« Misericordias Domini Wilhelm Löhe
Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)
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Am Sonntage Jubilate.

1. Petr. 2, 11–20.
11. Lieben Brüder, ich ermahne euch, als die Fremdlinge und Pilgrime: Enthaltet euch von fleischlichen Lüsten, welche wider die Seele streiten; 12. Und führet einen guten Wandel unter den Heiden, auf daß die, so von euch afterreden als von Uebelthätern, eure gute Werke sehen und Gott preisen, wenn es nun an den Tag kommen wird. 13. Seid unterthan aller menschlichen Ordnung um des HErrn willen, es sei dem Könige, als dem Obersten, 14. Oder den Hauptleuten, als den Gesandten von Ihm zur Rache über die Uebelthäter, und zu Lobe den Frommen. 15. Denn das ist der Wille Gottes, daß ihr mit Wohlthun verstopfet die Unwißenheit der thörichten Menschen, 16. Als die Freien, und nicht als hättet ihr die Freiheit zum Deckel der Bosheit; sondern als die Knechte Gottes, 17. Thut Ehre jedermann. Habt die Brüder lieb. Fürchtet Gott. Ehret den König. 18. Ihr Knechte, seid unterthan mit aller Furcht den Herren, nicht allein den gütigen und gelinden, sondern auch den wunderlichen. 19. Denn das ist Gnade, so Jemand um des Gewißens willen| zu Gott das Uebel verträgt und leidet das Unrecht. 20. Denn was ist das für ein Ruhm, so ihr um Missethat willen Streiche leidet? Aber wenn ihr um Wohlthat willen leidet und erduldet, das ist Gnade bei Gott.

 MEine lieben Brüder, ich bin gewohnt, im Eingang dieser Vorträge über die sonn- und festtäglichen Episteln den Zusammenklang der jedesmaligen Epistel mit dem Evangelium nachzuweisen, und vielleicht habt ihr euch selbst mit mir daran gewöhnt. Auch heute kann und will ich es nicht unterlaßen, meiner Gewohnheit zu folgen. Weil es mir aber gerade diesmal in die Erinnerung gekommen ist, daß vielleicht mancher unter euch mir meine desfalsige Bemühung gerne erließe und froh wäre, schon um der Kürze willen des Vortrags, welche dadurch befördert würde, wenn ich immer gleich zur Darlegung und Erläuterung des Textes schritte, so möchte ich wenigstens einmal hier öffentlich vor euch bekennen, daß ich doch einigen Werth auf die Beibehaltung und Durchführung meiner Gewohnheit lege. Ich weiß ja freilich, daß am Ende gar nicht viel darauf ankommt, die Textwahl der alten Kirche zu rechtfertigen. Auch wenn es nie bestimmte und jährlich wiederkehrende Lectionen aus dem göttlichen Worte gegeben hätte; auch wenn man der Reihe nach die Schrift läse oder je nach Willkühr des Predigers, würde sich das göttliche Wort an den Herzen der Hörer doch nicht unbezeugt laßen. Allein da man nun doch im Grunde Texte haben muß, und sich das Lesen nach der Reihe ohne Rücksicht aufs Kirchenjahr ebenso wenig empfiehlt, als eine willkührliche Auswahl des Predigers, so ist es doch für den Kirchgänger ein kleiner Gewinn, oder wenigstens eine Annehmlichkeit, zur Ueberzeugung geführt zu werden, daß die alte Kirche die Texte weise wählte, und daß man sich ja recht langsam entschließen müße, die alten Texte aufzugeben und irgend eine andere Sitte des kirchlichen Bibellesens anzunehmen. Ich möchte schier behaupten, daß es Mangel an Einsicht und Bildung ist, die uralten Texte zu verlaßen, und umgekehrt, daß sich die Treue im Aushalten und achtsamen Hören derselben belohnt. Es ist ja nur Schrift und Gottes Wort, was euch nach der alten Ordnung gelesen wird, aber durch die Bedeutsamkeit der Auswahl kommt man zur Einsicht, daß sich mit der Stimme des göttlichen Wortes bei den Lectionen auch eine Stimme der Kirche vereinigt, daß die längst hingegangenen Geschlechter uns durch den Gebrauch ihrer Lectionen in ihre selige Gemeinschaft ziehen, und die Erkenntnis ihres Gedankengangs bei der Textwahl diese Gemeinschaft nur desto vollständiger und inniger macht. Laßt uns daher bei unsern alten Lectionen bleiben, neben welchen sich in allen Jahrhunderten bis zu dieser Stunde nicht eine einzige andere Textesreihe hat halten können und wohl auch in der Zukunft wird halten können. Bleiben wir bei den alten Texten und scheuen wir dann auch die Mühe nicht, durch Gegeneinanderhaltung derselben den Sinn der Wahl zu erforschen, und uns dadurch desto freudiger und lustiger zur Betrachtung der Texte selbst zu machen.

