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Autor: Georg Eger
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Titel: Eisenbahnwesen
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aus: Handbuch der Politik Zweiter Band: Die Aufgaben der Politik, Zehntes Hauptstück: Der öffentliche Verkehr, 47. Abschnitt, S. 261−273
Herausgeber: Paul Laban, Adolf Wach, Adolf Wagner, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Georg von Schanz, Fritz Berolzheimer
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Dr. Walther Rothschild
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Erscheinungsort: Berlin und Leipzig
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[261]
Zehntes Hauptstück.


Der öffentliche Verkehr.




47. Abschnitt.


Eisenbahnwesen.
Von
Von Geh. Regierungsrat Dr. Georg Eger, Berlin.


Quellen und Literatur: Bearbeiten

Reichsrecht: Bearbeiten

Reichsverfassung Art. 4 Z. 8; Art. 8 Z. 5; Art. 41–47.
Ges. betr. Errichtung eines R.-E.-Bahn-Amtes 27. 6. 1873 (R.G.B. 164). R.Gewerbe-Ord. § 6
Eisenbahn-Bau- u. -Betriebsordnung (B.O.) von 1904.
Eisenbahn-Verkehrsordnung (E.V.O.) von 1908.
Handelsgesetzbuch §§ 453ff. (VII. Abschn.)
Haftpflichtgesetz 7. 6. 1871.
Int. Übereink. über Eisenbahnfrachtverkehr 14. 10. 1890.
Militärtransport O. 18. 1. 1899.
Naturalleist. Ges. 1875 (1898) § 15.
Militär-Tarif 18. 1. 99.
Eisenbahnzollordnung 13. 12. 1912 R.G.Bl. 13.31
Übereinkunft betr. Bildung des deutschen Staatsbahn-Wagenverbandes 1908.

Preussen: Bearbeiten

Eisenbahn-Ges. 3. 11. 38.
Kleinbahn-Ges. 28. 7. 92.
Ges. über Bahneinheiten 8. 7. 02.
Enteignungsgesetz 11. 6. 74.
Wegen der übrigen Bundesstaaten sind die Quellen hier nicht angegeben; sie finden sich meist in den unter „Literatur“ angegebenen Handbüchern.

Reich und Preussen: Bearbeiten

Fritsch, Handbuch der Eisenbahngesetzgebung in Preussen und d. deutsch. Reich. 2. Aufl.
Endemann, Das Recht der Eisenbahnen.
Gleim, D. Recht d. Eisenb. in Preussen.
Eger, Handbuch des pr. Eisenb.-Rechts, Breslau 1885 ff.
Eger, Das Eisenbahnrecht im deutschen Reich und in Preussen (Handelshochschulbibliothek) Leipzig 1910;
Wilbrand, Der Eisenbahnverkehr, Berlin u. Leipzig 1912.
L. Wehrmann, Die Verwaltung der Eisenbahnen, Berlin 1913.
Einzelne Artikel (s. d. betr. Stichworte) in Frh. von Stengel, Fleischmann 2. Aufl., Wörterbuch des deutsch. Verw.-Rechts und
Conrad, Handwörterbuch,
v. Röll, Enzyklopädie d. Eisenbahnwesens, 2. Auflage.
Laband, Deutsch. R.-Staatsrecht 5. Aufl. S. 236ff.
Archiv f. Eisenbahnwesen pr. M. d. ö. A.
Zeitschrift f. Kleinbahnen.
Zeitung des Vereins deutsch. Eisenb.-Verwalt.
Eger, Eisenbahn- und Verkehrsrechtl. Entscheidungen.
Die Verwaltung der öffentlichen Arbeiten in Preussen 1900–1910, Immediatbericht des M. d. ö. A. an S. M. den König, 1911.
Koehne, Grundriss des Eisenbahnrechtes.
Steege, Die deutschen Eisenbahngesetze.
Pietsch, Die Eisenbahngesetzgebung des deutschen Reichs.
Cauer, Betrieb u. Verkehr auf d. pr. Staatseisenb.

[262]

Bayern: Seydel, Bayr. Staatsrecht S. 534 ff.
Württemberg: Göz, Das Staatsrecht des Kgr. W. S. 436 ff.
Sachsen: v. d. Mosel, Handbuch d. s. Verwaltungsrechtes S. 169 ff.
Baden: Affolter, System des b. Verwaltungsrechtes S. 110 ff.
Elsass-Lothringen: Röll, Enzykl. III S. 1406 ff.
Mecklenburg-Schwerin: Stegemann, Meckl. Eisenbahnverhältnisse.
Eisenbahnvölkerrecht: Meili, Die internat. Unionen über das Recht der Verkehrsanstalten.
Kaufmann, Die mitteleuropäischen Eisenbahnen und d. internationale ö. Recht;
von Liszt, Völkerrecht S. 158 ff.

I. Einleitung. Bearbeiten

§ 1. Fast Alleinherrscher auf dem Gebiete des Personenverkehrs, von gewaltiger Bedeutung auf dem Gebiete der Güterbeförderung haben die Eisenbahnen den gewichtigsten Anteil an der beispiellosen Entwicklung des Weltverkehrs seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Selbst Förderer der Industrie und damit auch ein Faktor in der Entwicklung der modernen Technik hat diese wiederum belebend und befruchtend auf das Eisenbahnwesen eingewirkt. Indem den Eisenbahnen alle Erfindungen auf technischem Gebiete (vornehmlich die elektrische Kraft) sowohl, was die Schnelligkeit wie die Betriebssicherheit betrifft, dienstbar gemacht wurden, sind sie zu einer Stufe der Entwicklung gebracht, die sie trotz aller früher nicht geahnten Erfindungen für den Massen-Personenverkehr ebenso wie den eiligeren Güterverkehr menschlicher Voraussicht nach niemals entbehrlich und ersetzbar erscheinen lässt. Nach der Reichsstatistik wurden im Jahre 1912 auf Eisenbahnen im deutschen Reich an Gütern befördert; im Inlandverkehr 366 604 000 Tonnen, nach dem Ausland versandt 37 558 000 Tonnen, empfangen vom Ausland 22 335 000 Tonnen und durchgeführt 93 900 Tonnen. Die Zahl der beförderten Personen betrug 1643 Millionen (gegen 891 Millionen im Jahre 1902!). Auch gegenüber den Wasserstrassen, die für Massentransporte, bei denen es auf Schnelligkeit nicht ankommt, bisher noch in erster Linie stehen, hat der Bahntransport wegen seiner sonstigen Vorzüge (Ersparung des Umladens, direkte Verfrachtung u. a.) die erheblichste Bedeutung. Ist die Eisenbahn mit ihrem die ganze bewohnte Erde in immer grösserer Ausdehnung umspannenden Schienennetz ein völkerverbindendes Element und den Frieden fördernder und unterhaltender Faktor in den Beziehungen der Völker, so ist sie andererseits eines der bedeutsamsten Kriegsinstrumente. Ein im Kriegsfalle versagender Eisenbahnbetrieb macht den betroffenen Staat wehrlos. Die Möglichkeit eines Sieges ist verloren, wenn mangelhafte Beförderungsmöglichkeiten dem Staat den schon an sich unendlich schwierigen Aufmarsch moderner Millionenheere erschweren. Zu allen diesen den Lebensinteressen des modernen Staates und seiner Bewohner in erheblichstem Masse dienenden Eigenschaften der Eisenbahn kommt noch, dass die Konkurrenzlosigkeit dieses wichtigsten Verkehrsmittels die Eisenbahn – richtig verwaltet – zu der bedeutsamsten Erwerbsquelle und damit zu einer der wichtigsten Stützen der Staatsfinanzen zu machen geeignet ist. Die allmähliche Entwicklung der Bahnen aus privatwirtschaftlichen Betrieben zu Staatsbetrieben, ist daher verständlich und die Folgerung aus der Erkenntnis der überwiegenden öffentlichen Bedeutung der Eisenbahnen. Allerdings ist der Grundsatz, dass das Eisenbahnwesen zu den Angelegenheiten des Staates aus Gründen des öffentlichen Wohls gehöre, weder alsbald nach Entstehung der Eisenbahnen noch überall und völlig zur Herrschaft gelangt. Ursprünglich wurde in Deutschland ebenso wie auch in dem für den technischen Betrieb der Eisenbahnen vorbildlichen England und den Vereinigten Staaten von Amerika das Eisenbahnwesen ausschließlich der Privatwirtschaft überlassen. Während aber in den beiden genannten Ländern auch gegenwärtig noch der Grundsatz des privatwirtschaftlichen Eisenbahnbetriebes herrschend ist, ist Deutschland überwiegend zum Staatsbahnbetriebes übergegangen. Diese Entwicklung setzte in der Hauptsache nachdem Kriege von 1870/71 ein, während vorher nur einige Mittelstaaten im Anschluss an das im Belgien herrschende Staatsbahnprinzip zu der Erkenntnis gelangt waren, dass Bau und Betrieb der Bahnen Aufgabe des Staates sei. Das Bedürfnis nach grösserer Einheitlichkeit im Eisenbahnwesen machte sich geltend. Es fand seinen Ausdruck zunächst in den Vorschriften der Reichsverfassung besonders in den Art. 4, 8, 41 bis 47, von denen Art. 127 die wichtigsten Grundsätze enthält:

Die Bundesregierungen verpflichten sich, die deutschen Eisenbahnen im Interesse des allgemeinen Verkehrs wie ein einheitliches Netz verwalten und zu diesem Behuf auch die neu herzustellenden Bahnen nach einheitlichen Normen anlegen und ausrüsten zu lassen.

