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bezeichnet, welche zur allgemeinen Benutzung dienen soll. Im § 40 wird vorgeschrieben, dass nach vollendeter Amortisation dem Unternehmen eine solche Einrichtung gegeben werden soll, dass der Ertrag des Bahngeldes die Kosten der Unterhaltung der Bahn und der Verwaltung nicht übersteige. Dem widersprach auch nicht, dass im § 36 der Staat den Bahnen eine Reihe unentgeltlicher Leistungen zugunsten des staatlichen Postbetriebs und im § 38 eine Abgabe auferlegte. Denn beide Auflagen waren, wie die Entstehungsgeschichte des Gesetzes und die §§ 38/39 ergeben, lediglich dazu bestimmt, den Staat für die ihm durch die Eisenbahnen an Posteinkünften entzogenen Einnahmen zu entschädigen und das Anlagekapital der Eisenbahnen zur Herbeiführung des im § 40 bezeichneten Zweckes zu amortisieren. Aber dieser Grundsatz wurde später verlassen. Durch das Gesetz vom 21. Mai 1859 (G.S. 1859 S. 243) wurde die Eisenbahnabgabe ihrem ursprünglichen Zweck entzogen und den Staatseinkünften zugeführt. Die Auflage unentgeltlicher Leistungen der Eisenbahnen zugunsten der Post wurde auch dann nicht beseitigt, als es sich herausstellte, dass der Post durch die Eisenbahnen nicht nur keine Einnahmeverluste, sondern namhafte Mehreinnahmen erwuchsen. Als ferner der Staat eigene Bahnen in Betrieb nahm, beschränkte er sich nicht darauf, das Eisenbahnhoheitsrecht auszuüben und ihm eine solche Einrichtung zu geben, dass die Einnahmen die Ausgaben deckten, sondern führte die Überschüsse den Staatseinkünften zu.

Ebenso ist im Deutschen Reiche jener Grundsatz nicht durchgeführt. Neben den reinen Herrschaftsrechten der Aufsicht und Gesetzgebung betreibt das Reich eigene Eisenbahnen in gleicher Weise, wie die Einzelstaaten ihre Staatsbahnen, d. h. unter Zuführung der Überschüsse zu den Reichseinkünften. Ferner hat die Reichsverfassung und Gesetzgebung den deutschen Eisenbahnen unentgeltliche Leistungen zugunsten der Reichs- Post-, Telegraphen, Militär- und Zollverwaltung auferlegt, die eine Vermehrung der Reichseinnahmen durch den Betrieb der Eisenbahnen herbeiführen.

Gleichwohl zeigt sich ein Unterschied von den privatwirtschaftlich betriebenen Unternehmungen darin, dass ungeachtet der Minderung der Einnahmen auf Anforderungen der öffentlichen Wohlfahrt in höherem Masse Rücksicht genommen wird (z. B. Bau strategischer, sowie unrentabler Linien für abgelegene Landesteile, Bewilligung von Notstands- und Ausnahmetarifen usw.).

§ 4. Der völlige Aufbau des Haushaltetats auf den Einnahmen der grossen Betriebsverwaltungen, insbesondere der Eisenbahnen, birgt die besondere Gefahr in sich, dass die Balanzierung des Etats in grosse Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Konjunktur gerät. Das Ziel der Eisenbahnfinanzpolitik ist es daher, auf eine möglichste Stabilisierung des Etats hinzuwirken. Zugleich muss auch Vorsorge getroffen werden, dass durch die Inanspruchnahme der Überschüsse dem Eisenbahnetat die Bereitstellung der Mittel für die Erweiterung der Anlagen der Eisenbahnverwaltung nicht erschwert wird. Das wäre aber der Fall, wenn man ohne Ansammlung eines Fonds für die Erneuerung und Erweiterung der Anlagen den Überschuss lediglich in den allgemeinen Staatshaushalt fliessen lässt. Solche Sicherheits- und Reservefonds bestehen in Mecklenburg, gespeist durch die halben Betriebsüberschüsse bis zur Höhe von 10% der Eisenbahnschuld, in Sachsen, Württemberg und Bayern.[1]

In Preussen[2], wurden die Nachteile einer allzugrossen Abhängigkeit der Eisenbahn von dem allgemeinen Etat bald nach der Verstaatlichung fühlbar. Es wurde gleichfalls zuerst der Weg der Schaffung eines Reservefonds eingeschlagen, indem das Eisenbahngarantiegesetz vom 22. 3. 1882 bestimmte, dass ein Fonds geschaffen werden sollte, dem die Reinerträge der Staatsbahnen nach Abzug der Zins- und Amortisationsverpflichtungen aus den Verstaatlichungsverträgen und nach Abzug von 2,2 Millionen Mark zur Deckung eines etwaigen Fehlbetrages im Staatshaushalt zufliessen


  1. Württemberg, Gesetz, vom 95. VII. 1910. Vereinsztg. Nr. 67. Reservefonds zur Zt. 5 Millionen gegenüber einer Eisenbahnschuld von 605 Millionen. Bayern. Gesetz von 1910, Vereinsztg. 1910 Nr. 68.
  2. Zu vergl. „Zur Neuordnung der preuss. Eisenbahn- u. Staatsfinanzen“ von Wirkl. Geh.-R. Dr. Kirchhoff, sowie dazu: Ministerialdirektor Offenberg in Vereinsztg. 1909 Nr. 8 und Drucksachen des Pr. Abgeordnetenhauses für 1910. Immediatbericht S. 99–109. Quantz. Der preussische Eisenbahnetat. Eis.-Arch. 1910. S. 1108 ff.
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/282&oldid=- (Version vom 26.9.2021)