 Das Evangelium des heutigen Tages ist wie fast alle Evangelien zwischen Ostern und Pfingsten aus dem Evangelium Johannis, und zwar aus jenen wunderschönen letzten Reden JEsu Christi genommen, welche Er an Seine Jünger vor Seinem Scheiden gerichtet hat. In der Wirklichkeit fielen diese Reden fast sämmtlich in die Nacht, da der HErr verrathen ward, dagegen werden sie im Kirchenjahre nicht in der Passionszeit, sondern in den freudenvollen Tagen der Pfingsten, das ist in jenen fünfzig Tagen gelesen, da man der Verklärung Christi und Seines Heimgangs zu dem ewigen Vater gedenkt. Der HErr war in der Nacht vor Seinem Leiden so sehr des Gedankens voll, daß Er nun in der tiefsten Tiefe Seiner Erniedrigung verweile, von nun aber Sein Weg sich aufwärts lenke, daß Seine Reden gar nicht passionsmäßig klangen, sondern vielmehr ganz die Natur der fünfzig Tage nach Ostern, der Verklärung und des Heimgangs zur ewigen Glorie an sich tragen. Wer sich davon überzeugen will, der darf nur in das heutige Evangelium sehen. „Ueber ein Kleines, so werdet ihr Mich nicht sehen, spricht der HErr, und aber über ein Kleines, so werdet ihr Mich sehen, denn Ich gehe zum Vater." Was heißt das anders, als: über ein Kleines liege Ich im Grabe, da sehet ihr Mich nicht, und aber über ein Kleines, da stehe Ich wieder auf und fahre zum Himmel, da sehet ihr Mich wieder. Wie der Israelite beim ersten Passahfeste in Egypten das Passahlamm als ein Weggehender| genoß, so erscheint uns hier der HErr als ein Weggehender, als ein Auswanderer, als ein Gast und Fremdling auf Erden, der sich herrlich und mit Freuden zum ewigen Vaterland schwingt. Das ganze Evangelium macht nach Ton und Inhalt diesen Eindruck. Demselben würdig zur Seite steht die Epistel. Wer davon eine Ueberzeugung haben will, der erinnere sich nur wieder an jenen oft bemerkten Grundgedanken, nach welchem die Episteln den Evangelien beigeordnet zu sein pflegen. Neben dem Wandel Christi erzeigt sich der Wandel Seiner Braut, der Kirche. Erscheint nun der HErr als ein Gast und Fremdling, als ein Hinwegeilender, so erscheint neben Ihm in der Epistel die mit Ihm wegeilende Braut, die Kirche, die auf Erden keine Heimath hat, sondern ihrem Herzog und Bräutigam nach von dannen in eine beßere Heimath eilt. Wer das finden will, der darf nur den Anfang des ersten Textesverses lesen, in welchem der Apostel den Christen zuruft: „Lieben Brüder, ich ermahne euch als die Fremdlinge und Pilgrime.“ Die Christen haben hier keine bleibende Stadt, zur zukünftigen eilen sie, sie feiern auf Erden immerfort die österliche Zeit ihres Auszugs, Wegzugs und Heimzugs, und der Apostel gibt ihnen in unserm ganzen Texte Belehrung und Anweisung, wie sie der ewigen Heimath würdig als Fremdlinge und Pilgrime in der Welt wandeln sollen. Wollte man den Sinn des ganzen Textes in wenige Worte zusammenfaßen, oder in ein einziges Thema, so würde man sagen können: „Der Wandel des Christen in der Fremde und Pilgrimschaft dieser Welt wird vorgelegt.“ Damit aber, meine lieben Brüder, ist gewis zu gleicher Zeit ein paralleler, dem Evangelium getreuer österlicher und pfingstmäßiger Gedanke ausgesprochen. Laßet uns nun einmal sehen, wie der Apostel diesen Gedanken ins Einzelne führt und wie er das Leben der Pilgrime und Fremdlinge auf Erden gestaltet sehen will.

 Wenden wir uns nun zur Darlegung des Inhalts unseres Textes im Einzelnen, so müßen wir die einzelnen größeren Partien der hohen apostolischen Rede zuerst sondern und überschauen, bevor wir durch dieselben hin und gleichsam wie von Gemach zu Gemach des herrlichen Gebäudes mit einander wandeln können. Wir dürfen dabei auch diejenige Eingangsstelle nicht übergehen, die wir im Allgemeinen schon erkannt und uns zugeeignet haben, weil wir gerade in ihr den Grundgedanken und Grundton des Ganzen finden. So ergibt sich uns denn die folgende Uebersicht Unseres Textinhaltes:

 Zu allererst erkennen wir aus dem ersten Verse der Epistel, dem eilften des Kapitels, das Verhältnis des Christen zur Welt im Allgemeinen.

 Sodann zeigt sich uns der diesem Verhältnis entsprechende Wandel des Christen im Einzelnen:

in seiner Keuschheit,
in seinem Gehorsam,
in seiner Bescheidenheit,
in seiner Geduld.

 Endlich können wir uns aus den verschiedenen Versen des Textes Zweck und Segen des dargelegten heiligen Wandels zusammenstellen.

 Was das Verhältnis des Christen zur Welt anlangt, so ist es uns in den euch bereits bekannten Worten des ersten Verses: „Geliebte, ich ermahne euch als die Pilgrime und Fremdlinge“ einfach und klar vor die Augen gelegt. Eine solche Auswahl aus der Welt heraus, eine solche Scheidung von der Welt ist die Kirche Gottes, daß sie hienieden zu keinem Gefühle der Ansäßigkeit und der Heimath gelangen kann, sondern sich immerdar in der Fremde erkennt und immerzu einer andern ewigen Heimath entgegen strebt und entgegen eilt. Fremdling, Pilgrim, heimathlos auf Erden, voll Heimwehs und Verlangens nach dem himmlischen Vaterlande ist der Christ. Das scheint keinem Apostel lebendiger und eigener geworden zu sein, als dem heiligen Petrus, der schon im ersten Verse die Christen in Pontus, Galatien, Cappadocien, Asien und Bithynien als auserwählte Fremdlinge, als eine Diaspora, eine in der Zerstreuung lebende Schaar des HErrn JEsus anredet, und nun in unserem Texte zu dem Anfang der Epistel zurückkehrt, und alle seine apostolischen Ermahnungen den Christen als Pilgrimen und Fremdlingen gegeben haben will. Da straft sich denn wie von selbst jener behagliche, lebensfreudige, lebenssichere Sinn der meisten Christen, nach welchem ihnen die Welt keine lästige Nachbarschaft, das Leben in ihr als keine Last, im Gegentheil als ein Vorschmack der ewigen Freude und als ein Genuß erscheint, für welchen man allenfalls die Religion des HErrn JEsus wie eine Krone| ansieht und wie das Beste unter all dem Guten. Welt und Kirche erscheint nach dem Sinne dieser Christen jetzt nicht mehr geschieden, sondern die Welt ist zur Kirche geworden, die Kirche hat die Welt überwunden, wohnt auf Erden nicht mehr als Fremdlingin und Pilgrimin, sondern feiert bereits einen Vorsabbath des ewigen Friedens auf Erden. Dieser Mangel an Gegensatz zwischen Welt und Kirche, dies behagliche Leben mitten in der Welt und die ungestörte Ruhe des Gewißens, welche man dabei genießt, stammt wohl großentheils aus jenen frühen Zeiten, in welchen die Völker aufhörten, die Gemeinde des HErrn zu verfolgen und die Staaten einen Bund mit der Kirche Gottes eingiengen, demgemäß sie selbst den Namen „christlich“ sich beilegten, die Kirchen aber zu einer Art von Staatsanstalten wurden. Seit 1500 Jahren ist die Kirche auf Erden so ansäßig und heimathsfroh geworden, und die lange Dauer dieser alten Verhältnisse hat den Christen schier allen Sinn für die Worte des heiligen Petrus von ihrer Fremdlingschaft und Pilgrimschaft genommen; wenigstens gibt man den Worten eine ganz andere Beziehung und deutet die Fremdlingschaft bloß dahin aus, daß man doch nicht immer auf Erden leben dürfe, sondern die ewigen Bleibstätten im Himmel für seine Heimath anzusehen habe, und das Leben im Vergleich zur Ewigkeit wie eine Pilgerfahrt gefaßt werden müße. Indes wird auch diese Zeit des Bündnisses zwischen den Staaten und Kirchen und der behaglichen Ruhe der Gemeinde JEsu auf Erden vielleicht bald vorübergehen, die Welt wieder mehr in den anfänglichen Gegensatz gegen die Kirche treten, der Kirche selbst aber die Schuppen von den Augen fallen, daß sie erkennen kann, was sie nie hätte vergeßen, noch verlernen sollen, daß sie hier auf Erden wirklich in der Fremde und deshalb im Gegensatz zu leben berufen sei, Frieden und Ruhe aber erst in jener Welt folgen könne. Glücklich derjenige, welchem der Schleier vom Auge schon unter den gegenwärtigen Verhältnissen genommen wird! Wenn ihn auch ein Schrecken überfällt über die annoch schier unvermeidlich und unlöslich gewordene Verbindung von Welt und Kirche, so wird doch der Sinn der Unterscheidung in ihm erwachen, und je schmerzlicher und weher es dem Fleische werden wird, wenn die Seele der Unterscheidung gemäß wird leben wollen, desto tiefer wird sich doch der Sinn der Fremdlingschaft einsenken und desto mehr wird sich die Seele als Hinwegeilende und Heimwärtspilgernde erkennen. Das aber, meine Freunde, ist jedenfalls schon für großes Glück zu halten. Denn wir sollen Fremdlinge sein in dieser Welt; es soll uns nicht durch die immerwährende Vermengung der Sinn für die Unterscheidung desjenigen abgestumpft werden, was Gott nicht verbunden hat. Auch sollen wir Pilgrime sein in dieser Welt, was wir nicht sein können, ohne daß wir uns fremde fühlen; es bricht ja niemand auf und eilt von hinnen, wenn es ihm heimathlich zu Muth ist, und er sich als bei den Seinigen erkennt. Darum wirke der HErr, der barmherzige Gott, durch den Geist der Wahrheit in uns allen das Bewußtsein, daß wir Fremdlinge sind, und die sehnsüchtige Freude der Pilgrime, die heimwärts eilen.
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 Sind wir nun einmal Fremde in der Welt, daheim aber nur dort, wohin unsere Pilgerfahrt geht; so werden wir uns auch gegen die Sitten der Fremde und gegen das Wesen dieser Welt wehren, Weltförmigkeit je länger je mehr haßen und meiden und unsrer heiligen Heimath würdig zu leben suchen. Wer die Heimath liebt, nimmt von der Fremde nichts an; wem es nirgends gefällt, als bei den Seinen, der eignet sich weder die Sprache und Denkweise, noch die Lebensart derjenigen an, von denen er hinweg trachtet und deren Geruch und Gerüchte in der Heimath niemand gefällt. Hier auf Erden gilt wohl das Sprichwort: „die Fremde macht Leute,“ und mancher Vater schickt seinen Sohn nur deshalb in die Fremde, daß er sich arten soll; für die Pilgrime aber, die heimwärts, das ist nach dem Himmel trachten, gilt ein anderes Gesetz. Bei einer irdischen Wanderschaft wünscht der Vater, daß sein Sohn die eigene Weise ablegen, die aber anderer Leute annehmen soll. Auf dem Himmelswege jedoch geht nur derjenige vorwärts, reift nur der zur Vollendung, der nichts annimmt von der Welt, sich von ihr rein erhält und völlig nach dem Sinne der eignen ewigen Heimath und seines dort versammelten Volkes lebt. Daher ruft auch St. Petrus den Fremdlingen und Pilgrimen zu: „Enthaltet euch von den fleischlichen Lüsten, welche wider die Seele streiten.“ Er fordert also zur Keuschheit auf, zur Keuschheit nicht bloß im Sinne des sechsten Gebotes, weil ja die fleischlichen Lüste nicht bloß wider das sechste Gebot angehen, sondern| zu einer Keuschheit und Herzensreinigkeit in einem weiteren Sinn. Es ist allerdings eine fleischliche Lust, wenn jemand gegen das sechste Gebot gelüstet. Aber wie das sechste, so ist auch das siebente und das fünfte Gebot ein Trompetenstoß gegen fleischliche Lüste. Der Zorn, die Rache, der Diebstahl, der Betrug und wie viel andere Dinge noch außer diesen sind fleischlich und verbotene Lüste, auf welche sich unser Texteswort erstreckt. Sie haben auch alle miteinander das gemein, daß sie wider die Seele streiten, gegen sie und ihr wahres Wohlsein zu Felde liegen, in dem Maße, in welchem sie siegen, die Heiterkeit und Freudigkeit der Herzen zerstören, Finsternis über den Geist verbreiten, ihn zur ewigen Verdammnis vorbereiten. Ich weiß nicht, meine lieben Brüder, ob es euch geht wie mir; mir aber war je und je der Ausdruck merkwürdig und prägte sich tief meinem Gedächtnis ein: die fleischlichen Lüste streiten wider die Seele. Ich glaube, man braucht auch diesen Satz gar nicht zu beweisen; es werden ihm wohl alle Herzen beifallen müßen und auch beifallen, er beurkundet sich einem jeden als Wahrheit; selbst wenn man ihn zum erstenmale hört oder bedenkt, kann man ihm nicht widerstehen. Es ist richtig, daß man die Worte „wider die Seele streiten“ in einer mannigfachen Weise verstehen kann, aber wie man sie auch deute, man bleibt ihrethalben doch in einer großen Uebereinstimmung mit allen, alle verstehen doch im Grunde nichts anders darunter, als daß die Seele, das ist, ihr wahres Glück und das ihr von Gott zugedachte ihr geziemende heilige Leben durch Hegung und Pflegung weltlicher Lüste angenagt, wie angefreßen, im Innersten gestört und im Tiefsten verderbt wird. Wie soll dann der arme Pilgrim heimwandern, wenn sich in seinem Innern die Würmer dieser Welt eingenistet haben? Wo soll da die Freudigkeit herkommen und der Muth, an den ewigen Pforten der Heimath anzuklopfen und Einlaß zu begehren? So wie man sich nur diese Gedanken denkt, keimt und wächst einem die Ueberzeugung, daß Fremdlinge und Pilgrime Gottes vor allen Dingen das Herz von jeder Lust der Welt lostrennen und sich von alle dem abkehren müßen, was ihr Fleisch gelüstet. Mit dem innern Leben fängt der Apostel an, weil alles äußere Leben ohne das innere nichts als Schaale ist, und weil erst dann das äußere Leben recht aufgebaut werden kann, wenn es als ein Wiederschein des rechten innern Lebens sich darstellt. Der Fremdling und Pilgrim bewahre also zu allererst seine Seele und laße sie reinigen von aller bösen Lust.
