Die heilige Familie (Gemälde der Dresdener Gallerie)

Textdaten
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Autor: Adolph Görling
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Titel: Die heilige Familie
Untertitel: Von Hannibal Caracci
aus: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1848−1851
Verlag: Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne
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Erscheinungsort: Leipzig und Dresden
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Quelle: Scan auf Commons
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The Holy Family.     Die heilige Familie.

[275]
Die heilige Familie.
Von Hannibal Caracci.

Der Name Caracci oder Carracci ist einer der glanzvollsten in der Geschichte der italienischen Malerei. Es sind sechs Künstler, welche, zu derselben Familie gehörend, diesen Namen führten. Doch bezeichnet man, wenn die Caracci genannt werden, mit Hinweglassung der drei unberühmten und mittelmäßigen Maler, nur drei Mitglieder der Familie: den Ludovico, Annibale (Hannibal) und Agostino (Augustin). Das Wirken dieser drei Caracci steht in so genauem Zusammenhange, daß man von dem einen Caracci kaum reden kann, ohne die andern nicht gleichfalls erwähnen zu müssen. Die Caracci haben gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts mit vereinter Kraft eine Reform italienischer Kunst zu Stande gebracht, welche von größter Bedeutung für die Richtung der Italiener in der Malerei, als auch anderer Völker werden sollte, die durch das Studium der italienischen Kunstwerke ihre Bildung zu veredeln strebten. Die Caracci betraten in einer Periode den Schauplatz, in welcher die Kunst in Italien mit einer auffallenden Schnelligkeit von der erhabenen Höhe herabsank, auf welcher die Raphael und Michel Angelo, Leonardo da Vinci, Correggio und Tizian glänzen. In kaum fünfzig Jahren schien Alles verloren, was die edelsten Geister im Verlaufe von fast dreihundert Jahren errungen hatten. Die unsterblichen Werke der großen Meister schienen ganz machtlos geworden zu sein, denn auf der einen Seite spreizte sich die gehaltloseste, weichlichste Manierirtheit, während auf der andern ein roher Naturalismus erstand, vor welchem jeder geistige Aufschwung unterzugehen drohte. Es war den Caracci beschieden, sich dem immer weiter greifenden Verfall der Kunst mit starker, ernster Manneskraft entgegenzustemmen. Ein geläuterter Geschmack in Zeichnung und Composition ward durch sie wiederum hergestellt, und weniger ward dieses durch ihre originalen Schöpfungen, als durch die Strenge und Verständigkeit herbeigeführt, womit sie das Studium der großen Meister als die Grundlage ihrer Thätigkeit feststellten.

Alle drei Caracci sind nicht mit jener ursprünglichen Schöpferkraft ausgerüstet, welche den vollendeten Werken der vergangenen Zeit gegenüber fast unwillkürlich durchbricht und neue Bahnen zeigt. Diese Maler sind kritische Genie’s, welche mit feinem Verstande die eigenthümlichen Vorzüge ihrer Vorbilder zu ergründen suchten, welche diese Vorzüge beinahe systematisch zusammenzustellen verstanden, und Nachahmungstalent genug besaßen, um wirkungsreich das als vorzüglich Erkannte in ihren Gemälden wiederzugeben. Von Begeisterung darf man bei den Caracci wenig reden; hier liegt ihre Kraft nicht; sie waren stark durch die vom berechnenden Verstande und von einem richtigen Geschmacke dictirte Methode. Es ist dies die eklektische Methode, welche in der Malerei zuerst durch die Caracci geübt wurde, bis sie als eigentliche Lehrmethode sich auf allen spätern Kunstschulen und Akademien Bahn gebrochen hat.