[263] Die Notwendigkeit der Schaffung einer Zentralinstanz zur Wahrnehmung der Aufsichtsrechte des Reiches über die Eisenbahnen führte zur Einrichtung des Reichseisenbahnamtes durch das Gesetz v. 27. Juni 1873. Wurde somit die Grundlage dazu gelegt, ein einheitliches Reichseisenbahnnetz herzustellen, so ist es doch dazu nicht gekommen. Abgesehen von den im Reichseigentum stehenden Reichseisenbahnen in Elsass-Lothringen und der Militärbahn Berlin-Jüterbog gibt es im Reiche keine Reichseisenbahnen. Die Bestrebungen nach Vereinheitlichung der Eisenbahnen im deutschen Reiche scheiterten an dem Widerstande der süddeutschen Staaten. Das preussische Gesetz vom 4. Juni 1876, das den Übergang des Eigentums und der sonstigen Rechte des Staates an den Eisenbahnen auf das Reich vorsah, erlangte keine praktische Bedeutung. Wohl aber setzte nunmehr – zunächst in Sachsen und Bayern, seit 1879 auch in Preussen eine umfangreiche Verstaatlichungsaktion ein. Diese hat zu dem Ergebnis geführt, dass die Privatbahnen des grossen Verkehrs fast ganz verschwunden sind. Auch die Nebenbahnen sind überwiegend im Staatseigentum. Nur die Kleinbahnen – die weder dem Reichsrecht noch dem preussischen Eisenbahngesetze unterliegen, – sind überwiegend im Privatbetriebe. Aber auch bei dieser Klasse von Bahnen tritt ein der Verstaatlichung analoger Prozess durch das Bestreben umfangreicher Inkommunalisierungen der für den Ortsverkehr wichtigen Bahnen hervor. Die gegenwärtige Bedeutung des Staatsbahnnetzes gegenüber den Privatbahnen ergibt die Reichsstatistik. Danach waren Ende 1911 vorhanden Hauptbahnen im Staatseigentum einschliesslich der wenigen Bahnen im Privateigentum aber im Staatsbetriebe: im ganzen Reiche: 33 992,8 km (gegen 31 073,3 km im Jahre 1901) dagegen an Privatbahnen: 276,9 km (gegen 1313,3 km im Jahre 1901). Nebenbahnen als Staatsbahnen gab es 22 102 km (1901: 15 532,8 km), Privatnebenbahnen: 3391,5 (1901: 3120,8) km. Von den Hauptbahnen entfielen auf Preussen-Hessen an Staatsbahnen 23 472,9 km, auf Bayern 4796,6 km, auf Sachsen 1779,3 km, auf Württemberg 1466,5 km, auf Baden 1546,7 km, auf Mecklenburg-Schwerin 493,6 km, auf Mecklenburg-Strelitz 150,8 km, auf Oldenburg 286,4 km, auf Elsass-Lothringen 1355,6 km. Private Vollbahnen gibt es nur in den preussischen Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover und Rheinprovinz, in ganz geringem Umfange in Bayern (6 km) ferner in Baden, Oldenburg, Lübeck und Hamburg. Die finanzielle Bedeutung des Staatsbahnbesitzes kommt in der Höhe des Anlagekapitals zum Ausdruck, das Ende 1911: 17 833 Millionen Mark betrug.

Die Streitfrage: Staats- oder Privatbahnen? ist durch die eben skizzierte Entwickelung für Deutschland im Sinne der ersten Alternative entschieden. Wenn man die Fortschritte des Eisenbahnwesens in Deutschland vom technischen, volkswirtschaftlichen und finanziellen Standpunkt aus betrachtet, so kann diese Entwicklung als ein grosser Erfolg einer weisen Eisenbahnpolitik bezeichnet werden. Die Kritik, die namentlich Lord Avebury in seinem Werk: „Staat und Stadt als Betriebsunternehmer“ an dem kontinentalen Staatseisenbahnsystem übt, ist wenigstens, was Deutschland anbetrifft, durchaus nicht als berechtigt anzuerkennen. Wenn auch in den Ausführungen Lord Aveburys über die Nachteile der Staatsverwaltung der Bahnen gewisse Wahrheiten liegen, (vgl. namentlich S. 122, 123 Einfluss sonderpolitischer Bestrebungen), so ist doch das Urteil, „dass die staatliche Verwaltung der Eisenbahnen ein grosses Unglück für den Kontinent“ gewesen ist, durch die Entwicklung wenigstens für Deutschland vollständig widerlegt. Jedenfalls sind die Ausführungen Lord Aveburys, der die technischen Mängel der deutschen Bahnen gegenüber den englischen und amerikanischen hervorhebt, in keiner Hinsicht begründet (vgl. über die Staatsbahnfrage v. Schönberg, Handbuch I S. 564 Sax Verkehrsmittel II S. 143 ff., Wehrmann, Die Verwaltung der Eisenbahnen, Berlin 1913 und Eisenb. Arch. 1913, S. 1).

§ 2. Das Eisenbahnwesen eines Staates kann die ihm obliegenden Aufgaben nicht erfüllen und den Staatsinteressen keinen Nutzen bringen, wenn es nicht innerhalb des einheitlichen Wirtschafts- und politischen Gebietes im Sinne des Verkehrs eine Einheit bildet. Aufgabe der Eisenbahnpolitik jedes Staates ist es daher, sein Bahnnetz, mag es sich um Staats- oder Privatbahnen handeln, zu einem einheitlichen Netz zu gestalten. Diese Einheit ist am vollkommenen in den Staaten, die nur Staatsbahnen betreiben. Ist diese materielle und formelle Einheit nicht herzustellen, so muss wenigstens die materielle Einheit durch entsprechende Ausübung des Eisenbahnhoheitsrechtes des Staates hergestellt werden. Im deutschen Reich mangelt es trotz des Überwiegens der Staatsbahnen an einer formellen Einheit, weil das deutsche Reich, obgleich nach aussen und wirtschaftlich ein [264] einheitliches Gebilde, im innerpolitischen Sinne keine Einheit ist. Die bereits erwähnten Bestrebungen nach Herstellung einer deutschen Eisenbahngemeinschaft sind ergebnislos verlaufen. Allerdings ist für den grössten Teil des Reiches auch eine formelle Vereinheitlichung der Staatsbahnen dadurch hergestellt, dass die preussischen Staatsbahnen auf Grund von Staatsverträgen sich weit über das eigene Staatgebiet erstrecken. Den ersten Schritt zu einer deutschen Eisenbahngemeinschaft sollte die Gründung der preussisch-hessischen Eisenbahngemeinschaft erstreben. Diese unkündbare Verwaltungs- und Betriebsgemeinschaft ist durch das Gesetz vom 23. Juni 1896 begründet worden.

Die Grundlage für die Betriebsgemeinschaft bildete der Ankauf und die Verstaatlichung der hessischen Ludwigsbahn auf gemeinschaftliche Rechnung des preussischen und hessischen Staates. Das Eigentum an der Bahn selbst ist aber nicht auf die Gemeinschaft als Gesamteigentum übergegangen, vielmehr hat Realteilung dahin stattgefunden, dass die in den Staatsgebieten der Vertragsstaaten belegenen Teile des Unternehmens in das Eigentum des betreffenden Staates übergegangen sind. Nur die. Materialbestände und die Betriebsmittel sind gemeinschaftliches Eigentum geworden. Zu der Betriebsgemeinschaft gehören ferner die oberhessische Bahn und die im Eigentum des hessischen Staates stehenden Nebenbahnen und seit dem mit Baden geschlossenen Staatsvertrage vom 15. September 1901 auch die Main-Neckarbahn sowie die gesamten preussischen Staatsbahnen. Neue preussische Bahnen treten unbedingt in die Gemeinschaft ein. Bei neuen hessischen Bahnen finden Unterschiede statt. In die Betriebsgemeinschaft treten sie ein, es sei denn, dass auf Wunsch Hessens eine Abweichung erfolgt. (Art. 6, Abs. 3.) In die Finanzgemeinschaft treten neu angekaufte Bahnen nur ein, wenn der Eintritt von Preussen als erwünscht bezeichnet wird. Von Hessen neu angelegte Bahnen treten in die Gemeinschaft nur auf Grund besonderer Verständigung mit Preussen (Art. 11, Abs. 3 des Vertrages).

