Die Victortracht des Jahres 1464

Textdaten
Autor: Stephan Beissel
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Titel: Die Victortracht des Jahres 1464
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aus: Die Bauführung des Mittelalters. Studie über die Kirche des hl. Victor zu Xanten. S. 50–70
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Auflage: Zweite, vermehrte und verbesserte Ausgabe
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Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Herder’sche Verlagsbuchhandlung
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Erscheinungsort: Freiburg im Breisgau
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Kurzbeschreibung: Beschreibung der Viktortracht des Jahres 1464 durch den Kirchenhistoriker Stephan Beissel S.J.
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[50]
Die Victortracht.

     Wie einstens das auserwählte Volk mit seiner Bundeslade in feierlicher Procession um die Mauern von Jericho zog, wie es von dieser Bundeslade beim Marsche durch die Wüste und in zahlreichen Feldzügen Heil und Segen erhoffte und erhielt, so entwickelten die zahlreichen Stifte des Mittelalters die Sitte, von Zeit zu Zeit ihre Reliquienschreine in feierlichster Weise durch ihre Städte und Fluren zu tragen. Aachen und Mastricht hatten z. B. alle sieben Jahre ihre Heiligthumsfahrt, in der sie zuerst ihre Reliquien dem Volke zeigten und sie dann am Ende der Festfeier durch die Straßen trugen. Das Xantener Stift nannte seine Festfeier „Victortracht“ (deportatio S. Victoris). Es scheint aber keine festen Termine für die Wiederkehr der Vorzeigung und des Festzuges gehabt zu haben. Denn die Handschriften, Urkunden und Rechnungen melden, daß solche Feste in den Jahren 1288, 1318, 1347, 1375, 1400, 1421, 1464, 1487 u. s. w. stattfanden, so daß die Zwischenzeit von einer Victortracht zur anderen zwischen 21–43 Jahren schwankt.

     Schon oben (S. 28) ist erzählt, daß die Victortrachten dem Fabrikmeister einen Theil der nöthigen Baukosten eintrugen, und in der „Baugeschichte“ ist über einige ältere Victortrachten Näheres berichtet worden. Hier in diesem Kapitel wollen wir die vielen Einzelheiten zusammenstellen, welche die Handschriften über die großartige Festfeier des Jahres 1464 bieten. Auf diese Weise wird der Leser einen gründlichen Einblick in das Xantener Leben der damaligen Zeit gewinnen, wodurch ihm die statistischen Notizen der vorhergehenden und der folgenden Kapitel um Vieles verständlicher werden[1].

[51]      I. Schon die Vorbereitungen zur Victortracht von 1464 geben ein wechselvolles Spiegelbild jener bewegten Zeit. Sieben Jahre vorher hatte Äneas Sylvius Piccolomini, Cardinal-Erzbischof von Siena, die Propstei von Xanten in Besitz genommen. Als er 1458 zum Papste erwählt wurde, entsagte er seiner Propstei zu Gunsten seines Neffen, des Cardinal-Erzbischofs Franz Piccolomini von Siena. Da der neue Propst nie nach Xanten kam, führte der zeitige Dechant die Geschäfte des Kapitels. Derselbe stammte aus einer angesehenen Familie der Stadt Cleve und stand beim dortigen Herzoge in hohen Ehren. Er hieß Arnold Heimerich (Heimericus).

     Seine Gewandtheit und sein Talent, das er in seinen Schriften glänzend bewährte, machten ihn zu einem der einflußreichsten Männer des Herzogthums und gaben ihm großes Ansehen in Xanten. Dort trat er im Beginne des Jahres 1464 in einer Kapitelssitzung mit dem Antrage hervor, man möge noch im Laufe dieses Jahres eine feierliche Victortracht halten. Als gewandter Redner unterstützte er seinen Vorschlag so gut, daß sich gleich eine Mehrheit bildete, die sich für seinen Plan begeisterte und denselben nachdrücklich befürwortete. Auch an einer Anzahl von Gegnern konnte es in einem so zahlreichen Kapitel nicht fehlen. Ihr Sprecher wies auf die großen Schwierigkeiten hin, die sich dem Vorhaben entgegenstellten, und betonte nachdrücklich, die Zeitverhältnisse seien so ungünstig, daß sie die Festfeier leicht zu einem Unglückstage für Stadt, Land und Kapitel machen könnten.

     Aber der Widerspruch reizte zum Festhalten. Die älteren Mitglieder des Stiftes, die von den Erinnerungen ihrer Jugend lebten, erzählten von vergangenen Victortrachten, vom glänzenden Verlaufe des Festes im Jahre 1421, sowie von allem, was die Vorfahren ihnen überliefert hätten, und entzündeten so in den jüngern Kanonikern das Verlangen, ein ähnliches Fest mitzufeiern und den Glanz ihrer alten Kirche zu erneuern. Zusehends wuchs die Zahl derer, welche sich für den Vorschlag des Dechanten entschieden, und zuletzt wurde einstimmig der Beschluß gefaßt, wenn die Streitigkeiten zwischen dem neu erwählten Erzbischofe von Köln, Ruprecht von der Pfalz, und dem Herzoge Johann von Cleve beigelegt würden, wolle man noch im kommenden Sommer die Reliquien des hl. Victor in feierlicher Procession durch die Stadt tragen.

