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Titel: Humboldt’s Ruhestätte
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 364–365
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[364]
Humboldt’s Ruhestätte.

Fast möchte man sich veranlaßt fühlen, mit einem bitteren Accent das Wort „Ruhestätte“ zu betonen; denn ruht nicht bereits nach kaum einem Monat über Humboldt’s Grabe die Stille der Vergessenheit?

Allerdings hat diese Anschauung einige Berechtigung, wenn es die eines der zahlreichen Verehrer Humboldt’s ist, welche in diesem nur den Mann der Wissenschaft sahen. Derjenige aber wird sie nicht theilen, welchem Humboldt’s ganze Große klar vor der Seele steht, denn dieser weiß, daß er der Zeit nicht fern stand, deren Erfüllung jetzt über uns gekommen ist, und daß ihn daher diese Erfüllung in seinem Innersten berührt haben würde.

Humboldt’s bis zum letzten Augenblicke klarer Geist hörte den leisen Flügelschlag des allgemach wieder zum Besseren emporstrebenden Genius der Weltgeschichte, obgleich er sich wohl gesagt haben mag, daß er den glücklichen Ausgang des kühnen Sonnenflugs nicht mehr erleben werde. Schien auch die Natur ihr strenges Gesetz, welches an den alternden Leib die Folge der Geistesabnahme knüpft, an ihrem Liebling in mildester Form anwenden zu wollen, so konnte [365] sie, die Gesetzestreue, sich doch nicht davon entbinden. Gönnen wir daher dem edlen Greise die Ruhe, ja freuen wir uns, daß er nur das Grauen und nicht die blutige Morgenröthe des erwachenden Tages gesehen hat.

Der Begräbnißplatz in Tegel, wo Humboldt neben seinem Bruder Wilhelm ruht, ist nun die Westminsterabtei der Naturforschung, nicht Deutschlands, nicht Europa’s – der civilisirten Erde. Das einfach heitere Plätzchen im Garten seines Stammsitzes umschließt ihn nun, den größten Naturforscher unseres Jahrhunderts, und trägt dabei den geistigen Schmuck der prangenden Tropenzone wie des gewaltigen asiatischen Steppenlandes; in geistiger Nähe ragt daneben das Schneehaupt des Chimborazo empor, den Humboldt zuerst erstieg, rauschen die Fluthen der Meeresströmungen, die er zuerst dem Auge der Wissenschaft verständlich machte; den Naturkundigen durchdringen am Grabe Humboldt’s alle die Strahlen der Wissenschaft, welche dieser entzündete zu unverlöschlichem Glanze.

Humboldt’s Familienbegräbniß im Schloßgarten von Tegel.

Dafür hat kein menschliches Bauwerk Raum; die weite freie Natur, seine geistige Werkstatt wie nun seine Ruhestätte, wölbt sich über und unter dem kleinen Raume als dem Mittelpunkte, in welchem Humboldt schläft[WS 1]. In ihrem Schooße allein konnte und wollte er bestattet sein, denn er war, wenn er in der Livrée des preußischen Kammerherrn hinter dem Stuhle seines Königs stand, dennoch kein Hofmann, sondern ein Mann der Freiheit. Er stand dabei in einem anderen Dienste als in dem, nach welchem Schranzenseelen trachten, er stand im Dienste der freien Wissenschaft. Wisse es, Welt, die du so oft thöricht genug bist, Humboldt einen Vorwurf aus seinem Hofdienst zu machen, daß er in den Stunden dieses Dienstes unablässig der Anwalt der Wissenschaft war. Kommt Alle hierher zu Humboldt’s freiem Grabe, Ihr alle, für die er in günstig benutzten Augenblicken den Mächtigen den Tribut der Wissenschaft abforderte, um Euch damit auszurüsten für Euren beginnenden Forscherlauf; kommt her und zeugt an Humboldt’s Grabe!

Hierher, zu Humboldt’s freiem Grabe möchten wir alle die Inhaber der berühmten Namen fordern, damit sie Antwort geben auf die Frage, ob ein Jeder von ihnen rückhaltlos, wie der geschiedene Meister es that, jeden Augenblick bereit sei, die Freiheit der Forschung zu vertheidigen; ob jeder frei, ganz frei sei von hämischer Anfeindung solcher Vertheidiger. Hier an Humboldt’s freiem Grabe regt sich in uns die Frage an die Zukunft, was für eine Bedeutung für die Freiheit der Naturforschung es haben werde, daß das Banner nicht mehr weht, welches Humboldt in seiner ewig jugendlichen Geisteshand zu ihrem Schutze hoch emporhielt. Hier möchten wir die Erschienenen fragen, ob einer von ihnen in sich Kraft, Beruf und Willen fühle, neidlos und anerkennungsvoll der Dolmetscher und Anwalt jeder jungen Kraft, jeder neuen Entdeckung zu sein, wie Humboldt es war.

Dem Verfasser eines naturwissenschaftlichen Volksbuchs schrieb Humboldt noch vor wenigen Jahren (1855), daß dieser in demselben ja keine neuen Entdeckungen veröffentlichen wolle, sondern „erfreuen, zur heimischen Naturanmuth zurückführen“, und fährt dann fort: „Bei dem gegenwärtigen Zustande des deutschen Gesammtvolkes – – – – – – ist das doppelt erfreulich; es bleibt dem Deutschen, wie er schön und bedeutsam in seiner Sprache sagt, „das Freie“, das ist die Luft, der Genuß der „freien“ Natur.“

Das ist nicht die Sprache eines Hofmannes. – Es liegt auch in diesen Worten ein Zeugniß dafür, daß Humboldt, was Keinem mehr als ihm zu verzeihen gewesen sein würde, nicht blos ein Weltbürger war, an welchem jede gebildete Nation ein gleiches Anrecht hatte, sondern daß er durch und durch ein deutscher Mann geblieben ist. Als solchem ist ihm auch im Tode das geblieben, was er in obigen bedeutungsschweren Worten den Deutschen als unentreißbaren Besitz vindicirt: „das Freie.“ In ihm schlummert Humboldt im Garten von Tegel.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: schäft