Textdaten
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Autor: François Attibert
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Titel: Vier Jahre in Cayenne
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 24–26, S. 347–348, 359–360, 366–368
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[347]
Vier Jahre in Cayenne.

Es war – erzählt Attibert, der Verfasser der so eben unter dem obigen Titel erschienenen merkwürdigen Broschüre – im Monat December 1854, als ich mit mehreren anderen politischen Verurtheilten den Zellenwagen bestieg, der uns mitten in der Nacht aus dem Gefängniß von Paris nach Toulon brachte.

Zwei Tage und drei Nächte saßen wir dicht aneinander gereiht auf der zur Befriedigung gewisser natürlicher Bedürfnisse gleich mit eingerichteten durchlöcherten Bank, mit dreißig Pfund Ketten an den Beinen und Handschellen.

In diesem Kasten sieht und hört man nichts, als das Rollen und Poltern des Wagens. Man kann keine Bewegung machen. Die Unbeweglichkeit, die drückende Last der Fesseln, unter welcher die Glieder anschwellen, das Schweigen, der Mangel an Luft, die Härte der mit Blech beschlagenen Wände – Alles dies versetzte uns in einen so qualvollen Zustand, daß nur der, welcher, wie wir, ein Opfer desselben gewesen ist, sich eine richtige Vorstellung davon machen kann.

Nach der Ankunft in Toulon brachte man uns in das Fort Lamalgue. Wir waren so erschöpft und an allen Gliedern so steif, daß man uns aus unserem Eisenkäfig herausheben und in unser neues Gefängniß tragen mußte.

Hier, wo wir verhältnißmäßig gut behandelt wurden, blieben wir zwanzig Tage, weil das Schiff, welches uns nach Cayenne bringen sollte, noch nicht segelfertig war. Auch nach Ablauf der zwanzig Tage war dies noch nicht der Fall, und da der Raum in dem Fort anderweit gebraucht ward, so brachte man uns einstweilen nach dem Bagno der Galeerensclaven.

Es war sechs Uhr Morgens. Soldaten escortirten uns in die Boote, denn man kann nur zu Wasser in den Bagno gelangen. Kaum waren wir in die Boote gestiegen, so wurden wir von den am Ufer versammelten Zuschauern unter freundlichen, ermuthigenden Zurufen mit einer ungeheueren Masse Tabakspäckchen und Cigarren überschüttet. Wir dankten durch Blicke und Gebehrden, denn jedes Wort war uns auf’s Strengste verboten, und unmittelbar nach unserer Ankunft im Bagno schien man uns für die von unsern mitleidigen Landsleuten bereitete Freude büßen lassen zu wollen.

Der Director ließ aus unsern Reihen – im Fort Lamalgue waren schon vor uns zwanzig andere Verurtheilte eingetroffen – die fünf zu den schwersten Strafen Verurtheilten vortreten und sagte zu den Soldaten:

„Bringt sie in die Zellen, und wenn sie sich rühren oder mucksen, so schlagt zu. Solche Hunde sind nichts Besseres werth.“

Unter diesen fünf Verurtheilten befand sich auch ein Italiener, Namens Pianori, der Bruder dessen, der auf Ludwig Napoleon geschossen. Er war ein junger Mann von dreiundzwanzig Jahren und hatte, als er die Verhaftung seines Bruders erfuhr, Italien verlassen, um ihn zu rächen. An der Grenze ward er angehalten und ohne weitere Untersuchung zur Deportation nach Cayenne verurtheilt.

Unser Aufenthalt im Bagno war nur ein kurzer. Schon am nächstfolgenden Tage befahl man uns, unsere Kleider auszuziehen, und gab uns die Uniform der Deportirten – Beinkleider von grauer Leinwand, graue Blouse, wollene Mütze und Hemd von Hanfgespinnst.

Es war elf Uhr Morgens, als wir an Bord des Transportschiffes kletterten, welches ironischer Weise den Namen „Fortuna“ führte. Siebenundzwanzig von uns kamen zusammen in ein gemeinschaftliches Behältniß des Zwischendecks, worin aber nur zwölf Hängematten aufgespannt werden konnten. Dieses Behältniß war fünfundzwanzig Fuß lang und zehn Fuß breit. Hier waren diese siebenundzwanzig so dicht zusammengepfercht, daß sie sich kaum zu rühren vermochten. Uebrigens mußten einige zwanzig Tage lang wegen stürmischer Witterung die Luken, welche noch ein wenig Luft und Licht einließen, geschlossen gehalten werden, so daß die Gefangenen mehrmals dem Ersticken nahe waren. Wir Uebrigen kamen in gesonderte Zellen, wo wir uns nicht viel besser befanden.

Und dennoch war damals noch die gute Zeit. Gegenwärtig kommen die nach Cayenne Verurtheilten auf dem Schiffe nicht mehr in gesonderte Behältnisse, weil man diese Transportmethode noch zu mild gefunden hat. Es fehlte uns allerdings an frischer Luft, wir konnten in unseren Zellen nicht sehen, sondern befanden uns in fortwährender und vollständiger Finsterniß, aber Alles dies war weniger qualvoll, als die jetzige Verfahrungsweise. Jetzt bleiben die Verurtheilten auf dem Deck des Schiffes liegen, wo sie mit den Füßen an eiserne Querstangen angeschlossen sind und folglich die größte Beengung, Sturm, Regen, Hitze, Kälte und die stete Gegenwart ihrer Hüter zu ertragen haben.

Unsere Behältnisse befanden sich sämmtlich an dem einen Ende des Zwischendecks. An dem andern Ende war ein Bretverschlag mit einer kleinen Seitenthür. Während der ganzen Dauer der Reise trat, so viel wir bemerken konnten, Niemand in das verschlossene Gemach, zwischen welchem und unseren Behältnissen ein ziemlich großer, freier Raum blieb.

Nach Beendung der Reise sagte einer der Officiere zu uns: „Ihr habt wohl daran gethan, Euch ruhig zu verhalten, denn hinter jenem Bretverschlag steht ein bis an die Mündung mit Kartätschen geladenes Geschütz, und bei der geringsten Widersetzlichkeit wäret Ihr sofort Alle zusammengeschossen worden.“

[348] Alle zwei Tage durften wir einmal zwei Stunden lang auf’s Deck, um frische Luft zu schöpfen. Die übrige Zeit blieben wir in unseren Zellen liegen. Diese waren so niedrig, daß wir nicht einmal auf unsern Hängematten sitzen konnten, sondern, wie gesagt, liegen bleiben mußten. Die Luft drang nur durch kleine, in die Bretwand gebohrte Löcher herein, und wir bekamen davon so wenig, als die väterliche Regierung Ludwig Napoleons nur wünschen konnte.

Ich hatte das ziemlich seltene Glück, von der Seekrankheit verschont zu bleiben. In der Straße von Gibraltar hatten wir einen ziemlich heftigen Sturm zu bestehen, der auch im atlantischen Ocean noch mehrere Tage fortdauerte, und die meisten von uns waren während der ganzen Ueberfahrt seekrank. Unsere Reise dauerte verhältnißmäßig lange, und erst am neunundvierzigsten Tage hörten wir die Kanonen der Insel Enfant perdu, welche die Flagge unseres Gefängnisses begrüßte. Man ließ uns nun auf’s Deck heraufkommen, und wir sahen in der Ferne einige Spitzen der Schreckensorte, nach welchen wir bestimmt waren.

Die Sonne war eben im Untergehen begriffen. Das in dieser Nähe des Landes mit Sand und Schlamm gefüllte Meer hatte eine gelbe Farbe. Die Stadt Cayenne, der man sich wegen der ungeheuren Schlammmassen mit größern Schiffen nur bis auf zwei und eine halbe geographische Meile nähern kann, erschien uns wie eine Wolke. Die übrigen Inseln boten einen reizenden Anblick. Wir zählten deren drei große. Nach Osten sahen wir einen Theil der Teufelsinsel, die kleine sogenannte Mutterinsel, die Königsinsel, welche dem Festlande am nächsten liegt, und die kleine Insel Saint Joseph. Diese Inseln steigen in schroffen Felsenmassen empor und nur auf der Insel Saint Joseph ist anmuthig grünende Vegetation vorherrschend. Auf der Spitze der Teufelsinsel sahen wir einige Leute hin und her gehen, und neugierig nach unserer Kriegsbrigg ausschauen.

