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einheitliches Gebilde, im innerpolitischen Sinne keine Einheit ist. Die bereits erwähnten Bestrebungen nach Herstellung einer deutschen Eisenbahngemeinschaft sind ergebnislos verlaufen. Allerdings ist für den grössten Teil des Reiches auch eine formelle Vereinheitlichung der Staatsbahnen dadurch hergestellt, dass die preussischen Staatsbahnen auf Grund von Staatsverträgen sich weit über das eigene Staatgebiet erstrecken. Den ersten Schritt zu einer deutschen Eisenbahngemeinschaft sollte die Gründung der preussisch-hessischen Eisenbahngemeinschaft erstreben. Diese unkündbare Verwaltungs- und Betriebsgemeinschaft ist durch das Gesetz vom 23. Juni 1896 begründet worden.

Die Grundlage für die Betriebsgemeinschaft bildete der Ankauf und die Verstaatlichung der hessischen Ludwigsbahn auf gemeinschaftliche Rechnung des preussischen und hessischen Staates. Das Eigentum an der Bahn selbst ist aber nicht auf die Gemeinschaft als Gesamteigentum übergegangen, vielmehr hat Realteilung dahin stattgefunden, dass die in den Staatsgebieten der Vertragsstaaten belegenen Teile des Unternehmens in das Eigentum des betreffenden Staates übergegangen sind. Nur die. Materialbestände und die Betriebsmittel sind gemeinschaftliches Eigentum geworden. Zu der Betriebsgemeinschaft gehören ferner die oberhessische Bahn und die im Eigentum des hessischen Staates stehenden Nebenbahnen und seit dem mit Baden geschlossenen Staatsvertrage vom 15. September 1901 auch die Main-Neckarbahn sowie die gesamten preussischen Staatsbahnen. Neue preussische Bahnen treten unbedingt in die Gemeinschaft ein. Bei neuen hessischen Bahnen finden Unterschiede statt. In die Betriebsgemeinschaft treten sie ein, es sei denn, dass auf Wunsch Hessens eine Abweichung erfolgt. (Art. 6, Abs. 3.) In die Finanzgemeinschaft treten neu angekaufte Bahnen nur ein, wenn der Eintritt von Preussen als erwünscht bezeichnet wird. Von Hessen neu angelegte Bahnen treten in die Gemeinschaft nur auf Grund besonderer Verständigung mit Preussen (Art. 11, Abs. 3 des Vertrages).

Im Artikel 22 des Staatsvertrages ist die Aufnahme anderer deutscher Eisenbahnverwaltungen vorgesehen unter der Voraussetzung, dass die finanziellen Beziehungen nach den gleichen Grundsätzen geregelt werden. Die in einigen Einzelstaaten vorhandenen Bestrebungen nach einem Anschluss an die Gemeinschaft erhoffen von der Vereinheitlichung: bessere Verkehrsleitung durch Wegfall des Wettbewerbs, bessere Ausnutzung der gesamten Bahneinrichtungen innerhalb des grösseren Unternehmens, höhere Gewinne. Doch bestehen Bedenken: Infolge Aufgebens der eigenen Verfügungsgewalt Aufhören des Einflusses auf die Gesamtverwaltung, auf das Tarifwesen, auf die Beamtenschaft, Verkehrsverschlechterung, da die grössere Verwaltung nur am Durchgangsverkehr interessiert ist. Auch wird befürchtet, dass die grössere Eisenbahngemeinschaft dem kleineren Staat weniger rentable Linien nicht bauen wird, es sei denn dass er sie mit grossen Opfern erkauft. In den Einzelstaaten wird die formelle Einheit des Eisenbahnwesens nur durch das Vorhandensein der Privatbahnen gestört. Materiell ist ein einheitliches Eisenbahnnetz durch Gesetz oder auf Grund des Eisenbahnhoheitsrechts durch Aufnahme von Bedingungen in Konzessionen herzustellen. Staatliche Aufsicht – in Preussen durch die Präsidenten der Eisenbahndirektionen als „Eisenbahnkommissare“ – muss hinzutreten. Im Deutschen Reich ist die materielle Vereinheitlichung durch die bereits erwähnte Vorschrift des Artikels 42 der Reichsverfassung gewährleistet. Die Fürsorge für die Durchführung dieses Grundsatzes übt das Reich durch den Erlass allgemeiner Anordnungen, sowie durch Beaufsichtigung des Eisenbahnwesens aus. Als allgemeine Anordnungen, die der Einheitlichkeit dienen, sind ergangen:

Die Eisenbahnbau- und Betriebsordnung vom 4. 11. 1901, RGBl. 387,
Die Eisenbahnverkehrsordnung vom 23. 12. 1908 RGBl. 09 S. 93.
Die Signalordnung vom 24. 6. 1907 RGBl. 377, abgeändert 12. 3. 1910 RGBl. 515.
Die Eisenbahnzollordnung von 13. 12. 1912 RGBl. 1913 S. 31.

Die technische Einheit im Eisenbahnwesen im Verhältnis zum Ausland regelt das internationale Abkommen vom 25. 5. 1908 RGBl. 362. Die Reichsaufsicht wird durch das Reichseisenbahnamt geführt. Das Reichseisenbahnamt hat die Aufsicht über das Eisenbahnwesen zu führen, für die Ausführung der verfassungsmässigen und gesetzlichen Bestimmungen Sorge zu tragen, und auf die Abstellung von Mängeln und Mißständen hinzuwirken. Nähere Bestimmungen treffen

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/280&oldid=- (Version vom 26.9.2021)