     Das Ergebniß der langen und stürmischen Kapitelssitzung konnte nicht geheim bleiben. Die Vikare der Kirche und die Bürgerschaft von Xanten hörten davon, und bald verbreiteten geschäftige Zungen die Nachricht [52] durch die umliegenden Städte und Dörfer. St. Victor war Allen lieb und theuer. Zu ihm nahmen sie in all ihren Nöthen ihre Zuflucht, wie sie von Eltern und Voreltern gelernt hatten. Eine tausendjährige Gewohnheit hatte diese Sitte gefestigt. Frohe Hoffnung kehrte zurück in die durch den Zwist der Fürsten geängstigten Gemüther. Es kam den guten Leuten vor, als wolle ihr siegreicher Patron die Zwietracht zwischen den Landesfürsten beenden, um dann im Sonnenscheine des Friedens seinen Triumphzug zu feiern.

     Tag um Tag mehrten sich die Andächtigen, welche knieend vor dem Hochaltare beteten, in dem der Victorschrein verborgen war. Mit dem Wunsche, den feierlichen Zug zu erleben, stieg auch der Eifer, mit welchem man Gott durch die Fürbitte des hl. Victor um Beistand anflehte: er möge die Herzen der Fürsten zur Sanftmuth und zur gegenseitigen Nachgiebigkeit stimmen und die Bemühungen der Gesandten des Pfalzgrafen bei Rhein, die zwischen den Parteien zu vermitteln suchten, mit Erfolg krönen.

     Lange schwankten die Verhandlungen. Zuletzt nahmen sie einen so günstigen Verlauf, daß der Friede gesichert schien. Inzwischen war aber schon der Mai gekommen, und es wurde die höchste Zeit, die näheren Vorbereitungen zum Feste zu beginnen und die Einladungen zu erlassen. Kaum hatte darum der Dechant die guten Nachrichten vernommen, als er einen Brief an den Herzog von Cleve schrieb, worin er von ihm, als dem Landesherrn, die Erlaubniß zur geplanten Feier erbat. Der Brief ging am 6. Mai ab. Da am 9. Mai noch keine Antwort gekommen war und die Sache eilte, schrieb Heimerich einen zweiten Brief. Aber auch dießmal kam der Kapitelsbote ohne Bescheid von Cleve nach Xanten zurück. Am 10. Mai verfaßte der Dechant einen dritten Brief. In demselben stellte er dem Herzoge vor, wie der hl. Victor an 43 Jahre vernachlässigt worden sei, und bat dringend, zu überlegen, welche Ehre Seine Herrlichkeit sich bei Gott und den Menschen erwerben könne, wenn durch deren hohe Bemühungen der heilige Martyrer wieder zu seinem alten Ansehen komme.

     Der Herzog antwortete dießmal umgehend, sprach sich aber dahin aus, er könne erst dann eine Entscheidung treffen, wenn eine Deputation von zwei oder drei Stiftsherren zu ihm nach Cleve käme, um über die ganze Angelegenheit einen ausführlichen Bericht zu erstatten.

     Der Brief des Herzogs wurde im Kapitel verlesen. Obgleich die Berechtigung des Herzogs Johann zu einer solchen Antwort bezweifelt [53] wurde, entschloß man sich doch, seinem Wunsche zu willfahren. Die Stiftsherren beauftragten ihren Dechanten mit dem thätigen Kanonikus Vaick, nach Cleve zu reiten und dem Herzog die verlangten näheren „Informationen“ zu geben. Die Abgesandten kamen am 13. Mai zur Audienz, in der sie unterthänigst vorstellten, aus welchen Gründen, in welcher Absicht und in welch reiner Meinung sie den Leib ihres hochheiligen Martyrers durch die Stadt und dann zur Klosterkirche der Cistercienserinnen auf den benachbarten Fürstenberg tragen wollten, wie es auch vordem geschehen sei. Dann luden sie Seine Herrlichkeit (felicissima dominatio) ein, sich zu würdigen, ihre Mitwirkung zuzusagen und den Reliquienschrein eine Zeitlang auf ihren Schultern in der Procession zu tragen, wie es ihre Vorfahren im Jahre 1421 gethan hätten.

     Herzog Johann antwortete: „Die Sache gefällt uns und wir sind bereit, alles zu thun, was zum Lobe eures heiligen Martyrers und zum Ruhme eurer Kirche geschehen kann. Überlegt also mit unsern Räthen, wie ich dabei mitwirken soll, und macht die Sache mit ihnen ab.“

     Wir werden im weitern Verlaufe sehen, daß dieß die gewöhnliche Antwort der Fürsten jener Zeit in jener Gegend war, und daß dieselben regelmäßig mit solchen Worten ähnliche Bitten an ihre Rathgeber zu verweisen pflegten.

     Die geistlichen Herren von Xanten dankten dem Fürsten und begaben sich zum geheimen Kanzler des Herzogs. Diesen Ehrenposten bekleidete damals der Propst des Stiftes von Cleve, Hermann Braix, aus der freien Reichsstadt Aachen gebürtig. Er war nur Subdiakon; denn die Pröpste der Stiftskirche zu Cleve durften die Priesterweihe nicht empfangen, und noch im Jahre 1727 setzte der König von Preußen, als Erbe des Herzogs von Cleve, den letzten Propst, Heinrich Felix Freiherrn von Loe-Wissen, ab, weil er sich die Priesterweihe hatte ertheilen lassen. Der Herzog behielt durch ein solches Verbot die Propstei in seiner Hand, konnte sie an seine Günstlinge vergeben und durch seinen Propst großen Einfluß üben auf die zahlreiche Geistlichkeit seines Gebietes[2].