Da wir so lange Zeit in der Nacht des Zwischendecks zugebracht hatten, so wünschten wir lebhaft, recht bald an’s Land gebracht zu werden. Wir wußten nicht, ob man uns auf einer der Inseln in ein Gefängniß oder auf den Ponton „der Castor“, den wir hier vor Anker liegen sahen, bringen würde. Mehr als einer meiner Unglücksgefährten, der jetzt Land und Sonnenschein als eine Erleichterung der unterwegs ausgestandenen Leiden betrachtete, sollte schon binnen wenigen Tagen unter unerhörten Qualen seinen letzten Seufzer aushauchen.

Im Augenblicke unserer Ankunft herrschte das gelbe Fieber nämlich schon seit acht Monaten. Es beginnt in der Regel mit den ersten Tagen der trockenen Jahreszeit und zieht sich oft noch lange in die Regenzeit hinein. Keiner der Matrosen und Seesoldaten durfte an’s Land und auch wir mußten beinahe noch einen Monat auf dem Schiffe bleiben. Benutzen wir diese Zwischenzeit, um ein wenig das Land und das Klima zu schildern.

„Es ist,“ sagte der Moniteur, „eine wahrhaft philanthropische Idee gewesen, welche zur Aufhebung der Bagno’s in Frankreich und zur Errichtung der Strafkolonien in Cayenne geführt hat.“

Weil nämlich die Bagno’s in Frankreich zu gesund befunden wurden, verlegte man sie nach Cayenne. Die Philanthropie, welche Cayenne schuf, ist dieselbe, welche Mazas schuf. Die trockene Guillotine gehört derselben Inspiration an, wie das Zellengefängniß.

Die Küste von Guyana, zu welcher Cayenne gehört, liegt zwischen dem vierten und fünften Breitengrade und folglich ganz nahe am Aequator. Das französische Guyana grenzt nördlich an den Ocean, östlich an den Fluß Oyapok, südlich an das brasilianische Guyana und westlich an den Fluß Maroni, der es von dem holländischen Guyana trennt. Reich an allen Erzeugnissen der Wendekreise, zählt diese Colonie, die dem Flächeninhalte nach halb so groß ist, wie Frankreich, doch nur zehn- bis zwölftausend Einwohner. Der Handel ist hier sehr schwach und die Cultur des Bodens und der Gewerbfleiß sind hier erst im Entstehen begriffen.

Woher rührt diese vollständige Vernachlässigung eines so fruchtbaren Landes in so dichter Nähe der Antillen? Warum wenden sich alle Einwanderer lieber nach Brasilien oder den Vereinigten Staaten. Worin liegt der Grund des Verfalles sämmtlicher Gebäude, die in Cayenne nicht dem Staate angehören? Das Leben kostet hier fast gar nichts, und dennoch will Niemand hier leben. Der Grund ist, weil Bonaparte, indem er dieses fruchtbare Land zu einem fluchbeladenen macht, indem er es in eine Plantage von Galgen, in eine Pflanzschule von Gensd’armen, in eine Cloake von Henkersknechten verwandelt, die Colonisten hinwegscheucht, welche es in einen wohnlichen und gewinnbringenden Aufenthalt umgestalten könnten.

Werfen wir einen flüchtigen Blick auf das Land.

Bis zur Insel Cayenne ziehen sich vom Süden unermeßliche Wälder herab, in welche noch niemals die lichtende Axt gedrungen ist und die von Sümpfen und schlammigen Strichen gleich denen an den Küsten durchschnitten sind. Diese Wälder ziehen sich von einer Gebirgskette herab, auf welcher zahlreiche Flüsse entspringen, deren Wasser kein Bett hat, eine Menge vegetabilische Trümmer mit fortführt, mit Beginn der Regenzeit austritt und während der trockenen Jahreszeit stehende Tümpel bildet, aus welchen pestilenzialische Dünste emporsteigen. Nach Osten zieht sich zwischen Cayenne und dem Amazonenstrome ein Gebiet hin, dessen Name ein ziemlich charakteristischer ist, es heißt nämlich das „ersäufte“. Nach Westen sieht man dieselben qualmenden, dampfenden Moräste. Folglich: Sümpfe und Wälder im Süden, Sümpfe im Osten und Westen, zahlreiche Flüsse ohne Bett und nach Norden ein seichtes Meer mit schlammigem Boden – das ist die unbestreitbare und unbestrittene Geographie dieser von der Philanthropie errichteten Colonie.

Was das Klima betrifft, so kann man sich ungefähr einen Begriff davon machen, wenn ich sage, daß selbst in der kühlen Jahreszeit das Thermometer im Schatten noch mindestens 55° F. (10° R.) zeigt. Man denke sich erst die Wirkung der Sonne, wenn ihre Strahlen senkrecht auf diesen Morast- und Schlammpfuhlen brüten!

Das Jahr wird hier in vier Jahreszeiten getheilt, nämlich zwei Winter und zwei Sommer. Diese beiden Sommer beginnen der eine am 21. März, der andere am 21. September. Die Winter sind die Regenzeiten. Der Regen fällt dann unaufhörlich und in Strömen. Während dieser sogenannten Winter ist die Hitze noch immer sehr groß und die Sonne, wenn sie einmal die Wolken durchdringt, gefährlicher als je. Wenn die trockne Jahreszeit herrscht, verdunsten die von den Flüssen in den Niederungen zurückgelassenen Wasser. Giftige Miasmen – mit andern Worten das gelbe Fieber, oder mit noch anderen Worten, der Tod – erfüllen die Atmosphäre, welche ohne Strömung und durch die Wälder gehemmt, sich nicht reinigen kann. Alles gährt. Alles lebt und stirbt, vegetirt und verwest mit einer Schnelligkeit und in einem Verhältnisse, welches uns unbegreiflich erscheint. In der Luft wimmeln die Miasmen und Insecten in förmlichen Wolken; in dem Wasser, auf der Erde alle Ungeheuer des heißen Schlammes, alle lebendig gewordenen Gifte – Schlangen, Krokodile, Scorpione, ungeheure Kröten, riesige und gefährliche Fledermäuse. Ringsum schwärmen Millionen von kaum sichtbaren giftigen Insecten, die fliegenden Läuse, die Sandflöhe, welche sich unter Fuß- und Fingernägel und in die Schweißlöcher einbohren und ihre Eier darein legen, die amerikanischen Mücken und die Muskitos, deren Saugrüssel durch die beste wollene Decke dringen, und gegen welche das Muskitonetz keinen Schutz gewährt.

Das Meer und die Flüsse sind mit Haifischen, Kaimans, Muränen und einer Menge giftiger Thiere bevölkert. Sich in diesen Gewässern zu baden, ist rein unmöglich.

Die Nacht folgt auf den Tag ohne Dämmerung in zehn Minuten. Auf den sengend heißen Sonnenschein folgt eine sehr kalte Nacht. Athmen heißt sich vergiften; zu gewissen Stunden thätig sein, heißt sein Leben preisgeben; ausruhen heißt allerdings weniger leiden, aber immer noch leiden. Dies ist das Klima. Ist es der Aufmerksamkeit einer väterlichen philanthropischen Regierung nicht vollkommen würdig?

Man war es endlich müde, uns an Bord der Fortuna zu bewachen, und schickte uns auf den Ponton oder das Gefängnißschiff „der Castor“, der auf der Rhede vor Anker lag. Es war ein altes, entmastetes, halb verfaultes Schiff, welches von einigen Marinesoldaten bewacht ward. Hier mußten wir zuerst das Deck und dann die für uns bestimmten Zellen säubern. In den ersten, die uns zu diesem Zwecke geöffnet wurden, war die Luft so verpestet, daß wir es nicht länger, als eine halbe Stunde nach einander, darin aushalten konnten, und dann allemal wieder einige Zeit auf’s Deck hinaufgehen mußten.

