Originalmittheilungen vom Kriegsschauplatze
Das Leben in den prächtigen Hauptstraßen Turins, die sich weithin überschauen lassen, da sie sich rechtwinklig schneiden und in geraden Linien verlaufen, machte einen eigenthümlich überraschenden Eindruck. Statt der erwarteten aufgeregten Bevölkerung sah ich eine ernste Menschenmenge in erwartungsvollem düstern Schweigen ruhig an den Palästen unter schattigen Arcaden auf und ab wandeln. Nirgends verriethen heftige Reden oder auch nur lebhaftes Gespräch und Gebehrde rege Theilnahme an den verhängnißvollen Ereignissen, welche nur wenige Meilen von hier sich zu entwickeln begannen. Nur hier und da lenkte die bunte Uniform der Nationalgarde oder die unansehnliche graue Kleidung der sardinischen Infanterie, die sich vereinzelt in der Menge verloren, den Blick auf sich. Die Stadt war von Truppen entblößt.
Ordnung herrschte in dem Menschengewühl, obwohl weder der dreieckige Hut und das breite weiße Wehrgehäng der Carabinieri, noch sonst eine polizeiliche Uniform sichtbar war. Am Sonntag wurde der Anblick der Menge durch einige französische Soldaten und Frauen belebter, ohne daß der ernste Charakter des Bildes sich verändert hätte. Eine schwüle, gewitterschwere Luft schien auf der Stadt zu liegen und ihre Einwohner mit bangen Ahnungen zu erfüllen. An den Straßenecken zogen Maueranschläge dichte Menschenmassen zusammen. Ein riesiges Placat machte die Namen sämmtlicher am gestrigen Tage aus der Stadt Turin zum Militairdienst Ausgehobenen bekannt. Es wurde von manchem Auge mit Hast überflogen, um die Namen theurer Freunde oder Angehörigen zu entdecken, die das Schicksal zu den Waffen, zu langer Trennung, ja vielleicht zum Tode bestimmt hatte. Solche Empfindungen schienen die Gesichter der in der Liste Suchenden auszudrücken, – da wendeten sich plötzlich Aller Augen nach einer Seitenstraße, aus der ein kriegerischer Marsch ertönte; eine Abtheilung Nationalgarde lenkte, mit ihrem Musikchor voran, in die Via di Po ein, um sich nach der Kathedrale zu begeben. Hinter ihnen schloß sich sofort wieder die dichtgedrängte Menge. Wir sahen Landleute, gekommen, den gesunkenen Muth an dem Anblick der Hauptstadt zu heben; Freiwillige aus den Bergen, die vor ihrem Abgang zu Garibaldi’s Schaar das ungewohnte Leben Turins noch einen Tag genießen wollten; Priester und Mönche in ihren Kutten und den verschiedensten Ordenstrachten, mit schleppenden Schritten dem Strome des Volkes folgend; überall das aufdringliche Geschrei der Zeitungsverkäufer, welche „l’Opinione“, „l’Independenza“, „la Gazetta del Popolo“ und eine Menge anderer eben auftauchender Zeitschriften für 5, 10, 20 Centesimi an den Mann zu bringen suchen, ehe die Waare kalt und altbacken wird.
Wir retteten uns aus diesem Treiben, indem wir der großen Verkehrsader der Welt, der Eisenbahn, dem Ausgangspunkte jeder Neuigkeit und dem Mittelpunkte aller Bewegung, uns näherten, nach dem Café Ligure. Dieses neue Etablissement ist das glänzendste in Turin, und seine prachtvolle Einrichtung, seine ungeheuren Spiegelscheiben, welche für Gold- und Marmorverzierungen nur geringen Raum lassen, seine hohen und geräumigen Säle werden von den prachtvollen Kaffeehäusern in Paris nicht übertroffen. Dem Bahnhof gegenüber, an der Ecke des freundlichen und immer belebten Platzes der Porta nuova gelegen, der von hohen Palästen und gegen Regen und Sonne geschützten Laubengängen umgeben ist, und dessen Mitte eine kräftige [354] Fontaine ziert, welche ununterbrochen ihre starke, silberhelle Wassergarbe bis zur Höhe des zweiten Stockes der benachbarten Häuser schleudert, um sie als schneeigen Staub in ein weites Wasserbassin herabfallen zu lassen, das den ganzen Tag von Volksgruppen umgeben wird, die sich mit den klaren, kühlen Wellen Gesicht und Zunge netzen, bietet der Sitz an einem Marmortische hier einen immer wechselnden Anblick. Unter den Arcaden drängt sich hier Alles vorüber, während auf der Straße große, zweirädrige, schwere Karren dahinrollen, welche mit Maulthieren, drei bis vier voreinander, bespannt, deren Schellen ein fortwährendes Klingeln unterhalten, große, festgeschnürte Ballen Heu, Kisten aller Formen mit dem verschiedenartigsten Inhalte, auch Arzneistoffe, Säcke mit Proviant, über den Mont-Cenis kommend, hier vorbei nach Alessandria führen. Auf einem breiten Bande, welches die in blaue Blousen gekleideten Fuhrleute um den Arm tragen, ebenso wie auf dem Vordertheil ihrer Fahrzeuge, lesen wir in großen deutlichen Buchstaben die Worte: „Transport auxiliaire de l’armée française.“ Solche Karrenzüge folgen sich unablässig den ganzen Tag über, ziehen in langen Reihen mit unaufhörlichem Gepimpel, dem Geschrei der Treiber und dem Knarren der großen, breiten Räder auf der Landstraße herbei, und wenden sich hier vor unsern Augen in rechtem Winkel der Straße nach Alessandria zu.