Es liegt in der Natur der Sache, daß eine Kritik, wie die Caracci sie übten, sich vorzugsweise der Form, welche die großen Meister zur Erscheinung brachten, zuwenden mußte. Die Zeichnung, das Knochengerüst eines Gemäldes, ward von den Caracci mit einer bis dahin unbekannten [276] Strenge bis in ihre Elemente zerlegt, um eine von allen Schwächen und Unrichtigkeiten freie Zeichnung aus diesen Grundlagen aufzubauen. Es ist sehr natürlich, daß durch ein Streben der Art vorläufig die Kunst ihrer herzgewinnenden, naiven Anmuth entkleidet werden mußte; daß das eigentliche Lebenselement, das künstlerisch Empfundene, zurückstehen mußte vor dem zersetzenden, trennenden Verstande, welcher bei den Caracci selten von einem Schwunge der Phantasie begleitet wird, der es ermöglicht, daß aus allen aufgefaßten, richtig abgeleiteten Einzelheiten eine ganze Composition hervorspringt. In der Regel sind die Caracci, eben ihres Bildungsganges und der daraus gefolgerten Methode wegen, statt einfach wahr, in ihrer Zeichnung strenge und hart, in ihren Compositionen statt voll und lebenswarm, nüchtern, inhaltsleer und die Färbung selbst ausgezeichneter Bilder dieser Meister verwischt nie den Gedanken an eine ausgeführte Skizze. Hinsichtlich des Colorits, des Fleisches und Blutes der Malerei, haben die Caracci leicht erweislich der Kunst eben so viel geschadet, als sie ihr im andern Falle durch eine genaue und gründliche Zeichnung genützt haben. Das ganze eklektische Streben der Caracci, welches den geistigen Inhalt ihrer Stoffe der ästhetischen Form derselben blos unterschob, statt daß der Künstler aus der idealen Composition heraus die entsprechendste Form finden soll, dies Streben schließt die Caracci aus dem Bereich der Malerei in Oel völlig aus. Es giebt in den Bildern unserer Künstler keine Illusion. Die bezaubernde Lyrik der Malerei, Farbenglut und sanft verschmolzene Lichteffecte, findet sich höchst selten bei den Caracci; dagegen weist ihre Methode unverkennbar auf die Frescomalerei hin, bei welcher die dem Oelbilde eigenthümlichen Vorzüge geradezu fehlerhaft sind, wollte man sie an der Mauer hervorrufen. Ein akademischer Styl, wie ihn die Caracci begründeten, und wie er in den Kunstschulen bis heute noch besteht, eine Methode des Zeichnens und Malens wird stets in der Oelmalerei zu untergeordneten Werken führen, während das Feste und Gleichmäßige eines gewissen Styls, bei welchem die Kritik stets der freien Productionskraft übergeordnet ist, sehr wohl mit der einfachen und strengen, monumentalen Objectivität der Frescomalerei bestehen kann. Die Caracci sind daher in ihrer fast unbewegten, nackten Wahrheit nie erhebender und genialer, als in ihren Frescobildern, während ihre Oelgemälde in Hinsicht auf eigentliches Malen einen kahlen, skizzenhaften Eindruck machen. Wir erwähnen als Beweis für dieses Urtheil die ungeheuer umfangreiche und prachtvolle Frescomalerei Ludovico’s in dem weltbekannten Porticus di S. Michele in Bosco bei Bologna, die Geschichte der heiligen Cäcilia und diejenige des heiligen Benedictus darstellend; ferner von Annibale die Frescomalereien im Saale des Palastes Farnese, den Triumph des Bacchus mit der Ariadne, Juno mit dem Liebesgürtel der Aphrodite, Herkules und Jole, Diana und den Schläfer Endymion, Venus und Anchises, und die Geschichte der Galathea, Aurora und des Cephalus zeigend; ein Werk, welches mit den üppigen, reizenden Nebengemälden nach den heitersten Mythen und im Sinne von Ovidius den Künstler bis ins achte Jahr beschäftigte, ihm die schmähliche Bezahlung von fünfhundert Thalern etwa einbrachte und seinen frühen Tod unmittelbar zur Folge hatte; endlich führen wir von Agostino das Gemälde von der Galathea in der Farnesina in Rom an, welches er selbst, bevor er es al fresco ausführte, als Studie in Oel malte. Es war diese gemeinschaftlich ausgeführte Composition, welche dem reizbaren Annibale den wüthendsten Haß gegen Agostino einflößte; diese eifersüchtige Wuth Annibale’s ward noch gesteigert, als der sanfte Agostino für den Herzog von Parma al fresco die himmlische, die irdische und die käufliche Liebe malte.

