Dresdens Bedeutung in der Geschichte

Erlebnisse eines Annenschülers 1758–72, aus der Selbstbiographie des Pastors Christian Heinrich Schreyer mitgeteilt Dresdens Bedeutung in der Geschichte (1907) von Otto Richter
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908)
Ein Traktat Peters von Dresden
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Dresdens Bedeutung in der Geschichte.
Vortrag,
gehalten bei der X. Versammlung deutscher Historiker in Dresden am 4. September 1907 von Otto Richter.

Der Lokalhistoriker wird in einer Versammlung wie der gegenwärtigen selbstverständlich auf Interesse für das ortsgeschichtliche Kleinleben nicht rechnen dürfen, sondern bestrebt sein müssen, seinen Gegenstand in den Rahmen der hier gewohnten umfassenderen Geschichtsbetrachtung einzufügen. Dieser Anforderung kann er vielleicht gerecht werden, wenn er im kurzem Überblicke zu zeigen sucht, welche Bedeutung dem Gebiete, das er bearbeitet, in der allgemeinen oder wenigstens der nationalen Geschichte zukommt. Nicht als ob der Ansicht beizustimmen wäre, daß der ganze Wert lokalhistorischer Arbeiten in den Bausteinen liege, die sie für die Gesamtgeschichte liefern. Gewiß gehören gerade diese Bausteine zu den festesten; denn keine durch Forschung gewonnene Erkenntnis kann wohl zuverlässiger sein, als wenn sie sich mit dem Erleben des Forschers selbst berührt, und nicht leicht wird ein andrer seinem Gegenstande so nahe kommen wie der Lokalhistoriker, der nicht auf Urkunden und Berichte allein angewiesen, sondern auch mit der Örtlichkeit des Geschehens wie mit der Art der Bewohner eng vertraut ist. Aber es unterliegt wohl keinem Zweifel, die Ortsgeschichte als das Wissen von der Vorzeit der Heimat hat auch ihren Wert an sich. Es verhält sich mit ihr etwa ebenso wie mit der Stadtgemeinde, die als kulturelle Lebensgemeinschaft für sich besteht, wenn sie auch erst durch ihre Zugehörigkeit zu einem Staatsganzen und durch ihre Leistungen für dieses eine höhere Bedeutung erhält.

Um Bemerkenswertes in der Geschichte Dresdens aufzusuchen, darf man nicht in sehr frühe Zeiten zurückgehen. Es deutet zwar manches, namentlich der Umfang des noch für neuzeitliche Verhältnisse sehr stattlichen Marktplatzes darauf hin, daß der Landesherr bei der planmäßigen Gründung der Stadt im Anfange des 13. Jahrhunderts einen Mittelpunkt des Handelsverkehrs aus ihr zu machen gedachte. Sie blieb aber, trotz der Wichtigkeit der Elbbrücke für die Verbindung mit dem Osten, während des ganzen Mittelalters eine bescheidene Landstadt und Fürstenresidenz mit kaum 5000 Einwohnern, und auch die glänzende Hofhaltung Markgraf Heinrichs des Erlauchten, des Minnesängers, wird ihren Namen nicht weithin bekannt gemacht haben.

Vielleicht ist es Peter von Dresden, ein Führer der husitischen Bewegung, gewesen, mit dessen Namen auch der seiner Vaterstadt zuerst in weitere Kreise drang. Peter hatte in Prag studiert und dann wahrscheinlich dort als Lehrer gewirkt, bis er 1409 mit den deutschen Professoren und Studenten auszog. Er erscheint um 1411 als Schulmeister in Dresden und sammelte hier eine waldensisch wiclifitische Gemeinde um sich, der er das Sakrament unter beiderlei Gestalt reichte. Wegen seiner ketzerischen Lehren wurde er nach zwei Jahren aus dem Meißner Bistum ausgewiesen, mit ihm sein Schulgeselle Magister Nicolaus, der Verfasser zahlreicher Schriften über kirchliche Fragen, namentlich auch über den Laienkelch. Die beiden Dresdner gingen wieder nach Prag und ihrem Einflusse war es zuzuschreiben, daß man auch dort anfing, das Abendmahl unter beiderlei Gestalt auszuteilen. So ward das kleine Dresden durch Peter einer der ersten Ausgangspunkte jener großen religiösen Bewegung, deren kriegerische folgen Jahrzehnte hindurch [186] durch das Reich in seinen Grundfesten erschütterten. Dieser erste berühmte Dresdner hat später in Regensburg auf dem Scheiterhaufen geendet.

Dann wurde wohl die Aufmerksamkeit der Welt einen Augenblick auf Dresden gelenkt durch Gregor Heimburg, den größten Staatsmann und Rechtsgelehrten des 15. Jahrhunderts. Dieser hart verfolgte Streiter gegen die Übermacht des Papsttums fand nach dem Tode seines Beschützers Georg Podiebrad von Böhmen bei dessen Schwiegersohn Herzog Albrecht Aufnahme, lebte ein Jahr lang in Tharandt und Dresden und starb hier im August 1472. Er liegt in der Sophienkirche begraben, dem einzigen noch erhaltenen mittelalterlichen Gebäude unsrer Stadt.

Und wieder ein halbes Jahrhundert später war Dresdens Name auf aller Lippen, als Dr. Martin Luther heftige Kämpfe mit dem Herzog Georg ausfocht. Der alte Herzog, ein vortrefflicher Regent, auch in den kirchlichen Angelegenheiten wohlmeinend, aber äußerst starrsinnig, ließ sich vom Papsttum als Vorkämpfer gegen die im eigenen Lande siegreich vordringende Reformation gebrauchen. Länger als zehn Jahre dauerte der erbitterte Streit zwischen ihm und dem Reformator, scharfe Anklagen flogen zwischen Wittenberg und Dresden herüber und hinüber, Luthers Empörung über den Gewissenszwang, den Georg seinen Untertanen auferlegte, machte sich Luft in einer seiner leidenschaftlichsten Streitschriften „Wider den Meuchler zu Dresden“. Es schien, als sei Dresden ein deutscher Sitz des Papsttums geworden, während es doch dem Luthertum innerlich schon gewonnen war. Da starb der Herzog unerwartet im Jahre 1539; sein protestantisch gesinnter Bruder Heinrich zog als Landesherr ein und mit ihm die Reformation.