Plötzlich allgemeine Bewegung, man hört einen Gesang aus kräftigen, schon etwas heiseren Kehlen sich nähern. Ueber den Platz, ein grün-roth-weißes Fähnchen an der Spitze, zieht ein kleines Häufchen Freiwilliger, eben angekommen, ihrem Enthusiasmus durch Singen Luft machend, ihrem Quartiere zu. Hier und da werden sie mit Viva l’Italia empfangen. Man zeigt geringe Theilnahme, das Schauspiel ist schon veraltet. Vor Ausbruch des Krieges und der Revolution in Toscana sollen täglich Hunderte angekommen sein; jetzt treten nur noch kleine Gruppen von 12–18 Mann auf. Von den 20,000 Mann, die sich so gesammelt, bemerkte man in den Straßen nichts. Sie sind schon zu ihren Corps gestoßen. Nur ein Savoyarde, in dunklem, an den Hüften vom Gurt des Hirschfängers zusammengeschnürten Rock, weiten, unter den Knieen zusammengezogenen Beinkleidern, grauen Gamaschen, mit rothen, vollen Epauletten und schwarzem Carbonarihut, bewaffnet mit einer Doppelflinte, ein kräftig gewachsener Mann, gefiel sich, einige Tage seine schmucke Erscheinung in Turin zu zeigen.
Am Morgen des 10. Mai, früh 6 Uhr, verließ unser Zug, trotz ungeheurem Andrang, pünktlich den Bahnhof, dessen verschiedene Gleise mit Wagen aller Art überfüllt waren, die eine große Anzahl Pferde, Maulesel und Rinder für die Armee enthielten. Dazwischen waren Bauhölzer, Räder und andere Materialien in großen Haufen zu baldiger Weiterbeförderung aufgeschichtet. Die sonst in Italien sehr aufhaltende, langsame Expedition auf den Bahnhöfen wurde abgekürzt, und so brachten zwei mächtige Locomotiven den großen Zug in 2½ Stunden nach Alessandria. Hier kündigte sich die Concentration der Truppen um so stärker an, je mehr wir uns der Festung näherten. Aus allen Gehöften leuchteten die rothen Hosen der französischen Infanterie. Auf den mit Stroh belegten Steinböden der Säulenhallen der Landhäuser lagen Tornister, Feldkessel, Stiefeln, Gewehre und andere Ausrüstungsstücke umher. In einigen Dörfern faßte die Mannschaft eben ihr Commißbrod, Weizenbrod von schöner, weißer, lockerer Krume, dessen Rinde, heller als bei uns in Deutschland, ihm das Aussehen gibt, als sei es nicht gut ausgebacken. Unweit der Festung weideten Infanteristen mit Ruthen in der Hand eine große Rinderheerde. In Alessandria nahm eine großartige Halle, deren zierliche eiserne Bogen mit leichtem, hellem Glasdach überwölbt sind, den langen Zug auf.
