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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

allenthalben und in allen Zeiten findet, daß das Christentum um so mächtiger anzieht, je unverfälschter und lauterer es hervortritt, und je einfacher man zu Gott hofft, daß Er Seinen Knechten den Sieg geben werde.

 Es gibt allerdings Menschen, welche sich von Christo abwenden und hinter sich gehen, wenn Er allzudeutlich Sein Fleisch zur Speise und Sein Blut zum Tranke darbeut. Allein solche Menschen würden auch auf anderem Wege doch zu nichts Ganzem, zu keinem harmonischen Leben gekommen sein. Werden sie auch abgestoßen, so werden andere dafür desto mehr angezogen, und wenn auch haufenweise diejenigen rückwärts gehen, die das Schibboleth haßen, so kommt dafür da und dort einmal ein Petrus, der kniebeugend ausruft: HErr, wohin sollen wir gehen, Du hast Worte des ewigen Lebens! Ein solcher wiegt nicht bloß im Reiche Gottes schwerer, als alle halben kreuzflüchtigen Leute, sondern er bringt auch mehr Ungläubige zu Christo, als alle die weisen, meist selbst halbblinden Blindenleiter, die der Wahrheit durch Masken und Larven helfen und sie durch Hüllen dem Menschen angenehm machen wollen. Du kannsts alle Tage an den Pfarrern sehen. Die weltförmigen, die klugen, die Männer, die durch alle Klippen ohne Schaden schiffen können und die Pastoralweisheit verstehen, die da lehret, wie man möglichst gut mit der Welt auskomme, sind meistens unfruchtbare Bäume, todte Kohlen, die andere nicht entzünden, Fischer, die nichts fangen. Die Pastoren aber, die der Welt gekreuzigt sind, wie die Welt ihnen gekreuzigt ist, können zwar auch nicht alle Fische fangen und alle Garben binden, aber sie fangen und binden doch mehr als die andern, und wer nichts ist und sein will, als ein Christ, der macht nicht bloß einen ganzen, sondern auch den stärksten Eindruck auf alle um ihn her. Ganzheit, Lauterkeit, Aufrichtigkeit, ein Wesen ohne Falsch wie die Tauben bringt mit sich, kann wenigstens mit sich bringen den vollsten Segen und das reichlichste Gedeihen aller Wirksamkeit. Nicht zweckwidrig, sondern im Gegentheil recht zweckmäßig und gesegnet ist das Verhalten des Fremdlings und Pilgrims, der bei den aufgezählten Tugenden des Gehorsams, der Bescheidenheit und Geduld sich aller weltlichen Lüste enthält und mitten unter den Heiden einen solchen Wandel führt, daß jedermann die Verschiedenheit zwischen ihm und aller Welt mit Händen greifen kann. Daher, meine lieben Brüder, sei es nur getrost gewagt, von mir und von uns allen, einen recht lauteren christlichen Wandel zu führen, Fremdling und Pilgrim zu sein. Heilig sei uns der Gehorsam; als Leute, die zwar Sklaven Christi, aber eben damit die einzig wahrhaft Freien in der Welt sind, sei uns der Gehorsam mehr, als die sogenannte bürgerliche Freiheit; niemals wollen wir die in Christo JEsu gefundene Freiheit zu einem Vorwand, zu einem Deckel, zu einer Hülle für jene Bosheit machen, die nicht die Ordnung Gottes, sondern den eigenen ungebundenen Willen und die größtmögliche Weitschaft, ihn recht ungehindert auszuüben, für Lebensglück preisen. Als Bescheidene laßt uns niemand lästig fallen, jedermann so viel an uns liegt, süß und angenehm werden. Als Geduldige laßet uns ausharren bei jeglicher Erfahrung des Uebels und des Ungemachs der Welt. Dabei aber wollen wir uns die Freiheit nehmen, vor aller Welt im Thun und Laßen, im innern Leben und im äußern Wandel so ganz allein unsers HErrn Christus Eigentum zu sein, so ganz seine Fremdlinge und Pilgrime in dieser Welt, daß wir den Haß nicht achten, die Schmach nicht scheuen. Der reinste Ton, der hellste Ton erschalle tief aus unsrer Brust, und was immer für ein Echo dieser Ton finden möge, das sei Dem befohlen, der die Falschen haßet, wie die Blutgierigen, den Demüthigen Gnade, den Aufrichtigen Gelingen, und Seinen Pilgrimen und Fremdlingen, den Sanftmüthigen und Verleugnenden, die Verheißung gibt, daß sie das Erdreich besitzen, also am Ende die Sieger sein sollen über alle ihre Feinde. Amen.




Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/281&oldid=- (Version vom 1.8.2018)