Schon nach zwei Jahren hinterließ Heinrich die Regierung dem jungen Herzog Moritz. Dieser fand das neue Kirchentum im Lande schon festgewurzelt vor, aber daß er den albertinischen Staat zur führenden Macht des deutschen Protestantismus erhob, war sein persönliches Verdienst. Als der ebenso geniale wie verschlagene Fürst im Bunde mit dem katholischen Kaiser seinem ernestinischen Vetter Land und Kurhut abnahm, ward wieder mancher kräftige Fluch aus dem Norden nach Dresden gezielt. Niemand dachte damals, daß der vermeintliche Verräter noch der Retter des Protestantismus werden würde. Es ist doch wohl unbillig, zu behaupten, kein Schimmer eines großen nationalen oder kirchlichen Gedankens habe die Irrgänge seiner Hauspolitik durchleuchtet, sein Ehrgeiz habe sich nicht zu dem Plane erhoben, ein evangelisches Kaisertum auf den Trümmern des zerstörten alten Reiches aufzurichten. So viel ist sicher, daß ein Kriegsheld wie Moritz, der einen Karl V. in Kühnem Siegeszuge vor sich her trieb, auch den Mut gefunden hätte, sich zu gelegener Zeit dessen Krone aufs Haupt zu setzen, hätte ihn nicht im jugendlichen Alter von 32 Jahren, bevor er sich wohl selbst zur Klarheit über seine letzten Ziele durchgerungen, ein rascher Soldatentod ereilt. Kugel von Sievershausen, die nebst dem durchschossenen Kamisol des Kurfürsten hier im Historischen Museum noch zu sehen ist, hat Dresden doch vielleicht um die Ehre gebracht, eine Kaiserstadt zu werden.

Moritzens Nachfolger waren der Aufgabe, die er ihnen hinterließ, nicht gewachsen. In dem Bestreben nichts aufs Spiel zu setzen und um jeden Preis den Frieden zu bewahren, versäumten sie es, die neu gewonnene Macht Kursachsens zu befestigen. Durch ihre starr lutherische Unduldsamkeit und ihre Hinneigung zu den Habsburgern brachten sie sich um das Vertrauen ihrer protestantischen Mitfürsten. Ein Stein im Straßenpflaster am Jüdenhofe bezeichnet die Stelle, wo 1601 das Haupt des kalvinistenfreundlichen Kanzlers Krell fiel; dieser unscheinbare Stein bedeutet zugleich eine Erinnerung an den Verlust der protestantischen Vormachtstellung Sachsens. Das politische Erbe des großen Kurfürsten Moritz trat der Große Kurfürst von Brandenburg an.

Dresdens Aussicht, dauernd das Machtzentrum des protestantischen Deutschlands zu bleiben, war zerronnen. Aber durch dieselben Fürsten, deren engherzige Politik dies verschuldete, gelangte die Stadt auf einem andern Gebiete doch zu einer hervorragenden Stellung: als ein Mittelpunkt künstlerischer Kultur.

Schon Herzog Georg hatte sich als Anbau an das schmucklose Markgrafenschloß einen neuen Palast über dem Elbtore, dem heutigen Georgentore, errichtet. Dann gestaltete Moritz die alte Burg völlig um und schuf das mächtige Bauwerk, das jetzt in wenig veränderter Gestalt den großen Schloßhof umgibt und das damals wohl auch würdig gewesen wäre, zu einer Kaiserburg erhoben zu werden. Sein Bruder und Nachfolger Kurfürst August, ein Bahnbrecher auf dem Gebiete der Staatswirtschaft und eifriger Vermehrer der landesherrlichen Güter, erbaute das Zeughaus, das mit seinen reichen Kriegsvorräten als ein Wunderwerk der Zeit angestaunt wurde; zum Albertinum umgestaltet, birgt es in seinen starken Mauern heutzutage Schätze der Kunst und der Geschichtswissenschaft. Augusts Sohn Christian I. erweiterte das Kurfürstenschloß nochmals durch Anbau der den kleinen Schloßhof bildenden Flügel und errichtete das prächtige Stallgebäude mit dem malerischen Hofe, dessen Außenwand in der Augustus-Straße gerade in diesen Tagen durch das riesenhafte Porzellangemälde des Fürstenzuges zu einer Sehenswürdigkeit geworden ist. Fürstliche Freigebigkeit versammelte in Dresden Künstler und Kunsthandwerker [187] zu lohnender Beschäftigung, ritterliche Turniere auf dem Markte und im Schloßhofe, Ringelrennen im Stallhofe und Tierhetzen in dem neuerbauten Jägerhofe in Altendresden boten der Schaulust der Einheimischen und Fremden willkommene Nahrung. Die Prachtentfaltung dieses reichsten deutschen Fürstenhofes, von der auch die kunstvollen, goldstrotzenden Rüstungen im Historischen Museum, die kostbaren Gefäße und Geräte im Grünen Gewölbe noch Zeugnis geben, wirkte weit hin anregend und fördernd auf Kunst und Gewerbe, bis der Dreißigjährige Krieg mit seinen Schrecken dem glanzvollen Leben und Treiben Einhalt gebot.

Kaum jedoch hatten sich die Stürme des Krieges gelegt, als auch die Prunksucht des Hofes sich wieder regte, zunächst freilich überwiegend als Lust an bloßen Schaustellungen und Vergnügungen, ohne daß viele Kunstschöpfungen von dauerndem Werte daraus hervorgingen. Aber seit der Thronbesteigung Augusts des Starken verband sich der Luxus wieder in hohem Maße mit ernster Kunstpflege. War doch August selbst ein Meister in allen Künsten – wenn auch nicht in der für den Fürsten wichtigsten, der Staatskunst, denn sein auf das Phantastische gerichteter Geist überflog gar zu leicht die Grenzen des in der Wirklichkeit Erreichbaren. Die Erwerbung der Krone Polens, die dem Sachsenlande ungeheure Opfer an Geld und Blut auferlegte und dennoch seine Macht nur scheinbar erhöhte, gab ihm die äußere Berechtigung zur Entfaltung Königlichen Glanzes, und wenn sein das Höchste erstrebender Ehrgeiz zum Ziele gelangt wäre, hätte Dresden nochmals Aussicht gehabt, die Residenz eines Kaisers zu werden. Aber auch schon als Hauptstadt des sächsisch-polnischen Reiches war es zeitweilig der Knoten punkt, in dem die Fäden nordosteuropäischer Politik zusammenliefen. An Pracht und Würde fürstlichen Auftretens wäre August wohl seinem Vorbilde Ludwig XIV. gleichgekommen, hätten ihm die Mittel Frankreichs zu Gebote gestanden. Dresden ward durch ihn nicht bloß ein kleines, sondern ein zweites Paris, in dem die vornehme Welt des Ostens und Nordens zusammenströmte, um sich an den hier vereinigten Kulturgenüssen des Westens und Südens zu ergötzen.