[359] In einer dieser Zellen lag ein noch lebender Gefangener. Wir baten die Aufseher, die uns auf den „Castor“ gefolgt waren, ihn einen Augenblick herauszulassen, und mit großer Mühe bewogen wir sie, unsern Wunsch zu erfüllen.

Ich glaube jetzt noch, diesen Unglücklichen vor mir zu sehen, der nach mehreren Jahren auf eine Minute dem Lichte wiedergegeben ward. Unbeweglich, wie vernichtet und stumm stand er da. Er „athmete lange und athmete tief“ und schien, des Klanges der menschlichen Stimme entwöhnt, das Wort seiner Brüder kaum zu hören. Sein Körper war bis auf’s Aeußerste abgemagert und seine Haut vom Aussatze zerfressen und zernagt. Sein Wuchs mußte früher ein athletischer gewesen sein. Seine Kniescheiben hatten einen ungeheueren Umfang, während die Beine nur noch aus Haut und Knochen bestanden. Sein Bart und Haar war furchtbar lang und weiß, obschon der Unglückliche noch nicht fünfundvierzig Jahre zählte. Ueber seine Vergangenheit erfuhr ich Folgendes. Drei von der päpstlichen Polizei an die französische ausgelieferte Italiener wurden unter einem unbekannten Vorwande nach Cayenne transportirt. Man wollte sie nicht mit anderen politischen Gefangenen in Berührung kommen lassen und sperrte sie deshalb in das Stadtgefängniß, aus welchem einer von ihnen entsprang. Nun versenkte man die beiden anderen in die Zellen des Gefängnißschiffes „Castor“. Dies ist Alles, was ich von der Vergangenheit dieses Unglücklichen und seines Cameraden weiß.

Während er noch so auf dem Deck stand und in wenigen Minuten mehr frische Luft athmete, als er seit fünf Jahren geathmet, brachte eine Barke zwei Diener Sr. Majestät Napoleons III., den Admiral Baudin und den Gouverneur La Richerie. Die Aufseher wollten den Italiener schnell wieder in seine Zelle führen, aber es war schon zu spät. Der Admiral hatte ihn bereits gesehen und bleich vor Wuth bei dem Anblicke seines auf wenige Augenblicke seinem lebendigen Grabe entrissenen Schlachtopfers rief er:

„Wer hat diesem Menschen erlaubt, auf’s Deck zu kommen? Gleich bringt ihn wieder in seine Zelle!“

Einer der Aufseher wollte sich mit der Krankheit des Gefangenen entschuldigen, aber der Admiral unterbrach ihn wüthend:

„Für solche Menschen gibt es keine Krankheit. Versteht Ihr mich? Keiner wage wieder, meine Befehle auf diese Weise zu übertreten.“

Was ward aus dem Italiener und seinem Genossen? Sind sie todt? Niemand hat etwas darüber erfahren. Ihre Familien in der Heimath wissen nicht einmal, daß sie nach Cayenne transportirt worden sind.

Wir blieben einundfunfzig Tage auf dem Ponton, dann kam ich mit funfzehn meiner Leidensgefährten in das „rothe Schloß“, die Bastille der sogenannten Königsinsel. Die Ueberfahrt nach derselben war ziemlich beschwerlich. Die Hitze war furchtbar und als wir ausstiegen, mußte jeder einen Sack von ziemlich hundert Pfund Gewicht auf die Schultern nehmen. Die Insel ist sehr steil und der schmale Weg, mittelst dessen man hinaufgelangt, in den Felsen gehauen, an welchem er in beinahe geradliniger Richtung dreihundert Fuß hoch hinaufführt.

Als wir hier unser neues Gefängniß betraten, übte die Luft darin oder vielmehr das Gas, das wir athmeten, eine beinahe erstickende Wirkung auf uns aus, und drei von uns sanken ohnmächtig nieder. Die äußere Luft drang hier nur durch zwei schmale Maueröffnungen ein, in welche überdies eine senkrechte und so breite Eisenstange eingesetzt war, daß die Oeffnung zum dritten Theile wieder versperrt ward. Dennoch wird man später sehen, daß die Gefangenen sich verhältnißmäßig glücklich schätzen, wenn sie hier eingesperrt werden, anstatt in der furchtbaren Sonnenhitze im Freien arbeiten zu müssen.

Man sagt, Louis Napoleon scheue vor keinem Mittel zurück, um sich auf seinem Throne zu befestigen. Warum aber, wird man fragen, läßt er seine Opfer so lange schmachten? Warum läßt er sie nicht sofort köpfen oder niederschießen, ohne sie erst zu deportiren? Er hat seine guten Gründe dazu. Das von ihm eingeführte System, sich seiner Feinde zu entledigen, läßt keine Blutspuren auf dem Boden des Vaterlandes zurück. Der Bürger, welcher seinen Geschäften nachgeht, sieht keine Blutlachen auf dem Straßenpflaster. Das Geschrei der Angst und Verzweiflung dringt nicht in die öffentlichen Feste und in die Kirchen, wo man Domine salvum fac imperatorem singt.

Die Stadt Cayenne liegt auf einer Insel von zwei bis drei Wegstunden Umfang. Sie wird durch zwei Arme des Meeres und einige Flüsse gebildet, welche die Stadt durchschneiden und als Communicationswege dienen. In Folge ihrer Lage ist die Stadt vielleicht weniger gesund, als die anderen Inseln, obschon das gelbe Fieber, welches durchschnittlich sechs Monate im Jahre herrscht, wie alle durch den Wind begünstigte Epidemieen an unseren Küsten eben so wüthen kann, als in Cayenne.

Die Bewohner dieser so hart geprüften Stadt haben sich von jeher sehr mitleidig gegen die Unglücklichen bewiesen, welche durch ehrgeizige, gewaltthätige Regierungen nach Guyana in den Tod geschickt worden sind. Als die ersten Deportirten, die des Generals Cavaignac, in Cayenne ankamen, nahm sie der damalige Gouverneur, ein sehr vortrefflicher, menschenfreundlicher Mann, mit Wohlwollen auf. Es waren nur ihrer neun, und er trug Sorge, sie bei Gewerbtreibenden der Stadt unterzubringen. Nicht lange darauf brachte ein Kriegsschiff eine neue Ladung Gefangene. Diesmal betrug ihre Zahl sechzig. Der Gouverneur, der sie eben nicht, wie die ersten, in Privathäusern unterbringen konnte, schickte sie nach der Mutterinsel und that Alles, was er konnte, um ihr Loos zu erleichtern. Diese Humanität war den in der Colonie ziemlich zahlreich vorhandenen Jesuiten zuwider, und in Folge ihrer hinterlistigen Anschwärzungen ward der menschenfreundliche Gouverneur abberufen und durch einen andern ersetzt, der sich auf das Menschenquälen besser verstand. Das Mitleid der Colonisten mit den Schlachtopfern der Regierung war daher einer der Gründe, aus welchen man die Deportirten von der Stadt Cayenne so weit als möglich entfernte.

Auf der Mutterinsel hatten es die Gefangenen in der ersten Zeit nicht allzuschlecht, später aber ward ein anderes System eingeführt, welches von 1852 an aber immer mehr verschärft ward. Während der ersten Monate war die Arbeit frei. Wer arbeitete, verdiente täglich 75 Centimes bis 1 Franc 25 Centimes und ward überdies bei Vertheilung der von Cayenne gesendeten Lebensmittel begünstigt. Vier Mal wöchentlich ward Fleisch auf die Mutterinsel geschickt. Wer arbeitete, erhielt frisches Fleisch, wer dagegen, gleichviel aus welchem Grunde, die Arbeit verweigerte, erhielt nur Salzfleisch.

