Ein Besuch bei Fürst Metternich

Textdaten
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Autor: Eduard Schmidt-Weißenfels
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Titel: Ein Besuch bei Fürst Metternich
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 369–371
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein Besuch bei Fürst Metternich.[1]
Von Schmidt-Weißenfels.

Ein heller, frischer Decembertag leuchtete auf die Kaiserstadt Wien. Der Fiaker sauste durch das Herz der Stadt, durch das alte Wallthor, über das Glacis, hinein in die Wiener Faubourg St. Germain, die schöne, palastreiche „Landstraße“. Mit einem effectreichen Ruck bannte plötzlich der wohlgeübte Wagenlenker seine Rosse vor einem stattlichen, in einfachem, aber sehr geschmackvollem Styl erbauten Palast: es war das Ziel der Tour, das Palais des Fürsten Metternich.

Ein sauberer Kiesgang führte um den Flügel des Palastes nach dem Hauptportale. Es mußte dieser Umstand dem Besucher sofort den feinen Takt eines Diplomaten erkennen lassen, der seine Besucher nicht auf offener Straße und preisgegeben neugierigen und indiscreten Augen in sein Haus eintreten ließ, sondern den Eingang in der hinteren Front angebracht hatte. Hier umgürtete ein großer, stattlicher, jetzt laubloser Park den luftigen Vorbau des Portals, dessen hohe Glasthüren in eine hohe und weite, mit einzelnen Statuen gezierte Halle führen. In ihrer linken Ecke sitzt auf bequemem Polsterstuhl der unvermeidliche Thürhüter in furchtbarem Pelz und dreieckigem Hut, wie ihn jedes Portal eines österreichischen Edelmannshauses aufweist. Beim Eintritt des Besuches erhebt sich diese riesige Gestalt, bewaffnet mit einem gewaltigen Tambourmajorstock mit schwerem silbernem Knauf, und erwartet den Vortrag des Fremden. Nach legitimem Ausweis ist es alsdann gestattet, die breite, weißmarmorne Treppe, deren[WS 1] Stufen mit einem den Schritt einsaugenden Teppich belegt sind, zu ersteigen und in die Vorzimmer der fürstlichen Wohnung zu treten.

Das Gefühl gespanntester Erwartung, vermischt mit dem eigener Unsicherheit, ist zu natürlich, wenn man zum ersten Male einem Manne gegenüber treten soll, der fast vierzig Jahre lang die Geschicke Europa’s gelenkt hat und, man kann sagen, die Seele der Geschichte seiner Zeit gewesen ist. Unwillkürlich rief ich mir das glänzende Leben des Mannes zurück, der durch die Bewegung von 1848 plötzlich aus der tiefen Spur seiner Bahn geschleudert wurde und nun, seitwärts aller Ereignisse, einen gewissen mythischen Sitz eingenommen hat. Inmitten der Reflexionen, die diesem Gegenstande entquollen, lud mich der alte, freundliche Kammerdiener zum Eintritt in das Gemach des Fürsten ein.

In der geöffneten Thür empfing mich derselbe, eine schöne, edle Greisengestalt, dessen blaue Augen leutselig unter der hochgewölbten, von Silberhaar gekrönten Stirn herniederblickten. Die hohe, etwas schmächtige Figur, umhüllt von einfach bürgerlicher Kleidung, war nur wenig von der Wucht der fünfundachtzig Jahre und eines wunderbar reichen Lebens gebeugt; ein unvergleichlicher, Ehrfurcht einflößender Adel lag über sie hingebreitet, und doch genügte der erste Blick in dies sanfte, schöne Gesicht, in diese milden, wohlwollenden Augen, um das ganze Wesen wieder mit Sicherheit und mit sympathischem Gefühl zu durchdringen.