Dem Besuche der Stadt ward kein Hinderniß in den Weg gelegt; es schien sich Niemand um den Eintritt Fremder zu kümmern. Zwischen Stadt und Bahnhof dehnt sich eine weite Fläche, die zu beiden Seiten der Straße von Artillerie und Train zu Lagerplätzen benutzt wurde. Hier waren die Feldschmieden aufgestellt, in reger Thätigkeit, die Beschädigungen, welche der Marsch dem Eisenzeug der Thiere und dem der Fuhrwerke zugefügt, rasch wieder auszubessern. Die Pferde lagerten auf dem Boden, der mit wenig Stroh bedeckt war, ohne Dachung und Schutz gegen Regen und Sonnengluth, während die Mannschaft in der Stadt untergebracht zu sein schien. Diese war mit Truppen und Armeematerial überfüllt. Unweit des Bahnhofes hatte sich eine Abtheilung Artillerie in einer Kirche gelagert; die mit etwas Stroh überdeckten Marmorplatten gaben einen herrlichen Schlafsaal ab. „L’eglise est libre pour tout le monde,“ rief man uns zu, so traten wir ein. Man eilte, das Lederzeug zu einer Inspection in gehörigen Stand zu setzen, zu reinigen, zu schwärzen, glänzend zu wichsen. Alles war geschäftig, während nur hier und da ein spät von der Wache Gekommener sich schläfrig die Augen rieb und sich auf dem Strohlager hin und her drehte.
Am Markte war in einem noch unvollendeten Hause ohne Fenster ein Bataillon Schützen einquartiert. Man ließ uns ungehindert eintreten. Im Hofe, der in Folge anhaltenden Regens einem Sumpfe glich, brodelte über lebhaftem Feuer das Wasser in den Feldkesseln, man bereitete eben die Suppe, während im Thorwege ein gefälliger Bursche unter allerhand munteren Bemerkungen seinen Cameraden die Bärte abnahm. In einer engen Gasse nebenan, die mit Bretern überlegt und ebenso überdacht worden war, hatte man Stallung für sardinische Lanciers hergerichtet. Ebenso war in vielen andern kleinen Straßen verfahren. Ueberall lebhafte Thätigkeit. Durch die Festungsthore ziehen Maulthiere, schwer beladen mit Holzbündeln, ein, die man von den rings um die Werke niedergehauenen Wäldern gewinnt, andere führen Proviant hinaus in die verschiedenen Standquartiere der Truppen. Ein bedeckter grauer Wagen von schwerfälligem Bau und traurigem Aussehen kommt langsam herbei; er trägt die Aufschrift: „Ambulance“. Acht bis zehn bleiche Gesichter, in Uniformen verschiedener sardinischer Regimenter, erregen durch ihren leidenden Ausdruck unsere Theilnahme. Es sind Fieberkranke aus den überschwemmten Reisniederungen, deren giftige Dünste der Armee gefährlicher werden, als die Kugeln ihrer Feinde. Aus einem Hofe tönt lautes Gespräch; wir treten in die Mitte einer Gruppe Franzosen, die ihrem Salat eben die dritte Flasche Essig zufügen, ohne ein saures Gemisch zu erhalten. Man ladet uns ein; wir kosten. In der That, der Essig ist fürchterlich gewässert. Man macht aber kein saures Gesicht dabei, sondern verzehrt unter Witzen das schlechte Kraut, um rasch noch zur Parade sich fertig zu machen, da eben die Trommel zum Aufbruch mahnt.
Jetzt stoßen wir wieder auf eine geräumige Kirche, die Jägern von Vincennes zur Caserne angewiesen ist. Während ich den Vorbereitungen folge, welche eine Marketenderin in der glanzlosen Uniform der Vincennesjäger trifft, um bei dem bevorstehenden Ausrücken in’s Feld ihren Leuten die nöthigen Getränke und Fleischvorräthe bieten zu können, war mein Begleiter, ein Schweizer, in das Kirchenschiff eingetreten, als ich ihn plötzlich in der Mitte von Soldaten unter lebhaftem Reden wieder erscheinen sehe. Ein Sergeant, in übertriebenem Diensteifer die neugierigen Fragen meines Genfers für verfänglich haltend, beordert einen Corporal mit vier Mann, ihn und unschuldigerweise auch mich zum Platzcommandanten zu führen. Die vier Mann Ehrenwache wußte nun zwar unser Corporal, dem dieser Auftrag sichtlich unangenehm war, zu beseitigen, allein durch Gassen und Gäßchen kreuz und quer, in denen sich unser Führer selbst nicht zurechtfand, gelangten wir endlich zur Commandantur, in der eben die höheren Officiere versammelt waren. Nach wenigen Worten entließ man uns höflich, ohne auch nur Legitimation unserer Personen zu verlangen, die meinem Begleiter übrigens sehr unbequem geworden wäre, da er weder Paß, noch sonst einen Nachweis hätte beibringen können. Der Verdacht des Vorhandenseins von Kundschaftern war durch mehrere verdächtige Erscheinungen im Festungsrayon rege geworden. Ja, man hatte bereits in der Nähe einen überführten Spion kriegsrechtlich erschossen, wie uns unser Führer, dem es lieb war, uns ungehindert entlassen zu können, mit bedenklicher Miene mittheilte.