     Propst Hermann nahm den Dechanten von Xanten gut auf und versprach ihm, die Sache rasch zu erledigen. Er berief sogleich die Mitglieder des Staatsrathes und bat die Abgesandten der Victorkirche, über ihr Anliegen Vortrag zu halten. Heimerich entwickelte seinen Antrag [54] mit Aufwand all seiner rednerischen Fähigkeiten, und er erreichte es schließlich, daß die Räthe nach langer Überlegung sich zu Gunsten der Bittsteller entschieden und deren Gesuch dem Fürsten zu empfehlen beschlossen. Diese Empfehlung wurde dann dem Herzoge mit aller Förmlichkeit jener Zeiten unterbreitet und fand auch Bestätigung und huldreiche Gewährung.

     Freudig ritt der Dechant mit seinem Begleiter nach Xanten zurück, wo sie spät am Abend anlangten und mit Jubel empfangen wurden.

     Der Berichterstatter erzählt dann, wie der Eifer des Volkes immer mehr wuchs, wie es sich um die Altäre drängte, um von Gott ein vollständiges Gelingen zu erflehen, und wie täglich so viele Kerzen geopfert wurden, daß ihr Licht die Kirche die ganze Nacht hindurch in Helle hielt.

     Das Vertrauen war um so mehr gerechtfertigt, weil nach langen Unterhandlungen der Friede vollständig gesichert schien. Graf Vincenz von Mörs hatte die streitenden Fürsten, den Kurfürsten und den Herzog, in seine Stadt eingeladen, um sie dort feierlich zu versöhnen und so sein Mittleramt glücklich zu beenden. Sie folgten seiner Einladung. Ein prächtiges Gastmahl war vorbereitet, welches nach Abschluß des Friedens die versammelten Herren in freundschaftlicher Geselligkeit einen sollte. Als aber die Räthe eben die letzten Punkte ordnen wollten, entstand neuer Zwist, der so heftig wurde, daß man unverrichteter Dinge auseinanderging und das Festmahl unberührt ließ (splendidissimum prandium non degustasse omnes poenituit). Auch die Gesandten des Xantener Stiftes, die sich nach Mörs begeben hatten, um ihr Anliegen zu empfehlen, kehrten niedergeschlagen heim. Bald hatte sich in der ganzen Stadt die Angst vor dem kommenden Kriege verbreitet, der nicht nur jede Hoffnung auf eine Victortracht vernichten mußte, sondern auch viel Unglück zu bringen drohte, weil Xanten einer der wichtigsten Streitpunkte war zwischen Cleve und Köln.

     Die Stadt hatte Anfangs dem Erzbischof von Köln allein gehört. So erlaubte 1228 der Erzbischof Heinrich von Molenark seinen getreuen Bürgern, ihren Wohnort zu befestigen, indem er ihnen gleiche Rechte wie denen von Neuß verlieh. Auch in dem Schiedsspruch zwischen der Stadt Köln und dem Erzbischof wird Xanten 1263 „seine Stadt“ genannt. Als nun aber Erzbischof Heinrich II. im Jahre 1321 von Dietrich von Cleve die Grafschaft Hülchrath für 15000 Mark erworben hatte, gab er ihm Xanten als Pfand für einen noch nicht erlegten Theil der Kaufsumme. Um diese Schuld möglichst bald abzutragen, erbat sich der Erzbischof von Papst Johann XXII. die Vollmacht, von seinem Klerus eine neue Steuer zu erheben, und als diese nicht ausreichte, ließ er sich von den Juden 8000 Mark zahlen, wogegen er ihnen das freie [55] Geleit auf zehn Jahre erneuerte. Mit dem so gewonnenen Gelde berichtigte der Erzbischof den Rückstand, und Dietrich von Cleve stellte ihm am 16. November 1331 eine Generalquittung aus.

     Aber so leicht ließ sich der Herr von Cleve nicht wieder in seine alten Grenzen zurückweisen. Er hatte schon früher ein Schutz- und Trutzbündniß mit der Stadt Xanten geschlossen, in welchem die Verbündeten sich gegenseitig Hilfe und Beistand zusagten. Das Bündniß wurde am 12. Juli 1331 besiegelt, als der Graf noch Xanten als Pfand besaß. Die Quittung vom 16. November konnte es nicht vollständig lösen, und Cleve blieb in Xanten um so leichter mächtig und einflußreich, weil es viele Güter in der Gegend besaß. Darum setzte eine Sühne von 1381 nur im Allgemeinen fest, sowohl der Erzbischof als der Graf solle sein altes Recht in Xanten behalten.

     Um sich seine Herrschaft zu sichern, kam der Erzbischof im Jahre 1389 plötzlich nach Xanten und umwallte die Stadt, in die er eine starke Besatzung legte. Vergebens versuchte der Graf, sie in einem plötzlichen Überfall zu überrumpeln. Im Friedensvertrage von 1392 wurde bestimmt, die Stadt Xanten mit all ihren Bürgern solle dem Erzbischof und dem Grafen gemeinsam gehören, nur die Geistlichkeit ungetheilt dem Erzbischof unterstehen. Beide Parteien suchten ihren Anhang zu stärken. Der Erzbischof bestätigte durch Urkunde von 1391 dem Stifte all seine Gerechtsame; der Graf aber bekräftigte 1394 der Bürgerschaft ihre Freiheiten.