Diese Einrichtung war jedoch nicht von langer Dauer und man wartete nur auf einen Vorwand, um sie abzuändern. Eine leichte Widersetzlichkeit, deren sich funfzehn Gefangene schuldig gemacht, lieferte diesen Vorwand. Man stellte die Widerspenstigen vor ein Kriegsgericht, vor welchem die Aufseher und Gensd’armen, die allein als Zeugen abgehört wurden, aussagten, der Commandant sei bei seiner Ankunft auf der Insel von den Gefangenen umringt worden, die ihm dann den Degen aus der Hand und die Epauletten von den Schultern gerissen hätten. Obschon nun der wenige Augenblicke nach dieser Aussage erscheinende Commandant erklärte, daß er in jenem Augenblicke weder Degen noch Epauletten getragen und daß die Widersetzlichkeit lediglich in Worten und drohenden Gebehrden bestanden habe, so wurden doch sieben der Gefangenen zu fünf Jahren Eisenstrafe und zur Zwangsarbeit auf der [360] Insel Saint Joseph verurtheilt. Zur Zwangsarbeit heißt aber mit anderen Worten stets: zum Tode.

Von dieser Zeit an herrschte auf der Mutterinsel beinahe dieselbe Strenge, wie in dem Bagno von Saint Joseph. Die Sterblichkeit ward größer. Der unbedeutendste Ungehorsam und die mindeste Unregelmäßigkeit bei Erfüllung der Befehle des Commandanten oder eines Aufsehers wurden mit den grausamsten Strafen belegt.

Die Gefangenen entwarfen mehrere Fluchtpläne, und im Januar 1853 gelang es auch wirklich zwölf von ihnen, nach Holländisch Guyana und von dort nach den Vereinigten Staaten zu entkommen, worüber damals die Zeitungen ausführlich berichtet haben.

Die Insel Saint Joseph ist von der Königsinsel nicht weit entfernt, und die Garnison der letzteren kann erstere mit überwachen. Hier mußten die Gefangenen arbeiten, ohne daß ihnen eine Vergütung dafür zu Theil ward. Wer sich weigerte, war der Strafe des Pfahles – worüber wir sogleich mehr hören werden – oder verschärfter Haft unterworfen.

Die in Saint Joseph eingeführte Tagesordnung war folgende: Um halb sechs Uhr Appell und Frühstück. Letzteres besteht aus einer Suppe, die nur durch den äußersten Hunger genießbar wird. Um sechs Uhr Beginn der Arbeit im Freien. Um elf Uhr Rückkehr in das Gefängniß und Mittagsessen. Dieses besteht aus einer Specksuppe, anderthalb Pfund elenden, aus Maniokmehl gebackenen Brodes und einem Quart Wein. Um ein Uhr Wiederbeginn der Arbeit. Um sechs Uhr Feierabend und Abendmahlzeit, zu welcher man trockene dumpfige Gemüse oder Stockfisch austheilt. Jeder Gefangene erhält überdies täglich eine Kanne Wasser, welches aber faul und salzig schmeckt.

Man denke sich also fünf Stunden Arbeit von sechs bis elf Uhr in diesem Klima, während in weit weniger heißen Ländern – in Italien, in Spanien – die Feldarbeit schon um zehn Uhr eingestellt wird! Was aber sagt man erst von den fünf Arbeitsstunden des Nachmittags?

Wenn der Gefangene von bereits fünfstündiger Arbeit ermüdet, keuchend und nach Luft schnappend in seiner Zelle liegt – wenn die Hitze den Erdboden spaltet, und die Sonnengluth mit feuriger Wucht auf der ganzen Natur lastet – wenn es keinen Schatten mehr gibt – wenn die Strahlen senkrecht herabschießen – muß der Gefangene wieder hinaus, wieder zu Hacke und Karren greifen und noch fünf Stunden arbeiten! Wenn ihm dann Hut oder Mütze vom Kopfe fällt, so raubt der ihn dann unmittelbar treffende Sonnenstrahl ihm den Verstand. Seine Haut wird rissig und runzlig, und wenn er es wagt, den nackten Fuß auf die glühende Erdkruste zu setzen, so bleibt die Haut der Sohle daran kleben.

Die Gefangenen werden durch Aufseher zur Arbeit geführt und, sobald es diese angemessen finden, durch Fußtritte und Stockschläge zum Fleiße angetrieben. Jeder Aufseher commandirt eine Abtheilung von zehn Mann. Empörungsversuchen ist durch die Gegenwart von vierzig Marinesoldaten und zwanzig Gensd’armen vorgebeugt.

Jeden Sonnabend werden die Gefangenen gemustert. Sie müssen dabei barfuß mit über die Kniee hinaufgewickelten Beinkleidern erscheinen. Eine zweite Musterung wird Sonntags abgehalten und schließt mit einem Vorbeimarsch vor dem Commandanten und dem Lieutenant, vor welchen die Gefangenen sich tief verneigen müssen. In derselben Ordnung begibt sich der Zug sodann in die Capelle zur Messe. Ein Jesuit besteigt die Kanzel, fulminirt gegen die Freidenker und Protestanten und ergeht sich in den heiligsten Ausdrücken. Was hätte er auch zu fürchten?

Nach zwei Jahren ward ich mit einer Anzahl meiner Unglücksgefährten auf die Teufelsinsel versetzt. Diese Insel war bis jetzt unangebaut und unbewohnt gewesen, sollte aber durch die Arbeit nun fruchtbar gemacht werden. Ein kleines, ziemlich in der Mitte unseres neuen Gebietes liegendes Bananenhölzchen war uns anfangs von großem Nutzen. Es dauerte nicht lange, so verlor die Insel einen Theil ihres wilden, uncultivirten Ansehens. Wir legten Gärten und Pflanzungen an. Der Contreadmiral Bonnard schickte Materialien, um Hütten zu bauen. Die Arbeit war frei, denn wir hatten keine Aufseher. Alle Dienstage, Donnerstage und Sonnabende brachte man den unfreiwilligen Colonisten Lebensmittel von Cayenne. Diese Lebensmittel waren dieselben, wie die in Saint Joseph; zum Glück brachten schon nach wenigen Wochen die Erzeugnisse unserer Gärten einige Abwechselung in unseren Küchenzettel. Süßes Wasser fehlte freilich, und wir bekamen täglich nur eine Kanne der Mann.

Der Contreadmiral Bonnard schien, wie man sieht, die auf der Insel Saint Joseph begangenen Grausamkeiten wieder gut machen zu wollen. Es ward sogar einem Krämer von Cayenne gestattet, sich bei uns zu etabliren und Tasia oder Zuckerbranntwein, Zwirn, Nadeln, Federn, Papier und andere dergleichen Dinge zu verkaufen. Uebrigens beschränkten sich unsere Nahrungsquellen nicht blos auf die Erzeugnisse unserer Cultur, denn wir hatten auch noch den Fischfang und die Jagd.

Der Fischfang war allerdings sehr schwierig, denn die gewöhnlichen zu demselben erforderlichen Geräthschaften waren uns beinahe alle verboten. Das Meer ist in diesen Breitengraden, wie ich schon oben gesagt habe, mit gefährlichen Fischen bevölkert. Die Colonie ist übrigens auch sehr geeignet, diese Thiere anzulocken, denn in der Fieberzeit gibt es Tage, wo man zehn bis zwanzig Cadaver in’s Meer wirft. Es ist deshalb gefährlich, am Ufer Wäsche zu waschen oder sich auch nur die Füße zu baden. Die Muränen und Haifische streifen dicht am Lande hin. Um zu fischen und dabei doch diesen Freunden der europäischen Ordnung aus dem Wege zu gehen, hatten wir auf der Südseite ein Bassin gegraben, welches zur Zeit der Fluth sich allemal mit Wasser füllte. Zuweilen geriethen dann Fische mit hinein, die dann beim Eintritt der Ebbe sitzen blieben, so daß wir sie fangen konnten.

Die Jagd war weniger regelmäßig und auch weniger ergiebig. Unser Wild bestand in weiter nichts als einigen Eidechsen und dann und wann einer Schlange. Diese Thiere sind nicht leicht zu fangen, obschon sie bei Weitem nicht so gefährlich sind, als man sie ausgeschrieen hat, während sie dagegen als wohlschmeckendes Nahrungsmittel noch lange nicht so gewürdigt zu werden scheinen, wie sie es verdienen.