Im Artikel 22 des Staatsvertrages ist die Aufnahme anderer deutscher Eisenbahnverwaltungen vorgesehen unter der Voraussetzung, dass die finanziellen Beziehungen nach den gleichen Grundsätzen geregelt werden. Die in einigen Einzelstaaten vorhandenen Bestrebungen nach einem Anschluss an die Gemeinschaft erhoffen von der Vereinheitlichung: bessere Verkehrsleitung durch Wegfall des Wettbewerbs, bessere Ausnutzung der gesamten Bahneinrichtungen innerhalb des grösseren Unternehmens, höhere Gewinne. Doch bestehen Bedenken: Infolge Aufgebens der eigenen Verfügungsgewalt Aufhören des Einflusses auf die Gesamtverwaltung, auf das Tarifwesen, auf die Beamtenschaft, Verkehrsverschlechterung, da die grössere Verwaltung nur am Durchgangsverkehr interessiert ist. Auch wird befürchtet, dass die grössere Eisenbahngemeinschaft dem kleineren Staat weniger rentable Linien nicht bauen wird, es sei denn dass er sie mit grossen Opfern erkauft. In den Einzelstaaten wird die formelle Einheit des Eisenbahnwesens nur durch das Vorhandensein der Privatbahnen gestört. Materiell ist ein einheitliches Eisenbahnnetz durch Gesetz oder auf Grund des Eisenbahnhoheitsrechts durch Aufnahme von Bedingungen in Konzessionen herzustellen. Staatliche Aufsicht – in Preussen durch die Präsidenten der Eisenbahndirektionen als „Eisenbahnkommissare“ – muss hinzutreten. Im Deutschen Reich ist die materielle Vereinheitlichung durch die bereits erwähnte Vorschrift des Artikels 42 der Reichsverfassung gewährleistet. Die Fürsorge für die Durchführung dieses Grundsatzes übt das Reich durch den Erlass allgemeiner Anordnungen, sowie durch Beaufsichtigung des Eisenbahnwesens aus. Als allgemeine Anordnungen, die der Einheitlichkeit dienen, sind ergangen:

Die Eisenbahnbau- und Betriebsordnung vom 4. 11. 1901, RGBl. 387,
Die Eisenbahnverkehrsordnung vom 23. 12. 1908 RGBl. 09 S. 93.
Die Signalordnung vom 24. 6. 1907 RGBl. 377, abgeändert 12. 3. 1910 RGBl. 515.
Die Eisenbahnzollordnung von 13. 12. 1912 RGBl. 1913 S. 31.

Die technische Einheit im Eisenbahnwesen im Verhältnis zum Ausland regelt das internationale Abkommen vom 25. 5. 1908 RGBl. 362. Die Reichsaufsicht wird durch das Reichseisenbahnamt geführt. Das Reichseisenbahnamt hat die Aufsicht über das Eisenbahnwesen zu führen, für die Ausführung der verfassungsmässigen und gesetzlichen Bestimmungen Sorge zu tragen, und auf die Abstellung von Mängeln und Mißständen hinzuwirken. Nähere Bestimmungen treffen [265] die einzelnen Gesetze. (BO.EVO. Eisenbahnpostgesetz). Damit das Eisenbahnamt seinen Pflichten gerecht werden kann, ist ihm die Befugnis erteilt, innerhalb seiner Zuständigkeit über alle Einrichtungen und Massregeln der Eisenbahnverwaltungen Auskunft zu fordern. In bestimmten Fällen sind die Bundesregierungen verpflichtet, Ausführungsbestimmungen zu den Reichsgesetzen und Verordnungen eisenbahnrechtlichen Inhalts dem Eisenbahnamt mitzuteilen, ebenso auch Tarife, Fahrpläne, wichtige Entscheidungen, statistisches Material. Vornehmlich muss dem Reichseisenbahnamt vor jeder Konzession einer Bahn das gesamte Material vorgelegt und seine Erklärung abgewartet werden.

Neben diese auf verfassungsmässigen Äusserungen der Reichsgewalt beruhenden Massnahmen zur Herstellung eines einheitlichen Eisenbahnnetzes sind ferner die auf freier, privater und staatsrechtlicher Übereinkunft zwischen den Eisenbahnstaaten und Eisenbahnverwaltungen beruhenden Einheitsbestrebungen getreten. Auf privater Grundlage beruht der 1846 gegründete Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen, dessen Verdienste um die Herstellung einer Verkehrs-Einheit nicht nur innerhalb des deutschen Reichs sondern auch zwischen diesem und seinen Nachbarstaaten ausserordentliche sind. Sie beruhen sowohl auf der schon vor der Gründung des Reichs herbeigeführten Einheit im Bau und Betrieb, sowie im Tarifwesen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben sind besondere Ausschüsse gebildet, denen die Vorbereitung obliegt; die Beschlussfassung erfolgt durch die Generalkonferenz. Auf einer Regelung durch Staatsvertrag beruht der Übergang der Betriebsmittel (Wagen, Lokomotiven) von einer Bahn zur andern. Schon im Jahre 1855 wurde durch den Verein Deutscher Eisenbahnverwaltungen für das Vereinsgebiet ein Vereins-Wagenübereinkommen (Regulativ) beschlossen. Die Bemühungen, eine allgemeine deutsche Betriebsmittelgemeinschaft zu begründen, sind bisher gescheitert. Jedoch ist es gelungen, seit dem 1. April 1909 alle Staatsbahnbetriebe im Reich in dem deutschen Staatsbahnwagenverband zu einigen (Güterwagengemeinschaft, Erweiterung des Preuss. Staatsbahnwagenverbandes, dem auch die Eisenbahnen Oldenburgs und Mecklenburgs angehören). Die Leitung liegt dem Eisenbahnzentralamt in Berlin ob. Zur Fortentwicklung der Vorschriften für die Bauart, Unterhaltung und Ausmusterung der Güterwagen besteht nach § 13, 5 des Übereinkommens ein Güterwagen- und ein Werkstättenausschuss, in dem alle Verbandsverwaltungen vertreten sind. Die Möglichkeit, auch im internationalen Verkehr einen Übergang der Betriebsmittel der einen Bahn auf andere fremde Strecken herbeizuführen, ist durch das bereits erwähnte Abkommen über die technische Einheit im Eisenbahnwesen gegeben.[1]

II. Finanzpolitik. Bearbeiten

§ 3. Vom privatwirtschaftlichen Standpunkte ist die Eisenbahn ein auf Erzielung möglichst hoher Gewinne gerichtetes Gewerbe (nicht im Sinne der Reichsgewerbeordnung! s. § 6 GO.). Die Privatbahnen werden auch, beschränkt allerdings durch die im Staatsinteresse gegebenen Vorschriften, als ein solches Gewerbe betrieben. Ihre Finanzverwaltung richtet sich nach ausschliesslich kaufmännischen Grundsätzen und soweit besondere Vorschriften gegeben sind, nach den Bestimmungen des HGB. (Bilanz-Reservefonds der A. Gesellschaften, Abschreibungen).

Für die staatlichen Bahnen ist in neuerer Zeit mehr und mehr der Grundsatz durchgedrungen, dass die Eisenbahnen den Charakter öffentlicher Strassen und Verkehrsanstalten haben. In Betreff der öffentlichen Strassen war aber allmählich die Auffassung herrschend geworden, dass der Staat sie nicht als Finanzquelle (Regal) zu benutzen, sondern nur das Wegehoheitsrecht, d. h. das Recht der Gesetzgebung und Aufsicht über sie zum Zwecke der Förderung des öffentlichen Verkehrs, auszuüben und daher soweit der Staat selbst Eigentümer der Strassen sei, aus deren Benutzung nur die Ausgaben zu decken, nicht Einkünfte zu ziehen habe.