Der Fürst lud sogleich zum Sitzen ein und er selbst nahm dicht neben mir Platz, um dadurch wegen seiner großen Schwerhörigkeit überhaupt ein Gespräch und ein Zuhören zu ermöglichen. Zum Glück war ihm der Zweck meines Kommens schon vorher bekannt gewesen, und derselbe war überdies mehr auf ein Zuhören, als auf einen Vortrag meinerseits, gerichtet. Der glückliche Instinct des Fürsten wußte überdies sein Gebrechen wenig fühlbar zu machen durch die außerordentliche Mannichfaltigkeit seiner Erzählung und die Leichtigkeit, mit welcher sein Geist von Gegenstand zu Gegenstand sprang. Man sah es ihm an und hörte, daß es ihm Vergnügen gewähre, zu sprechen – ein Umstand, der in so vorgerücktem Alter eben so erklärlich ist, wie die Wiederholungen und häufigen Abschweifungen im Laufe der Mittheilungen. Aber Charakter wie Ton dieser interessanten Plauderei waren so gewinnend und fesselnd, daß alles steife Ceremoniell im ersten Moment verschwunden war und keinerlei Zwang den Genuß des langen Zwiegesprächs schmälerte. Dabei schien die Mittagssonne in das große, elegant und wohlig möblirte Zimmer hinein, so daß auch die äußere Umgebung ihren Theil an der Annehmlichkeit dieser Stunden beitrug.

Die Verhältnisse ermöglichten es, daß das Gespräch vornehmlich über die Zeit rollte, welche der Fürst Metternich, man kann wohl sagen, mit machen half. Das ganze Leben dieses Staatsmannes that sich durch seine eigene Betheiligung auf, und die Gedanken, welche sich schon vorher mit diesem Gegenstande beschäftigt hatten, mußten natürlicher Weise in dem Gewebe der biographischen Mittheilungen hängen bleiben.

Die Metterniche stammen bekanntlich vom Rhein. Ihre Vorfahren waren häufig die geistlichen Herren von Köln, ergeben dem deutschen Kaiser, aber auch stolz auf die adlige Macht, die sie bildeten. Der Vater des berühmten Diplomaten trat zuerst förmlich in kaiserliche Dienste und ward Oesterreicher, doch bevor dies geschah, wurde zu Coblenz 1773 der jetzige Fürst Clemens Wenceslaus Nepomuk Lothar geboren. Seine erste politische Rolle war, im Alter von siebzehn Jahren als Ceremonienmeister des katholischen Theiles der westphälischen Grafenbank bei der Krönung des letzten deutschen Kaisers zu fungiren; dann begann er jenes frohe, lebenslustige Cavalierleben, wie es zu seiner Zeit florirte und wie es der Fürst, selbst inmitten der späteren großen Geschäfte, fortzusetzen liebte.

Die Gesandtenposten und die diplomatische Carrière waren damals Privilegien des hohen Adels und wurden gemeinhin wie edelmännische Passionen betrieben. Kein Wunder, daß der Kaiser 1794 den jungen und schönen Grafen Metternich zum Gesandten im Haag ernannte, und daß dieser sich auf seine neue Stelle, wie auf ein neues Reizmittel seines genußliebenden Lebens freute. Leider verdarben die republikanischen Franzosen dem jungen Staatsmann sein Vergnügen, denn sie nahmen die Niederlande gerade in dem Augenblicke Oesterreich fort, als dieses für dieselben einen Gesandten ernannte. Verstimmt ging der Gesandte ohne Posten nach Wien, heirathete die Enkelin des großen schlimmen Kaunitz und saß dann in Verein mit seinem Vater in jenem unglücklichen Rastadter Friedenscongreß, der durch den Mord der französischen Gesandten so traurige Berühmtheit erhielt.

Es scheint, als wenn der Graf im Grunde keine große Vorliebe für die staatsmännische Laufbahn gefühlt habe, mindestens äußerte der Greis in Bezug auf jene Zeit, daß er lediglich einem Befehle des Kaisers gehorcht habe und daß er, wie später als Diplomat, so vielleicht auch als Professor der Geologie oder der Chemie, wofür er sehr große Vorliebe gehegt, sich Ruhm erworben hätte. „Ich kam,“ meinte der Fürst, „durch meine Geburt und meinen Rang sogleich in die höchste Sphäre der Diplomatie und habe ein halbes Jahrhundert darin gelebt, ohne gestiegen zu sein. Auch hatte ich es nicht nöthig; die Güter und das Vermögen meiner Familie waren groß genug, mich unabhängig und nach meinem Vergnügen leben zu lassen.“