     Im Jahre 1415 verpfändete der Erzbischof dem Grafen Adolph von Cleve seinen Antheil an Xanten von Neuem, so daß der Letztere wieder auf eine Zeitlang alleiniger Herr der Stadt wurde und dadurch seinen Einfluß leicht verstärkte. Der Friedensschluß von 1418, der auf fünf Jahre den langwierigen Kriegen und Plackereien ein Ende setzte, bestimmte zwar wiederum, der Ort solle den beiden Fürsten gemeinsam gehören; aber der Verlust des Kölner Antheiles stand schon damals in sicherer Aussicht.

     Zwei wichtige Ereignisse lösten den Knoten. Das erste war die Soester Fehde. Cleve war schon seit 1441 mit der Stadt Soest verbündet und hatte sie zum Abfall vom Erzbischof ermuthigt. Erbherzog Johann benutzte darum den Ausbruch des Krieges zwischen Soest und dem Erzbischofe, um Xanten gewaltsam zu erobern. Er zwang die Bürger, ihm zu huldigen, und bestätigte ihnen dann am 8. Juli 1444 ihre Privilegien und Gewohnheiten.

     Das war ein gewaltiger Schlag gegen das Erzbisthum, das all seine Kraft gegen Soest zu verwenden hatte. Aber die clevische Politik hatte zu einer noch gefährlicheren Waffe gegriffen. Erzbischof Dietrich II., Graf von Mörs, stand zum Gegenpapste Felix V., Herzog Adolph und sein Erbe Johann aber hielten zu Eugen IV. und baten ihn, ihre Landestheile, welche der Jurisdiction des Erzbischofes von Köln unterständen, von den schismatischen Umtrieben zu befreien und ihnen zu erlauben, sich vom Bischofe von Utrecht einen Landesbischof weihen zu lassen, der dem rechtmäßigen Papste gehorchen werde.

     Eugen IV. gewährte ihnen Alles, und so betraute der Bischof von Utrecht den Bischof Johann von Cork mit der Jurisdiction über die clevischen [56] Lande. Der Herzog triumphirte. Nun war Köln aus Xanten herausgeworfen. Es hatte all seine Macht nicht nur über die Bürgerschaft, sondern auch über die Geistlichkeit verloren.

     Aber schon 1447 gab der Papst dem Erzbischofe von Köln, der sich ihm unterworfen hatte, all seine Rechte zurück. Der Herzog widerstrebte. Bis 1449 hielt er seinen Landesbischof fest. 1458 bestieg Äneas Sylvius, der die Propstei von Xanten besessen hatte, den päpstlichen Stuhl. Er ernannte Commissare, welche den Herzog mit dem Erzbischofe versöhnen und Xanten zum Gehorsam gegen seinen rechtmäßigen Oberhirten zurückführen sollten. Da aber der Papst eine Versammlung nach Mantua ausgeschrieben hatte, wo er die christlichen Fürsten zu einem Kriege gegen die Türken einen wollte, begab sich auch Herzog Johann dahin und erklärte dem Papste, er werde an den Verhandlungen nicht Theil nehmen, wenn nicht die päpstlichen Bevollmächtigten ihr Verfahren gegen ihn einstellten. Wegen der Noth der Zeiten gewährte Pius II. ihm sein Ansuchen, widerrief es aber bald nachher durch Urkunde vom 27. April 1460. Der Herzog suchte die Sache zu verzögern; der Papst aber befahl seinen Commissaren, die Untersuchung zu fördern und im Nothfalle mit Bann und Interdict vorzugehen, um den Erzbischof in seine alten Rechte wieder einzusetzen. Da starb am 14. Februar 1463 der Erzbischof Dietrich II. auf seiner Burg zu Zons.

     Sein Nachfolger, Graf Ruprecht von der Pfalz, wurde am 30. April 1463 gewählt, im Alter von 36 Jahren. So standen die Sachen, als Graf Vincenz von Mörs die Vermittlung übernahm. Er erwies sich bald mehr und mehr als Freund und Verbündeter des Herzogs von Cleve und erweckte demnach in Köln gerechtes Mißtrauen.

     Die Hoffnung auf eine Victortracht durfte man unter solchen Umständen gewiß nicht zu hoch spannen; ja, nachdem jetzt die ersten Verhandlungen so entschieden gescheitert waren, hatte man sogar Grund zu den schlimmsten Befürchtungen. Aber Graf Vincenz ruhte nicht, sondern veranlaßte eine neue Zusammenkunft im Dorfe Walach und brachte wirklich den Frieden zu Stande. In demselben wurde festgesetzt, daß jeder Theil alles Land, das er augenblicklich besäße, behalten solle bis auf ein halbes Jahr nach dem Tode dessen, der zuerst verscheiden würde. So hatte der Erzbischof also für einstweilen Xanten aufgegeben. Aber er hoffte auf bessere Zeiten, in denen das Eigenthum seiner Kirche wieder erlangt werden könnte[3].