[277] Um von den Caracci, diesen merkwürdigen Künstlern, eine mehr genaue Vorstellung zu geben, skizziren wir kurz ihr Leben und ihre Thätigkeit. Als Haupt der von den Caracci gestifteten Malerschule muß Ludovico gelten. Er war der 1555 zu Bologna geborene Sohn eines Fleischers, zeigte von frühester Zeit an bereits eine fast peinliche Aengstlichkeit beim Zeichnen, und machte daher nur sehr langsame Fortschritte. Ludovico grübelte über die Richtigkeit seiner Linien schon als Knabe; die Kritik scheint namentlich diesem reich begabten Geiste angeboren. Er wechselte, eben seiner ästhetischen Skepsis wegen, in Bologna so lange seinen Lehrer, bis keiner mehr übrig war. Dann ging er, von der Erbärmlichkeit der bolognesischen Maler aufs Tiefste überzeugt, nach Florenz und arbeitete bei Andrea del Sarto, welcher ihn durch seine beißende Laune gegen alle damals in Florenz blühenden Maler fest an sich kettete, bis der untersuchende Kunstjünger an seinem Meister ebenfalls keine geringen Schwächen entdeckte. Das Einvernehmen ward gründlich gestört, und Passignano, ein vorzüglicher Zeichner, übernahm es, den strebsamen Jüngling weiter auszubilden. Hier mußte Ludovico, obschon der reinen, kräftigen Zeichnung mächtig, mit geraden Strichen seine Schule wieder beginnen, und die Ueberzeugung, welche Ludovico von dem Werthe und der Wirkung dieses rigorosen Unterrichts gewann, ist nicht wenig Ursache gewesen, daß der spätere Meister von seinen Schülern, namentlich was die Elemente der Zeichnung anbetrifft, eine Ausdauer und ein willenloses Hingeben verlangte, wodurch nicht wenige Schüler abgeschreckt wurden, den Weg zum Tempel der Kunst durch die caraccischen düstern Vorhallen derselben weiter zu verfolgen.

Diese rigorose Art der Behandlung der Elemente der Kunst durch Ludovico Caracci muß geradezu als die Grundlage der spätern Erfolge dieser Malerfamilie angesehen werden. Ludovico’s Starrheit bequemte sich nur sehr schwer dazu, als er in Bologna, Florenz und Venedig nach den besten Meistern arbeitete, namentlich nach Tizian, Tintoretto und Andrea, das Eigenthümliche dieser Maler zu erfassen. Er hatte bereits unendlichen Fleiß entwickelt, immer aber noch nichts selbst geschaffen, was ihm einen Namen machen konnte. Außerdem sah er klar ein, daß er allein schwerlich stark genug sein werde, sich den Manieristen erfolgreich entgegenzustemmen. Ludovico verband sich mit seinen nicht minder als er berühmt gewordenen Vettern, Annibale und Agostino Caracci. Unter diesen Beiden war Annibale derjenige, welcher die bedeutendste Energie des Charakters zu zeigen vermochte. Sein feuriger Geist riß die beiden andern Caracci mit fort, und seine große Begabung reizte sie zu immerwährendem Wetteifer mit ihm an.