Nachmittags fanden wir vor dem Bahnhofsgebäude, dessen Restauration lebhaft besucht war, einen zur Beobachtung des kriegerischen Treibens trefflich geeigneten Platz. Truppenzüge langen fortwährend an, namentlich von Susa und Turin her, während andere abgehen. Eben trifft ein langer Wagenzug mit einigen Schwadronen Chasseurs d’Afrique ein. Rasch werden die Pferde aus den Wagen gezogen, Sattelzeug, Decken, Mäntel mit einigen Bürstenstrichen gereinigt, und schon ertönt das Signal zum Aufsitzen. Die Officiere treiben die Lässigen an. Schnell ist Alles im Sattel. Die kleinen, zierlichen Pferde, munter, festen Boden unter den Hufen zu haben, wiehern laut; die gewandten Reiter nehmen rasch ihre Ordnung ein: das starke Trompeterchor, auf Schimmeln reitend, spielt unter Paukenbegleitung einen kräftigen Marsch auf, und schon verschwindet die Spitze der Reiter in den engen Straßen, während die letzten langsam durch die Lindenallee traben. Dasselbe Schauspiel wiederholt [355] sich nach einer Stunde. Fußvolk kommt an von Genua, darunter einige Zuaven, die ersten, die wir bemerken. Es sind die Quartiermeister, welche ihrem Corps vorangehen.
Eben wird ein Transport Maulthiere ausgeladen und in Eile von dem Bahnhofe entfernt, um dem Personenzuge von Turin Platz zu machen, den man eben herandonnern hört. Er bringt wenig Reisende, aber viele Soldaten aller Truppengattungen. – Um uns sammelt sich ein Bataillon sardinisches Fußvolk in langen grauen Mänteln und Czako’s. Auch eine kleine Abtheilung Bersaglieri findet sich ein, den Hut mit schwarzem Federbusche keck auf der Seite, mit dunkler Uniform, ein hölzernes Tönnchen als Trinkgeschirr an der Seite, die kräftigste Truppe aus Piemont, meist aus Savoyarden bestehend. Alle diese gehen nach Turin ab. Man erwartet seit einer Stunde den Zug von Genua. Endlich braust der unabsehbare Wagenzug heran, Helme und Gewehre blitzen aus allen Fenstern desselben. Bald ist der Zug leer. Es sind französische Truppen, für Alessandria bestimmt. Hier nehmen die Sardinier Abschied. Manches Lebewohl erschallt, Händedruck, thränende Blicke, ein altes Mütterchen umarmt noch einmal ihren Sohn, ein bartloses Bürschchen, da zwingt der schrille Pfiff zum Einsteigen. Fort reißt die Locomotive die Krieger. Die Franzosen sind munter ausgestiegen, fröhlich, ihre Bestimmung erreicht zu haben. Von Natur lebhafter, sieht man aus jedem Gesichte unbesorgte Heiterkeit, lustige Scherze erklingen von vielen Lippen. Da tönt auch unser Abschiedssignal. Wir sagen der Festung Lebewohl!
Es war spät geworden. Wir erreichten den Eingang in die Schluchten der Scrivia mit Anbruch der Nacht. Hier war ein ganzes Armeecorps, auch viele sardinische Artillerie postirt, vielfach unter Zelten campirend. Mehrere Bataillone Zuaven hatten Lager aufgeschlagen in einem weiten Thale, von dem kleinen Flusse Scrivia durchflossen, von hohen Bergen umgeben, deren pittoreske Formen, durch Klöster und Kirchen gekrönt und von der Abendsonne beleuchtet, das malerische Schauspiel einfassen. Die Officiere und Soldaten, Spazierstöcke in der Hand, ließen es sich in dem schönen Lande wohl sein. Jede Abtheilung der Zuaven wurde von den Passagieren des Zuges mit einem donnernden „Viva l’Italia!“ und „Vive la France!“ begrüßt, bis wir, unter dem ersten großen Tunnel der Schlucht angelangt, die Lager unseren Blicken entschwinden sahen. Spät kamen wir in Genua an und fanden endlich nach langem Umherirren in den menschenleeren Straßen noch ein Kämmerchen im Hotel national. Ueber den Tag des Eintreffens des Kaisers herrschte noch immer Ungewißheit. Am Morgen indeß ersah man aus verschiedenen Ausrufen der städtischen Behörden, welche ihre Bürger, die Schiffscapitaine, die Nationalgarde zu würdigem Empfange des kaiserlichen Gastes aufforderte, und aus den getroffenen Vorbereitungen, daß man denselben schon am nächsten Tage bestimmt erwartete. Wirklich wurde seine Abreise von Marseille durch eine Abends veröffentlichte Depesche bestätigt.
