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XVI. Jahrgang          1907          Nr. 4.


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Dresdens Bedeutung in der Geschichte.
Vortrag,
gehalten bei der X. Versammlung deutscher Historiker in Dresden am 4. September 1907 von Otto Richter.

Der Lokalhistoriker wird in einer Versammlung wie der gegenwärtigen selbstverständlich auf Interesse für das ortsgeschichtliche Kleinleben nicht rechnen dürfen, sondern bestrebt sein müssen, seinen Gegenstand in den Rahmen der hier gewohnten umfassenderen Geschichtsbetrachtung einzufügen. Dieser Anforderung kann er vielleicht gerecht werden, wenn er im kurzem Überblicke zu zeigen sucht, welche Bedeutung dem Gebiete, das er bearbeitet, in der allgemeinen oder wenigstens der nationalen Geschichte zukommt. Nicht als ob der Ansicht beizustimmen wäre, daß der ganze Wert lokalhistorischer Arbeiten in den Bausteinen liege, die sie für die Gesamtgeschichte liefern. Gewiß gehören gerade diese Bausteine zu den festesten; denn keine durch Forschung gewonnene Erkenntnis kann wohl zuverlässiger sein, als wenn sie sich mit dem Erleben des Forschers selbst berührt, und nicht leicht wird ein andrer seinem Gegenstande so nahe kommen wie der Lokalhistoriker, der nicht auf Urkunden und Berichte allein angewiesen, sondern auch mit der Örtlichkeit des Geschehens wie mit der Art der Bewohner eng vertraut ist. Aber es unterliegt wohl keinem Zweifel, die Ortsgeschichte als das Wissen von der Vorzeit der Heimat hat auch ihren Wert an sich. Es verhält sich mit ihr etwa ebenso wie mit der Stadtgemeinde, die als kulturelle Lebensgemeinschaft für sich besteht, wenn sie auch erst durch ihre Zugehörigkeit zu einem Staatsganzen und durch ihre Leistungen für dieses eine höhere Bedeutung erhält.

Um Bemerkenswertes in der Geschichte Dresdens aufzusuchen, darf man nicht in sehr frühe Zeiten zurückgehen. Es deutet zwar manches, namentlich der Umfang des noch für neuzeitliche Verhältnisse sehr stattlichen Marktplatzes darauf hin, daß der Landesherr bei der planmäßigen Gründung der Stadt im Anfange des 13. Jahrhunderts einen Mittelpunkt des Handelsverkehrs aus ihr zu machen gedachte. Sie blieb aber, trotz der Wichtigkeit der Elbbrücke für die Verbindung mit dem Osten, während des ganzen Mittelalters eine bescheidene Landstadt und Fürstenresidenz mit kaum 5000 Einwohnern, und auch die glänzende Hofhaltung Markgraf Heinrichs des Erlauchten, des Minnesängers, wird ihren Namen nicht weithin bekannt gemacht haben.

Vielleicht ist es Peter von Dresden, ein Führer der husitischen Bewegung, gewesen, mit dessen Namen auch der seiner Vaterstadt zuerst in weitere Kreise drang. Peter hatte in Prag studiert und dann wahrscheinlich dort als Lehrer gewirkt, bis er 1409 mit den deutschen Professoren und Studenten auszog. Er erscheint um 1411 als Schulmeister in Dresden und sammelte hier eine waldensisch wiclifitische Gemeinde um sich, der er das Sakrament unter beiderlei Gestalt reichte. Wegen seiner ketzerischen Lehren wurde er nach zwei Jahren aus dem Meißner Bistum ausgewiesen, mit ihm sein Schulgeselle Magister Nicolaus, der Verfasser zahlreicher Schriften über kirchliche Fragen, namentlich auch über den Laienkelch. Die beiden Dresdner gingen wieder nach Prag und ihrem Einflusse war es zuzuschreiben, daß man auch dort anfing, das Abendmahl unter beiderlei Gestalt auszuteilen. So ward das kleine Dresden durch Peter einer der ersten Ausgangspunkte jener großen religiösen Bewegung, deren kriegerische folgen Jahrzehnte hindurch

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/190&oldid=- (Version vom 21.11.2024)