Großartige Bauten entwarf August, um seine Hauptstadt zu einem würdigen Rahmen königlicher Prachtentfaltung umzugestalten. Seine Pläne für den Bau eines neuen Schlosses auf dem jetzigen Theaterplatze sind zwar nicht zur Ausführung gelangt, aber im Zusammenhange damit entstand ein Werk, einzig in seiner Art und damals mit nichts in der Welt vergleichbar: der Zwinger. Zum Schauplatz für die Feste des Hofes bestimmt, ist dieses Meisterstück des Barockstils ein künstlerisches Denkmal der phantastischen Sinnenlust jener Zeit und verkündet noch heute den Ruhm seines Erbauers Pöppelmann und des kunstverständigen königlichen Bauherrn. Daneben gingen aus der Baulust des Königs zahlreiche andre große Werke hervor. Das Prinzenpalais am Taschenberge, eine stattliche Hauptwache am Neumarkte wurden errichtet, der Große Garten, die köstliche Schöpfung Johann Georgs II., erweitert, verschönert und reich mit Bildwerken italienischer Künstler geschmückt. Die Elbbrücke erhielt die Gestalt eines den Strom überspannenden mächtigen Triumphbogens, der dem Ansturm der Jahrhunderte getrost hat, bis ihn – gerade jetzt sehen wir ihn fallen – die Gewalt des neuzeitlichen Verkehrsbedürfnisses stürzte. Auf dem Boden des durch Brand zerstörten Städtchens Altendresden ward ein neuer großangelegter Stadtteil geschaffen. Hier in dieser Neustadt erstand in wenigen Jahrzehnten eine Reihe hervor ragender Gebäude: das Japanische Palais, das Blockhaus, die Ritterakademie, die großen Kasernen, die Dreikönigskirche. Endlich wurde unter Augusts förderndem Einflusse auch noch das Bauwerk begonnen, das mit seiner majestätischen Kuppel dem Stadtbilde für alle Zeiten seine schönsten Linien gegeben hat: die Frauenkirche, George Bährs herrliche Schöpfung, durch und durch aus protestantischem Geiste heraus geboren und deshalb von jeher von der ganzen Liebe der Bevölkerung umfangen. Diesem Gotteshause der Bürgerschaft, der selbständigsten Leistung des deutschen Barockstils auf kirchlichem Gebiete, hat Augusts des Starken Sohn und Nachfolger ein andres gegenübergestellt, das dritte architektonische Prachtstück jener Epoche: die katholische Hofkirche Chiaveris, ein Meisterwerk italienischer Baukunst, voll malerischen Reizes und von vollendeter Anmut der Formen. Zu gleicher Zeit errichtete der Rat in beiden Stadthälften neue Rathäuser, die Adelsfamilien ließen sich prächtige Stadtwohnungen bauen und die vermögenden Bürger eiferten ihnen nach. Auch die Vorstädte und die Umgebung schmückten sich mehr und mehr mit Palästen, Landhäusern und Lustgärten – Dresden ward zur Musterstadt des Barock- und Rokokostils in Deutschland.

Und welch ein Bild bunten Lebens erfüllte diesen Rahmen! Steigerte sich doch die Bevölkerung der Stadt in 50 Jahren von 21 000 Köpfen auf das Dreifache, waren doch bei einem Besuche, den August 1732 den Bauten in der Neustadt abstattete, dort allein gegen 2000 Künstler und Arbeiter in Tätigkeit! Eine geschäftige Menge bewegte sich in den Straßen, dazwischen die Reisewagen der ankommenden Fremden, die Portechaisen der Vornehmen, die Karossen des Adels, die sechsspännigen Staatskutschen des Hofes mit ihren Vorreitern und Läufern. Ging es bei der Abwesenheit des königlichen Hofes in Polen hier etwas stiller zu, so ward es bei seiner Rückkehr um so lebendiger. Züge [188] von Kameelen und Maultieren mit Mohren und anderm fremden Volke brachte der Hof mit sich, Kavaliere aus allen Ländern Europas kamen herbei, um die Freuden eines glänzenden Hoflebens mitzugenießen. An jedem Karneval, bei jedem Fürstenbesuche, zu jeder Verlobung, Vermählung oder Kindtaufe am Hofe veranstaltete der König wochenlang dauernde Lustbarkeiten, und diese spielten sich nicht bloß im Schlosse ab, sondern mehr noch als früher wurden die Maskenfeste, Vogelschießen und Bauernwirtschaften öffentlich im Zwinger und im Stallhofe abgehalten, die Aufzüge zu den Ringrennen, die Schlittenfahrten mit all ihrem bunten Aufputz bewegten sich durch die Straßen der Stadt, auf der Elbe waren Gondelfahrten und Wasserjagden zu sehen und auch in nächtlicher Stunde fand die Schaulust des Volkes in Illuminationen und Feuerwerken Befriedigung. Und mit dem Hofe wetteiferte der Adel Sachsens und Polens in Sinnenrausch und Vergnügungssucht, in seinen Palästen gab es Bilder orientalischen Reichtums und Wohllebens. Dazu die Paraden eines zahlreichen prächtig uniformierten Militärs, die häufigen Festaufzüge der bei dem herrschenden Luxus blühenden Handwerke – kurz, es war ein Getriebe, wie es nur der leichte Sinn jenes genußfreudigen Geschlechts hervorzubringen vermochte.