Der erste Gedanke, der in uns Allen erwachte, als der Contreadmiral erklärte, er werde keinen Aufseher auf die Insel schicken, war der Gedanke an Flucht, obschon der Contreadmiral, der diese Gedanken natürlich errieth, ausdrücklich zu uns sagte: „Versuchet ja nicht zu entfliehen, denn dies würde Euren unvermeidlichen Tod zur Folge haben.“

Eines Tages sahen wir, als wir auf dem Cayenne gegenüber liegenden Strande standen, eine schwärzliche ungefähr zwanzig Ellen breite und vierzig Ellen lange schwimmende Masse in westlicher Richtung treiben. Wir glaubten, es sei ein von unsern Unglücksgefährten auf einer der andern Inseln gebautes Floß, auf welchem sie das Weite suchten. Wir zitterten, daß sie verfolgt werden möchten, und in der That stießen nach wenigen Minuten von dem Fort der Königsinsel acht bemannte Boote ab, welche das vermeinte Floß verfolgten. Fast gleichzeitig jedoch gewahrten wir, daß es sich hier um kein Floß, sondern um ein Stück Ufer des Amazonenflusses handele. Während der Regenzeit werden nämlich zuweilen sehr umfangreiche Erdstücken, die der Fluß schon unterminirt hat, durchweicht. Mit Bäumen und durcheinander geschlungenen Lianen und tausenderlei verschiedenen Pflanzen beladen, stürzen sie dann in’s Wasser, und die Strömung führt sie fort.

Es dauerte nicht lange, so sahen die Verfolger, die uns mittlerweile immer näher gekommen waren, ihren Irrthum ebenfalls ein, und da sie uns am Ufer stehen sahen, so kamen sie auf uns zugerudert und stiegen an’s Land. Wir sahen sofort, daß sie von Ingrimm und Wuth über ihre getäuschte Erwartung erfüllt waren und sich vorgenommen hatten, sie unter irgend einem Vorwande an uns auszulassen.

„Ha!“ sagte einer von uns – ein Pariser, in welchem das Unglück die Spottsucht noch nicht zu ertödten vermocht hatte – „ha! wenn wir Preßfreiheit und einen Charivari hätten, so ließe sich über diesen Vorfall ein sehr witziger Artikel schreiben.“

Nicht sobald waren diese Worte gesprochen, als die Soldaten sich auf diesen Unglücklichen und zwei seiner Cameraden stürzten, welche neben ihm standen und ihn entschuldigen wollten. Weit entfernt, ihre Meute zurückzurufen, sahen die Officiere mit wilder Freude zu.

[366] „Die Daumenschrauben! Legt diesen Canaillen die Daumenschrauben an!“ riefen die Einen.

„An den Pfahl mit diesen Hunden, an den Pfahl!“ riefen Andere.

Einer von unsern Unglücksgenossen wollte sich zur Wehre setzen. In dem ungleichen Kampfe, der sich zwischen ihm und den Soldaten entspann, ward ihm beinahe die Hälfte des Bartes ausgerissen.

Die Daumenschrauben wurden angelegt und – wie dies allemal geschieht – so lange zugedreht, bis das Blut unter den Nägeln hervorspritzte. Nun ging es nach dem Marterwerkzeug, dem Pfahl. Der Pfahl ist an einer völlig schattenfreien, kahlen Stelle aufgepflanzt. Er ist sieben Fuß hoch und hält zwanzig Centimeter im Viereck.

Man belastete die Füße des ersten Gefangenen, an welchem die Tortur vollstreckt werden sollte, mit sechzig Pfund Ketten und stellte ihn an den Pfahl. Hier band man ihn mit einem Strick um die Beine herum fest, schlang mit demselben Strick einen zweiten Knoten um die Schenkel und den Pfahl herum, zog ihn dann über den Hüften um den Gürtel des Gefangenen und um die auf den Rücken gelegten Armgelenke herum, und befestigte ihn nochmals an den Pfahl. Dann ward ein zweiter Strick über die Schultern herabgezogen, an dem Gürtel befestigt und mit seinen beiden Enden über zwei Rollen gelegt, über welche er einen Augenblick lang schlaff herabhing.

Ein gemeiner, nicht politischer Sträfling, welcher Henkersdienste verrichtete, zog nun den Strick an. Die Arm- und Beingelenke knackten. Kalter Schweiß perlte auf der Stirn des Gefolterten. Seine Augen unterliefen mit Blut und traten aus ihren Höhlen heraus. Sein Mund verzerrte sich vom Ausdruck eines unsäglichen Schmerzes, dennoch ließ er keine Klage, keinen Schrei hören. Der Henker zog schärfer an. Die für diese Folter festgesetzte Zeit beträgt zwei Stunden! Und es wird dabei vorausgesetzt, daß, wenn der Gefolterte um Gnade schreit, man aufhört, den Strick schärfer anzuziehen, obschon der Gefangene angebunden bleibt, bis die zwei Stunden um sind. Die senkrecht auf ihn herabbrennende Sonne verherrlicht Ludwig Napoleon und die Gesetzgeber von 1849. Ein brennender Durst verzehrt den Gefolterten, der Druck steigert sich mit dem jedesmaligen Einathmen der glühenden Luft, die Adern schwellen immer heftiger pulsirend an und drohen zu bersten.

Die Leiden unseres unglücklichen Freundes hatten kaum erst eine halbe Stunde gedauert, und schon wurden seine Lippen weiß, seine Augen schlossen sich, sein Haupt sank und er ward ohnmächtig. Man ließ den Strick ein wenig nach, aber es verging eine volle Stunde, ehe der Gefolterte wieder zur Besinnung kam.

Als die zwei Stunden um waren, ward das Schlachtopfer losgebunden und auf den Boden gelegt. Es blieben nun noch drei Verurtheilte zu martern. Die Sonne war dem Untergange nahe. Man folterte daher nur noch einen, und verschob die Folter der beiden andern bis auf den nächstfolgenden Tag. Man brachte bei den zweien, welche bereits am Pfahle gestanden, die Ketten wieder in Ordnung und drehete bei den andern die Daumenschrauben noch ein wenig schärfer zu. Einer von ihnen stieß einen Schrei aus. Man hatte ihm den Knochen des einen Daumens zerbrochen. Die Verurtheilten wurden hierauf in die Gefängnisse der Königsinsel gebracht.

Der Leser glaubt vielleicht, daß die kaiserliche Rache sich hiermit begnüge, aber er muß wissen, daß ein Gefangener niemals zu weniger als fünfzehn Tagen Pfahlstrafe, dies heißt also sechzig Stunden – zwei Stunden des Morgens und zwei Stunden des Abends – verurtheilt wird.

Es waren in der letzten Zeit von Cayenne und der Mutterinsel aus mehrere zum Theil gelungene Fluchtversuche unternommen worden. Der Gouverneur und der Admiral beschlossen deshalb, die schärfste Ueberwachung anzuordnen und die Teufelsinsel, auf der wir uns jetzt befanden, demselben Regime zu unterwerfen, wie die Königsinsel und die Insel Saint Joseph, welche vorzugsweise von gemeinen Verbrechern bewohnt waren.

Wir ahnten diesen Entschluß, während zugleich die Kenntniß von dem glücklichen Entrinnen mehrerer unserer Unglücksgefährten unsere Phantasie erhitzt hatte. Eines Abends, als wir in ziemlich großer Anzahl an dem nördlichen Ende der Insel versammelt waren, wo in der Regel ein frischer Wind weht und wohin wir uns oft begaben, um, wie wir sagten, die „Luft Frankreichs“ zu athmen, sprach man von den zu erwartenden strengen Maßregeln, von der Flucht mehrerer unserer Cameraden mittelst eines heimlich von ihnen erbauten Flosses und endlich von der Nothwendigkeit, für uns ebenfalls ein solches Floß zu fertigen.