Indessen – l’appétit vient en mangeant, auch bei der Diplomatie. Der junge Metternich wurde 1801 als Gesandter nach Dresden und 1803 nach Berlin geschickt. Er ward bald zufrieden mit seinem Loose, denn er war einer der glücklichsten Gesandten. Ein perfecter Cavalier, geistreich, unendlich liebenswürdig, jung, schön, reich, von einnehmendem Wesen, Freund der Liebe und der Jagden, – wie hätte es anders sein können, als daß alle Frauen von Gefühl, alle Männer von Geist und Lebenslust für ihn schwärmten? Damals trat Metternich auch in Beziehung zu den meisten jener Persönlichkeiten, die später seinem Wirken am nächsten standen, wie Gentz, Pilat, Adam Müller, die Herzogin von Sagan; oder denen er in späterer Zeit als Freunden oder Gegnern begegnete, wie Humboldt, Varnhagen von Ense, Hardenberg u. s. w. Erst die furchtbare Niederlage Deutschlands 1805 und 1806 störte dies glückliche Leben des Gesandten, der nun (1806) mit der ernsteren und schwierigen Mission betraut wurde, das unglückliche Oesterreich am übermüthigen Hofe von Paris zu vertreten.

Erst hier entfaltete Metternich seine glänzenden Talente als Diplomat. Gegen die heftige Despotie Napoleons verstand er, äußerste Ruhe, Geschmeidigkeit und feinen Takt oftmals siegreich anzuwenden, und wenn er auch seinem Staate das Schicksal eines neuen furchtbaren Krieges nicht ersparen konnte, so hatte er doch vielleicht von allen Diplomaten, selbst den französischen, am meisten die Gunst und das Vertrauen des Cäsars erworben, besonders als [370] er dem Ehrgeize Napoleons die Tochter des alten legitimen Kaiserhauses, Maria Louise, zuführte.

Diese Gunst Napoleons mochte auch viel dazu beigetragen haben, daß gleich nach der Schlacht bei Wagram (1809) der Kaiser Metternich mit dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten betraute – eine Stellung, die unter ihm so bedeutungsvoll für ganz Europa werden sollte und die 39 Jahr inne gehabt zu haben, den Ruhm und das seltene Glück dieses Staatsmannes bildet. Die österreichische Monarchie nach dem Frieden von Wien wieder aufzurichten, war sicherlich eine so schwierige Aufgabe, daß kaum der größte Ehrgeiz danach verlangen konnte, eine so furchtbare Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen. Krönte sie selbst ein Erfolg, so blieb sie, da Mittel der Gewalt vermieden werden mußten, wollte man nicht die letzte Karte ausspielen, immer eine undankbare. Auf einem anderen Wege, als dem der Nachgibigkeit und Geschmeidigkeit, war an eine endliche Rettung nicht zu denken. Zuerst gilt es, die Monarchie wieder aufzurichten und die Fesseln, die man nicht klirrend abstreifen konnte, mit Geschick und Kunst zu lösen. Diese Politik mußte die Metternich’sche sein, und mit welcher Meisterschaft er sie handhabte, bewiesen die folgenden Ereignisse.

Während sich Preußen durch den Heroismus der Verzweiflung um sein Leben wehrte und durch innere Kraft allein wieder errichtet werden konnte, war Oesterreich nur durch die außerordentlichste Geschicklichkeit durch alle die Klippen der kommenden Zeit hindurchzuführen, wollte es nicht, morsch und beschädigt, an dem Zusammenstoße mit ihnen seinen Untergang finden. Metternich gelang es, durch äußerste Geschicklichkeit das offene Meer wieder zu gewinnen, Oesterreich langsam von den Fesseln des napoleonischen Joches zu lösen und in äußerster Gefahr den Moment zu erfassen, um sich Rußland und Preußen im Kampfe gegen den großen Schlachtenkaiser anzuschließen. Die berühmte Unterredung Metternich’s mit Napoleon zu Dresden entschied. Als der Fürst auf diese weltwichtige Stunde in seinen Mittheilungen flüchtig zu sprechen kam, meinte er, daß alle Erzählungen darüber an Unwahrheit und Entstellung litten und Niemand mehr, denn Thiers in seiner Geschichte des Kaiserreichs, die Thatsachen verzerrt habe.