[57]      Unmittelbar nach Abschluß der Verhandlungen reichte der Kurfürst Ruprecht, ein Enkel des Königs Ruprecht von der Pfalz, dem Herzoge von Cleve die Hand und begann höflich und freundlich sich mit ihm zu unterhalten, wie die Umstände es verlangten. Es hatten sich aber die Fürsten kaum einige Zeit besprochen, da drängte sich der Dechant von Xanten aus dem Kreise der Ritter und Herren hervor und schritt entschieden auf den Kurfürsten zu, der ja sein Erzbischof war. Herzog Johann erkannte sogleich, was Heimerich vorhabe, und war froh, daß derselbe mit seinem Anliegen sich nahte, weil so der heiklen Unterredung eine leichtere Wendung gegeben wurde. Er erbat also dem Dechanten die Erlaubniß, seine Bitte begründen zu dürfen. Der Erzbischof gab sie, und Dechant Arnold begann eine Rede (harenga), die, wie er selbst erzählt, nicht kurz ausfiel, weil er sich seines Rednertalentes bewußt war und es gerne glänzen ließ. Mit Interesse folgte der Erzbischof der Ansprache, wandte sich dann aber an seine Räthe und beauftragte sie, die Sache in Erwägung zu ziehen. Nach einiger Zeit brachte Graf Gumpert (Engelbert) von Neuenahr dem Dechanten einen Bescheid, der fast ebenso lautete, wie jener, den das Kapitel seiner Zeit in Cleve erhalten hatte. Engelbert sagte, der hochwürdigste Herr habe die Bitte auf das Gnädigste aufgenommen. Da er aber über die Sachlage nicht genau genug unterrichtet sei, bäte er die Xantener Herren, es möge einer oder der andere von ihnen nach Köln kommen, um dort Vortrag zu halten und dann die Antwort entgegenzunehmen. Unter dieser höflichen Form verbarg sich zugleich eine feine Zurechtweisung, insofern dem Kapitel bedeutet wurde, daß nicht an erster Stelle der neue Landesherr, sondern der Erzbischof und sein Generalvikariat wegen der kirchlichen Festfeier zu befragen seien, und zwar nicht an einem solchen Orte und unter Umständen, wie sie jetzt lägen.

     Bald nachher stiegen die Fürsten, Ritter und Geistlichen auf ihre Rosse und ritten zurück in ihr Lager und in ihre Heimath. Jeder hatte das Bewußtsein, daß der abgeschlossene Friede nicht von Dauer sein könne. Der Dechant berichtete dem Kapitel über alle Vorgänge. Schon [58] am folgenden Tage reisten zwei Kanoniker nach Köln ab. Der Erzbischof stellte ihnen zwar einen Geleitsbrief aus, durch welchen er alle Pilger, die nach Xanten kämen, in seinen Schutz nahm, aber auf die Einladung, persönlich nach Xanten zu kommen, gab er noch keine Antwort. Als das Kapitel weiter in den Erzbischof drang, erhielt es gegen Ende Juli von Wilhelm von Breitbach, der Abt von Deutz und Propst von St. Georg in Köln war, einen Brief mit dem Bescheid, Ihre Erzbischöflichen Gnaden hätten zwar gerne kommen wollen, seien aber durch die Verhältnisse gehindert, Ihr Vorhaben auszuführen[4]. Das hieß auf gut Deutsch: Der Erzbischof kann doch unmöglich in seine Stadt kommen, die ihm widerrechtlich entzogen ist, und über die er noch vor den päpstlichen Bevollmächtigten einen Prozeß führt, welchen er auch zu gewinnen hofft. Er bleibt aber der Geistlichkeit und den Bürgern gewogen und versichert sie seiner Huld.

     Inzwischen versäumte das Kapitel nichts von dem, was dienen konnte, sein Fest zu einem glänzenden zu machen. Schon am 6. Mai war Dechant Arnold Heimerich mit vier Kanonikern nach Arnheim gereist. Herzog Arnold von Geldern hatte ihn freundlich aufgenommen und ihm durch den Grafen Wilhelm von Egmont, den Präsidenten des Staatsrathes, die günstigsten Versprechen machen lassen. Ein Geleitsbrief, der alle Wallfahrer des besonderen Schutzes des genannten Herzoges versicherte, wurde leicht erlangt. Ja einige Zeit nachher fragte Herzog Arnold an, ob vielleicht Herzog Johann, sein Schwager, und die Bischöfe von Köln und Münster oder wenigstens einer von den letzteren zur Victortracht komme. In diesem Falle wolle er der Vierte sein, der den Schrein auf seine Schultern nehme und tragen helfe.

     Dechant Heimerich antwortete, der Herzog von Cleve habe sein Erscheinen zugesagt und sei gesonnen, seinem Versprechen treu zu bleiben; der Erzbischof von Köln habe aber leider abgeschrieben. Darauf hin habe das Kapitel den Bischof von Münster nicht einladen können. Es sei also beschlossen worden, vier weltliche Fürsten zu bitten, daß sie den Reliquienschrein des hl. Victor trügen. Da nun der Herzog von Cleve [59] mit seinem ältesten Sohne der Feier beiwohnen werde, bitte es den Herzog von Geldern, sich ebenso mit seinem Erben einfinden zu wollen.

     Herzog Arnold antwortete ähnlich wie der Kurfürst von Köln, die Zeitverhältnisse seien leider so schlecht geworden, daß er bedauere, sein Wort zurücknehmen zu müssen. Er war mit dem Kölner Stuhl eng befreundet, dem er 1450 das Herzogthum Berg mit Blankenberg, Sinzig, Remagen und Ravensberg theils verkauft, theils geschenkt hatte, und wäre gerne nach Xanten gekommen, wenn er den Herzog von Cleve und den Erzbischof dort gefunden hätte, um dann seinen Einfluß zu einer besseren Versöhnung derselben geltend zu machen. Da der Erzbischof nicht kam, konnte er nicht nur nicht in friedlichem Sinne wirken, sondern hätte sich durch sein Erscheinen auch offen auf die Seite des Herzogs von Cleve gestellt.