Im Mittelpunkte dieses bewegten Lebens aber glänzte stets der König in eigener Person, und in seinem Gefolge nicht etwa bloß Venus, sondern auch die Musen und Grazien. Die italienische Oper, die er unterhielt, war mustergültig, seine Hofdichtung freilich nicht besser als anderswo in dieser Zeit des tiefsten Verfalls der deutschen Poesie. Die bildenden Künste, besonders die Bildnerei, fanden bei seiner großen Bautätigkeit von selbst ausgiebige Beschäftigung und Förderung. Der Goldschmiede und Emaillierkunst seines Hofjuweliers Dinglinger wandte er eine ganz persönliche Anteilnahme zu, und die Schätze an Gold- und Silbergerät, die er von seinen Vorfahren ererbt und in dem nach eigenem Entwurfe neu ausgestatteten Grünen Gewölbe aufgestellt hatte, bereicherte er durch manches von ihm selbst erdachte Prachtstück. Mit beispielloser Verschwendung fröhnte er seiner Vorliebe für chinesisches und japanisches Porzellan und häufte solches zu einer Sammlung an, die noch heute an Reichhaltigkeit in Europa unübertroffen dasteht. Diese seine Leidenschaft gab im Grunde auch den Anstoß zu der Erfindung Böttgers. Die Porzellankunft ist unstreitig eins der liebenswürdigsten Kinder unsrer Stadt, ihre Erzeugnisse haben in Millionen Familien auf dem Erdenrund einen Hauch von dem erlesenen Geschmack des alten Dresdens getragen. Bei aller Freigebigkeit für die lebenden Künste ward aber auch die Kunst der Alten nicht vernachlässigt. Zu den in der Kunstkammer schon vorhandenen Resten des Altertums erwarb der König für teures Geld in Italien ganze Sammlungen klassischer Bildwerke und schuf dadurch ein Antikenmuseum, das einen Einblick in die Kunst Griechenlands und Roms gewährte wie kein anderes diesseits der Alpen.

Auch sein Sohn August III. war, wiewohl in engeren Grenzen, ein verständnisvoller Förderer der Künste; er wandte seine Fürsorge vorwiegend der Malerei zu und betätigte sich namentlich als Kenner und Sammler der Werke vergangener Zeiten. In ganz Europa hatte er seine Vertrauensmänner, die für hohe Summen aufkauften, was an bedeutenden Gemälden zu erlangen war. So floß eine Fülle herrlicher Kunstschöpfungen, besonders Italiens und der Niederlande, in Dresden zusammen; die Perle unter ihnen war die Sixtinische Madonna, bei deren Aufstellung im Thronsaale der kunstbegeisterte König mit den Worten: Platz da für den großen Raphael! eigenhändig den Thronsessel zurückgeschoben haben soll. Als eigentlicher Begründer der Gemäldegalerie hat der in der Regierung so schwache Fürst sich doch ein unvergängliches Denkmal gesetzt. Die Dresdner Sammlungen, die die beiden Könige zu nächst zum eigenen Genusse zusammenbrachten, damals die reichsten der Welt, sind dann ein Gemeingut und ein Stolz der Nation, eine Schatzkammer deutscher Bildung geworden, und viele unsrer edelsten Geister haben daraus unschätzbaren Gewinn gezogen, allen voran Winckelmann, dessen Kunstbestrebungen ganz aus Dresdner Boden hervorgewachsen sind, und Goethe, für den die in dem „geliebten Dresden“ empfangenen künstlerischen Eindrücke lebenslang die vorherrschenden blieben. Herder meinte es ernst, wenn er Dresden als ein deutsches Florenz pries.

Die leidenschaftliche, die Staatseinkünfte verschlingende Kunstliebhaberei der sächsisch-polnischen Könige, an deren Hinterlassenschaft sich die Nachwelt unbefangen erfreuen darf, hatte für die Zeitgenossen dieser Glanzperiode Dresdens doch auch schlimme Folgen. Es gibt für den Staat noch eine wichtigere Aufgabe als die Pflege dessen, was das Leben seiner Fürsten und Bürger verschönt: zuerst muß er sein eigenes Fortbestehen und seine Unabhängigkeit sichern. Die Machtansprüche der europäischen Staaten waren damals viel zu wenig ausgeglichen, als daß man auf dauernden Frieden hätte rechnen dürfen. Es konnten Zeiten kommen – sie kamen – in denen das heitere Spiel der Künste vom Lärm der Waffen abgelöst wurde.

Da gewann für Dresden auch die Rüstung wieder Bedeutung, die es von Alters her in seinem Festungsgürtel besaß. Diese Mauern waren Jahrhunderte hindurch stark genug gewesen, jedem Angreifer Trotz zu bieten: 1429 waren die Husiten, 1547 Kurfürst Johann Friedrich unverrichteter Dinge abgezogen, und [189] im Dreißigjährigen Kriege hatte sich überhaupt kein Feind ernstlich an die Festung, die den Landesbewohnern als sichere Zuflucht diente, herangewagt; auch Karl XII. von Schweden hatte sie bei seinem Einfalle in Sachsen unbehelligt gelassen. Das ward nun anders in dem großen Ringen Preußens und Österreichs um die Vorherrschaft in Deutschland. Eingekeilt zwischen die Gebiete der beiden Gegner mußte Sachsen, wenn es sich nicht neutral verhielt, zum Schauplatz des Krieges werden; der Besitz der strategisch wichtigen Festung Dresden mit ihren reichen Hilfsmitteln war dann das natürliche Ziel des Kampfes. Der alten Hinneigung Sachsens zu Österreich folgend ließ es 1745 der unumschränkt regierende Minister Graf Brühl auf einen Krieg mit dem stark gerüsteten König Friedrich II. ankommen, ohne daß Heer und Finanzen im geringsten darauf vorbereitet waren. Die Festungswerke befanden sich in schlechtem Zustande und hatten nur eine geringe Besatzung. Daher mußte die Stadt nach der Niederlage der sächsischen Armee in der Schlacht bei dem nahen Kesselsdorf dem Sieger ohne Widerstand die Tore öffnen. Am 18. Dezember hielt König Friedrich in achtspännigem Wagen seinen Triumpheinzug. Es war sonst nicht seine Art, so prunkvoll aufzutreten, aber es gewährte ihm wohl besondere Genugtuung, dieses Dresden zu seinen Füßen zu sehen, dessen Herrlichkeiten ihn in Staunen versetzt hatten, als er vor 17 Jahren mit seinem Vater den Hof Augusts des Starken besuchte. Im Palast der Fürstin Lubomirska an der Kreuzkirche erfreuten ihn wieder die Zuvorkommenheit und die gefälligen Umgangsformen der vornehmen Welt, und auch die Bevölkerung, die den Glaubenswechsel des eigenen Herrschers noch lange nicht verwunden hatte, kam ihm als protestantischem Fürsten freundlich entgegen. Und nun der überraschend schnelle und glückliche Verlauf der Friedensunterhandlungen: Schlesien aufs neue gewonnen, Preußens Großmachtstellung und sein Übergewicht in Norddeutschland gesichert, das schien das Ergebnis dieses Dresdner Friedens vom Weihnachtstage 1745. Nie wieder ist Friedrich der Große seines Ruhmes so froh geworden, nie hat er so hoffnungsvoll einer Zukunft friedlichen Wirkens und Genießens entgegengesehen – es war, nach Kosers Urteil, der Höhepunkt seines Lebens.

