottes, die auch an euch ergangen ist und Ihn noch nicht gereut; besinnet euch eines beßeren, als ihr bisher gethan, und ergreifet das ewige Leben, zu dem ihr berufen seid. Meine Textwahl gereiche euch zur Züchtigung, zur Erziehung für dasjenige, wozu ihr ermahnt werdet. Von der irdischen Ernte soll man wohl eßen und trinken und für sie danken, aber satt werden soll und kann man von ihr nicht. Gottes Güte in der allgemeinen Liebe soll alle, wie den Landmann, den ich lobte, zur Buße leiten und eine Zuchtmeisterin werden auf Christum und Seine höheren Güter. Weil keine Ernte die Seele sättigt, so soll man durch allen Erntereichtum hungrig und durstig werden nach den reichen Gütern des Hauses Gottes und nach dem Gott Selber, zu welchem die Kirche, vom Geiste Gottes belehrt, sehnsuchtsvoll singt: „Wie der Hirsch schreiet nach frischem Waßer, so schreit meine Seele, Gott, nach Dir.“ So ist es, die Braut verlangt nach dem Bräutigam, nicht nach seinen Speichern, nach dem Paradiese, nicht nach dem Erdreich. Knechtessinn ist es, sich mit Wenigerem zufrieden zu geben. „Ich bin nicht deine Magd, sondern dein Weib,“ sagte einst eine edle Frau zu ihrem Manne, als er ihr ein Geheimnis vorenthalten wollte; mit vollem Rechte, denn nicht die Magd, wohl aber die Hausfrau geht hinein in die Schatzkammern der Geheimnisse Gottes, und führt in Seinem Namen den Schlüßel. –

 Auch will ich euch zum Schluße noch eins sagen, was gleichfalls lehren und strafen, beßern und erziehen kann. Die Meisten unter euch haben keinen inbrünstigen Dank für die irdische Ernte, – wißt ihr warum? Weil ihr die ewigen Güter JEsu nicht besitzet. Wer| den korinthischen Reichtum unsers Textes hat, der weiß auch den Dettelsauer Reichtum des Jahres 1858 und seinen irdischen Erntesegen zu schätzen. Er überschätzt ihn nicht, eben weil er den korinthischen besitzt, aber er schätzt ihn, er kennt sein rechtes Maß und eben damit versteht er es auch zu danken. Er weiß, wo der höhere Dank hingehört, ob aufs Pfingstfest oder auf das Erntefest, er weiß, aus welchem Tone er den Dankpsalm für die Ernte anzustimmen hat, und indem er ihn also anstimmt nachdem gefundenen Maße, schallt er an diesem Tage am vollsten; denn der HErr hat Pfingsten und Erntefest gemacht und einem jeden seine Ehre gegeben: Er findet Sich hoch gepriesen, wenn Ihm an jedem Tage nach dem Maße desselben das Dankopfer gebracht wird. Lernet dem HErrn danken für die ewigen Güter, dann schallt auch am Erntefeste Psalm und Lobgesang, dann läßt Sich der HErr zu euch nieder und wohnt bei euch unter euren Lobgesängen, wie Er unter den Lobgesängen Israels wohnte, dann gefallen Ihm eure Lieder, eure Gebete, und Er spricht alsdann nicht mehr: „Thu nur weg von mir das Geplärr deiner Lieder, denn ich mag dein Psalterspiel nicht hören.“ –

 O HErr, sei gnädig uns armen Sündern; hilf uns geistliche und leibliche Ernten empfangen und lehre uns Lob und Dank für beide! Amen.




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