Um zunächst einen allgemeinen Blick auf die Stadt und den Hafen zu erlangen, wurde die Höhe der Kirche S. Maria di Carignano erstiegen und die benachbarten Festungswälle zu einem Spaziergange benutzt. Hier erblickte man nach Norden tief unter sich in dem wasserleeren Flußbett eines kleinen Gebirgswassers, dessen breites, mit Quadern gepflastertes Bett anzeigt, daß es zuweilen schnell gefährliche Macht gewinnt, zwischen langen Zeltreihen und allerlei Fuhrwerk das muntere Leben eines großen Lagers. In das ärmliche Wasser wurden die Pferde schwadronenweise hinabgeführt. Jetzt biegt unser Weg rasch nach Süden, und das Meer liegt vor uns. Weit hinaus über die blaue Wasserfläche schweift der Blick von dieser Höhe, fernhin sehen wir die felsige Küste nach Morgen hin sich verlieren, die oft schroff in’s Meer abfallende Riviera di Levante, während nach Abend hin die Küste in weicheren Formen und in abgerundeten Umrissen sich allmählich nach dem Meere zu abflacht und ein reiches Land, mit Garten und Landhäusern übersäet, überblicken läßt. Nah und fern wird das Meer von Fahrzeugen aller Art durchzogen, da fesselt unsere Aufmerksamkeit ein großes Kriegsschiff, eine Fregatte mit zwei Reihen Geschützen, das sich ohne Segel mit ziemlicher Schnellichkeit dem Hafen nähert. Nur zuweilen bemerkt man eine rasch aufsteigende und rasch verschwindende Dampfwolke aus seinem Schlot. Es ist ein Schraubendampfer. Die Officiere eines Bataillons französischer Linieninfanterie, das auf dieser Höhe garnisonirt, sprechen sich über die Schwerfälligkeit der Festungsgeschütze einem so leicht beweglichen Kriegsdampfer gegenüber aus. An manchen Wachtposten von Freiwilligen der Nationalgarde, jungen Genuesern aus guten Familien, die eine mit rother Schnure besetzte Mütze und eine schmale grün-roth-weiße Schleife am Arme tragen, steigen wir, immer das Meer zur Seite und vor uns, an den mächtigen Festungsmauern zum Hafen nieder. Das Kriegsschiff läuft eben ein. – Wir treten durch das Hafenthor und gehen an den Quai’s entlang, an denen jetzt Hunderte von Transportschiffen liegen, im Ein- und Ausladen begriffen. Wir sind im Freihafen, der hauptsächlich Kauffahrern zum Gebrauche dient, während gegenüber im Kriegshafen die Ausladung der eigentlichen Kriegsbedürfnisse und Truppen stattfindet. Dort hat auch der eben eingelaufene Kriegsdampfer Anker geworfen und beginnt bereits die Ausschiffung.
Von der Wanderung und der Gluth der von den Felswänden zurückprallenden Sonnenstrahlen ermüdet, suchten wir unser Hotel wieder auf, dessen Terrasse Ruhe, Schatten und den Ueberblick über Alles gewährt, was der Dampf zu Wasser und zu Lande der Stadt zuführt. Hinter uns das mit schlanken Thürmen, täuschend gemalten Ritterstatuen und gothischen Bogen gezierte schloßähnliche Hotel, vor uns den Platz Aqua verde und den Straßenzug, der von dem Hafen und der Vorstadt St. Pierre d’Arena und der großen Heerstraße von Nizza und Turin in’s Innere der Stadt führt, seitwärts die große Freitreppe, auf welcher man zu den höheren Stadttheilen und den mächtigen Citadellen emporsteigt, von deren riesigen Steinwällen die Bajonnete der auf- und abschreitenden Wachen herabblinken, gegenüber die großartigen Bogen des im Bau begriffenen Bahnhofsgebäudes, davor in der Mitte des Platzes auf Felsquadern ruhend der mit Schiffsschnäbeln gezierte Sockel des Monumentes, dessen abgestumpfte Säule von weißem Marmor die Statue des Columbus noch immer vermissen läßt, für die sie seit Jahren bestimmt ist, darüber am Bergeshange terrassenförmig der Park des Palastes Doria, mit der aus grüner Baumgruppe hervorleuchtenden riesigen Herkulesstatue, und über Allem thronend neben den Festungsmauern, welche auf den Höhen hinlaufen, die stattlichen Umrisse eines doppelt gethürmten Klosters, fällt unser Blick unter uns auf eine geschäftige Menge, die geräuschvoll aus der Stadt heraus- oder in dieselbe zurückströmt.