Der Dresdner Hof hatte den ausgeprägt sinnlichen Zug, der ihm unter August dem Starken eigen gewesen war, unter dem sittenreinen August III. zwar abgestreift, aber sonst war ihm die ganze alte Leichtherzigkeit der Lebensauffassung geblieben. Kaum war der Friede zurückgekehrt, so nahmen auch die schönen Künste das Szepter wieder in die Hand, rauschende Feste und Spiele begannen von neuem, sorglos und entzückt lauschte alles den Melodien des Künstlerpaars Adolf und Faustina Hasse. Dresden war wieder eine Hochschule des Geschmacks, eine Schaubühne der Kunst und des Luxus, zu der ganz Europa bewundernde Zuschauer sandte.

Aber diese lustige Bühne wandelte sich zuletzt in ein furchtbares Kriegstheater. Wie eine Vergeltung für den leichten Sinn, der nun ein halbes Jahrhundert hindurch hier gewaltet und auch die Staatsangelegenheiten beherrscht hatte, fuhr der Siebenjährige Krieg alles verwüstend über das Land und stürzte auch die Stadt Dresden von ihrer Höhe. Ihre Eigenschaft als Festung war es, was sie tief in die Kriegsereignisse verwickelte. Zwar hatte inzwischen der König einen Teil der Wälle zur Anlegung von Gärten an hohe Beamte vergeben, so an den Grafen Brühl das nach der Elbe zu gelegene Stück, das nachher als Brühlsche Terrasse berühmt geworden ist. Trotzdem war die Festung noch stark genug, um in dem neu ausbrechenden Kriege eine wichtige Rolle zu spielen. Der bisherigen unglückseligen Politik getreu hatte sich Sachsen dem Bunde der europäischen Hauptmächte angeschlossen, der den Emporkömmling Preußen zu zerschmettern gedachte. Wiederum war es für den Krieg nicht gerüstet; denn um dem Hofe für seine Verschwendungssucht die Mittel liefern zu können, hatte Brühl das Heer um die Hälfte vermindert. Seinen Feinden rasch zuvorkommend rückte Friedrich II. Ende August 1756 in Sachsen ein, besetzte ohne Widerstand Dresden und zwang am Lilienstein die sächsische Armee zur Waffenstreckung. König August III. und sein Minister brachten sich nach Warschau in Sicherheit und überließen das Land seinem Schicksale. Friedrich behandelte es diesmal als eroberte Provinz, bezog am 14. November in Dresden Winterquartier und schlug seine Wohnung im Palais seines erbitterten Feindes Brühl auf, wo ihm für die Stunden der Erholung eine schöne Gemäldegalerie und eine reiche Bibliothek zur Verfügung standen. Die Festungswerke ließ er während des Winters instand setzen und verstärken. Auch nach dem Wiederbeginn des Feldzugs im April behielt die Stadt eine preußische Besatzung. Schwere Lasten waren ihr auferlegt, aber Schlimmeres stand ihr bevor. Als am 10. November 1758 Feldmarschall Daun heranrückte und die Festung anzugreifen drohte, ließ der preußische Kommandant Graf Schmettau die Pirnaische Vorstadt anzünden; einer der schönsten Stadtteile mit vielen neuen Palästen ward ein Trümmerhaufen. Einige Tage nachher zog Daun ab, Friedrich ritt in Dresden ein und bezog, jetzt die bisher geübte Rücksicht gegen die anwesende königliche Familie beiseite setzend, die Zimmer Augusts III. im Schlosse. Im August 1759, während Sachsen von preußischen Truppen entblößt war, rückten die Österreicher aufs neue heran, und jetzt ließ der [190] Kommandant auch noch die Wilsdruffer Vorstadt abbrennen. Am 4. September sah er sich trotzdem gezwungen, die Festung gegen die Bedingung freien Abzugs zu übergeben. Bald jedoch waren die Preußen wieder im Lande, und den ganzen Winter über lagen die feindlichen Heere in unmittelbarer Nähe Dresdens einander gegenüber. Erst Anfang Juli 1760 zog Friedrich nach Schlesien hin ab und Daun folgte ihm, aber plötzlich kehrte der König um und suchte sich vor Dauns Rückkehr der Stadt zu bemächtigen. Die vom 14. bis 21. Juli dauernde mörderische Beschießung verfehlte jedoch ihren Zweck und er mußte die Belagerung aufgeben, um zunächst in Schlesien den ihm entrissenen Boden wiederzugewinnen. Über Kesselsdorf zog der große König ab: was er dort vor 15 Jahren errungen, schien alles wieder verloren. Er glaubte seinen Untergang nahe; am Tage nach dem Abzuge äußerte er, wenn ihn nicht die Pflicht hielte, würde er alles preisgeben.