     Der Absagebrief des gelderischen Herzoges beendete die Verhandlungen mit den geistlichen und weltlichen Fürsten. Von seiner Obrigkeit wandte das Kapitel sich jetzt an seine Untergebenen, bei denen es wenige Schwierigkeiten fand, weil die Fäden der Diplomatie und der Politik die Wege nicht versperrten. Fünf Dekanate waren dem Victorstifte mehr oder weniger untergeordnet: die von Xanten, Duisburg, Süchteln, Straelen und Nymwegen. Es erließ also an die Dechanten und Pfarrer der genannten Bezirke Einladungsschreiben, in denen ausgeführt wurde, wie in Anbetracht der Leiden, welche in der letzten Zeit die Christenheit heimgesucht hätten, beschlossen worden sei, sich an den hl. Victor und seine 330 Genossen zu wenden, um durch ihre Fürbitte bei Gott Gnade zu erlangen. Die Dechanten sollten also alle Pfarrer auffordern, am Montag nach Mariä Himmelfahrt ihre Gemeinden in Procession nach Xanten zu führen und dabei ihre Fahnen, Kreuze und Reliquien mitzubringen. Bis dahin sollten sie an allen Sonn- und Festtagen die Festlichkeit ankünden und das Volk zur Theilnahme einladen.

     Dann schickte der Dechant von Xanten noch einen Brief an die Pfarrer der Nachbarschaft, welche ihm unmittelbar untergeordnet waren, und forderte sie unter Androhung scharfer Strafen auf, sich persönlich beim Feste einzufinden und aus jedem Hause zum wenigsten eine Person mitzubringen[5]. Ferner wurde dem Vorsteher der Ordensprovinz der Minoriten, der in Köln residirte, mitgetheilt, nach altem Herkommen werde in diesem Sommer in Xanten eine Victortracht gehalten. Die 136 Pfarrer, [60] welche dem Stifte unterworfen wären, seien rechtlich (jure) verpflichtet, mit ihren Pfarrkindern, Kreuzen, Fahnen und Reliquien sich dabei einzufinden. Man bitte also, seinen Ordensgenossen zu empfehlen, sie möchten doch in ihren Predigten die Christgläubigen auffordern, sich an der Feier zu betheiligen und die reichen Ablässe zu gewinnen, die mit derselben verbunden seien. Da das Xantener Kapitel alle Franciscaner immer so freundlich aufgenommen und in einem eigens dazu hergerichteten Hause beherbergt habe, so hoffe es, man werde seiner Bitte nachkommen. Der Provinzial der Minoriten versprach in seinem Antwortschreiben, Alles zu thun, um dem Wunsche des Kapitels zu entsprechen[6].

     Zu derselben Zeit wandte man sich an den Herzog von Cleve, damit dieser seinen Vetter, den Bischof von Utrecht, David von Burgund, ersuche, den Pilgern seiner Diöcese einen Geleitsbrief auszustellen und seinen Pfarrern aufzutragen, sie möchten ihre Untergebenen zum Besuche der Heiligthumsfahrt (Heildomsfaert) in Xanten auffordern. Der Herzog schrieb einen Brief an den Bischof, und dieser war bereit, alles zu thun, was sein Verwandter verlangt hatte[7]. Nachträglich entstanden jedoch Schwierigkeiten, so daß das Fest in Holland, Brabant und Friesland nicht angekündigt wurde und die Bewohner jener Provinzen, die sonst den hl. Victor so eifrig verehrten und gegen das Jahr 1175 dem Scholasticus Berthold bedeutende Summen zum Baue der Westthürme geschenkt hatten, nicht erschienen.

     Unterdessen war man in Xanten bemüht, die Kirche und die Stadt für das kommende Fest in Stand zu setzen. Niemand war dabei eifriger, als der Kanonikus Gerhard Vaick. Er war mit dem Dechanten als Gesandter nach Cleve gegangen und that nach seiner Rückkehr alles, was in seinen Kräften stand, um das alte romanische Kirchenschiff, das 1464 noch stand, und den erst jüngst vollendeten Chor zu erneuern und auszuzieren. Um den Zugang zu den Reliquien zu erleichtern, ließ er nicht [61] nur das Thor, das vor dem Helena-Altar aus dem nördlichen Seitenschiff in den alten Kreuzgang führte, erweitern, sondern auch das große vermauerte Portal der Westfaçade aufbrechen und mit hölzernen Thürflügeln versehen. Meister Volquinus mußte den Taufbrunnen, welcher in der Portalnische stand, auf die rechte Seite versetzen und die Bänke der Frauen, sowie die kleinen Sitze der Kinder aus der Kirche entfernen. Auf dem Kirchhofe, der vor der Westfaçade sich ausdehnte, ließ Vaick einen breiten Weg ebnen. Auffallend ist, daß er, um Luftzug zu erhalten, eine Anzahl von Scheiben aus den kleinen Fenstern der alten romanischen Kirche und selbst aus den großen Chorfenstern heraushob[8].