Wir beschlossen, eins zu bauen, welches groß genug wäre, um zwanzig Personen zu tragen, und zwanzig von uns machten sich sofort an die Arbeit. Diese war jedoch nicht leicht, denn es gab auf der ganzen Insel kein Stück Holz von nur einigermaßen erheblicher Größe. Das Gouvernement kam jedoch – natürlich ohne es zu wollen – unsern Wünschen entgegen, indem es mehrere zerlegte Häuser, die für die künftig unter uns wohnen sollenden Gensd’armen, Aufseher und Marinesoldaten bestimmt waren, auf unsere Insel schaffen ließ. Dies war natürlich ein kostbares Material für uns, da wir aber alle drei Tage einen Besuch des Gouverneurs zu erwarten hatten, und überdies seit einiger Zeit ein Souslieutenant vom Geniewesen, ein sehr gefährliches Individuum, während der weniger heißen Stunden des Tages auf der Teufelsinsel blieb, um uns im Auge zu behalten, so konnten wir dieses Material nur mit der größten Vorsicht und Zurückhaltung berühren. Ueberdies reichten die vorhandenen Holzstücke nur hin, um einen Rahmen zu bilden, der dann durch ein anderes Material ausgefüllt werden mußte.

Einer von uns berechnete, daß drei einen Meter lange zusammengebundene Maisstengel acht Pfund tragen könnten. Mais gab es auf der Insel in Ueberfluß. Man stellte nochmalige Experimente an, legte ein Bündel von dreißig Stengeln in’s Wasser, ein Mann, der seine hundertundzwanzig bis hundertundvierzig Pfund wog, setzte sich darauf und sank nicht unter. Nun schnitten wir ungefähr sechstausend Maisstengel ab, die wir in Bündel von dreißig bis fünfunddreißig Stengel banden. Ebenso schnitten wir eine gewisse Quantität Ricinus ab, dessen Stengel noch mehr Widerstand bietet als der des Mais, und machten ähnliche Bündel daraus. Die Arbeit konnte nur während der heißesten Stunden stattfinden, ward aber mit unermüdlichem Eifer betrieben. Wir erfrischten uns durch den Gedanken an die Rückkehr nach Europa, an die Rückkehr zu unsern Freunden, unsern Frauen, unsern Kindern. Wir schmeckten im Voraus die Freude, zu erzählen, was wir gelitten, und diejenigen Lügen zu strafen, welche, im Finstern schleichend, den furchtbarsten Bürgerkrieg führen und dann von dem Frieden Europa’s, von der Ruhe Frankreichs und von der Milde des Kaisers sprechen.

Noch ehe wir mit unserm Floß fertig waren, beschlossen wieder vierzehn unserer Unglücksgenossen, sich ebenfalls eins zu bauen, und wurden zugleich mit uns fertig.

Beide Flosse waren nach einem und demselben System erbaut. Man befestigte die Maisbündel auf Holzstücken von der Breite des Rahmens, dann befestigte man über denselben die Ricinusbündel, welche, weil sie härter waren, den Füßen größeren Widerstand leisten konnten. Auf die Querhölzer, welche die Bündel trugen, nagelte man Breter, wobei man jedoch eine Oeffnung für das Wasser offen ließ. Dann ward ein Geländer von ungefähr zwei Ellen angebracht. Wir hatten einen ungefähr zehn Ellen hohen und acht bis neun Zoll starken Mast, der in eins der Querstücken eingesetzt ward. Was unser Segel betraf, so war es von der besten Leinwand und wir brauchten, um es zu verfertigen, blos den Stoff von vierzehn Hemden seiner ersten Bestimmung zurückzugeben.

Es war sehr stürmisches Wetter, der Wind wehete mit außerordentlicher Heftigkeit, das Meer war mit weißem Schaum bedeckt, aber trotz dieses Windes schwitzten wir bei unserer Arbeit.

In noch nicht ganz vier Stunden waren wir damit fertig, und alle, auch diejenigen unserer unglücklichen Freunde, welche unsern Fluchtversuch nicht mit wagen wollten, halfen die Flosse mit in das Meer schieben.

Hierauf lud man die Mundvorräthe auf. Sie bestanden in süßen Kartoffeln, Brod, einigem auf der Insel erlegten und gebratenen Geflügel und den Lebensmitteln, die wir erst diesen Morgen für die nächsten drei Tage empfangen hatten.

[367] Die Abreise war auf acht Uhr Abends, unmittelbar nach dem Retraiteschuß, der von den Gefangenen auf der Königsinsel abgefeuert ward, festgesetzt, aber schon lange vor dieser Stunde war Alles bereit.

Wir beschlossen endlich, nicht erst auf den Signalschuß zu warten, sondern lösten schon um sieben Uhr, als es dunkel genug geworden war, das Seil, an welchem unser Floß noch festgebunden war, und stießen ab. Alle unsere auf der Insel zurückbleibenden Freunde kletterten an den Felsen hinauf, um uns mit ihren Blicken zu folgen, denn der Mond schien ziemlich hell.

Unsere Fahrt ging ungemein rasch von statten. Der Wind wehete gerade aus der günstigen Richtung und die Ruder waren beinahe überflüssig, dennoch aber waren wir froh, einen ehemaligen Schiffer von der Loire unter uns zu haben, welcher mit einem seltenen Grade von Muth, Kraft und Geschicklichkeit das Steuerruder führte. Die Nacht verging weder besser noch schlimmer, als wir erwartet hatten. Die Nächte sind in diesem Klima ungemein kalt, und die über uns hinwegschlagenden Wogen und die hinter ihnen herheulenden Windstöße trugen eben so wie die Seekrankheit viel zur Entkräftung von Leuten bei, die noch keine andere Seereise als die von Toulon nach Guyana gemacht hatten.

Als die Sonne aufging, sahen wir uns in dem Golf von Sinamari, wir hatten folglich in einer einzigen Nacht eine Strecke zurückgelegt, welche gewöhnlich zwei Tage in Anspruch nimmt.

Das zweite Floß, welches uns anfänglich innerhalb Rufweite gefolgt war, hatte sich mehrmals beklagt, daß es zu schwer beladen sei. Auch hatte es gleich nach dem Abstoßen Beschädigungen erlitten, deren Folgen verderblich sein konnten. Allmählich blieb es immer weiter hinter uns zurück, und gerieth wahrscheinlich aus Mangel an geeigneter Führung in eine Strömung, die es nach dem Lande zurücktrieb.

Am dritten Tage unserer Reise sahen wir Land in einer Entfernung von zwei bis drei Meilen. Was es aber für eins war, vermochten wir nicht zu errathen. Einige von uns sagten: „Es ist das holländische Gebiet, wir müssen den Maroni passirt haben.“

Der Maroni ist ein Fluß, welcher die französischen Besitzungen von den holländischen trennt.

Die Anderen behaupteten das Gegentheil und verlangten, daß man weiter in’s hohe Meer hinaussteuere. Mittlerweile legte sich der Wind. Eine Strömung trieb uns nach der Küste, wir mußten rudern und zwar kräftig. Fünf oder sechs von uns hatten die Seekrankheit auf eine so fürchterliche Weise, daß sie nicht im Stande waren, ein Ruder zu führen. Unsere Ruder – wir hatten deren fünfzehn – waren nicht die leichtesten, denn ihre Länge betrug nicht weniger als vierzehn Fuß. Man ruderte den ganzen Tag stehend und überwand die Strömung glücklich. Keine Stunde ward versäumt, und diejenigen von uns, welche nicht rudern konnten, gaben ihren Cameraden zu trinken.

Gegen sechs Uhr Abends erhob sich der Wind wieder. Unser Schiffer von der Loire war keinen Augenblick von seinem Posten gewichen, konnte aber jetzt vor Müdigkeit und Schlaf nicht mehr stehen und vertraute das Steuerruder einem Freunde an. Wir befanden uns, ohne es zu ahnen, dicht vor der Mündung des Maroni, und der Hülfssteuermann verfolgte eine so verkehrte Richtung, daß wir uns mitten in der Nacht plötzlich kaum fünfzig Schritt weit von dem französischen Grenzposten La Mana sahen. Die Soldaten kamen an den Strand geeilt.