Und was für ein furchtbares Andenken hinterließ er! Neben den Vorstädten lag auch die Osthälfte der innern Stadt, im ganzen nun etwa 800 Häuser, in Asche; die Kreuzkirche, in der er einst den Sieg von Kesselsdorf gefeiert, war ein Trümmerhaufen, nur die mächtige Steinkuppel der Frauenkirche hatte den preußischen Bomben erfolgreich widerstanden, und bis zum Schlosse und zur katholischen Hofkirche waren sie bloß vereinzelt gedrungen. Ringsum Vernichtung und Elend, viele Einwohner getötet, Tausende an den Bettelstab gebracht, die übrigen durch Kontributionen, Requisitionen und Plünderung erschöpft und ausgesogen! Was der Stadt in früheren Kriegen Schutz und Sicherheit gewährt hatte, die Festungswerke, das war ihr nun zum Verderben geworden. Um sie vor der Wiederholung eines solchen Schicksals zu bewahren, befahl August III. noch vor Beendigung des Krieges die Niederlegung der Befestigungen, die herrschende Geldnot aber ließ diesen Befehl nicht zur Ausführung kommen. Die Werke verfielen nun allmählich und verloren auch da durch ihren Wert, daß man den Bau hoher Steinhäuser bis dicht an den Stadtgraben heran zuließ. Endlich im Jahre 1809 wurde die Abtragung der Umwallung, ebenso wie der im Bayrischen Erbfolgekriege neu errichteten Schanzen außerhalb der Vorstädte, ernstlich in Angriff genommen, bei Beginn des russischen Feldzugs 1812 aber einstweilen wieder eingestellt. Noch einmal war Dresden dazu ausersehen, Hauptstützpunkt eines fremden Eroberers zu werden.

Napoleons I. Beziehungen zu Dresden bilden ein wichtiges, wenn auch nicht ruhmvolles Kapitel in der Geschichte der Erniedrigung und Wiedererhebung unsers Volkes. Die erzwungene, nur zu dauerhafte Bundesgenossenschaft des Königs von Sachsen ließ den Imperator hier heimischer werden als irgendwo in Deutschland. Zum ersten Male verweilte er auf der Rückreise von Tilsit im Juli 1807 einige Tage in Dresden und wurde von dem irregeleiteten Volke als der große Friedensfürst bejubelt. Mit andern Augen schon betrachteten ihn die Verständigeren, als er im Mai 1812 wiederkam, um von hier aus die letzten Anstalten zum Feldzuge gegen Rußland zu treffen. Man fing an, in ihm den Unterdrücker Europas zu erkennen. Zahlreicher als je war die Schar der Fürsten, die sich huldigend um ihn versammelten, auch die vornehmsten seiner Verbündeten, der Kaiser von Österreich und der König von Preußen, mußten erscheinen, um dem Hoflager, das er im Dresdner Schlosse hielt, Glanz zu verleihen. Napoleon stand auf dem Gipfel seiner Macht und seines Übermuts. Er hoffte den Zaren einschüchtern zu können: Vielleicht, hatte er geäußert, weicht er schon, wenn er die unerhörte Waffenrüstung sieht und die europäische Revue, die ich zu Dresden halten werde. Aber er hatte sich verrechnet. Sieben Monate nach diesen prunkvollen Huldigungstagen kam er in kalter Dezembernacht als Flüchtling im Reiseschlitten vor der Wohnung seines Gesandten de Serra auf der Kreuzstraße an und eilte nach wenigen Stunden der Rast, ungesehen von der Bevölkerung, nach Paris weiter, und hinter ihm her flog die Kunde, daß von den stolzen Heeren, die im Frühjahr in unendlichem Zuge über die Dresdner Brücke nach Osten marschiert waren, nichts mehr übrig sei als elende Trümmer. Aber die Machtmittel des Gewaltigen waren noch nicht zu Ende, Dresden sollte ihn wiedersehen. Mit frischen Truppen rückte er im Mai 1813 in Sachsen ein, zwang den schwankenden König Friedrich August aufs neue unter sein Joch und machte Dresden, das die verbündeten Gegner nach kurzer Besetzung hatten räumen müssen, zu seiner Hauptstellung. Nach der Schlacht bei Bautzen kehrte er hierher zurück und wohnte während der ganzen Dauer des Waffenstillstands im Marcolinischen Palais, dem jetzigen Stadtkrankenhause in der Friedrichstadt. Hier war es, wo er die berühmte, fast neunstündige Unterredung mit dem Fürsten Metternich hatte, die den Beitritt Österreichs zu dem russisch-preußischen Bündnis und damit seinen Sturz vorbereitete. Noch einmal hielt er am 10. August eine glänzende Heerschau im Ostragehege, es war sein letztes militärisches Prunkschauspiel auf deutschem Boden.

Napoleon hatte Dresden durch Anlegung von Schanzen aufs neue zu einem befestigten Platze gemacht, der ihm mit seinen Vorräten an Kriegsmaterial und Proviant einen starken Rückhalt bot. Es war großer Opfer wohl wert, ihm diesen wichtigen Platz, den Schlüssel des Elbtals, abzugewinnen. Für die aus Böhmen heranrückende Hauptarmee der Verbündeten [191] lag der Versuch nahe, zumal nachdem man festgestellt hatte, daß Napoleon nach der Lausitz hin abgezogen und Dresden nur durch ein Armeekorps gedeckt war. Hätte Fürst Schwarzenberg am 25. August, wo ihm schon ausreichende Streitkräfte zur Verfügung standen, den Sturm auf die Stadt gewagt, der Erfolg wäre ihm sicher gewesen. Statt dessen zögerte er unentschlossen und schritt erst am folgenden Nachmittag zum Angriff, als ihm Napoleon, der mit seinen Kerntruppen eilends zurückgekehrt war, schon wieder selbst gegenüberstand. Der zweitägige Kampf, bei dem der Kaiser von Rußland und der König von Preußen Augenzeugen waren, endete mit dem Rückzuge der Angreifer. Aber es war kein bloßes Rückzugsgefecht, wie man in dem Bestreben, alte Tatsachen in ganz neuer Beleuchtung zu zeigen, jüngst hat behaupten wollen, sondern eine bedeutende Schlacht, deren Verlust für die Verbündeten schwer genug wog und nur durch die fast gleichzeitigen Siege bei Großbeeren, an der Katzbach und bei Kulm wettgemacht wurde. Für Dresden war dieser Ausgang ein Glück, denn die Erstürmung der Stadt wäre für die Einwohner, deren Kräfte durch die unaufhörliche Einquartierung von Hunderttausenden fremder Soldaten und durch unerhörten Steuerdruck schon erschöpft waren, wahrscheinlich auch noch mit Plünderung verbunden gewesen. Es war eine schwere Schickung für sie, um der Selbsterhaltung willen vor einem Siege der Verbündeten bangen zu müssen, den sie ihnen, wiewohl verwirrt und entmutigt durch die undeutsche Politik ihres Landesherrn, im Herzen wünschten. Kämpfte doch auch der Sohn mancher Dresdner Familie als Freiwilliger in den gegnerischen Reihen. Gerade an diesem 26. August, an dem der blutige Kampf um Dresden entbrannte, fand auf dem nördlichen Kriegsschauplatze der Dichterjüngling, der durch seine Lieder die Begeisterung für die Befreiung Deutschlands mächtig geschürt hatte, den Heldentod: Theodor Körner. Ihn hat Dresden als sein Sühneopfer auf dem Altare des Vaterlandes dargebracht.