Der Platz, auf dem gestern noch junge Genueser von guter Familie als Freiwillige ihre ersten militairischen Uebungen unter Leitung eines bärtigen, strengen Unterofficiers vornahmen, wobei sie ihre Glanzstiefelchen bei Schwenkungen durch feuchtes Terrain geschickt zu wahren suchten, ist heute zum Marktplätze für den Verkauf von Maulthieren und Pferden umgewandelt, auf dem der Verkehr überaus lebhaft ist. Zögernd bringen die Landbewohner ihre Thiere zum Verkauf, werden dreister, wenn sie die blanken Zwanzigfrankenstücke sehen, welche ihre Bekannten von den Franzosen lösten, und bieten entschlossen ihre Waare an. Die nicht kräftig genug aussehenden Thiere werden von Officieren mit Kennerblick gemustert und der Preis ohne weitere Prüfung geboten. Man versteht sich nicht. Dollmetscher sind bei der Hand, ihre Dienste anbietend. Unnöthig. Im Weinladen unter uns wird rasch Verständigung erzielt und der Verkäufer verläßt mit fröhlichem Gesicht, die Anweisung zur Auszahlung des Preises in der Hand, den Markt. Dort kauft ein Officier für eigenen Bedarf; er hat weniger Hebung und ist vorsichtiger in der Wahl. Er läßt das Thier von einem Soldaten besteigen; das Langohr, gewöhnt, italienisch angesprochen und bei seinem Namen gerufen zu werden, wird störrisch, aber der Chasseur versteht die Sache, mit gewandtem Sprunge sitzt er dem widerspenstigen Thiere auf dem Rücken, alle Capriolen helfen nichts mehr, es muß vorwärts, wer sich nicht zu retten weiß, wird umgeworfen, und im Trabe geht es in die Stadt. Hier hat der Verkäufer keine Mühe mit dem Eincassiren, der Preis rollt in klingender Münze in seine Hand. So ist es seit dem frühesten Morgen gegangen. Tausende von Maulthieren und einige Pferde wurden verkauft. Der Markt wird leer.
Neben uns unter blühenden Sträuchern hat ein Officier sein Bureau aufgeschlagen und fertigt eilig einen Rapport ab, daneben stellt auf langer Tafel ein Zahlmeister dichte Reihen blanker Goldstücke auf. Trommelwirbel ertönt, er nähert sich, um den Bahnhof schwenkt, Officiere zu Pferde voran, eine Colonne Gardezuaven, so eben von dem eingelaufenen Kriegsschiffe gelandet; ihre langen Hirschfänger auf den Gewehren, schwer bepackt, Tornister auf dem Rücken, marschiren sie in strammer Haltung ein, sie tragen weite, graue, orientalische Beinkleider, vom Knie bis zum Knöchel gelbe Ledergamaschen, an die sich weiße leinene anschließen, welche die Schuhe [356] bedecken, dunkle, mit breiten gelben Schnüren besetzte Jacken und weiße Turbane. Von den großen Tornistern hängen graue Leinendecken zusammengerollt auf beiden Seiten herab, daneben der lange Stab und die hölzernen Pflöcke zur Befestigung des Zeltes. Ehrenzeichen glänzen an der Brust der Meisten, sie tragen die Krimmedaille; zwei und drei Medaillen und Orden bei demselben Manne ist keine Seltenheit, ein Sergeant trägt fünf Ehrenzeichen. Ihnen auf dem Fuße folgt die reitende Gardeartillerie, gleichfalls eben erst angekommen; die Pferde schreiten kräftig aus; die Munitionswagen sind mit sechs, die Geschütze nur mit vier Pferden bespannt. Kaum ist das Donnern der schweren Stücke auf den Straßen verhallt, so zieht in entgegengesetzter Richtung eine lange Reihe dicht besetzter Omnibusse an uns vorüber, die, von den einrückenden Truppen aufgehalten, nun eilen, ihre Passagiere in die Vorstädte zu vertheilen.