„Thiers,“ äußerte sich der Greis, „war selbst bei mir und ließ sich über Vieles und so auch über diese Unterredung mit Napoleon von mir Aufschluß geben. Ich habe ihm nur gesagt, daß alle Mittheilungen Napoleons selbst irrig seien, und trotzdem schmückte er diese nach seiner Phantasie aus, und die anderen Geschichtsschreiber schrieben ihm nach. Im Grunde konnte der Ausgang dieser Unterredung nichts mehr bestimmen, und ich führte sie nicht als Staatsmann, sondern aus persönlichem Interesse an dem Schicksale des Kaisers, dem ich über seine Lage Klarheit verschaffen wollte.“

Der Krieg begann. Die Franzosen wurden nach der Schlacht bei Leipzig über den Rhein geworfen und Deutschland war wieder frei. Mit diesem Moment schwächte sich die Energie Metternichs in der Bekriegung Napoleon’s ab, und es ist bekannt, welche Hindernisse er dem tapferen Vorrücken Blücher’s und York’s entgegensetzte und wie oft er Napoleon zu retten versuchte. Aber noch war Metternich nicht der Allmächtige, der er auf dem Wiener Congreß zu werden begann. Hier, wo alle Verhältnisse so glänzend waren und dazu dienten, des gefürsteten Ministers persönliche Eigenschaften in’s vollste Licht zu setzen, wurde zuerst der Grund zu jener Machtstellung gelegt, die Metternich bis zur Julirevolution innegehabt.

Der Glanzpunkt der Metternich’schen Laufbahn fällt unstreitig in die Zeit der Congresse von Aachen, Carlsbad, Troppau, Laibach und Verona. Die Politik, welche hier im Beisein von Kaisern und Königen, den höchstgestellten Frauen und Männern, ihre Weihe empfing und die jene Congresse, sowie besonders den Namen Metternich in ganz Europa berüchtigt machte, war ohne Zweifel von Hause aus in keinem ihrer späteren Herren, weder im Czaren Alexander, noch in Metternich, noch in Gentz, seiner rechten Hand und Protokollführer aller jener Congresse, klar ausgebildet gewesen, Es war eine Politik der Impromptu’s, der man erst später ein System und einen idealen Glorienschein zu geben wußte. Sie fand ihren Anstoß durch das Wartburgsfest und Kotzebue’s Ermordung, und man kann annehmen, daß vor diesen beiden Thaten eine Reactionspolitik nicht im Sinne Metternich’s gelegen hat, wenn er auch von gewisser Seite zu Rückschritten aller Art gedrängt wurde. Metternich sah nach dem Frieden von Wien das Heil der Welt und besonders Oesterreichs in der äußersten Ruhe um jeden Preis; er erkannte, daß in dem aufgewühlten Boden die alten Staaten nicht alle wieder Wurzel faßten und manche erst aus einem künstlichen Leben zu einem natürlichen gelangen könnten. Dazu war aber Ruhe nöthig; kein Krieg, keine laute Bewegung des Zeitgeistes, kein Experimentiren nach Vorwärts wie nach Rückwärts sollte diese nothwendige Ruhe des Welttheils stören. Wäre nur Alles in Ruhe abgegangen, Metternich wäre vielleicht den Anforderungen der Zeit nicht so schroff entgegengetreten. Da dies jedoch naturgemäß unmöglich war und jede Bewegung eben die Ruhe aufhebt, da ferner Alles daran lag, das lose Gewebe der Staaten fester zu ziehen, das künstliche Leben einiger Staaten fortdauern zu lassen, so blieb zuletzt der Weg der Reaction der einzige der Rettung. Es lag etwas Verzweifeltes in dieser Politik der heiligen Alliance, welche den Ruin der Staaten immer vor Augen sah und deren Gedanke mit Ludwig’s XV. Wort: après moi le déluge auf’s Innigste verwandt war. Metternich hatte im Geheimen selbst keinen Glauben an die Lebensfähigkeit mancher Staaten und an die Dauer seines unheilvollen Systems, aber je länger es sich hielt, um so weniger fürchtete er von der einstigen, wohl vorausgesehenen Umwälzung aller Dinge.