Im Oktober endlich war auf Leipzigs Gefilden die Herrschaft des Korsen zusammengebrochen, aber erst am 11. November, nach einer langen, mit Hungersnot und Typhusepidemie verbundenen Einschließung, sah Dresden sich von den fremden Bedrückern befreit. Die Rolle, die es zum Unheil seiner Bewohner in zwei großen Kriegen als Festung gespielt, war zu Ende. Die Entfestigung ward nun durchgeführt. Ein einziges Stück der verhängnisvollen steinernen Wälle ist erhalten geblieben: die Brühlsche Terrasse. An Stelle der Batterien erheben sich auf ihr Prachtgebäude, die der Kunst geweiht sind.

Die ungeheuren Kriegsleistungen hatten den seit dem Siebenjährigen Kriege kaum wiedergewonnenen Wohlstand der Stadt aufs neue verzehrt. Die herrschende Dürftigkeit äußerte in der nächsten Zeit ihren Einfluß auch auf das geistige Leben, das überdies unter der Zerklüftung litt, die durch die erzwungene Abtretung der Hälfte des Landes an Preußen in die gebildeten Stände getragen worden war. Ein Verlust war es, als Christian Gottfried Körner, bedrückt durch die unerquicklichen politischen Verhältnisse, von Dresden wegzog. Dieser treffliche Mann hatte einst Schillern aus der Verzweiflung an seinem Dichterberuf gerissen und ihm in seinem Hause zwei sorgenlose Jahre freudigen Schaffens bereitet, die Dresden in ehrenvoller Weise mit dem Andenken an den großen National dichter verknüpfen. Körners Haus war der Sammelpunkt aller Fremden und Einheimischen gewesen, die auf geistige Bedeutung Anspruch machten, unter den Fremden alle überragend Goethe, unter den Einheimischen Heinrich von Kleist, der von 1807 bis 1809 in Dresden lebte und hier den „Michael Kohlhaas“, das „Käthchen von Heilbronn“ und die „Hermannsschlacht“ dichtete. Nicht wenige aus diesem edlen Kreise hat Anton Graff, der fleißige Dresdner Maler, in ausgezeichneten Bildnissen verewigt. Einen ähnlichen geistigen Mittelpunkt bildete dann erst wieder der seit 1819 hier wohnende Dichter Ludwig Tieck, dessen abendliche Vorlesungen in dem Eckhause an der Kreuzkirche Berühmtheit erlangten. Neben diesem Romantiker der Literatur wirkte der Romantiker der Musik, Karl Maria von Weber. Er machte Dresden wieder zum Hauptsitze der deutschen Oper und gewann ihm damit die Stellung zurück, die es schon einmal im 17. Jahrhundert durch Heinrich Schütz ein genommen hatte. Ein noch Größerer ward der Fortsetzer und Vollender seines Schaffens: Richard Wagner, der seit 1842 dem Dresdner Theater angehörte. Die Geburtsstätte unvergänglicher Werke wie „Der Freischütz“, „Der fliegende Holländer“ und „Tannhäuser“ gewesen zu sein, wird eine Stadt sich gewiß rühmen dürfen, zumal wenn ihre Bevölkerung es den Meistern gegenüber nicht an fördernder Anerkennung hat fehlen lassen.

Als die Wunden, die der Krieg dem wirtschaftlichen Leben des Landes geschlagen, anfingen zu vernarben, entwickelte sich unter der Regierung des feinfinnigen Königs Friedrich August II. eine neue Blüte der Künste. Mit dem heiter prächtigen Hoftheater und dem ruhig stolzen Museumsgebäude, das sich dem ganz anders gearteten, lebensprühenden Zwinger in bewundernswerter Harmonie anschloß, begründete Gottfried Semper seinen Ruf als erster Baumeister der Zeit. Der Bildhauerkunst erstand ein Bahnbrecher in Rauchs Schüler Ernst Rietschel, der die klassische Formenschönheit mit größerer Naturwahrheit verschmolz. Sein [192] Lessingstandbild in Braunschweig, seine Goethe- und Schiller Gruppe in Weimar, sein Lutherdenkmal in Worms haben dem Empfinden der Deutschen für ihre Geisteshelden in vollendeter Weise künstlerischen Ausdruck verliehen. Die von ihm und Ernst Hähnel begründete Dresdner Bildhauerschule, aus der auch Johannes Schilling, der Schöpfer des Nationaldenkmals auf dem Niederwalde, hervorging, hat großes Ansehen genossen. Nicht zu gleicher Höhe vermochte sich die Malerei aufzuschwingen. Aber auf dem Gebiete der zeichnenden Kunst wirkten hier zwei Meister ersten Ranges: Ludwig Richter, ein echter Sohn Dresdens, der gemütvolle Schilderer des deutschen Familienlebens, den seine köstlichen Schöpfungen, in der von ihm neubelebten Kunst des Holzschnitts ausgeführt, zum geliebten Hausfreunde seines Volkes gemacht haben, und Julius Schnorr von Carolsfeld, der hier seine Bilderbibel schuf, ein Werk von edelster idealistischer Kunstweise und tiefinnerlichem Gehalt, dessen Wert von dem Wechsel des Geschmacks unberührt bleibt. So sah Dresden bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein nochmals ein für die Nation fruchtbares Kunstschaffen; daneben entfaltete sich ergänzend das literarische Wirken von Dichtern wie Karl Gutzkow, Berthold Auerbach und vor allen Otto Ludwig. Es ist dann ein Niedergang eingetreten und erst im letzten Jahrzehnt hat sich die Stadt ihren Platz unter den deutschen Kunststätten zurückerobert.

