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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

z. B.: Fracht für 1 bis 100 km 2 Pf. pro km. über 100 km 1,5 Pf. (Zonentarif). Diese Tarife begünstigen den Transport auf weite Entfernungen. Sie können, wenn die Fracht sich dahin differenziert, dass bei dem Überschreiten einer Entfernungsgrenze sich die Ermässigung der Frachteinheit auf die ganze Strecke bemisst, dahin führen, dass die Beförderung nach einer näheren Station teurer ist, als nach einer weiter gelegenen. Es entstehen dann die sog. Frachtdisparitäten.

Im Deutschen Reiche besteht für den Güterverkehr eine formelle Tarifeinheit, d. h. die Tarife sind nach einem einheitlichen Schema gebildet, dagegen materielle Tarifverschiedenheit, d. h. die Einheitssätze sind verschieden, so dass die Gütertransportpreise der einzelnen Eisenbahnen von einander abweichen. Der Personentarif ist formell und seit dem 1. Mai 1907 auch im wesentlichen materiell einheitlich geregelt, eine Abweichung ist nur durch die Nichteinführung der vierten Wagenklasse in Süddeutschland bestehen geblieben. Aber weder die Einheitlichkeit des Güter-, noch des Personentarifs besteht auf Grund gesetzlichen Zwangs, sie hat vielmehr nach beiden Richtungen eine lediglich vertragliche Grundlage.

Der Versuch das Tarifwesen im Reiche gesetzlich zu regeln, ist bisher gescheitert. Das Reich begnügt sich daher mit der ihm durch die Reichsverfassung zugestandenen Aufsicht über das Tarifwesen (RV. Art. 45). Das dem Kaiser verliehene Recht, auf Vorschlag des Bundesratsausschusses für Eisenbahnen, Posten und Telegraphen im Falle von Notständen einen dem Bedürfnis entsprechenden niedrigen Spezialtarif für Getreide, Mehl, Hülsenfrüchte und Kartoffeln einzuführen (Art. 46 RV.), ist bisher nicht ausgeübt worden. Nur für die Militär- und Postzwecke hat die Gesetzgebung des Reichs in das Tarifwesen eingegriffen.

Das Reich übt die Kontrolle über das Tarifwesen durch das Reichseisenbahnamt aus (S. oben Einl. § 2). Diesem haben die Eisenbahnen regelmässig Berichte über ihre tarifarischen Massnahmen vorzulegen.

Eine Festsetzung des Tarifes durch den Staat findet in der Regel nur bei Staatsbahnen statt. Die Privatbahnen haben unbeschränkte Autonomie, jedoch sichert sich der Staat in den Konzessionen einen erheblichen Einfluss, wobei Neben- und Kleinbahnen freier als Hauptbahnen gestellt werden. Die frühere Bestimmung des preussischen Eisenbahngesetzes, wonach die Eisenbahnen für die ersten drei Jahre den Tarif frei, später nur so hoch festsetzen durften, dass der Reinertrag an Zinsen und Gewinn nicht mehr als 10% des Anlagekapitals betrüge, hat keine praktische Bedeutung erlangt.

Die Grundlage eines einheitlichen Tarifsystems in Deutschland bildeten die Tarifverbände, die zuerst nur die nord- und westdeutschen Bahnen umfassten. Den Bemühungen Preussens gelang es aber, in den Jahren 1874–77 die sämtlichen deutschen Eisenbahnen unter ein formell einheitliches Tarifsystem zu bringen. Die Wahrung der Tarifeinheit ist die Aufgabe der Generalkonferenz des VDE. Zur Vorbereitung ihrer Beschlüsse dient die ständige Tarifkommission und der Ausschuss der Verkehrsinteressenten. Die ständige Tarifkommission besteht aus Delegierten der Eisenbahnverwaltungen. Der Ausschuss der Verkehrsinteressenten setzt sich aus Angehörigen der Landwirtschaft (bezeichnet durch den deutschen Landwirtschaftsrat) und des Handels und Gewerbes (bezeichnet von dem deutschen Handelstage) zusammen. Ein Mitglied ernennt die bayerische Regierung. Die für die deutschen Eisenbahnverwaltungen massgebenden Tarife enthalten:

der deutsche Eisenbahn-, Personen- und Gepäcktarif,
der deutsche Eisenbahntarif für die Beförderung von lebenden Tieren,
der deutsche Eisenbahngütertarif.

Bei der Wichtigkeit des Tarifwesens für alle Gebiete des Wirtschaftslebens ist es Aufgabe der Eisenbahnpolitik, jede bureaukratische Schematisierung zu vermeiden und Handel, Industrie und Landwirtschaft in gleicher Weise einen Einfluss auf die Gestaltung der Tarife zu sichern. In Preussen-Hessen dient diesem Zwecke der Bezirks- und der Landeseisenbahnrat. Diesem ist ein Einfluss dadurch gesichert, dass ihm die allgemeinen Bestimmungen über die Anwendung der Tarife und die Anordnungen wegen Zulassung oder Versagung von Ausnahme- und Differenzialtarifen zur Äusserung vorzulegen sind. Ähnliche Einrichtungen bestehen in Bayern, Württemberg (Beirat d. Verkehrsanstalten) und Baden. Auch dem Landtag kommt in Preussen ein Anteil an der Feststellung der Frachtgebühren zu, denn nach § 20 des Landeseisenbahnratsgesetzes können Erhöhungen der Normal- (Maximal) gebühren der einzelnen Klassen des Gütertarifschemas nur durch

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/286&oldid=- (Version vom 27.9.2021)