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Strenge bis in ihre Elemente zerlegt, um eine von allen Schwächen und Unrichtigkeiten freie Zeichnung aus diesen Grundlagen aufzubauen. Es ist sehr natürlich, daß durch ein Streben der Art vorläufig die Kunst ihrer herzgewinnenden, naiven Anmuth entkleidet werden mußte; daß das eigentliche Lebenselement, das künstlerisch Empfundene, zurückstehen mußte vor dem zersetzenden, trennenden Verstande, welcher bei den Caracci selten von einem Schwunge der Phantasie begleitet wird, der es ermöglicht, daß aus allen aufgefaßten, richtig abgeleiteten Einzelheiten eine ganze Composition hervorspringt. In der Regel sind die Caracci, eben ihres Bildungsganges und der daraus gefolgerten Methode wegen, statt einfach wahr, in ihrer Zeichnung strenge und hart, in ihren Compositionen statt voll und lebenswarm, nüchtern, inhaltsleer und die Färbung selbst ausgezeichneter Bilder dieser Meister verwischt nie den Gedanken an eine ausgeführte Skizze. Hinsichtlich des Colorits, des Fleisches und Blutes der Malerei, haben die Caracci leicht erweislich der Kunst eben so viel geschadet, als sie ihr im andern Falle durch eine genaue und gründliche Zeichnung genützt haben. Das ganze eklektische Streben der Caracci, welches den geistigen Inhalt ihrer Stoffe der ästhetischen Form derselben blos unterschob, statt daß der Künstler aus der idealen Composition heraus die entsprechendste Form finden soll, dies Streben schließt die Caracci aus dem Bereich der Malerei in Oel völlig aus. Es giebt in den Bildern unserer Künstler keine Illusion. Die bezaubernde Lyrik der Malerei, Farbenglut und sanft verschmolzene Lichteffecte, findet sich höchst selten bei den Caracci; dagegen weist ihre Methode unverkennbar auf die Frescomalerei hin, bei welcher die dem Oelbilde eigenthümlichen Vorzüge geradezu fehlerhaft sind, wollte man sie an der Mauer hervorrufen. Ein akademischer Styl, wie ihn die Caracci begründeten, und wie er in den Kunstschulen bis heute noch besteht, eine Methode des Zeichnens und Malens wird stets in der Oelmalerei zu untergeordneten Werken führen, während das Feste und Gleichmäßige eines gewissen Styls, bei welchem die Kritik stets der freien Productionskraft übergeordnet ist, sehr wohl mit der einfachen und strengen, monumentalen Objectivität der Frescomalerei bestehen kann. Die Caracci sind daher in ihrer fast unbewegten, nackten Wahrheit nie erhebender und genialer, als in ihren Frescobildern, während ihre Oelgemälde in Hinsicht auf eigentliches Malen einen kahlen, skizzenhaften Eindruck machen. Wir erwähnen als Beweis für dieses Urtheil die ungeheuer umfangreiche und prachtvolle Frescomalerei Ludovico’s in dem weltbekannten Porticus di S. Michele in Bosco bei Bologna, die Geschichte der heiligen Cäcilia und diejenige des heiligen Benedictus darstellend; ferner von Annibale die Frescomalereien im Saale des Palastes Farnese, den Triumph des Bacchus mit der Ariadne, Juno mit dem Liebesgürtel der Aphrodite, Herkules und Jole, Diana und den Schläfer Endymion, Venus und Anchises, und die Geschichte der Galathea, Aurora und des Cephalus zeigend; ein Werk, welches mit den üppigen, reizenden Nebengemälden nach den heitersten Mythen und im Sinne von Ovidius den Künstler bis ins achte Jahr beschäftigte, ihm die schmähliche Bezahlung von fünfhundert Thalern etwa einbrachte und seinen frühen Tod unmittelbar zur Folge hatte; endlich führen wir von Agostino das Gemälde von der Galathea in der Farnesina in Rom an, welches er selbst, bevor er es al fresco ausführte, als Studie in Oel malte. Es war diese gemeinschaftlich ausgeführte Composition, welche dem reizbaren Annibale den wüthendsten Haß gegen Agostino einflößte; diese eifersüchtige Wuth Annibale’s ward noch gesteigert, als der sanfte Agostino für den Herzog von Parma al fresco die himmlische, die irdische und die käufliche Liebe malte.

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 691. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/708&oldid=- (Version vom 1.8.2018)