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 Sofort wendet sich nun der Apostel zu dem Wandel, also dem öffentlichen Leben des Christen in der Welt. Herz und Begier der Seele soll von der Welt geschieden, der Geist des Menschen soll ganz und gar den Grundsätzen des himmlischen Reiches unterthänig sein. Was soll nun aber im äußeren Leben geschehen, in welchem es ja ganz unmöglich ist, die Berührung mit der Welt zu vermeiden, in deren Mitte alle Kinder Gottes wohnen? Die Kirche bewohnt ja nicht besondere, von der Welt abgeschiedene Lande, sondern obwohl sie innerlich nicht weltlich ist, lebt sie dennoch mitten in der Welt. Ein jeder Christ ist Christ durch Gottes Gnade, während er von Natur ein Sklave ist, oder ein Freier, ein Herrscher oder ein Unterthan, und viele äußere Verhältnisse seines Lebens ihm schon bei seiner Geburt von dem ewigen Schöpfer als Mitgabe beigelegt worden sind. Kommt er nun zur Erkenntnis und zur Gnade, wie soll er sich dann gegen seine angebornen ihm von Gott gefügten äußeren Verhältnisse stellen und benehmen? Dieselben gehören doch zum Wesen dieser Welt: soll er sich ihnen nun entziehen, gegen sie ausschlagen und sich ihrer auf jede Weise zu entledigen suchen; oder soll er es nicht? In Anbetracht eines zwiefachen Verhältnisses gibt unsere Epistel Antwort auf diese Frage; der Christ als Unterthan und als Sklave findet in derselbigen Unterricht und Weisung. Unterricht und Weisung aber liegt ganz einfach in dem Worte „Unterordnung, Gehorsam.“ Jedes Kind weiß unter uns diesen Unterricht Christi und Seiner Apostel. Wenn man sich aber in die Lage des jungen Christentums zur Zeit der Apostel versetzt und überlegt, von welcher Art das Verhältnis eines Christen zum römischen Reiche, oder, wenn er ein Sklave war, zu einem solchen römischen oder griechischen Herrn seines Leibes gewesen ist, so wird man zugestehen müßen, daß in den Worten „Gehorsam und Unterordnung“ etwas Ueberraschendes lag. Der Mensch ist schnell mit Schlüßen zur Hand, und wenn er schlußweise etwas gefunden hat, so däucht ihm das vollkommene und sichere Gewisheit. Der Christ scheidet sich von der Welt; das römische Weltreich ist Welt; also scheidet sich der Christ von dem römischen Weltreich. Wie| einfach ist dieser Schluß, und doch wie falsch ist er. Der Christ scheidet sich ja freilich von der Welt; das heißt aber nicht, er scheidet sich von ihrer Last, sondern es heißt nur, er scheidet sich von aller Teilnahme an ihrer Sünde; des Lebens Last und Mühsal läßt er sich gefallen, läßt es sich gar nicht einfallen, die Mühseligkeiten, die er in seinem äußeren Leben in der Welt zu tragen hat, von sich abzuschütteln. Die Welt ist ihm eine Fremde, da behandelt er sie auch wie ein Reisender, der leiblich durch ein fremdes Land zu ziehen hat; er ordnet sich den Gesetzen dieses Landes unter, so lange er in demselben reist und so weit es nur immer angeht, ohne daß er seine heiligen Pflichten gegen die ewige Heimath verletzt. Diese Unterordnung kann je einmal zu den Beschwerlichkeiten seiner Reise gehören; da trägt er sie denn auch im Frieden, wie jede andere Beschwerlichkeit der Reise, und tröstet sich bei dem Drucke, den er fühlt, mit dem Bewußtsein, daß sein Zustand nicht ewig währt, daß die Heimath winkt und mit jedem Schritte näher kommt. So lehren die heiligen Apostel insgemein, so lehrt St. Petrus die Pilgrime und Fremdlinge in unsrer Epistel. „Seid unterthan aller menschlichen Ordnung um des HErrn willen, es sei dem Könige als dem Obersten, oder den Hauptleuten, als den von ihm gesandten zur Rache der Uebelthäter, zum Lobe aber derer, die da wohlthun.“ Aus diesen Versen sehen wir also deutlich, daß eine jede menschliche Ordnung von Gott dem HErrn anerkannt wird. Zu diesen menschlichen Ordnungen wird der Kaiser gerechnet, der römische Kaiser, welchen die Griechen mit dem Namen „Basileus“ oder „König“ titulirten. Zu derselben menschlichen Ordnung werden auch die Obersten, die Landpfleger und übrigen Regierungsbeamten des römischen Kaisers gezählt. Von diesen Beamten wird gesagt, sie seien durch den Kaiser zur Rache der Uebelthäter und zum Lobe derer ausgesandt, die wohl thun. Wahrlich, meine Freunde, da kann man verwundernd stille stehen. Wenn jemand die römischen Kaiser der damaligen Zeit, namentlich aber jenen Kaiser Nero, unter welchem der erste Brief Petri, wie auch der zweite geschrieben sein wird, Wütheriche und Scheusale, abscheuliche Tyrannen und Geißeln der Menschheit nennen würde, so würde der Kundige dagegen gar nichts einzuwenden haben. Wenn ein anderer behaupten würde, die Landpfleger und Beamten dieser Kaiser seien gewesen, wie sie, wie die Herren selbst, so fragt sichs, ob der Beweis der Behauptung schwer zu führen sein würde. Oder wenn einer einen Zweifel erheben würde, ob wohl eigentlich der Kaiser Nero seine Beamten zur Strafe der Uebelthäter und Belobung derer, die recht handeln, ausgesendet habe, wahrlich, der Zweifel könnte ansteckend wirken. Ja wenn einer noch weiter gehen wollte und sagen, das ganze römische Weltreich habe zu dem Thiere gehört mit den vielen Köpfen, von denen einer den Antichristus bedeute, zum