Die Grundsätze und Allmächtigkeit der idealistischen Heiligen-Alliance-Politik wurden durch ihren ersten Urheber, Rußland, selbst erschüttert. Der Krieg mit der Pforte (1828–1829) rollte das ganze System, was so künstlich und unter immensen Anstrengungen einige Jahre vorher gebildet worden, gänzlich auf, und Gentz, der so sehr den Metternich’schen Geist in sich aufgenommen hatte, schrieb selbst nach dem Frieden von Adrianopel: „Die Ewigkeit unseres Systemes habe ich nie behauptet. Es lag ihm nur die gute Absicht zu Grunde, die nach der napoleonischen Zeit wieder errichteten alten und neugeschaffenen Throne zu befestigen. Dieser Zweck ist auch erreicht. Aber bei all’ seiner Macht konnte es doch nicht den ewigen Frieden gründen und wird beim ersten Stoße der Geister zu einer Tradition werden. Einen Frieden haben wir wohl wieder, aber ich täusche mich nicht über die Nähe gewaltiger Stürme, die aus dem Schooße Frankreichs sich erheben und vielleicht den Weltball mehr als die von 1789 erschüttern werden.“

Diese vorausgefühlte Julirevolution hob in der That das eigentliche System der heiligen Alliance auf, und von nun dominirt lediglich die Metternich’sche Politik, welche Wohl an den liebgewordenen Grundsätzen festhält, aber doch auch ein eigenthümliches Gepräge der Bequemlichkeit aufweist. Der allmächtige Einfluß des Staatskanzlers war nicht mehr nach außen hin in voller Gültigkeit, sondern hie und da wußte man sich ihm sogar zu entziehen. Metternich war diese Seele des ganzen politischen Getriebes nur noch in Oesterreich und vollends, als Franz der Erste (1835) starb, und sein Nachfolger dem erprobten Staatskanzler alle Sorgen der Regierung willig allein überließ. Nach Metternich’s Plan sollte nun das alte Kaiserreich zu einem Musterstaate der Ruhe und politischen Unbedenklichkeit gestaltet werden; man sperrte es gegen das Ausland ab und ließ die Wurzeln, die es mit dem deutschen Mutterlands verbanden, unterbinden und vertrocknen. Die seit dem Wartburgfest gefürchteten Universitäten wurden zu bloßen Realschulen umgestaltet, und der Besuch ausländischer, besonders deutscher Hochschulen verboten. Eine Presse existirte nicht; was die österreichischen Unterthanen wissen sollten, theilte ihnen die Regierung durch die Wiener Zeitung, den Oesterreichischen Beobachter und einige Provinzialblätter mit; andere Zeitungen ließ die Grenzcensur nicht in das Reich und selbst die Augsburger Allgemeine, die dem Fürsten ganz zur Disposition gestellt war, durfte nur in einer besonders für Oesterreich verfaßten Ausgabe hereinkommen. Auch muß man sagen, daß es gelang, Oesterreich durch dieses Isolirsystem Deutschland zu entfremden; die Menschen dort lebten, was man so sagt, glücklich und sorgenlos und kümmerten sich gar nicht um Politik.

Aber der Zeitgeist, den Metternich in solcher Art verhindern wollte, Eintritt in Oesterreich zu finden, schlüpfte zuletzt doch unter den Grenzbarrieren hindurch und an den Nasen der Mauthbeamten steuerfrei vorbei. Er brachte Unruhe in die sonst friedevollen Gemüther, einen Drang nach politischem Leben und eine Gährung hervor, die immer gewaltiger wuchs. Man weiß, wie die Kuranda’schen „Grenzboten“ in der Mitte der vierziger Jahre nach Oesterreich hineingeschmuggelt wurden, wie dieses Blatt gerade über die österreichischen Zustände die aufreizendsten Correspondenzen brachte. Diese ungeheuere Gährung im Staate Metternich’s schien diesem selbst unbekannt zu bleiben, sei es, daß er an keine ernstliche [371] Gefahr glaubte, oder sei es, daß die Beamten selbst Gefallen an diesem gereizten Leben hatten. Wie dem auch sei, die Funken der Februarrevolution fanden auch nach Oesterreich ihren Weg und setzten im Nu das ganze morsche Gebäude in Flammen. Kaum gelang es dem greisen Staatskanzler, vor der Wuth der aufgestandenen Menge sein Leben zu retten und von der Stelle, von wo aus er fast vierzig Jahre lang die Cabinete Europa’s beeinflußt hatte, flüchtig als Greis nach dem gastlichen Albion zu gelangen.