In der Morgenkühle des bei uns wegen seiner Kälte gefürchteten Pancratius (12. Mai) wandern wir durch den schönsten Spaziergang der Stadt, die Aqua sola, hinaus in die Nähe des Leuchtthurmes. Da plötzlich erschallt Trommelwirbel, Bärenmützen werden hoch über der Menge sichtbar. In Parademarsch rücken die Grenadiere der Kaisergarde in die Stadt, um bei Ankunft des Kaisers ihre Ehrenposten einzunehmen. Tüchtige Gestalten mit vollen Bärten und stolzer Haltung, aber wenig Decorationen, so marschiren zwei Bataillone, eine Staubwolke aufregend, an uns vorüber, von bewundernden Blicken der Italiener gefolgt, während die alten, kriegsergrauten Zuaven sie von der Seite ansehen und unverständliche Worte in den Bart murmeln. Vor dem Andrange weichen wir nach dem Hafendamme aus, der hinter dem Palaste Doria wegführt, von dessen Balconen und Fenstern lange, schwere, rohseidene Tücher herabflattern. Jetzt haben wir den Fuß des Leuchtthurmes erreicht, unter uns legen eben zwei breite, flache Fahrzeuge an, auf denen Reihen von Pferden aus den großen Transportdampfern an’s Land gebracht werden. Mit unsicherem Tritt klettern die Thiere über die Landungsbrücke und wiehern munter, sobald sie festen Boden unter den Hufen fühlen. Daneben liegen aufgeschichtet in großen Haufen eiserne Bettgestelle, zusammengeschlagen; vermuthlich für Lazarethe bestimmt, sind sie zum Schutze gegen die Witterung mit rothem Firniß überzogen. Auf der Spitze des Haufens thronen einige Sättel. Räder, Karren, Pferdezeug aller Art, Schaufeln und Hacken sind in gleicher Weise hier und da aufgestapelt. Das Kriegsschiff, welches wir gestern einlaufen sahen, suchen wir im Hafen vergeblich. Es hat die Suite des Kaisers und die Zuaven der Garde gebracht und ist bereits wieder abgedampft. – Die Böschungen der Hafendämme sind mit Zuschauern dicht besetzt. Alle Bewegungen im Hafen werden wohl beachtet, Ungewohntes mit lautem Geschrei allen Umstehenden angezeigt.
Wir schreiten durch das Thor, um aus dem Bereiche der Menge zu kommen. Ein weiter Ueberblick über das Meer eröffnet sich uns auch hier. Eine Flotille von vier Dampfern, der noch andere in größerer Entfernung folgen, naht rasch. Hier befindet sich der Kaiser. Das erste Schiff, nicht zu groß, hat nur wenig Flaggen aufgezogen, während die beiden folgenden Dampfer mit Wimpeln überdeckt sind; die meisten Stimmen sprachen sich dafür aus, daß das zweite Schiff den Kaiser trage. Als aber das erste Fahrzeug den Eingang des mit einer Menge bunter Kähne belebten Hafens und die Linie zwischen beiden in das Meer vorspringenden Hafendämmen erreicht hatte, löste sich eine schwere Rauchwolke von dem Quai des alten Molo los, sich allmählich über die kräuselnden Wellen der Brandung wälzend, und weithin dröhnend hallte der erste Schuß von den Bergen wieder; Masten und Raaen der Kriegsschiffe, von denen Flaggen aller Farben überall lustig im Winde flatterten, füllten sich augenblicklich mit Matrosen in weißen Festanzügen, die in langen Reihen sich auf den Segelstangen aufstellten; von allen Thürmen begann das Geläute der Glocken, und Schuß um Schuß von zwei Hafenbatterieen, denen sich später noch ein englisches Kriegsschiff zugesellte, rief einen ununterbrochenen Donner wach, der sich in den weiten Gebirgsthälern rollend verlor. Unterdeß hatte auch das zweite Fahrzeug Anker geworfen, welches der Reine Hortense, auf der der Kaiser die Ueberfahrt gemacht, von der Stadt aus mit der Suite des Kaisers und den ersten diplomatischen und städtischen Behörden zur Begrüßung entgegengefahren war. Von der Ausschiffung konnte man wegen der Anhäufung von Schiffen, Booten und Transportfahrzeugen im Hafen nichts unterscheiden.