Annibale war mit Agostino der Sohn eines Schneiders und wurde 1560 wie Agostino 1558 zu Bologna geboren. Annibale war mit Agostino ein Schüler Ludovico’s bis zum Jahre 1580. Da genügte ihm der Vetter nicht mehr und er ging mit seinem Bruder nach Parma, um hier volle drei Jahre nach Correggio zu malen, wodurch er sich gänzlich in den Styl dieses Malers hineingearbeitet hatte. Tizian übte weniger Einfluß auf Annibale aus; in Paolo Veronese aber erkannte er ein verwandtes Element, und die klare, harmonische Färbung dieses Vorbildes hat Annibale später in seinen eigenen Gemälden glücklich nachgeahmt. Doch waren die bedeutenden Gemälde, welche kurz darauf von Annibale, als aus seinen Studien hervorspringend, geschaffen wurden, nur als der Ausdruck einer Uebergangsperiode in seiner künstlerischen Bildung zu betrachten. Seine eigentliche Entwickelung, die Verfolgung der kritischen Methode in der Malerei, beginnt erst mit seinem Aufenthalte in Rom, wohin ihn der Cardinal Farnese berief. [278] Michel Angelo ergriff den jungen Künstler auf’s Gewaltigste und Raphael schien ihn wie mit Zauberbanden zu fesseln. Der Geist der Kunst, die schöne, gehaltvolle Idee in schöner und erhabener Form kam bei Annibale zum Durchbruch, und jetzt erst beginnt die so sehr bewunderte, vollendetste Reinheit der Zeichnung Annibale’s sich zu entfalten, welche sich dreist neben diejenige Angelo’s und Raphaels stellen darf. Seine Richtung ward eine vollkommen akademische, ließ aber schon jetzt die Mannigfaltigkeit der Conception, den Ausdruck eines reichen, bewegten Lebens und eine harmonische, breite Färbung vermissen. Um die vollendete Schönheit zu erreichen, suchte er die von den verschiedenen Meistern erreichten einzelnen Vollkommenheiten zusammen, um ein tadelloses Ganze zu erbauen; diese Formenschönheit war jedoch nichts weniger, als gedankengeboren, und blieb kalt und leblos trotz aller Richtigkeit der Zeichnung und aller Harmonie des Colorits. Es liegt etwas Sculpturartiges in fast jedem Bilde Annibale Caracci’s; Kraft, in vielen Fällen eine gewisse classische, unbewegliche Hoheit und Größe, ist dem Meister selten abzusprechen; doch ist fast kein einziges Bild die Frucht einer gedanken- und empfindungsvollen, ursprünglichen Schöpferkraft, welche sich gewaltig dazu drängt, in künstlerischer Form zur Erscheinung zu kommen. Hier stehen wir bei der Composition Annibale’s; sie ist selten mehr, als eine künstlerische Combination; die Handlung ist herausstudirt, so daß die Figuren oft wie willkürlich zusammengestellt erscheinen und die innere Nothwendigkeit des Gemäldes, was Composition belangt, selten schlagend und ergreifend hervortritt. Hinreißen wird Annibale Caracci mit seinen Schöpfungen schwerlich; er besitzt nicht das göttliche Geheimniß, die Herzen seiner Beschauer zu rühren und den Strom der poetischen Empfindung in ihnen fließen zu machen; die berechnende Kritik aber wird durch die, einen festen Haltpunkt für die bloße Betrachtung darbietende Tadellosigkeit der Formen, namentlich der männlichen Figuren, in Annibale’s Bildern widerstandlos gefesselt. Mengs, so auffallend genau den Caracci geistesverwandt, Winkelmann, Poussin u. A. m. haben oft Annibale Caracci den Platz unmittelbar nach Raphael eingeräumt.

Die ganze Art der Malerei Annibale’s wies ihn von selbst zur Frescoarbeit hin, und hier erscheint das Gemessene und Gehaltene in der Bewegung seiner Figuren fast als Verdienst. Es liegt eine classische, klare Ruhe über dem Meisterwerke Annibale’s im Palaste Farnese zu Rom; bei aller Grazie, bei den wechselnden Stellungen und der mannigfaltigen Gruppirung an dem Deckengemälde und den beiden großen Bogenfeldern hat die ganze Arbeit etwas Monumentales. Fünfhundert Thaler wagte der schamlose Cardinal Farnese dem Künstler, welcher sieben Jahre an diesem Werke arbeitete, als Bezahlung zu bieten . . . . Annibale verfluchte seinen Stand und starb aus gekränktem Ehrgeiz.

Annibale war ein außerordentlich fleißiger und gewissenhaft arbeitender Meister. Seine technische Fertigkeit war bedeutender, als die seiner Namensgenossen; dennoch malte er nie schnell. Im Ganzen hat der Künstler, welcher in der besten Manneskraft starb, viele Gemälde hinterlassen. Oelbilder von ihm sind in fast allen bedeutenden Gallerien, und viele Kirchen besitzen Werke von seiner Hand. Die Gallerie in Dresden bewahrt außer der Madonna mit dem Kinde noch einen heiligen Rochus und mehre weniger hervorragende Stücke.

Diese Madonna gilt als eine der anmuthigsten Frauengestalten, welche Annibale je malte. Zugleich besitzt das Gemälde einen herrlichen, lebendigen Farbenton, welches durchaus nicht von allen Werken Annibale’s gesagt werden kann. Das Antlitz der heiligen Jungfrau ist immer der [279] Gegenstand lebhaftester Bewunderung gewesen, und wirklich liegt etwas reizend Geheimnißvolles, ein süßer Ernst und die verschämte Jungfräulichkeit in diesem himmlischen Gesicht. Das Jesuskind ist wider Annibale’s Gewohnheit etwas derb gehalten, übrigens herrlich gezeichnet und gemalt. Der Meister wählte gern heilige Geschichten zu seinem Vorwurfe; ist indeß in den mythologischen, antiken Stoffen in der Regel am glücklichsten gewesen. Das inbrünstige, andächtige Element der christlichen Religion war ihm nicht lieb; er malte lieber in dem griechischen Geschmack einer heitern, formenschönen Ruhe. Eins von Annibale’s größern Bildern, eine Kreuzabnahme, müssen wir ebenfalls als in der Gallerie zu Dresden befindlich bezeichnen. Der Künstler hat selbst viel radirt und gestochen; einige zwanzig Blätter mögen von ihm vorhanden sein, welche im hohen Grade geschätzt werden.