Jener staatsrechtliche Grundsatz ist aber freilich bisher noch nicht zur vollen Anerkennung und Durchführung gelangt. Das preuss. Eisenbahngesetz vom 3. 11. 1838 (G.S. 1838, S. 505–516) stand zwar auf dieser Basis. Denn im § 8 N. 5 l. c. wird die Eisenbahn als eine öffentliche Strasse [266] bezeichnet, welche zur allgemeinen Benutzung dienen soll. Im § 40 wird vorgeschrieben, dass nach vollendeter Amortisation dem Unternehmen eine solche Einrichtung gegeben werden soll, dass der Ertrag des Bahngeldes die Kosten der Unterhaltung der Bahn und der Verwaltung nicht übersteige. Dem widersprach auch nicht, dass im § 36 der Staat den Bahnen eine Reihe unentgeltlicher Leistungen zugunsten des staatlichen Postbetriebs und im § 38 eine Abgabe auferlegte. Denn beide Auflagen waren, wie die Entstehungsgeschichte des Gesetzes und die §§ 38/39 ergeben, lediglich dazu bestimmt, den Staat für die ihm durch die Eisenbahnen an Posteinkünften entzogenen Einnahmen zu entschädigen und das Anlagekapital der Eisenbahnen zur Herbeiführung des im § 40 bezeichneten Zweckes zu amortisieren. Aber dieser Grundsatz wurde später verlassen. Durch das Gesetz vom 21. Mai 1859 (G.S. 1859 S. 243) wurde die Eisenbahnabgabe ihrem ursprünglichen Zweck entzogen und den Staatseinkünften zugeführt. Die Auflage unentgeltlicher Leistungen der Eisenbahnen zugunsten der Post wurde auch dann nicht beseitigt, als es sich herausstellte, dass der Post durch die Eisenbahnen nicht nur keine Einnahmeverluste, sondern namhafte Mehreinnahmen erwuchsen. Als ferner der Staat eigene Bahnen in Betrieb nahm, beschränkte er sich nicht darauf, das Eisenbahnhoheitsrecht auszuüben und ihm eine solche Einrichtung zu geben, dass die Einnahmen die Ausgaben deckten, sondern führte die Überschüsse den Staatseinkünften zu.

Ebenso ist im Deutschen Reiche jener Grundsatz nicht durchgeführt. Neben den reinen Herrschaftsrechten der Aufsicht und Gesetzgebung betreibt das Reich eigene Eisenbahnen in gleicher Weise, wie die Einzelstaaten ihre Staatsbahnen, d. h. unter Zuführung der Überschüsse zu den Reichseinkünften. Ferner hat die Reichsverfassung und Gesetzgebung den deutschen Eisenbahnen unentgeltliche Leistungen zugunsten der Reichs- Post-, Telegraphen, Militär- und Zollverwaltung auferlegt, die eine Vermehrung der Reichseinnahmen durch den Betrieb der Eisenbahnen herbeiführen.

Gleichwohl zeigt sich ein Unterschied von den privatwirtschaftlich betriebenen Unternehmungen darin, dass ungeachtet der Minderung der Einnahmen auf Anforderungen der öffentlichen Wohlfahrt in höherem Masse Rücksicht genommen wird (z. B. Bau strategischer, sowie unrentabler Linien für abgelegene Landesteile, Bewilligung von Notstands- und Ausnahmetarifen usw.).

§ 4. Der völlige Aufbau des Haushaltetats auf den Einnahmen der grossen Betriebsverwaltungen, insbesondere der Eisenbahnen, birgt die besondere Gefahr in sich, dass die Balanzierung des Etats in grosse Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Konjunktur gerät. Das Ziel der Eisenbahnfinanzpolitik ist es daher, auf eine möglichste Stabilisierung des Etats hinzuwirken. Zugleich muss auch Vorsorge getroffen werden, dass durch die Inanspruchnahme der Überschüsse dem Eisenbahnetat die Bereitstellung der Mittel für die Erweiterung der Anlagen der Eisenbahnverwaltung nicht erschwert wird. Das wäre aber der Fall, wenn man ohne Ansammlung eines Fonds für die Erneuerung und Erweiterung der Anlagen den Überschuss lediglich in den allgemeinen Staatshaushalt fliessen lässt. Solche Sicherheits- und Reservefonds bestehen in Mecklenburg, gespeist durch die halben Betriebsüberschüsse bis zur Höhe von 10% der Eisenbahnschuld, in Sachsen, Württemberg und Bayern.[2]

In Preussen[3], wurden die Nachteile einer allzugrossen Abhängigkeit der Eisenbahn von dem allgemeinen Etat bald nach der Verstaatlichung fühlbar. Es wurde gleichfalls zuerst der Weg der Schaffung eines Reservefonds eingeschlagen, indem das Eisenbahngarantiegesetz vom 22. 3. 1882 bestimmte, dass ein Fonds geschaffen werden sollte, dem die Reinerträge der Staatsbahnen nach Abzug der Zins- und Amortisationsverpflichtungen aus den Verstaatlichungsverträgen und nach Abzug von 2,2 Millionen Mark zur Deckung eines etwaigen Fehlbetrages im Staatshaushalt zufliessen [267] sollten. Der Fonds kam aber tatsächlich nicht zustande, vielmehr wurden die von Jahr zu Jahr steigenden Überschüsse zur Deckung der anderweiten Mindereinnahmen des Staatshaushalts verwendet. Nach einem wirkungslosen Versuch einen mit 20 Millionen dotierten Fonds der Eisenbahnverwaltung zu gründen, wurde seit dem Jahre 1892 wenigstens erreicht, dass eine den Bedürfnissen der Eisenbahnverwaltung entsprechende Dotierung des Extraordinariums, des Etats aus den laufenden Mitteln stattfand. Dadurch wurde ein erheblicher Teil der besonderen Bedürfnisse der Eisenbahn aus eigenen Überschüssen gesichert, und ermöglicht, dass Ergänzung des Bahnnetzes, soweit möglich, aus den laufenden Einnahmen erfolgte.

Andererseits reichte diese Regelung nicht aus, die Nachteile des Schwankens der Einnahmen des Eisenbahnetats für den allgemeinen Etat auszugleichen. Dies wurde durch das Gesetz betreffend die Bildung eines Ausgleichsfonds für die Eisenbahnverwaltung vom 3. Mai 1903 versucht. Der Ausgleichfonds sollte geschaffen werden aus dem über die gesetzliche Tilgung von 3/5% noch verbleibenden Überschüsse des Etats bis zu einem Höchstbetrage von 200 Millionen. Der Fonds, der noch bis zum Jahre 1909 den sogenannten Dispositionsfonds von 30 Millionen zu speisen hatte, konnte aber nicht ausreichend dotiert werden. Seit dem Jahre 1910 wird (als Versuch auf 5 Jahre) entsprechend einer Resolution des Landtages dem Ausgleichfonds ausser den rechnungsmässigen Überschüssen des Staatshaushalts der Betrag des reinen Überschusses der Eisenbahnverwaltung durch den Etat zugeführt, der 2,10% des jeweiligen statistischen Anlagekapitals (1909 10 Milliarden Mark) der preussischen Staatsbahn übersteigt und zwar auch dann, wenn der Fonds den Betrag von 200 Millionen erreicht hat. Ferner ist gleichfalls einer Resolution des Landtags entsprechend eine Begrenzung des Extraordinariums vorgesehen. Erweiterungen und Ausbauten können (in Abweichung von dem Grundsatz von 1892) aus Anleihen entnommen werden, wenn dabei das Extraordinarium nicht unter 120 Millionen Mark (oder 1,15% des Anlegekapitals) sinkt. Muss gleichwohl ein höheres Extraordinarium eingestellt werden, so muss der überschiessende Teil auf den Ausgleichfonds oder auf sonstige Staatsmittel angewiesen werden.

In Hessen ist beim Abschluss des gemeinschaftlichen Vertrages mit Preussen ein Ausgleichsfonds gebildet worden, in den ein Teil der Überschüsse fliesst.

Die Bedeutung der Einkünfte des Eisenbahnwesens für die allgemeinen Staatsfinanzen ergibt die in der Reichsstatistik enthaltene Gegenüberstellung der Erwerbseinkünfte der Staaten aus Eisenbahnen und anderen Betrieben des Staates. Nach den Voranschlägen für 1912 betrug in Preussen der Reinertrag der Staatseisenbahnen 539 954 000 M., gegenüber einem Reinertrag aus anderen Erwerbseinkünften von 118 000 000 M. In Bayern 93 822 000 M., gegen 52 471 000 M., in Sachsen 44 008 000 M., gegen 15 020 000 M. In Baden 29 869 000 M. gegen 5 479 000 M. Im Deutschen Reich mit seinem geringeren Eisenbahnnetz treten die Einnahmen aus dem Eisenbahnwesen erklärlicherweise zurück.

III. Verkehrspolitik. Bearbeiten

§ 5. Das Interesse des Staates erfordert, dass sein Eisenbahnnetz den Anforderungen entspricht, die geeignet sind, sowohl den allgemeinen politischen Interessen wie den Interessen seiner Bewohner (Förderung der Wirtschaft, Versorgung mit Lebensmitteln) zu dienen. Die Herstellung einer glatten Abwickelung der Beförderung, sowie die möglichste Verkürzung ihrer Zeitdauer ist die Hauptaufgabe der staatlichen Verkehrspolitik.