Thiere, auf dem die große Hure reiten werde; es habe sich in diesem Reiche je länger je mehr der Gegensatz gegen Christum den HErrn gezeigt; was könnte man denn eigentlich dagegen aufbringen? Das alles aber wußte der heilige Petrus auch, er sah es zu der Zeit, da er den Brief schrieb, in der Nähe, denn der Brief ist ja in Rom geschrieben. Dennoch aber schrieb er, was er schrieb, und das im vollen Ernste. Es muß daher auch diese Ansicht der Sachen richtig gewesen sein, der Wütherich Nero, dieses Scheusal der Menschheit, aus Bosheit und Narrheit zusammengesetzt, war dennoch „Basileus“, der Kaiser; seine Hauptleute waren dennoch in den Landen, Recht und Gerechtigkeit zu üben, und das römische Reich, obwohl zum Thier gehörig und zum Kolosse des Nebucadnezar, ist dennoch eine menschliche Ordnung, und es war dennoch des HErrn Wille, daß man sich den Gesetzen desselben um Seinetwillen unterwerfen sollte. Es offenbart sich hier der wunderliche Haushalt Gottes, welcher bei allen Gestaltungen des Thiers doch auch selbst noch Sein Werk durch dasselbe schafft und auch durch einen Nero der Welt noch größere Wohlthat zu thun vermag, als durch die pure Anarchie. Daraus ergibt sich dann, meine Brüder, wie wenig Befugnis wir von Gott haben, uns gegen irgend eine Obrigkeit aufzulehnen, und was für gewaltige tapfere Gründe unter allen Umständen vor Gott dem HErrn für den Gehorsam gegen die Obrigkeit vorhanden sein müßen. Was wird also der HErr zu den Pilgrimen sagen, die da heimkommen und an irgend einem Ungehorsam oder Aufruhr gegen die Obrigkeit Theil genommen haben? Um Seinetwillen hat man gehorsam sein sollen, und man sollte statt des Gehorsams Ungehorsam leisten und damit vor Sein Angesicht treten dürfen? Das| sei ferne. Der Christ erkennt wohl, daß die Reiche dieser Welt eine doppelte Seite haben, eine verschiedene Würdigung zulaßen; es wird ihm am Ende nicht heimisch bei allem Getriebe des weltlichen Wesens, aber – er fügt sich, er murrt nicht, er hebt die Hand nicht auf, er lästert die Majestät nicht, er übt einen Gehorsam in so weiten Grenzen, als er nur immer vor Gott, seinem Richter verantworten kann, und beweist eben damit, daß er ein Fremdling und Pilgrim ist und sich dem Wesen dieser Welt entzogen hat. Der himmlisch gesinnt ist, kann vielleicht eine Abneigung in sich finden, sich mit Politik und den Geschäften irdischer Staaten zu befaßen, aber ungehorsam, wo man gehorchen könnte und dürfte, kann und darf er nicht sein. Unterordnung, sanftmüthiges Dulden und Tragen, williges Leiden, wär’s auch unter einem Nero, dazu die Anerkennung und Hochachtung der Machthaber, die im Namen Gottes und durch Seinen Willen herrschen, ist und bleibt dennoch ein rechtes leuchtendes Kennzeichen aller derer, die aus Gott sind und auf Erden als Pilgrime und Fremdlinge wandeln. – Ein zweites Beispiel des Gehorsams stellt St. Petrus an den Sklaven auf. „Ihr Sklaven, sagt er, seid unterthan in aller Furcht den Herren, nicht allein den gütigen und gelinden, sondern auch den wunderlichen; denn das ist Gnade, so jemand um des Gewißens willen vor Gott das Uebel verträgt und leidet das Unrecht.“ Die griechische Sprache hat für das unter uns Deutschen gebräuchliche Wort „Sklaven“ einen doppelten Ausdruck. Gerade in unserer Stelle steht der seltenere. Der hier gebrauchte griechische Name deutet auf Sklaven, deren Eltern schon Sklaven gewesen sind, auf solche, die in der Sklaverei geboren wurden, mit der deutschen Bibel in der Geschichte Abrahams zu reden, auf hausgeborne Knechte oder Sklaven. Diese Sklaven sind also unter den Sklaven wieder, so könnte man sagen, die elendesten, und gerade sie, die mit ihrem Schicksal am ersten hätten hadern können, sollen als Muster der Unterordnung und des Gehorsams allen andern vorangehen. Ein Nero ist etwas Arges in einem Reiche, aber ein harter Sklavenherr ist etwas Aergeres. Sei Nero, wer er wolle, so ist er doch Kaiser und als solcher den meisten seiner Unterthanen so ferne gerückt und so hoch über ihnen stehend, daß er ihnen weniger beschwerlich wird, dagegen aber wie soll und kann ein Sklave dem harten Herrn entrinnen? Da gilt’s einen täglichen, stündlichen, ununterbrochenen, auf alle möglichen Dinge sich erstreckenden Gehorsam, der, wenn er geleistet wird, in der That der höchste Gehorsam genannt werden könnte und die tiefste Stufe der Unterthänigkeit, der Selbstverleugnung, der Hingabe in einen fremden Willen. Der Sklave soll seinen Herrn fürchten, denn es heißt: „seid unterthan in aller Furcht den Herren“; aber diese Menschenfurcht soll nicht die innerste Triebfeder der Unterordnung und des Gehorsams bei christlichen Sklaven sein; der niederträchtige Sklavensinn erstirbt im Blute JEsu, und der geborne Sklave wird durch die Wiedergeburt ein Freiherr, der fortan in seinem Verhalten gegen seinen Herrn hauptsächlich durch das Gewißen zu Gott und die Furcht Gottes regiert wird. Hier lerne man Pilger- und Fremdlingssinn: man trägt einen Nero, man trägt die Sklaverei mit getrostem, ja mit leichtem Muthe, weil man in der Fremde ist, von ihr nichts Gutes erwartet und doch bald in die Heimath kommt, wo sich alles ändert und anstatt eines Nero ein Christus, anstatt eines wunderlichen Sklavenherren ein süßer Abba und Vater der Barmherzigkeit regiert. Ich denke, meine geliebten Brüder, hier ist’s Zeit, ein wenig an die Brust zu schlagen und namentlich im Andenken der Jahre 1848 und 1849 Buße zu thun vor dem Gott, dem kein Aufruhr, keine Unruhe in den Staaten dieser Welt, kein Ungehorsam gegen die Obrigkeit, sondern allein der Gehorsam gefällt.