Agostino erhielt seinen ersten Unterricht von Fontana und Passerotti, nachdem ihm die Beredtsamkeit Ludovico’s der Werkstatt eines Goldschmieds entführt hatte. Der Kunstjünger war sanftmüthig und liebte leidenschaftlich Poesie, Musik und philosophische Studien, wodurch sich ihm sehr bald die elegante Gesellschaft Bologna’s eröffnete. Diese Anerkennung seiner persönlichen Vorzüge und der Ruf, den Agostino als gewandter Schriftsteller über mathematische und philosophische Gegenstände, sowie als Gelegenheitsdichter errang, scheinen den Annibale zuerst gegen den Bruder aufgereizt zu haben. Annibale war, wie gesagt, heftig, leidenschaftlich und befand sich nur unter Menschen wohl, vor denen er seinen Cynismus, seine rohen Sarkasmen nicht zu verbergen brauchte. Annibale bewies dem Bruder, daß er von vornherein schon zu den Feinden, das heißt zu den Manieristen gehöre, daß er bei seiner weibischen Feinheit und Zierlichkeit nie ein Maler, kraftvoll wie Angelo, oder begeistert und glühend wie Raphael zu werden hoffen dürfe.

– Du wirst uns ruiniren! rief Annibale dem Agostino wüthend zu. Du wirst den Vetter und mich zum Gespött machen, wenn wir auf deine Pinseleien hingewiesen werden, um die Wirkungen unserer neuen Methode der Malerei zu studiren. Stich nach, was wir malen, schreib’ Verse und Abhandlungen über unsere Bilder, aber rühre keinen Pinsel wieder an, wenn wir Brüder bleiben wollen.

Agostino gab nach und stach in Kupfer und radirte, während Annibale nach Parma ging. Kaum war der Tirann jedoch zurück, so begann der Streit abermals über Agostino’s Bild des heiligen Hieronymus, welches die Carthäusermönche als das beste der ihnen für ihre Capelle übersandten Bilder erklärt und gekauft hatten. Annibale ward wüthend vor Eifersucht und die Brüder trennten sich in bitterer Feindschaft. In Rom jedoch bedurfte Annibale des Agostino in der Farnesina und der Friedfertige ging, erfand und entwarf sogar mehre der schönsten Partien dieses Meisterstücks. Seine „Galathea“ in dem Palaste Farnese erwähnten wir schon; diese Schöpfung, welche nach dem Urtheil der damaligen Kenner den Agostino als den ersten der Caracci hinstellte, vergab ihm Annibale nie; er quälte den Bruder, trieb ihn ein, beleidigte ihn fortwährend und verscheuchte ihn endlich von Rom. Agostino starb in Parma aus Gram über die Intriguen seiner Feinde.

Agostino ist sicherlich der gebildetste der Caracci, welcher sich seiner Kunstprincipien am klarsten bewußt war. Seine Lehrschriften über Malerei und ihre Hülfswissenschaften sind noch heute brauchbar, und seine Gedichte über die Schönheit, über Naturscenen etc. sind geistreich und zierlich. [280] Als Maler hat er jedoch bei Weitem die beiden andern Caracci nicht erreicht. Seine Zeichnungen sind dagegen von größter Vollendung und in diesem Punkte weicht er weder seinem Vetter noch seinem Bruder. Agostino war der eigentliche Lehrer in der Malerschule der Caracci, und zeigte sich als höchst einsichtsvollen Beobachter und Lenker der individuellen Richtungen seiner Schüler in Bezug auf Kunst. Das beste Oelgemälde Agostino’s ist die genannte, zu Paris bewahrte Communion des heiligen Hieronymus, wie die Galathea oder, wie Andere wollen, die Venus Anadyomene auf dem Meere seine beste Frescoarbeit. Es sind überhaupt wenige Oelbilder von Agostino vorhanden, desto mehr Kupferstiche, unter denen viele von höchster Schönheit des Stichs und der reinsten Schattirung, welche letztere Agostino eigentlich erst in Italien einbürgerte. Die Kreuzigung nach Tintoretto in drei Platten wird mit dem Aeneas und Anchises nach Baroccio für sein schönstes Werk im Kupferstich gehalten.