Solange der Eisenbahnverkehr seine jetzige Bedeutung noch nicht erlangt hatte, waren die Eisenbahnen wie alle anderen Frachtführer lediglich den allgemeinen Normen der einzelnen deutschen Landesrechte über das Frachtrecht unterworfen. Wenn nicht zwingende Rechtssätze hiernach eine Abänderung der frachtrechtlichen Bestimmungen ausschlossen, setzte die Eisenbahn selbständig die Bedingungen fest, unter denen sie die Frachtgeschäfte abzuschliessen gewillt war, und zwar alsbald in der Weise, dass jede Verwaltung für ihren Bezirk und Betrieb allgemeine Grundsätze aufstellte, auf Grund deren sie sich zum Kontrahieren bereit erklärt. Diese Lokalreglements reichten aber nicht aus, um dem Bedürfnisse des Verkehrs gerecht zu werden. Der Absender war genötigt, sobald bei einem weiteren Transport die Bahnstrecke der ersten Eisenbahn überschritten wurde, mit der anschliessenden Eisenbahn einen neuen Vertrag zu schliessen. Die damit [268] verbundene Umladung verzögerte den Verkehr. Es machte sich daher das Bestreben geltend, die direkte Abfertigung zu ermöglichen. Dahin gehörte die Beförderung mittels durchgehenden Frachtbriefes, beim Personenverkehr die Einführung direkter Fahrkarten, direkter Tarife usw. Das endliche Ziel dieser Entwickelung war die Aufstellung einheitlicher Transportbedingungen durch Herausgabe gleichartiger Betriebsreglements (Verbandsreglements). Der V.D.E. gab 1847 ein Güter- und ein Personenvereinsreglement heraus. Die erste gesetzliche Regelung des Eisenbahntransportrechts erfolgte durch das Allg. D. Handelsgesetzbuch. Durch die Gründung des Norddeutschen Bundes und später des Deutschen Reiches wurde dieses gemeines Recht des Deutschen Reichs. Ferner erhielt das Reich eine weitgehende Zuständigkeit auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens, indem § 45 bestimmte, dass baldigst auf allen Eisenbahnen übereinstimmende Betriebsreglements eingeführt werden sollten. Diese Forderung wurde dadurch erfüllt, dass der Bundesrat (für den Norddeutschen Bund) am 10. Juni 1870 ein Betriebsreglement für die Eisenbahnen im Norddeutschen Bunde einführte und nach der Gründung des Reiches mit dem 1. Januar 1872 auf alle Eisenbahnen im Reiche ausdehnte. (1874 revidiert.)

Für den inneren deutschen Verkehr wurde eine neue Verkehrsordnung für die Eisenbahnen Deutschlands am 15. November 1892, mit Geltung vom 1. Januar 1893 eingeführt. Dem am 1. 1. 1900 in Kraft getretenen HGB., dessen Bestimmungen das Frachtrecht in wesentlichen Punkten umgestalteten, folgte am 26. Oktober 1899 eine neue Eisenbahnverkehrsordnung (RGBl. 99 S. 557ff.) mit Geltung vom 1. Januar 1900, die jetzt wiederum durch die am 1. April 1909 in Kraft getretene EVO. vom 23. Dezember 1908 (RGBl. 1909 S. 93) ersetzt worden ist. Die EVO. ist dadurch, dass das HGB. selbst die Regelung bestimmter Gegenstände der Verkehrsordnung überweist, eine gesetzesgleiche Rechtsverordnung geworden.[4]

Die tarifarischen Bestimmungen der Verwaltungen zu den beiden Rechtsverordnungen haben nur reglementarische und keine gesetzesähnliche Kraft. Änderungen der EVO. können nur endgültig vom Bundesrat erfolgen; jedoch kann das Reichseisenbahnamt vorläufige oder vorübergehende Änderungen einzelner Vorschriften der EVO. allgemein oder für bestimmte Bahnstrecken oder Verkehrsbeziehungen im Einverständnis mit der Landesaufsichtsbehörde verfügen. Derartige Verfügungen werden im Reichsgesetzblatt veröffentlicht und im Reichsanzeiger bekannt gemacht.

Die Zunahme des Verkehrs drängte allmählich zu einer Regelung des internationalen Güterverkehrs auf der Grundlage eines Staatsvertrages. Diese Regelung erfolgte auf Anregung der Schweiz (1876) nach drei Konferenzen im Jahre 1890 durch die Berner Konferenz. Die Konferenz, an der Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Russland und die Schweiz beteiligt waren, beschloss am 14. Oktober 1890 das internationale Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr,[5] welches im wesentlichen auf den eisenbahnfrachtrechtlichen Normen des deutschen und französischen Rechts beruht. Das Übereinkommen trat am 1. Januar 1893 in Kraft. Das letzte Zusatzübereinkommen datiert vom 19. September 1906. Es enthält eine Reihe wesentlicher Abänderungen der Vereinbarung und ist am 22. Dezember 1908 in Kraft getreten. Die Revision findet alle 5 Jahre statt. Der Beitritt neuer Staaten erfolgt durch Anmeldung bei der schweizerischen Regierung. Beigetreten sind bisher Dänemark, Norwegen, Schweden, Rumänien, Bulgarien. Bereits unterm 30. Mai 1911 abgeschlossen, aber noch nicht ratifiziert, ist ein Int. Üb. über die Beförderung von Personen und Reisegepäck.

Seit dem Jahre 1902 besteht das internationale Transportkomitee, das für den internationalen Verkehr dieselbe Tätigkeit ausübt, wie die Generalkonferenz im Geltungsgebiete der Verkehrsordnung (§§ 2 u. 7). Dieses Komitee hat einheitliche Zusatzbestimmungen zu dem Übereinkommen ausgearbeitet, welche von sämtlichen Eisenbahnen – mit Ausnahme der russischen – eingeführt sind.

§ 6. Von besonderer Wichtigkeit ist die Verkehrsleitung (Instradierung). Während im Personenverkehr selbstverständlich dem Reisenden allein die Wahl des Weges auf Grund des Fahrplans [269] freisteht, bedarf es für den Güterverkehr einer Regelung. Entscheidend ist auch hier in erster Linie die Bestimmung oder das Interesse des Versenders. Setzt dieser auf den – Frachtbrief eine Wege-(Routen-)Vorschrift, so geht es nach dieser; fehlt eine solche, so geht es nach den sog. Verkehrsleitungsvorschriften (d. i. besonderen Bestimmungen der Verwaltungen für den internen Dienst). Der Berner Vertrag enthält in Art. 6 bestimmte Vorschriften über die Verkehrsleitung im internationalen Verkehr. – Im Anschlussverkehr mehrerer Bahnen tritt natürlich das Bestreben jeder Verwaltung hervor, den Transport möglichst weit über die eigenen Linien zu leiten, um einen grösseren Anteil in der Gesamtfracht zu erzielen. Dies führt zu vielfachen Konkurrenzkämpfen, die oft schon in der Öffentlichkeit, speziell in den Parlamenten Anlass zu Klagen und Angriffen gegeben haben. Zur Vermeidung solcher Konkurrenzkämpfe sind unter den Nachbarverwaltungen Verkehrsleitungsverträge üblich, welche entweder ganz allgemein oder für einzelne Relationen Normen aufstellen, wieweit Umleitungen zulässig sein sollen, und wie überhaupt der Verkehr geleitet werden soll. Die aus diesem Wettbewerb entspringenden Übelstände gehören zu den hauptsächlichsten Gründen, die für eine weitere Vereinheitlichung der deutschen Bahnen angeführt werden. Die normale Linie für den Verkehr ist die sog. tarifbildende, d.h. die kürzeste, nach welcher der Tarif berechnet wird.

IV. Tarifpolitik. Bearbeiten

§ 7. Unter Eisenbahntarif wird im weiteren Sinne das Verzeichnis der Bedingungen verstanden, unter denen eine Eisenbahn ihre Transportgeschäfte abzuschliessen sich bereit erklärt. Im engeren Sinne versteht man darunter das Verzeichnis der Beförderungspreise. Die Regelung der Beförderungspreise bildet eine überaus wichtige Frage der Eisenbahnpolitik. Von der Höhe der Beförderungspreise ist zum grossen Teile der Preis und Absatz der Waren und Fabrikate und somit die Entwickelung der Industrie, des Handels und der Landwirtschaft abhängig. Allzu hohe Beförderungspreise wirken wie Ausfuhrzölle und schädigen den Absatz inländischer Ware auf dem ausländischen Markte. Anderseits muss bei der Abmessung der Preise darauf Rücksicht genommen werden, dass die Rentabilität und Leistungsfähigkeit der Bahnen gewahrt bleibt. Es gehört hiernach zu den wichtigsten Aufgaben des Staats, das Tarifwesen der Eisenbahnen dem Bedürfnis des öffentlichen Verkehrs entsprechend zu regeln und zu beaufsichtigen.