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 In unserm Texte findet sich ein Fortschritt vom Gehorsam zur Bescheidenheit. Wir faßen Bescheidenheit nicht in jenem gewöhnlichen Sinn, nach welchem man darunter ein Benehmen ohne Anmaßung und Uebermuth, ohne Muthwillen, voll Scheu und Ehrerbietung versteht. Auch in diesem Sinne ist die Bescheidenheit eine edle Tugend, und wenn sie auch mehr unbewußt demjenigen, der sie hat, und mehr aus einem guten inwendigen Triebe entsteht; so ist sie doch mit derjenigen bewußten Tugend, die wir im Auge haben, so sehr zusammengehörig, daß man geneigt sein könnte, sie nur wie eine äußere Erscheinung, wie eine Wirkung derselben anzusehen. Wir verstehen an dieser Stelle unter Bescheidenheit jene bewußte und besonnene Tugend, kraft welcher man nicht bloß seine eigene Gabe und Leistung in den Grenzen des| gerechten Maßes sieht und hält, sondern auch geneigt ist, Gaben, Kraft, Leistung und Lebensstellung jedes anderen im Lichte Gottes zu erkennen, einen jeden darnach zu schätzen und ihm mit derjenigen Achtung zu begegnen, die ihm gebührt. Diese Tugend spricht sich in dem Textesverse aus, in welchem wir lesen: „Thut Ehre jedermann, habt die Brüder lieb, fürchtet Gott, ehret den König.“ Hier sehen wir, wie einem jeden in der Pilgerschaft und Fremdlingschaft des Lebens sein Maß von Ehre zuerkannt wird, dem König aber das größte, wie den Genoßen desselbigen Glaubens, den Brüdern, die Liebe, dem HErrn, dem lebendigen Gott aber die Furcht zugetheilt wird. Es ist mit diesen Worten nicht alles andere ausgeschloßen, was die heilige Schrift sonst noch gegenüber Gott und dem Nächsten von uns verlangt. Es versteht sich von selbst, daß wir Gott nicht allein fürchten, sondern auch lieben, die Brüder nicht bloß lieben, sondern auch ehren, alle Menschen und insonderheit den König nicht bloß ehren, sondern auch lieben, in der oder jener Beziehung wohl auch fürchten sollen; aber unser Text zeigt eben den Fremdlingen und Pilgrimen, was in jedem Verhältnis das Hervorstechende und Charakteristische sein soll. Ehre und Werthschätzung gehört einem jeden vom Bettler am Weg bis zum Kaiser auf dem Thron, die Ehre in ihren verschiedenen Abstufungen soll keinem entzogen, jedem gegeben werden; die Liebe bewahren wir den Brüdern und die Furcht durchdringt uns, soll uns durchdringen, so oft wir Gottes gedenken. Nach allen Seiten hin allen das Rechte zu geben, das ist die Forderung des Apostels an die Pilgrime und Fremdlinge. Unter einander in Liebe zusammengeschloßen, durch Liebe zu einer heiligen Schaar vereinigt, voll Furcht vor dem Gott, zu Deßen ewiger Stadt man gelangen will, nach Deßen Angesicht man schreit, wie der Hirsch nach frischem Waßer, – voll Willens und Bereitschaft, auch einem jeden Weltkind mit Ehrerbietung zu begegnen, so wandelt Gottes heilige Schaar durch die Fremde der Heimath zu. Es ist etwas Außerordentliches, daß die Kinder Gottes mit der Welt und ihren Kindern keine Gemeinschaft haben, sich mitten unter ihnen in der Fremde wißen und fühlen, und doch auch jedes Weltkind nach seinem Maße ehren sollen. So darf man also niemand verachten, sondern wir sind gedrungen, einen jeden unsrer Nächsten zu beachten und ihn nach seinem Maße zu meßen, und es ist also nicht genug, wenn die Schaar der Erlösten in eng geschloßenen Reihen sich irgendwie durch die Welt, wie durch ein feindliches Heer hindurch schlägt, und also bis an die Pforten der Ewigkeit kommt, sondern die Feinde müßen geachtet, geehrt und beehrt, und allezeit muß an ihnen erkannt und unterschieden werden, was sie nach Gottes heiligem Willen sind und sein sollen, und was sie durch ihre eigne Schuld und Sünde geworden sind. Auch jedem Weltkind wohnt, so lang es auf Erden ist, doch etwas Göttliches ein, das ein Pilgrim Gottes finden und ehren soll, und das eben ist die Höhe der geistigen und geistlichen Ausbildung eines rechten Pilgrims, sich von der Welt unbefleckt und dennoch so zu verhalten, daß auch ein jedes Weltkind von dem Benehmen der Kinder Gottes den Eindruck bekommt, daß es beachtet, erkannt, geehrt und eben damit auch geliebt, eingeladen und berufen sei, von der breiten Straße auf den schmalen Weg zu treten. Denkt euch nun, meine lieben Brüder, die Schaar der Christen, reines Herzens, voll Gehorsam gegen alle Obrigkeit und Ordnung, voll heiliger Bescheidenheit und Beachtung aller Unterschiede unter den Menschen, voll Liebe zu den Brüdern und voll Gottesfurcht, so habt ihr damit ohne Zweifel ein wunderschönes Bild von einem Pilgrim und Fremdling Gottes, zu deßen Vollendung nun wohl nur noch eine Tugend, nemlich die der Geduld und Beständigkeit, in diesem ganzen Leben und Wesen hinzugethan werden müßte.