„Hierher, Freunde, hierher!“ schrieen sie, indem sie Fackeln brachten und uns winkten, zu landen.

Diese Ueberraschung nach einem so mühevollen Tagewerke war eine sehr schmerzliche.

„Rudert zu, rudert zu!“ schrie unser alter, in dem Augenblick erwachender Schiffer, indem er aufsprang und sich wieder an’s Steuer stellte. Der Wind war gut und wir griffen kräftiger als je wieder zu den Rudern, aber die Fluth stieg und die Hände der Ruderer waren nur noch eine einzige offene Wunde.

Endlich ward das Licht das Fackeln schwächer, verschwand dann ganz, und nach einer Stunde war das Floß wieder zwei Meilen von dem Gebiete des Kaisers von Frankreich und aller Cayenne’s entfernt. Wir waren einer großen Gefahr entronnen.

Am nächstfolgenden Tage konnten wir bei Eintritt der Ebbe der Strömung folgen, welche uns nach dem Lande zutrieb, und es dauerte nicht lange, so stieß unser Floß an das holländische Ufer der Flußmündung.

Kaum waren wir an’s Land gestiegen, als eine Schaar Indianer auf uns zukam. In jedem andern Lande hätte unsere äußere Erscheinung uns gegen Diebe sicher gestellt. Die Leute aber, welche hier mit Bogen und Spießen bewaffnet auf uns zukamen, waren noch weniger bekleidet als wir. Zwei von uns traten vor, um mit den Wilden zu parlamentiren, und man wußte sich von beiden Seiten verständlich zu machen. Wir setzten den Indianern unsere Lage und unsere Absicht auseinander, und die Indianer antworteten, daß wir auf diesem Ufer nicht sicher wären, weil die Franzosen uns hier noch verfolgen könnten, und es in der Umgegend keinen holländischen Posten gäbe, der uns in Schutz nehmen könne. Deshalb riethen sie uns, zu Lande nach dem fünfundvierzig Stunden entfernten Paramaribo zu gehen.

Leider hatten wir bis jetzt erst den angenehmsten Theil unserer Reise zurückgelegt. Fünfundvierzig Stunden in dieser gefährlichen Wüstenei zurückzulegen, um Paramaribo zu erreichen, war keine kleine Aufgabe, aber wir ließen uns dadurch nicht entmuthigen. Nachdem wir gegessen und einige Stunden ausgeruht hatten, machten wir uns auf den Marsch. Jeder von uns trug ein Packet, welches Papiere, Wäsche und einige Brodrinden enthielt. Nachdem wir ungefähr vier Wegstunden zurückgelegt, waren wir am Saume eines Waldes von Wurzelträgerbäumen angelangt, die den Namen davon haben, daß ihre Aeste sich in den Boden senken, frische Wurzeln treiben und auf diese Weise ein fast undurchdringliches Dickicht bilden. Die Menschenhand allein vermag hier nicht Bahn zu brechen, sie bedarf auch der Axt dazu.

Dennoch drangen wir in den Wald hinein. Wir schlichen mehr, als wir gingen. Es muß in diesen Wäldern giftige Reptilien aller Art geben, aber daran dachten wir nicht. Niemand wurde gestochen. Die große Gefahr lag übrigens auch nicht hierin, sondern in dem trügerischen Aussehen des Bodens, der mit einer Art ziemlich verlockenden Mooses bekleidet war, welches einen immer flüssiger werdenden zähen Schlamm bedeckte. Wir mußten ganz leicht auftreten und die Füße schnell weiter fortsetzen, wenn wir nicht in diesen schwarzen Leim einsinken wollten, und der Wald ward immer undurchdringlicher.

Wir sahen ein, daß wir ohne Hoffnung auf Rettung unser Leben auf’s Spiel setzten, und beschlossen daher, wieder umzukehren. Wir hatten schon früher gehört, daß mehrere unserer Unglücksgefährten, nachdem sie glücklich von den Inseln entronnen waren, in diesen entsetzlichen Wäldern dennoch einen schauderhaften Tod gefunden hatten.

Die Ermüdung machte ohne Zweifel auch bei uns den Tritt schwerer, den Gang langsamer und deshalb auf diesem zitternden Schlamme die Gefahr drohender. Ich fühlte, wie meine Füße mit jedem Schritte tiefer einsanken, und sah den Augenblick kommen, wo es mir unmöglich sein würde, mich auf ein Bein zu stützen, um das andere herauszuziehen, und wo ich dann mit beiden Beinen zugleich einsinken würde. Dies geschah auch. Plötzlich stand ich mit beiden Beinen bis über die Kniee im Schlamm und fühlte mich mit furchtbarer Schnelligkeit noch tiefer einsinken, gerade als ob mich Jemand bei den Füßen gezogen hätte. Der Schlamm ging mir bis an den Gürtel. In meiner Todesangst faßte ich den nächsten Baumast und zog mich mit der räthselhaft riesigen Kraft der Verzweiflung heraus, während ich meine Stiefeln, einen Theil meines Beinkleides und die Haut meiner Beine in dem zähen Moraste zurückließ. Wäre der rettende Ast nur um einen Fuß weiter von mir entfernt gewesen, so hätte das entsetzlichste aller Gräber sich über mir geschlossen.

Jetzt fiel uns ein, was wir einmal den Gouverneur und den Admiral hatten sagen hören, als der Erstere dem Letzteren vorstellte, daß es wohl nicht gerathen sein dürfte, uns auf unserer Insel ohne strenge Bewachung zu lassen.

„Die Gefangenen werden entwischen,“ sagte der Gouverneur.

„Thut nichts,“ entgegnete der Admiral; „wir wissen ja, daß sie in dem Schlamme und in den Wurzelträgerwäldern ihren unvermeidlichen Tod finden müssen.“

Diese Aeußerung brachte uns jetzt, in Verbindung mit der von uns gemachten Erfahrung, auf die gegründete Vermuthung, daß man unsere Flucht gewissermaßen begünstigt habe, um uns dem Tode desto sicherer in den Rachen zu jagen. Diejenigen unserer Unglücksgefährten, welche sich geweigert, unserem Fluchtunternehmen sich anzuschließen, hatten sich ebenfalls in diesem Sinne ausgesprochen und meinten überdies, es sei jedenfalls besser, ruhig und geduldig auszuharren. [368] Die Regierung eines Despoten, wie Ludwig Napoleon, könne unmöglich lange dauern, und bald werde eine neue Revolution uns den Rückweg in die Heimath bahnen.

Indessen Keiner von uns fand in dem Schlamme seinen Tod, aber wie furchtbar ermüdet und erschöpft waren wir! Und nun hatten wir noch vier Wegstunden zurückzulegen, ehe wir uns wieder auf dem Punkte befanden, an welchem wir gelandet waren.

Gegen drei Uhr Morgens sahen wir uns endlich wieder neben unserem auf den Sand gezogenen Floß. Die Indianer hatten davon das Segel mit fortgenommen. Zwei von uns versuchten, diesen Mangel so gut als möglich wieder zu ersetzen, in der Hoffnung, daß wir zu Wasser nach Paramaribo gelangen könnten.

Am nächstfolgenden Morgen bei unserem Erwachen machten Indianer, die sich zahlreicher eingefunden hatten und eine drohendere Haltung beobachteten, als die ersten, Miene, über uns herzufallen und uns unserer geringen Habseligkeiten zu berauben. Zum Glück befand sich unter ihnen ein Neger von Cayenne, der ziemliche Intelligenz besaß und vollkommen gut französisch sprach. Als er hörte, wer wir waren, bewies er uns die freundlichste Theilnahme, denn er war ebenfalls politischer Verurtheilter und Flüchtling. Er erbot sich, uns nach einer am Ufer des Maroni gelegenen holländischen Pflanzung, Namens Quiberon, zu führen. Die Indianer hatten mehrere Boote auf dem Flusse, und mit steigender Fluth schifften Indianer und Franzosen in bestem Einvernehmen sich ein und ruderten den Maroni hinauf.