Die Tarifpolitik des Staates ist nach zwei Richtungen zu betrachten: einmal in der Staatsbahnverwaltung als Festsetzung der Grundsätze, nach denen der Staat das Entgelt für die Leistungen oer eigenen Verwaltung bestimmt, zweitens gegenüber den Privatbahnen als Festsetzung der Grundsätze, nach denen der Staat in Ausübung seiner Tarifhoheit bei Kontrolle über die Tarife der Privatbahnen verfährt. In erster Hinsicht stehen sich zwei Prinzipien gegenüber: das fiskalische, wonach der Staat die Bahnen nach gewerblichen Grundsätzen als ein möglichst gewinnbringendes Unternehmen verwaltet, und das gemeinwirtschaftliche, nach welchem der Staat mit der Verwaltung der Bahnen in erster Linie dem allgemeinen Nutzen, der wirtschaftlichen Entwickelung des ganzen Staates dienen will. Letzteren Falles wird weniger auf Erzielung höherer Überschüsse gesehen, als auf Befriedigung wirtschaftlicher Wünsche der Allgemeinheit oder einzelner Gegenden oder Stände auch unter finanziellen Opfern. Im deutschen Staatsbahnwesen sucht man, soweit die Finanzlage der Staaten es gestattet, das gemeinwirtschaftliche Prinzip zu verwirklichen, wiewohl mit der Begrenzung, dass jedenfalls die Verwaltung ausser den Betriebskosten Verzinsung und angemessenen Schuldabtrag aufzubringen hat. – Nach welchen Grundsätzen der Staat den Privatbahnen gegenüber seine Tarifhoheit ausübt, d. h. wie weit er ihnen Tariffreiheit lässt, dafür lassen sich allgemeine Regeln nicht wohl aufstellen, vielmehr kommen hier die verschiedensten Gesichtspunkte in Betracht, je nach den besonderen Verhältnissen der einzelnen Staaten.

Man unterscheidet folgende Gütertarifsysteme: 1. Raumsystem (das ist Gliederung des Tarifs nach der Transportleistung der Bahn: bestimmter Einheitssatz für eine Gewichts- und Streckeneinheit, z. B. für 1 t und 1 km: x Pf.); 2. das Wertsystem (Bemessung nach dem Werte (Verkehrs-Handelswert) der Gegenstände); 3. das gemischte System, welches beide vereinigt. Man unterscheidet ferner: Normaltarife, d. h. Tarife, die nach normalen Einheitssätzen gebildet sind, und Ausnahmetarife, die von dem allgemeinen Schema abweichen. Unter Differenzialtarifen versteht man Tarife, deren Einheitssätze sich je nach der Länge der Beförderungsstrecke verringern, [270] z. B.: Fracht für 1 bis 100 km 2 Pf. pro km. über 100 km 1,5 Pf. (Zonentarif). Diese Tarife begünstigen den Transport auf weite Entfernungen. Sie können, wenn die Fracht sich dahin differenziert, dass bei dem Überschreiten einer Entfernungsgrenze sich die Ermässigung der Frachteinheit auf die ganze Strecke bemisst, dahin führen, dass die Beförderung nach einer näheren Station teurer ist, als nach einer weiter gelegenen. Es entstehen dann die sog. Frachtdisparitäten.

Im Deutschen Reiche besteht für den Güterverkehr eine formelle Tarifeinheit, d. h. die Tarife sind nach einem einheitlichen Schema gebildet, dagegen materielle Tarifverschiedenheit, d. h. die Einheitssätze sind verschieden, so dass die Gütertransportpreise der einzelnen Eisenbahnen von einander abweichen. Der Personentarif ist formell und seit dem 1. Mai 1907 auch im wesentlichen materiell einheitlich geregelt, eine Abweichung ist nur durch die Nichteinführung der vierten Wagenklasse in Süddeutschland bestehen geblieben. Aber weder die Einheitlichkeit des Güter-, noch des Personentarifs besteht auf Grund gesetzlichen Zwangs, sie hat vielmehr nach beiden Richtungen eine lediglich vertragliche Grundlage.

Der Versuch das Tarifwesen im Reiche gesetzlich zu regeln, ist bisher gescheitert. Das Reich begnügt sich daher mit der ihm durch die Reichsverfassung zugestandenen Aufsicht über das Tarifwesen (RV. Art. 45). Das dem Kaiser verliehene Recht, auf Vorschlag des Bundesratsausschusses für Eisenbahnen, Posten und Telegraphen im Falle von Notständen einen dem Bedürfnis entsprechenden niedrigen Spezialtarif für Getreide, Mehl, Hülsenfrüchte und Kartoffeln einzuführen (Art. 46 RV.), ist bisher nicht ausgeübt worden. Nur für die Militär- und Postzwecke hat die Gesetzgebung des Reichs in das Tarifwesen eingegriffen.

Das Reich übt die Kontrolle über das Tarifwesen durch das Reichseisenbahnamt aus (S. oben Einl. § 2). Diesem haben die Eisenbahnen regelmässig Berichte über ihre tarifarischen Massnahmen vorzulegen.

Eine Festsetzung des Tarifes durch den Staat findet in der Regel nur bei Staatsbahnen statt. Die Privatbahnen haben unbeschränkte Autonomie, jedoch sichert sich der Staat in den Konzessionen einen erheblichen Einfluss, wobei Neben- und Kleinbahnen freier als Hauptbahnen gestellt werden. Die frühere Bestimmung des preussischen Eisenbahngesetzes, wonach die Eisenbahnen für die ersten drei Jahre den Tarif frei, später nur so hoch festsetzen durften, dass der Reinertrag an Zinsen und Gewinn nicht mehr als 10% des Anlagekapitals betrüge, hat keine praktische Bedeutung erlangt.

Die Grundlage eines einheitlichen Tarifsystems in Deutschland bildeten die Tarifverbände, die zuerst nur die nord- und westdeutschen Bahnen umfassten. Den Bemühungen Preussens gelang es aber, in den Jahren 1874–77 die sämtlichen deutschen Eisenbahnen unter ein formell einheitliches Tarifsystem zu bringen. Die Wahrung der Tarifeinheit ist die Aufgabe der Generalkonferenz des VDE. Zur Vorbereitung ihrer Beschlüsse dient die ständige Tarifkommission und der Ausschuss der Verkehrsinteressenten. Die ständige Tarifkommission besteht aus Delegierten der Eisenbahnverwaltungen. Der Ausschuss der Verkehrsinteressenten setzt sich aus Angehörigen der Landwirtschaft (bezeichnet durch den deutschen Landwirtschaftsrat) und des Handels und Gewerbes (bezeichnet von dem deutschen Handelstage) zusammen. Ein Mitglied ernennt die bayerische Regierung. Die für die deutschen Eisenbahnverwaltungen massgebenden Tarife enthalten:

der deutsche Eisenbahn-, Personen- und Gepäcktarif,
der deutsche Eisenbahntarif für die Beförderung von lebenden Tieren,
der deutsche Eisenbahngütertarif.

Bei der Wichtigkeit des Tarifwesens für alle Gebiete des Wirtschaftslebens ist es Aufgabe der Eisenbahnpolitik, jede bureaukratische Schematisierung zu vermeiden und Handel, Industrie und Landwirtschaft in gleicher Weise einen Einfluss auf die Gestaltung der Tarife zu sichern. In Preussen-Hessen dient diesem Zwecke der Bezirks- und der Landeseisenbahnrat. Diesem ist ein Einfluss dadurch gesichert, dass ihm die allgemeinen Bestimmungen über die Anwendung der Tarife und die Anordnungen wegen Zulassung oder Versagung von Ausnahme- und Differenzialtarifen zur Äusserung vorzulegen sind. Ähnliche Einrichtungen bestehen in Bayern, Württemberg (Beirat d. Verkehrsanstalten) und Baden. Auch dem Landtag kommt in Preussen ein Anteil an der Feststellung der Frachtgebühren zu, denn nach § 20 des Landeseisenbahnratsgesetzes können Erhöhungen der Normal- (Maximal) gebühren der einzelnen Klassen des Gütertarifschemas nur durch [271] Gesetz erfolgen, soweit sie nicht zwecks Herstellung der Gleichmässigkeit der Tarife oder infolge einer Änderung des Gütertarifschemas geschehen.

V. Beamten- und Arbeiterwesen. Bearbeiten

§ 8. Die grossen Aufgaben, die der Eisenbahn, zunächst der Staatseisenbahn im Interesse des Staates und seiner Bevölkerung zur Lösung zufallen, verlangen vor allem neben der technischen Vervollkommnung der Betriebsmittel ein geschultes und verlässliches Personal sowohl für die Verwaltung, wie für den eigentlichen Betrieb. Bei den Staatsbahnen hat man zwischen den als öffentliche Beamte und im Privatdienste angestellten zu unterscheiden. Zu der letzten Klasse gehören namentlich die für die Aufrechterhaltung des Betriebes unentbehrliche grosse Zahl der Arbeiter. Bei den deutschen Eisenbahnen waren 1912 im Jahresdurchschnitt 263 528 etatsmässige, 20 031 diätarische Beamte und 429 628 Arbeiter, zusammen also 713 187 Personen beschäftigt.