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 Wenn ich von der Geduld des Pilgrims und Fremdlings Gottes noch einige Worte anfüge, so weiß ich es wohl, daß diese Tugend in unserm Texte nicht wörtlich genannt ist, aber andererseits sehe ich sie doch im ganzen Texte überall, und zwar nicht bloß deshalb, weil keine Tugend ohne Geduld eine Tugend sein und bleiben kann, sondern auch deshalb, weil so manches im Texte erwähnt ist, was ich nur als Aeußerung der Geduld zu faßen vermag. Schon wenn von einem Wandel der Pilgrime unter den Heiden die Rede ist, der schön und edel sein soll, so schließt dies Wort „Wandel“ die Geduld mit ein. Wer kann sich den Wandel als etwas Vorübergehendes denken? Oder wenn beim Gehorsam gegen jede menschliche Ordnung gesagt ist, es sei der Wille Gottes, daß Gottes Pilgrime auf diese Weise die Unwißenheit| der thörichten Menschen zum Schweigen bringen: wie könnte man das ohne Geduld faßen, da doch die Unwißenheit der Unverständigen und Thoren nicht so gelehrig ist, daß schon ein kurzer Gehorsam gegen die Obrigkeit eine solche Wirkung haben könnte. Am allermeisten aber zeigt sich die Forderung der Geduld im 20. Verse, in der Ermahnung, welche den Sklaven gegeben wird, zumal, wenn man den Vers etwas strenger, als es bei der lutherischen Uebersetzung der Fall ist, nach dem Wortlaut wiedergibt. Denn genau am Wort kommt der Ausdruck „Geduld“ in diesem Verse nicht weniger als zweimal vor. „Was für ein Ruhm ist es, sagt nämlich der Apostel, wenn ihr sündigt, und dann die Züchtigung dafür erduldet? Aber wenn ihr wohlthut und dann Leiden erduldet, das ist Gnade bei Gott.“ Zwar ist hier mehr vom erdulden, als vom sich gedulden die Rede; aber kann man denn erdulden, ohne sich zu gedulden? Gibt es einen Dulder ohne Geduld? Wäre es nicht ein Spott, zu behaupten, der Dulder habe seinen Namen nicht von Geduld, sondern bloß vom Dulden? Es liegt im Dulden schon Geduld ausgesprochen. Daher, meine lieben Brüder, glaube ich, daß in der Geduld die Vollendung aller der Tugenden liegt, von denen unser Text spricht, und obwohl ich dies hätte können unhervorgehoben im Texte ruhen laßen, so schien es mir doch, als sollte ichs nicht, ich mußte wenigstens sagen, daß ohne Geduld zum Ganzen die Krone, zum Leben des Pilgers und Fremdlings die Luft fehle.
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 Nun aber laßt uns endlich noch nach Zweck und Segen der Pilgerschaft fragen. Der Zweck des Wandels liegt in seinem Segen. Zweck und Segen fallen zusammen. Wollte man diesen Zweck und Segen zusammenfaßen, so würde man etwa sagen müßen, die Pilgrime sollen in der von dem Apostel befohlenen Weise wandeln und leben, damit die Kinder der Welt durch die Erfahrung dieses Wandels umgestimmt, der Wahrheit offen und erneuert werden. „Führet einen guten Wandel unter den Heiden, spricht der Apostel, auf daß die, so von euch afterreden als von Uebelthätern, eure guten Werke sehen und Gott preisen.“ So nach der Uebersetzung Luthers. Aehnlich heißt es auch nach der Vermahnung zum Gehorsam gegen die Obrigkeit. „Das ist der Wille Gottes, daß ihr mit Wohlthun verstopfet die Unwißenheit der thörichten Menschen.“ Und wenn es nach dem apostolischen Worte an die Sklaven im 20. Verse heißt: „Was ist das für ein Ruhm, so ihr um Missethat willen Streiche leidet“, so kann doch der Apostel nicht vorhaben, Gottes Pilgrime zum eitlen Ruhme anzuleiten, sondern der Ruhm des heiligen Benehmens der Sklaven wird wohl keine andere Absicht haben wollen, als den Sinn der harten Herren zu brechen oder zu erweichen und durch der Sklaven treffliches Benehmen und Verhalten bei ihnen Achtung vor der Religion zu erwirken, die den Sklaven also heiligen und umändern kann. In der Weise sollen Gottes Fremdlinge und Pilgrime durch die Welt hingehen, daß die Welt gebeßert werde, insonderheit die Obrigkeiten und die Sklavenbesitzer die herrliche Wirkung der christlichen Religion an den Unterthanen und Sklaven erkennen. – Nun könnte man wohl sagen, daß der Gehorsam die heidnischen Obrigkeiten, die edle Bescheidenheit der Christen die Könige und Herrlichen der Welt, und das treue, unschuldige, geduldige Leiden des Sklaven den Herrn überwinden und der christlichen Religion geneigt machen könne, daß aber im Gegentheil die Verschmähung aller Fleischeslüste und ein heiliger Wandel vielmehr den Unwillen und Haß der Heiden hervorrufen werde, am Ende also der gesuchte Zweck und Segen des befohlenen Verhaltens nicht erreicht werde. Eine solche Einwendung würde, wenn sie nicht gerade einem offenbaren apostolischen Worte gegenüberstände, bei vielen gewis großen Anklang finden. Manche Menschen wagen es nicht, mit der Welt zu brechen und einen entschieden christlichen Wandel zu führen, weil sie damit einen üblen Eindruck zu machen fürchten. Um die Kinder der Welt dem Christentume holder zu machen, verhüllen sie das Christentum, oder kleiden es in weltliche Formen und Gewande; es soll nach ihrer Meinung anziehender und ergreifender wirken, wenn es nicht gleich vornherein in der ihm eigenen Gestalt und Vollendung auftritt. So hilft dann der Mensch in seiner Weisheit dem HErrn und Seiner Weisheit, und verbeßert Gottes Wege. Der HErr aber läßt es den Aufrichtigen gelingen, denen aber, die es wagen, Ihm selbst nachzuhelfen, läßt Er es mislingen. Es kann in der Welt keine elendere pastorale Regel geben, als die, die Kinder der Welt für Christum durch ein Gemisch von Welt und Christentum zu fahen, während es umgekehrt eine Erfahrung ist, die ihre Bestätigung| allenthalben und in allen Zeiten findet, daß das Christentum um so mächtiger anzieht, je unverfälschter und lauterer es hervortritt, und je einfacher man zu Gott hofft, daß Er Seinen Knechten den Sieg geben werde.