Aber mit dieser Rolle allein konnte sich die moderne Stadt nicht mehr begnügen. Dem Aufschwunge von Handel und Gewerbe, den die Erfolge der Bismarckschen Staatskunst und die Fortschritte der technischen Wissenschaften im neuen Reiche herbeigeführt haben, ist auch Dresden gefolgt. Die Kunst und Fremdenstadt Augusts des Starken ist unter König Alberts segensreicher Regierung zugleich zu einer der bedeutendsten Industriestädte des Landes geworden. Mit dem schnellen Anwachsen der Einwohnerzahl und des Verkehrs haben ihre öffentlichen Einrichtungen Schritt gehalten und sie behauptet heute mit Ehren ihren Rang unter den Großstädten des Reiches.

So sehen wir, wie Dresden im Laufe der Jahr hunderte vieles erlebt und manches geleistet hat, was ihm in der Geschichte der Nation eine Bedeutung gibt. Es bleibt nur zu fragen, wieviel daran die Einwohner selbst Anteil haben. Wenn sie wiederholt in große Ereignisse hineingerissen worden und Zeugen weltgeschichtlicher Katastrophen gewesen sind, so haben sie dabei zunächst zwar nur eine leidende Rolle gespielt, aber bei den ihnen auferlegten Leiden jedesmal doch eine bemerkenswerte Spannkraft gezeigt und es verstanden, den zerrütteten Wohlstand der Stadt verhältnismäßig rasch wieder aufzubauen. Wenn ferner Dresden mehr als einmal ein Ausgangspunkt künstlerischer Kultur gewesen ist, so gebührt das Verdienst daran zwar in erster Linie kunstsinnigen Landesfürsten, aber deren Bestrebungen bedurften zu ihrem Gedeihen doch auch des Bodens im Volke, und dieses hat ihnen nicht bloß die nötigen Mittel, sondern stets auch talentvolle Kräfte genug zu liefern vermocht, die den Anregungen der anfangs meist von auswärts herbeigerufenen Künstler zu folgen und sie selbständig fortzuentwickeln verstanden. Auf dem wirtschaftlichen Gebiete endlich verdankt die Stadt ihr Vorwärtskommen vor allem dem Fleiße und der Genügsamkeit der Bürger, und namentlich der jüngste Aufschwung der Großstadt ist allein ihrer Strebsamkeit und Tatkraft zuzuschreiben.

Bei dieser verdienten Anerkennung darf aber nicht verschwiegen werden, daß der politische Ruf der Dresdner eine Zeit lang nicht der beste war. Zwar in früheren Jahrhunderten hatte auch in ihnen ein starker Unabhängigkeitssinn gelebt; noch als Kurfürst Moritz 1549 die Einverleibung Altendresdens in die Hauptstadt befahl, setzten ihm die Ratsherren des rechtselbischen Städtchens offenen Widerstand entgegen und ließen sich lieber ins Gefängnis werfen, als daß sie gutwillig die Selbständigkeit ihres Gemeinwesens aufgaben. Dieses Selbstgefühl war aber den Dresdnern. später durch die ihnen auferlegten schweren Schicksale und unter dem Drucke, den der in spanischer Etikette erstarrte Hof auf seine Umgebung ausübte, völlig verloren gegangen und es dauerte lange, ehe eine aufrechte staatsbürgerliche Gesinnung wieder in ihnen aufkommen konnte. Wenn freilich Schiller 1788 die Dresdner ein seichtes, zusammengeschrumpftes, unleidliches Volk genannt hat, bei dem der freie edle Mensch unter dem hungrigen Staatsbürger ganz verloren gehe, so darf man vermuten, daß er damals auch von den Bewohnern anderer Fürstenresidenzen keine bessere Meinung gewonnen haben würde. Schildert doch Ernst Moritz Arndt noch 1806 in seinem „Geist der Zeit“ die Masse der Deutschen überhaupt als ein verächtliches Geschlecht, unter dem statt freien Bürgersinnes überall feige knechtische Gesinnung herrsche. In Dresden bestand allerdings einige Berechtigung zu solchen harten Urteilen noch bis lange nach den Befreiungskriegen, ja selbst nach der Mairevolution fort. Noch Heinrich von Treitschke, der große Sohn dieser Stadt, den wir heute mit Stolz den unsern nennen, hat das „schlaffe und schale Philistertum“ der Dresdner scharf gegeißelt. Doch auch darin trat eine Wandlung ein, sobald die Stickluft der Kleinstaaterei durch die Stürme der großen Einigungskriege hinweggefegt war. Mit jedem Jahrzehnt gewann seitdem, gefördert durch die Zuwanderung zahlreicher Angehöriger andrer deutscher Stämme, eine gut nationale und zugleich unabhängige Gesinnung [193] an Ausdehnung und Stärke. Aufs deutlichste offenbarte sie sich in dem Verhalten der Dresdner zum Fürsten Bismarck. Nach der Entlassung des Reichskanzlers, als noch über dem deutschen Volke ein dumpfes Schweigen lagerte, fühlte man hier sich gedrungen, die Dankbarkeit gegenüber dem Begründer des Reiches laut zu bekennen. Bei seiner Durchreise nach Wien im Juni 1892 äußerte die Bevölkerung Dresdens, unbekümmert um die Wirkung nach oben hin, ihre Gefühle mit einer Gewalt und Herzlichkeit, die den Gefeierten aufs tiefste ergriff und andere Städte Deutschlands zu gleich begeisterten Kundgebungen fortriß. Hier ward ihm die tröstliche Gewißheit zurückgegeben, daß das deutsche Volk doch nicht aufgehört habe, seinen Führern und damit sich selbst die Treue zu bewahren. „Deutschland in Dresden!“ – dieses Wort des gewaltigen Mannes steht für immer mit goldnen Lettern in der Geschichte unserer Stadt geschrieben.