Die Pflanzung, nach welcher er uns führte, war von den edelmüthigsten Herzen bewohnt. Der Commandant Cappelaer empfing uns auf’s Freundlichste und erwies uns nicht blos die umfassendste Gastfreundschaft, sondern auch jene zarten Rücksichten und Aufmerksamkeiten, welche das Herz erwärmen, und diese stellten unsern moralischen Muth eben so wieder her, wie der Bordeauxwein und das frische Brod uns wieder neue Körperkraft gaben.

Wir blieben vierundzwanzig Stunden bei dem guten Commandanten Cappelaer. Am nächstfolgenden Tage – den 19. Septbr. – sagte unser gastfreundlicher Wirth, daß er nicht ohne Besorgniß für uns sei.

„Der französische Gouverneur,“ sagte er, „wird Euch verfolgen lassen. Ich bin nicht im Stande, seinen Leuten Widerstand zu leisten, und rathe Euch daher, einen Entschluß zu fassen.“

Eine englische Goëlette war in Sicht und der Commandant Cappelaer forderte den Capitain auf, uns mit nach Demerary – dem Ziele seiner Reise – zu nehmen. Der Capitain verlangte dafür sechshundert Francs. Wir konnten nicht mehr, als dreihundertundvierzig zusammenbringen. Dies war dem Capitain zu wenig und er setzte seinen Weg ohne uns weiter fort. Unser Wirth verschaffte uns nun ein Boot; unser Zimmermann bewirkte einige Reparaturen daran, und wir nahmen Abschied von der gastfreundlichen Familie Cappelaer. Vier Indianer begleiteten uns.

Wir hatten eine herrliche, ruhige Fahrt, und am Abend legte unser Boot am Gebiete eines Indianerstammes an. Wir mietheten hier vier andere Führer zur Weiterreise bis Paramaribo, hielten unsere Abendmahlzeit und legten uns dann unter dem hellgestirnten Himmel am Wachtfeuer nieder, um zu schlafen.

Unsere neuen Wirthe zeigten sich sehr discret und bescheiden, und nur einige junge Frauen verriethen ein wenig Neugier, die zwanzig Männer mit langen Bärten und in der seltsamen Kleidung zu sehen – Männer, deren bleiche Gesichter von dem Fieber gelb geworden oder von der Sonne gebräunt waren.

Endlich nach drei Tagen und drei Nächten stiegen wir in der Hauptstadt Paramaribo an’s Land. Trotz dieser letzten ruhigen glücklichen Fahrt waren wir doch bei unserer Ankunft fast Alle ziemlich krank.

Wir erwarteten, hier in Freiheit zu leben, aber man nahm uns gefangen und schickte uns in das Fort. Hier versprach man, uns freizulassen, sobald man genügende Beweise von unserer Eigenschaft als politische Verurtheilte erlangt haben würde.

Das Gefängniß, in welches man uns brachte, hatte Jammergestalten aller Art aufzuweisen. Man verwahrt hier nicht blos Verbrecher, sondern auch Wahnsinnige und Aussätzige und auf dem Hofe werden die Peitschenstrafen an den Negern vollzogen.

Dieses letztere Schauspiel empörte uns so sehr, daß wir einen Augenblick lang unsere Aufmerksamkeit vergaßen und an den Gouverneur einen Brief schreiben ließen, in welchem wir für die Neger die Menschenrechte in Anspruch nahmen und gegen die Grausamkeit der ihnen zu Theil werdenden Behandlung protestirten. Das Resultat dieses Briefes läßt sich leicht errathen. Man holte acht von uns und sperrte sie in gesonderte Zellen.

Unser Loos war überhaupt in diesem Fort ein ziemlich hartes. Die Kost war kaum zu genießen und wir mußten auf der nackten Diele schlafen. Diese ungerechte feige Haft dauerte einen Monat. Endlich benachrichtigte man uns, daß einige unserer Landsleute nach dem englischen Guyana eingeschifft werden würden. Nächstfolgenden Morgen, den 21. October, verließen auch in der That mehrere Gefangene das Fort, und man führte sie auf einem Umwege um die Stadt herum an Bord des Dampfers Paramaribo, der sie am 22. November in Demerary an’s Land setzte.

Wir konnten auf solche Anerbietungen nicht sogleich eingehen, und als wir den Hof des Gouverneurs verließen, erkundigten wir uns nach dem amerikanischen Consulate. Der Consul empfing uns höflich, antwortete uns aber, er könne uns erst den nächstfolgenden Tag Audienz geben, weil er in diesem Augenblicke dringend beschäftigt sei. Zugleich befahl er unserem Dolmetscher, uns in ein Gasthaus zu führen, und versprach, unsere Zeche zu bezahlen.

Am Abend ließ zu unserer Ueberraschung der Gouverneur uns zu sich rufen und bot uns Arbeit im Hafen an. Wir nahmen das Anerbieten an und begingen auf diese Weise eine Unklugheit, die wir bald bitter bereuten. Wir machten uns verbindlich, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang für einen Lohn zu arbeiten, der kaum zu unserer Beköstigung hinreichte. Das einzige Zugeständniß, welches man uns machte, war, daß wir nur im Schatten arbeiten sollten. Wir verdienten, wie eben gesagt, nicht genug, um Geld sparen zu können, und dennoch verschmähte man es nicht, uns in dem Hause, wo wir uns einlogirt hatten, zu bestehlen. Auf unsere Beschwerde gab der Gouverneur, dessen Cassirer beauftragt war, den Betrag für unsere Wohnung und Beköstigung von unserem Lohne zurückzubehalten, zur Antwort:

„Miethet eine Wohnung, wo Ihr wollt, kauft Euere Lebensmittel und besorgt Euere Küche selbst, und Ihr werdet dennoch bestohlen werden.“

Da wir sonach weder auf unsere Ersparnisse, noch auf die Unterstützung des Gouverneurs rechnen konnten, um die Mittel zur Bezahlung unserer Ueberfahrt entweder nach den Vereinigten Staaten oder nach England zu erlangen, so blieb uns nur ein Ausweg, nämlich der, uns einem Capitain als Matrosen anzubieten. Der Capitain der „Sappho“, eines nach England bestimmten Kauffahrteischiffes, verstand sich auch wirklich dazu, mich und einen meiner Freunde unter der Bedingung mitzunehmen, daß wir unsere Ueberfahrt abarbeiteten.

Ich will mich hier nicht ausführlich über die Leiden dieser Reise verbreiten, welche weder zu den friedlichsten, noch zu den angenehmsten gehörte. Unser Capitain war ein scheinheiliger Schurke, und die Matrosen zeigten sich durchaus nicht freundlich gegen zwei Männer, die nichts von der Schiffsarbeit verstanden und von welchen der eine – mein Camerad – fortwährend an der Seekrankheit litt. Wir wurden auf alle nur erdenkliche Weise mißhandelt und ohne einen Heller in der Tasche und mit nichts auf dem Leibe, als unsern zerlumpten Kleidern von Cayenne, endlich auf das Pflaster von Liverpool gesetzt und uns selbst überlassen.

Kein Geld, kein Freund, ein unbekanntes Land, eine fremde Sprache, geistige und körperliche Erschöpfung, bittere Kälte und nagender Hunger – dies war die schlimme Seite unserer Lage; andererseits aber waren wir doch frei!

Wir waren nun in einem Lande, wo jeder Verbannte, wo jeder Flüchtling des Continentes ein Asyl suchen kann, ohne befürchten zu müssen, hier noch verfolgt oder auch nur beunruhigt zu werden. Durch einige mitleidige Landsleute mit Reisegeld versehen, begaben wir uns nach London, um Freunde aufzusuchen, die uns bald Arbeit und sicheren genügenden Erwerb verschafften.

Und hier, kaum eine Tagereise von Paris entfernt, harren wir geduldig, bis die nicht mehr ferne Stunde unseres Peinigers schlagen wird.