 Es gibt allerdings Menschen, welche sich von Christo abwenden und hinter sich gehen, wenn Er allzudeutlich Sein Fleisch zur Speise und Sein Blut zum Tranke darbeut. Allein solche Menschen würden auch auf anderem Wege doch zu nichts Ganzem, zu keinem harmonischen Leben gekommen sein. Werden sie auch abgestoßen, so werden andere dafür desto mehr angezogen, und wenn auch haufenweise diejenigen rückwärts gehen, die das Schibboleth haßen, so kommt dafür da und dort einmal ein Petrus, der kniebeugend ausruft: HErr, wohin sollen wir gehen, Du hast Worte des ewigen Lebens! Ein solcher wiegt nicht bloß im Reiche Gottes schwerer, als alle halben kreuzflüchtigen Leute, sondern er bringt auch mehr Ungläubige zu Christo, als alle die weisen, meist selbst halbblinden Blindenleiter, die der Wahrheit durch Masken und Larven helfen und sie durch Hüllen dem Menschen angenehm machen wollen. Du kannsts alle Tage an den Pfarrern sehen. Die weltförmigen, die klugen, die Männer, die durch alle Klippen ohne Schaden schiffen können und die Pastoralweisheit verstehen, die da lehret, wie man möglichst gut mit der Welt auskomme, sind meistens unfruchtbare Bäume, todte Kohlen, die andere nicht entzünden, Fischer, die nichts fangen. Die Pastoren aber, die der Welt gekreuzigt sind, wie die Welt ihnen gekreuzigt ist, können zwar auch nicht alle Fische fangen und alle Garben binden, aber sie fangen und binden doch mehr als die andern, und wer nichts ist und sein will, als ein Christ, der macht nicht bloß einen ganzen, sondern auch den stärksten Eindruck auf alle um ihn her. Ganzheit, Lauterkeit, Aufrichtigkeit, ein Wesen ohne Falsch wie die Tauben bringt mit sich, kann wenigstens mit sich bringen den vollsten Segen und das reichlichste Gedeihen aller Wirksamkeit. Nicht zweckwidrig, sondern im Gegentheil recht zweckmäßig und gesegnet ist das Verhalten des Fremdlings und Pilgrims, der bei den aufgezählten Tugenden des Gehorsams, der Bescheidenheit und Geduld sich aller weltlichen Lüste enthält und mitten unter den Heiden einen solchen Wandel führt, daß jedermann die Verschiedenheit zwischen ihm und aller Welt mit Händen greifen kann. Daher, meine lieben Brüder, sei es nur getrost gewagt, von mir und von uns allen, einen recht lauteren christlichen Wandel zu führen, Fremdling und Pilgrim zu sein. Heilig sei uns der Gehorsam; als Leute, die zwar Sklaven Christi, aber eben damit die einzig wahrhaft Freien in der Welt sind, sei uns der Gehorsam mehr, als die sogenannte bürgerliche Freiheit; niemals wollen wir die in Christo JEsu gefundene Freiheit zu einem Vorwand, zu einem Deckel, zu einer Hülle für jene Bosheit machen, die nicht die Ordnung Gottes, sondern den eigenen ungebundenen Willen und die größtmögliche Weitschaft, ihn recht ungehindert auszuüben, für Lebensglück preisen. Als Bescheidene laßt uns niemand lästig fallen, jedermann so viel an uns liegt, süß und angenehm werden. Als Geduldige laßet uns ausharren bei jeglicher Erfahrung des Uebels und des Ungemachs der Welt. Dabei aber wollen wir uns die Freiheit nehmen, vor aller Welt im Thun und Laßen, im innern Leben und im äußern Wandel so ganz allein unsers HErrn Christus Eigentum zu sein, so ganz seine Fremdlinge und Pilgrime in dieser Welt, daß wir den Haß nicht achten, die Schmach nicht scheuen. Der reinste Ton, der hellste Ton erschalle tief aus unsrer Brust, und was immer für ein Echo dieser Ton finden möge, das sei Dem befohlen, der die Falschen haßet, wie die Blutgierigen, den Demüthigen Gnade, den Aufrichtigen Gelingen, und Seinen Pilgrimen und Fremdlingen, den Sanftmüthigen und Verleugnenden, die Verheißung gibt, daß sie das Erdreich besitzen, also am Ende die Sieger sein sollen über alle ihre Feinde. Amen.




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