Unter den Beamten sind zu unterscheiden: die probeweise Beschäftigten (ausseretatsmässig), die auf Kündigung angestellten und die unkündbaren Beamten. Die Anstellung der Beamten erfolgt vielfach zunächst auf Probe, für die Folgezeit auf Kündigung, zuletzt, soweit zulässig, lebenslänglich. Die Einteilung in höhere, mittlere und Unterbeamte findet sich auch in der Eisenbahnverwaltung. Zu den höheren Beamten zählen die Beamten mit akademischer Bildung (Juristen, höhere Verwaltungsbeamte, Techniker mit Hochschulbildung), für die mittleren Beamten ist nur bureaumässige Ausbildung erforderlich. Für die Unterbeamten ist keine Fachbildung nötig. In ihre Stelle einzurücken steht zum Teil auch bewährten Arbeitern offen. Die Massnahmen einer sachentsprechenden Einrichtung des Beamten- und Arbeiterwesens in der Eisenbahnverwaltung müssen sich vornehmlich nach zwei Richtungen erstrecken, einmal nach der Richtung einer Gewähr für die Aufrechterhaltung, zum zweiten aber nach der Richtung der möglichsten Sicherheit des Betriebes. In der ersten Beziehung haben namentlich die Wirtschafts- und politischen Kämpfe der Gegenwart die Frage nahegelegt, ob die deutsche, besonders die preussische Eisenbahnverwaltung gegen die in anderen Ländern schon vorgekommene Lohnbewegung durch allgemeine oder teilweise Arbeitseinstellung und ihre Nebenerscheinungen (Sabotage) hinreichend gerüstet ist. Wenn auch der Massenstreik als ein sicheres politisches Kampfmittel gegenwärtig von der Sozialdemokratie verworfen worden ist, wird, namentlich in politisch erregten Zeiten ein Streik der Eisenbahner auch in Deutschland für möglich gehalten werden müssen (namentlich zur Verhütung eines unpopuläreren Krieges). Für diesen Fall – selbstverständlich nicht zur blossen Vereitelung eines Lohnkampfes – wird deshalb eine hinreichende Ausbildung von Soldaten, Unteroffizieren und Offizieren für den Eisenbahndienst nicht umgangen werden können. Gegenwärtig sucht man den Gefahren einer Propaganda revolutionärer Ideen durch entsprechende Verbote, namentlich auch gegen jede Beteiligung an Vereinen und Verbänden mit einer die jetzigen Grundlagen des Staatswesens bekämpfender Tendenz zu begegnen. Die damit verbundene Beschränkung des Koalitionsrechtes der Arbeiter und Beamten ist häufig Gegenstand der Beschwerden in den Parlamenten. Abgesehen von der Bekämpfung destruktiver Tendenzen darf freilich, wie dies auch von den Verwaltungen stets versichert wird, ein Einfluss auf die Beamten und Arbeiter im Sinne der Betätigung einer bestimmten politischen Meinung nicht ausgeübt werden. Unter den auf dem Boden der gegenwärtigen Staatsordnung stehenden Richtungen sind die konservativen (christlich-national; Elberfelder und Trierer Verband) und die liberalen (Hirsch-Dunckersche Vereine) zu unterscheiden. Den Beamten und Arbeitern muss auch in der Eisenbahnverwaltung der Zusammenschluss zu Vereinen und Verbänden jedenfalls insoweit völlig frei stehen, als diese Vereine lediglich die Interessen der Hebung des Standes und der wirtschaftlichen Lage zum Gegenstände haben, freilich immer soweit die Disziplin dabei keine Gefahr erleidet. Die Eisenbahnvereine der preussisch-hessischen Staatsbahnen sind in einem Verbande vereinigt, dem 1910 754 Vereine mit zusammen 435 682 Mitgliedern angehörten. Der Verein der mittleren Staatseisenbahnbeamten der preussisch-hessischen Staatseisenbahnen zählte 1910: 151 Ortsgruppen mit 10 389 Mitgliedern; auch in Bayern, Württemberg und Baden bestehen gleichartige Vereine, die untereinander in einem gewissen Kartellverhältnis stehen.

Erfordert die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung des Betriebes in erster Reihe das Vorhandensein und die Tätigkeit der notwendigen Zahl pflichttreuer Angestellter, so nötigt die Erhaltung [272] der Betriebssicherheit zu dem Erfordernis einer besonderen Schulung und Ausbildung der mit dem Betriebe unmittelbar befassten Beamten. Die über die Aufrechterhaltung der Sicherheit des Betriebes erlassenen Vorschriften betreffen sowohl Staats-, wie Privatbahnen, weil ja ersichtlich hier (anders als bei den vorher erwähnten Vorschriften über die politische Tätigkeit der Beamten im staatsfeindlichen Sinne) der Staat nicht nur um seines Bestandes, sondern um der Sicherheit jedes Benutzers der Eisenbahn willen einzugreifen hat.

Unter Betriebsbeamten versteht die Bau- und Betriebsordnung nachstehende Personen: 1. die die Unterhaltung und den Betrieb der Bahn leitenden und beaufsichtigenden Beamten; 2. Bahn- und Betriebskontrolleure; 3. Stationsvorsteher, Aufseher, Fahrdienstleiter; 4. Bahn- und Telegraphenmeister; 5. Rottenführer; 6. Weichensteller; 7. Block-, Bahn- und Schrankenwärter; 8. die Zugbegleitungsbeamten; 9. Betriebswerkmeister; 10. Lokomotivführer und Heizer; 11. Rangier- und Wagenmeister. Es gelten für sie, mag es sich um Beamte der Staats- oder Privatbahnen handeln, die besonderen Bestimmungen über die Befähigung von Eisenbahnbetriebs- und Polizeibeamten vom 3. April 1908 (RGBl. S. 134), abgeändert 10. 7. 11 RGBl. 475. Die Betriebsbeamten müssen bei der ersten Zulassung zur selbständigen Wahrnehmung des Dienstes mindestens 21 Jahre alt sein und dürfen das 40. Lebensjahr nicht überschritten haben. Ausnahmen sind zugelassen bei Eisenbahninvaliden, die als Bahnsteigschaffner, Schrankenwärter, Wächter und Pförtner auch später zugelassen werden können. Ebenso können über 40 Jahre alte Frauen als Schranken- und Haltepunktwärter angestellt werden.

Die Betriebsbeamten müssen unbescholten sein, die für den Dienst nötige körperliche Rüstigkeit und Gewandtheit und ein ausreichendes Hör-, Seh- und Farbenunterscheidungsvermögen besitzen. Sie müssen fertig lesen, schreiben und mit dem Fernsprecher umgehen können. Mit den Dienstvorschriften müssen sie vertraut sein.