     Zur Ausschmückung des Innern lieh der Herzog von Cleve ihm seine Wandteppiche und ließ dieselben durch seine Diener an den Wänden des Chores und der Kirche aufhängen[9].

     II. Am 12. August begann die Festzeit. Ungeheure Volksmassen strömten zusammen und drängten sich in die geräumige Kirche. Der Kanonikus Johann von Thigel (Ziegel) bestieg die Kanzel und hielt eine glanzvolle Lobrede auf den hl. Victor, die von 11–1 Uhr dauerte und fast Alle bis zu Thränen rührte. Als der Prediger geendet hatte, begannen alle Glocken der Stadt und alle Schellen der Kirche zu läuten. Die Kanoniker und Kleriker ordneten sich, um in Procession zum Hochaltar zu ziehen, in dessen Mitte hoch oben der goldene Schrein mit den Gebeinen ihres heiligen Patrons thronte. Vier der Stärksten – „Riesen ihrer Zeit“ nennt der alte Berichterstatter sie – stiegen hinauf, hoben den Schrein aus seinem Behälter und stellten ihn auf den Altartisch. Als er dort stand, fielen alle, die im Chore und in der Kirche versammelt waren, auf ihre Kniee, und der Vorsänger (Exordiarius) stimmte die Antiphon an: Ave miles invictissime. Dann wurde der Schrein vom Altare herabgenommen und auf ein reich geschmücktes Gerüst gestellt, das Theodorich Daems, der Schreinermeister der Kirche, in der Mitte des hohen Chores aufgebaut hatte. Es war 6 Fuß lang, 2 Fuß breit und bekleidet mit kostbaren, golddurchwirkten Tapeten, die bis zum Boden herabhingen. An jeder Langseite standen je drei goldene und silberne Kreuze, die mit [62] Edelsteinen verziert waren und bunte Fahnen hielten. Ein lautes Te Deum schloß die Eröffnungsfeier und bezeugte die Freude, welche alle Herzen bewegte.

     Um der ganzen Gegend weit hinaus zu verkünden, daß die Festzeit begonnen habe, wurden auf den vier Ecken des südwestlichen Thurmes purpurne Fahnen aufgesteckt, die das Wappenkreuz des hl. Victor zeigten und deren Säume mit Glöcklein besetzt waren, so daß sie, vom Winde bewegt, nicht aufhörten zu läuten[10].

     Jeden Abend stieg eine Anzahl von Musikern mit Posaunen und Flöten auf die Thurmgallerie, um in fröhlicher und feierlicher Weise des hl. Victors Lob erschallen zu lassen[11].

     In der Nacht wachten in der Kirche 3 Priester neben dem Schreine, während der Bürgermeister mit 2 Beigeordneten und mit 25 Bewaffneten durch die Stadt, an deren Straßenecken hellleuchtende Fackeln brannten, die Runde machte.

     Schon vor Beginn der Festfeier hatte der Magistrat verkünden lassen, bei hoher Strafe sei es verboten, zu leichtes Brot zu backen, zu leichtes Bier zu brauen, zu leichtes Maß oder Gewicht zu benutzen oder irgend etwas über den gewöhnlichen Preis hinaus zu verkaufen. Zugleich wurden Alle aufgefordert, reichere Vorräthe zu beschaffen, damit die herbeiströmende Menge nach Bedarf mit Allem versehen werden könne, was sie verlangen werde.

     Auf den 18. August fiel das Fest der hl. Helena, der Stifterin und zweiten Patronin der Kirche. Zu ihrer Ehre zeigte man an diesem Tage alle Reliquien in der feierlichen Weise. Schon am Morgen waren [63] sie auf langen Tischen in der Sakristei aufgestellt worden. Die Stiftsherren kamen, nahmen sie auf ihre Arme und trugen sie in Procession zum Hause des Kanonikus Mulre, das an der Südseite der Kirche lag. Hier trat die Procession der Stiftsherren durch eine Hinterthüre ein und stieg auf den Boden hinauf, dessen Giebel dem Markte zugewandt war und vor dem sich ein hohes Gerüst erhob, welches den ganzen Platz heherrschte und weithin sichtbar war. Es war mit Teppichen und goldenen oder seidenen Tüchern behängt und reich verziert. Kanonikus Johann von Thigel trat vor und hielt eine feurige Predigt an das Volk, das sich von weither herbeidrängte. Eine Musikbande folgte mit ihrem Spiel, und dann wurden die 23 Reliquiare der Kirche der Reihe nach vorgezeigt. Ein Priester verkündete zuerst mit lauter Stimme, was jedes Reliquiar enthalte, und dann reichte Johann von Thigel dasselbe dem Dechanten, der es unter Posaunenklang emporhielt und nach einer Weile dem Scholasticus zurückgab, welcher zu seiner Linken stand.

     Die Reliquiare, die gezeigt wurden, und die den Schatz der Kirche von Xanten bildeten, waren folgende:

     1. Ein kleines Kreuz, mit goldenen Rosen verziert.

     2. Ein größerer Reliquienschrein, mit Perlen besetzt.

     3. Versilberte und vergoldete Büsten mit Reliquien von den unschuldigen Kindern und von den hl. Jungfrauen aus der Gesellschaft der hl. Ursula.

     4., 5., 6., 7., 9. Fünf rothe und weiße Kästchen aus Holz und Elfenbein geschnitzt und mit Reliquien gefüllt.

     8. Ein langer Schrein von Elfenbein.

     10., 16. Ein kleineres goldenes Kreuz und ein größeres.