Wer weiß es nicht, welcher Jubel und Rausch mit der Kunde von dem Sturz des Fürsten Metternich durch ganz Deutschland zog? Wer entsinnt sich nicht der Flüche, die dem einstigen Allmächtigen in’s Exil folgten? Man glaubte damals in jener glaubensvollen Zeit, daß nun das große Hinderniß der allgemeinen Freiheit für immer gefallen sei und eine neue Aera nicht allein für Oesterreich, sondern für ganz Deutschland anbrechen werde. – Heute, wo die Leidenschaften verraucht, das Blut ruhiger wallt, heute, wo man weiß, daß Vieles, was man dem Fürsten Metternich aufbürdete, von ganz anderen Persönlichkeiten ausging, hat sich dieser Grimm gegen die Person des Fürsten Metternich verloren, und man blickt gemeinhin auf seine einstige Herrschaft wie auf eine in die Nebel der Zeiten gesunkene Epoche, wie auf eine Mythe hin. Er selbst ist längst zurückgekehrt zur Stätte seiner einstigen Macht und steht, wie ruhig auch sein Dasein sei, und wie sehr die Gegenwart sein Wirken dementire, den Ereignissen am Abend seines Lebens nur noch theilnahmvoll zur Seite.

Und dieser greise Fürst selbst ist kein Charakter, der Bitterkeit über den Sturz seiner diplomatischen Herrschaft empfindet.

„Ich habe,“ äußerte er sich, „nur das Beste und die Wahrheit gewollt, und wußte nie etwas von systematischer Feindseligkeit gegen irgend wen. Das halbe Jahrhundert, welches ich dem Kaiser gedient habe, ist die Geschichte meiner Zeit, nicht allein meiner Person. Durch ein günstiges Geschick habe ich inmitten aller Ereinisse gestanden, und was ich gethan, wird einst die Geschichte beurtheilen. Es ist ein erklärlicher Irrthum der Leute, daß sie mich erbittert glauben, aber ich bin es nicht und kann es nicht sein. Ich handelte, so lange ich auf meinem Platze stand, nach meinem Gewissen, und wenn sich jetzt die Zeit geändert hat, so weiß ich dies wohl zu würdigen, und stehe ihr nicht als ein Feind gegenüber. Auch kann ich mich, beehrt durch das Vertrauen des Kaisers, noch immer nützlich machen. Man glaubt und es wird auch davon gesprochen, daß ich meine Memoiren schreibe. Ich habe aber, wie gesagt, einen solchen Platz inne gehabt, daß ich nur die Geschichte meiner Zeit beschreiben könnte, und das mögen die thun, die nach mir kommen. Meine Memoiren, das sind die Documente und Acten, welche in den Archiven liegen.“

Das Portrait des Fürsten Metternich, wie es hier zu geben versucht ward, kann leicht, je nach dem Parteistandpunkt, in tieferem Colorit gehalten werden. Er ist unstreitig ein Mann von höchster Bedeutung für Europa, für Deutschland, für Oesterreich und, wie er selbst fühlt, für die Geschichte seiner Zeit gewesen. In ihm vermag man aber vor Allem die prächtigste und blendendste Blüthe der alten, vom vorigen Jahrhundert her überlieferten falschen Staatskunst der Kaunitze, Thugut, Hertzberg und Haugwitz zu erkennen, die ihre Stützen hauptsächlich in den Rechten der Throne fand, und den Staat nur mit dem Monarchen identificirte. Ihr gegenüber steht setzt in Uebermacht und getragen von der öffentlichen Meinung, die neue Staatskunst, welche ihren genialen Gründer im Freiherrn von Stein erhalten, und welche vor Allem auf das Wohl der Nationen, auf den Staat als Begriff von Fürst und Volk als eine Einheit basirt ist. Die Zeit, in der es ein Einzelner wagen durfte, den Fortschritt ganzer Nationen einzuzwängen und aufzuhalten, ist hoffentlich für immer begraben.



  1. Dieser Artikel liegt bereits seit einigen Monaten in unserm Redactionsbureau, dürfte indeß auch heute, wo die Todesnachricht hier eintrifft, noch immer von großem Interesse sein.      D. Redact.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: dessen