Die Vorschriften gelten für das ganze Reich. In die gleiche Klasse der Vorschriften gehören auch die gleichfalls einheitlich geregelten Bestimmungen über die planmässige Dienst- und Ruhezeit der Eisenbahnbetriebsbeamten, die auf Vereinbarungen der Bundesregierungen beruhen und auf alle Beamten Anwendung finden, auf welche sich die Bestimmungen über die Befähigung als Eisenbahnbetriebsbeamter erstrecken. Nach diesen Bestimmungen soll der Dienst der Stationsbeamten (Vorsteher, Aufseher, Assistenten usw.) täglich 8 Stunden bei angestrengtem Dienst, sonst 12 Stunden nicht überschreiten. Das Bahnbewachungspersonal darf 14 Stunden hintereinander beschäftigt werden, das Zugbegleitungspersonal im monatlichen Durchschnitt täglich 11 Stunden (einzelne Dienstschicht nicht mehr als 16 Stunden), Lokomotivpersonal durchschnittlich 10, im einzelnen nicht mehr als 16 Stunden. Die Länge der Ruhepausen ist für die einzelnen Kategorien entsprechend geregelt. Jedenfalls müssen den Beamten mindestens zwei Ruhetage (je 24 zusammenliegende Stunden) im Monat gewährt werden. Diese Vorschriften fallen zum gewissen Teil gleichzeitig in das Gebiet der Fürsorge für die Bahnangestellten, auf die sich ebensowohl aus sozialem Empfinden heraus wie aus der Erwägung der Notwendigkeit der Erhaltung eines arbeitsfreudigen, zufriedenen Personals die Aufgaben der Eisenbahnverwaltungen in besonders hohem Grade richten muss. Abgesehen von der reichsrechtlich geordneten Fürsorge (sozialpolitische Gesetzgebung), die zum Teile, wenigstens im Bereiche der preussisch-hessischen Eisenbahngemeinschaft, eine besondere Ausgestaltung (Arbeiterpensionskassen) als besonders zugelassene Einrichtungen der Invalidenversicherung mit besonderen Veranstaltungen für die Gewährung von Heilstättenpflege erfahren hat, ist auch anderweit für die Beamten und Arbeiter Fürsorge getroffen. Hierher gehören Beiträge an Wohlfahrtsvereine wie z. B. zu Spar- und Darlehnskassen, Vorschusskassen, zu Einrichtungen der Kleinkinderfürsorge und Krankenpflege an kleinen Orten mit zahlreichem Eisenbahnpersonal (Aufwand im Jahre 1911 109 250 Mark) und Beiträge zu Genesungsheimen der Beamten und Arbeitervereine (Aufwand 1911: 50 000 Mark). Einschliesslich der gesetzlichen Pensionen, Witwen- und Waisengelder sind in Preussen-Hessen im Jahre 1911 102 410 392 M. für Wohlfahrtszwecke ausgegeben worden.[6] Nicht eingerechnet sind hierbei die Einrichtungen für das Beamtenwohnungswesen. In dieser Beziehung geht das Bestreben dahin, im Interesse der Beamten Dienstwohnungen anzuweisen. Im Jahre 1911 betrug die Zahl der Dienstwohnungen der Beamten im [273] Bereiche der preussisch-hessischen Eisenbahn-Gemeinschaft 30 361, immerhin einen geringen Prozentsatz des wirklichen Bedarfes, der durch Wohnungsgeldzuschüsse ersetzt wird. (56 907 208 M., die 30 361 Wohnungen ersetzten einen Wohnungsgeldzuschuss von 8 146 408 also 1/7.) Vor allem die Unterbringung der gering besoldeten Beamten und der Arbeiter in geeigneten Wohnungen lässt sich (namentlich in Preussen) der Staat durch Bereitstellung von Mitteln zur Förderung des Kleinwohnungsbaues für diese Kategorien von Angestellten angelegen sein.

VI. Kleinbahnwesen. Bearbeiten

§ 9. Eisenbahnen, die wegen ihrer geringen Bedeutung für den allgemeinen Eisenbahnverkehr den für Haupt- und Nebenbahnen geltenden Bestimmungen nicht unterworfen sind,[7] werden als Kleinbahnen bezeichnet. Für sie bestehen andere Rechtsnormen als für die Haupt- und Nebenbahnen.[8] Man unterscheidet 1. nebenbahnähnliche Kleinbahnen mit Maschinenbetrieb (d. h. solche, die über den Strassenverkehr eines Stadtgebiets hinaus den Personen- und Güterverkehr von Ort zu Ort vermitteln und sich nach Ausdehnung, Anlage und Einrichtung den sog. Nebenbahnen nähern); 2. städtische Strassenbahnen mit Maschinenbetrieb und 3. sonstige Kleinbahnen (ohne Maschinen oder mechanischen Betrieb). Der Natur dieser auf den lokalen Verkehr beschränkten Bahnen entsprechend, gibt es keine einheitliche reichsrechtliche Regelung; in Preussen gilt das Gesetz vom 28. Juli 1892, dessen grundlegende Vorschriften in die landesgesetzliche Regelung zahlreicher anderer Bundesstaaten übergegangen sind. Unter der Herrschaft dieser Vorschriften ist die Entwicklung des Kleinbahnwesens in den letzten 20 Jahren sehr erfreulich gewesen; die derzeitige Ausdehnung ist ersichtlich aus dem Ergänzungsheft 1911 der Ztschr. für Kleinbahnen. Reiches Material über die Entwicklung in Preussen enthalten die regelmässig dem Landtage zugehenden Denkschriften.[9]

Die Kleinbahnen dienen dem lokalen Verkehr, sie werden daher zumeist namentlich in Preussen nicht von der Staatseisenbahnverwaltung betrieben, sondern den lokalen Interessenten überlassen. In Preussen sind Träger solcher Kleinbahn-Unternehmungen im Sinne von Ziffer 1 sehr häufig die Kreise, sonst Gesellschaften, bei denen die Kreise mit Gesellschaftsanteilen beteiligt sind, oder Private. Üblich sind Beihilfen des Staates und der Provinzen. Nähere Nachweisungen hierüber geben die oben erwähnten Denkschriften.

Es kommen Kleinbahnen mit verschiedener Spurweite vor: Normalspur (1,435 m) – 1,00 m; 0,75 m; 0,60 m; vereinzelt auch 0,90 m. Je geringer die Spurweite, desto grösser die Anpassungsfähigkeit der Bahn an das Gelände, desto billiger die Baukosten, dafür andrerseits bei der Normalspur der Vorteil direkter Überführung der Güterwagen auf die Hauptbahn und dadurch Ersparung der Umladekosten. Bei Kleinbahnen in landwirtschaftlichen Gegenden sind die geringeren Spurweiten beliebt, da diese zumeist bei den Feldbahnen üblich sind und es daher möglich ist, die Feldbahn unmittelbar an die Kleinbahn anzuschliessen und die Kleinbahnwagen zur Beladung direkt aufs Feld zu bringen.

Für die Hauptbahnen bedeuten die Kleinbahnen die Saugadern, die den Verkehr aus den nicht an den Hauptlinien belegenen Gegenden aufsaugen und ihnen zuführen. Die wirtschaftliche Erschliessung solcher für den Bau von Haupt- und Nebenbahnen nicht geeigneter Gebiete liegt im Staatsinteresse, daher sind auch Beihilfen aus Staats- oder Provinzial-Mitteln gerechtfertigt.

Hinsichtlich des Anschlusses von Kleinbahnen an die Staatsbahnen herrscht im allgemeinen grosses Entgegenkommen. Wagenübergang (der naturgemäss nur bei normalspurigen Kleinbahnen möglich) wird meist davon abhängig gemacht, dass die Kleinbahn eine ihrem Verkehr entsprechende Anzahl G.-Wagen beschafft und in den Staatsbahnwagenpark einstellt. Direkte Tarife werden in Preussen mit der Staatsbahn nicht eingerichtet, dagegen Vergünstigungen bei der Abfertigungsgebühr und der Überführung von Wagenladungen und Stückgut gewährt.





  1. Vgl. hierzu Stegemann. Zur Vereinheitlichung d. deutschen Eisenbahnen. Deutsche Revue. Märzheft 1911.
  2. Württemberg, Gesetz, vom 95. VII. 1910. Vereinsztg. Nr. 67. Reservefonds zur Zt. 5 Millionen gegenüber einer Eisenbahnschuld von 605 Millionen. Bayern. Gesetz von 1910, Vereinsztg. 1910 Nr. 68.
  3. Zu vergl. „Zur Neuordnung der preuss. Eisenbahn- u. Staatsfinanzen“ von Wirkl. Geh.-R. Dr. Kirchhoff, sowie dazu: Ministerialdirektor Offenberg in Vereinsztg. 1909 Nr. 8 und Drucksachen des Pr. Abgeordnetenhauses für 1910. Immediatbericht S. 99–109. Quantz. Der preussische Eisenbahnetat. Eis.-Arch. 1910. S. 1108 ff.
  4. Vgl. hierzu Laband, Staatsrecht I. §§ 58, 65. Eger, Kommentar zur E.V.O. S. 2. Zorn, Staatsrecht §§ 6, 7.
  5. Kommentar von Eger 3. Aufl. 1909.
  6. Wohlfahrtseinrichtungen im Bereiche der Pr. Hess. Staatsbahnen, Eisenb.-Archiv 1913, S. 54 ff. sowie lmmediatbericht S. 40 ff.
  7. Preuss. Gesetz über Kleinbahnen und Privatanschlussbahnen vom 28. Juli 1892 (G. S. 1892. 8. 225 ff.).
  8. Gleim, Handbuch d. St. 2. Aufl. V S. 91ff. Wächter, Die Kleinbahnen in Preussen. Eger, Das Gesetz über die Kleinbahnen, 3. Aufl. 1913. Eger, Die Entwicklung der Kl. in Preussen (Zt. f. Kleinbahnen 1904 S. 1–37). Himbeck-Bandekow. Wie baut und betreibt man Kleinbahnen? 1906.
  9. Eine vortreffliche Übersicht über den jetzigen Stand des Kl.-Bahnwesens in Preussen im Immediatbericht Nr. 118–127. Das Kleinbahnnetz beträgt im Deutschen Reich an Strassenbahnen 4654,9 km, davon in Preussen 3419,3, an nebenbahnähnlichen Kleinbahnen 10 463,9, davon in Preussen 10 154. (Reichsstatistik 1913 S. 126.)