Es begannen große Tropfen zu fallen, und man bemerkte nun erst, daß schwere, dunkle Gewitterwolken von den Apenninen herab über die Stadt gezogen waren. Alles eilte zurück. In den Straßen bildeten Gardezuaven und Gardegrenadiere auf der einen, Nationalgarde auf der anderen Seite Spalier, verließen aber eben ihre Posten, da der Kaiser schon vorübergefahren war. Unter Hunderten von blau-roth-weißen und grün-roth-weißen Fahnen, die aus den oberen Fenstern der Häuser quer über die Straße gezogen waren, und fast das Pflaster berührten, hindurch riß uns der Strom der Menge glücklicher Weise bis zur Via nuova, wo wir noch im Café de la Concordia Platz fanden. Bald füllten sich die engen Räume mit Officieren aller Waffengattungen, zwischen denen nur hier und da eine muthige Genueserin mit ihrem Cavaliere sichtbar wurde. Unter Orangenbäumen, deren Zweige, von der Last ihrer reifen Früchte gebogen, köstlichen Duft verbreiteten; beim Geplätscher einer Fontaine, inmitten einer Menge der prächtigsten Uniformen, der Vertreter der ganzen Armee, machte sich das Gefühl geltend, daß man im Beginne der bedeutungsvollsten Ereignisse für die Geschichte Europa’s stehe und daß dieser Tag der wichtigste und glänzendste Genua’s seit Jahrhunderten sei.
Diese kleine zwischen Häusern eingeschlossene Terrasse in der Mitte der Stadt bot der interessantesten Scenen mancherlei. Hier trafen sonnengebräunte Männer, die das Geschick nach Beendigung des Krimfeldzuges nach Nord und Süd auseinander gerissen, zum ersten Male wieder zusammen. Manch herzliches Willkommen, manche leidenschaftliche Wiedererkennungsscene fand hier statt. Gemeinsam Erduldetes, gemeinsame Waffenthaten wurden in Erinnerung gebracht, manchem dahingeschiedenen braven Waffenbruder ein stilles Andenken geweiht. Fast Aller Brust zierten Ehrenzeichen. Die jungen Officiere der Gardecavallerie, in prächtiger Uniform, dunkel mit Goldtressen, mit intelligenten Gesichtern, aber ohne den Ausdruck ertragener Kriegslasten, saßen abseits; sie hatten unter den kriegsergrauten Cameraden noch wenig Freunde. – Soldaten kamen, um hier Meldung zu machen und Befehle zu erhalten. Bei dieser Gelegenheit sah ich auch die ersten Turcos, die sich malerisch und sehr en negligé hingelagert hatten und ihr Abendbrod bereiteten. Ich sende Ihnen für die Gartenlaube eine photographische Abbildung, die sehr getreu ist. Von Oberofficieren wurden Dispositionen für ihre Corps ertheilt. Hier wurden Briefe abgegeben für Officiere, die man nicht finden konnte; hier suchten sich Bekannte, nachdem sie nach dem Marsche oder der Ausschiffung ihr Quartier bezogen, um hier den Abend und die Illumination zu erwarten. Das Gewitter gegen Mittag hatte nach wenig Tropfen wieder aufgehört, jetzt aber, gegen Abend, begann es stärker zu regnen und drohete die Illumination zu vereiteln, als sich die Wolken wieder zertheilten. Der Regen hatte die schwüle Luft abgekühlt und den lästigen Staub gelöscht. In wenigen Minuten füllten sich die leergewordenen Straßen wieder mit Menschen. Die bunten Lampen und große Wachsfackeln wurden nun allenthalben an den Façaden der Häuser angezündet, und Gasröhren strahlten an Balconen und Portalen helle Gasflammen in vielgestaltigen Formen aus, unter denen überall der Namenszug Napoleons vorwaltete. Die flatternden Fahnen, von Tausenden von Flammen beleuchtet, machten einen großartigen Eindruck. Transparente waren außer den von der Stadt selbst besorgten nicht sichtbar. Das Gedränge erreichte namentlich am Theaterplatze, wo französische Gensd’armerie zu Pferde Raum für den Wagen des Kaisers schaffen sollte, einen gefährlichen Grad. Doch verhielt sich die Menge ruhig, auch beim Vorüberfahren des Kaisers, dem nur seine Franzosen zujubelten. Von großem Enthusiasmus für den Civilisations-Kaiser seitens der Genueser habe ich nichts bemerkt. Die feenhafte Beleuchtung von Kirchen und Palästen, der Wiederschein aller dieser Lichter aus der gemischten bunten Menge, aus den verschiedensten Elementen zusammengesetzt. Alles bot einen zauberhaften Anblick. Als aber gegen neun Uhr wiederum dichter, feiner Nebel niederfiel, und mein im Gedränge verlorener Gefährte mich wiedergefunden, eilten wir, von dem Lärmen und dem Umhertreiben des Tages ermattet, im Hotel national Ruhe zu finden.