     11.–14. Vier vergoldete Monstranzen mit Reliquien.

     15. Eine silberne Statue der allerseligsten Jungfrau.

     17., 18. Der Arm der hl. Helena und der des hl. Victor in Silber gefaßt.

     19., 20. Reliquienkasten.

     21.–23. Stoffliche Reliquien des Herrn und des hl. Victor[12].

     Diese Reliquien wurden auch den folgenden Tagen gezeigt, im Ganzen siebenmal.

     Der 20. August, an dem die Kirche das Fest des hl. Bernard, des Freundes des hl. Norbert von Xanten, feiert, brachte den Mittelpunkt des Festes, die feierliche Procession zum Fürstenberg.

     Der neue Friede und die gesegnete Ernte hatten das Volk der ganzen Gegend zu hoher Freude gestimmt. Seit Menschengedenken hatten die [64] Felder keinen so günstigen Ertrag geliefert, als in den Jahren 1462–1464. Für den Tagelohn von 6 Arbeitstagen konnte z. B. der Schreinermeister der Kirche 1 Malter Weizen mit fast ⅔ Malter Roggen kaufen, die heute an 40 Mark kosten würden.

     Von allen Seiten kamen die Processionen mit ihren Fahnen und Kreuzen. Schon bei der letzten Victortracht von 1421 hatten sie deren 360 mitgebracht. Jetzt sah man noch mehr, und alle waren reicher geziert. Die Pilger zogen ein in die altehrwürdige Kirche und pflanzten ihre Banner auf am Schreine des hl. Victor, so daß ihn bald ein Wald von Kreuzen und Fahnen fast verdeckte. Auch ihre Reliquien hatten die Pfarrer der Umgend mitgebracht, wie ihnen befohlen war, und als sie dieselben um den Victorschrein aufgestellt hatten, schien es, wie der beredte Heimerich voll freudiger Begeisterung erzählt, als ob alle Heiligen, die um Xanten herum in Stadt und Land verehrt wurden, gekommen seien, den Anführer der thebäischen Soldaten zu verehren und seinen Hofstaat zu bilden.

     So groß wurde schon am Vorabende des Festzuges das Volksgewühl, daß man sich kaum durch die Straßen drängen konnte. Die lauterste Fröhlichkeit herrschte. Hier waren Musikanten mit ihren Posaunen und Hörnern und Flöten, dort Schauspieler und Possenreißer in ihren Buden. Denn das Mittelalter verbot nicht unschuldige Scherze und harmlose Erheiterung. Es liebte den Komiker und verwehrte der Satire nicht einmal den Eingang in’s Heiligthum. Es kam die Nacht, um ihren dunkeln Schleier über die Stadt auszubreiten. Aber dießmal vertrieb sie die Menge nicht von den Straßen. Vergeblich kämpften die Schatten gegen die Lichter und Fackeln, welche alle Straßen und Gassen erleuchteten.

     In der Kirche beteten diejenigen, die noch Eingang gefunden; andere lagen vor den Thoren auf ihren Knieen. Die Einen sangen, die Andern musicirten. Wieder Andere suchten in kurzem Schlafe Ruhe und Erquickung für die durch die Reise ermüdeten Glieder. Überall herrschte, wie die Augenzeugen versichern, christliche Zucht und Sitte, und Alle hielten sich streng innerhalb ihrer Schranken. Immer heller und klarer schaute der Mond aus dem Wolkenschleier heraus. Lange hatte reichlicher Regen Besorgnisse für den Festzug erregt. Aber der Himmel klärte sich zusehends auf. Endlich versprach eine hellglänzende Morgenröthe am wolkenlosen Himmel das herrlichste Augustwetter.

     Vom hohen Thurme begrüßte eine auserlesene Schaar von Musikern die ersten Strahlen der aufsteigenden Sonne. Das Echo antwortete aus [65] den Herzen der Menge, die unten durch die Stadt wogte. Laut und freudig erklangen ihre Instrumente, um die neuen Schaaren der Festgenossen zu begrüßen, die mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel in ihren besten Kleidern herangezogen kamen, sich in die Kirche begaben, um daselbst die Reliquien des hl. Victor zu verehren, und dann vor die Stadt hinausgingen, um in der hügelreichen Landschaft einen Standort zu gewinnen, von dem aus sie die Procession sehen könnten, die zum Fürstenberge ziehen sollte.

     Um 6 Uhr Morgens blitzten in der Ferne Waffen. Ein Heereshaufen nahte. 3000 an der Zahl, kamen die Soldaten von Wesel. Zu Reihen geordnet, marschirten sie zur reichgeschmückten Kirche.

     Etwas vor 6½ Uhr begann der Dechant, sich mit den heiligen Gewändern zu bekleiden, um das Hochamt zu singen. Um diese Zeit erhob sich in der Stadt ein ungeheurer Lärm, der sich der Kirche näherte. Unter dem Beifallrufe der Menge und dem Klingen der Instrumente trat der Herzog von Cleve mit seinen drei Söhnen in die Kirche ein. Eine Menge Herren seines Hofstaates war mit ihm von Cleve herangeritten. Die Herzogin folgte mit ihren Damen und den reichsten Hofwagen. Die Kutsche der Herzogin war purpurfarbig, mit goldenen Tüchern überspannt und von 8 weißen Rossen gezogen, deren Geschirr vergoldet und deren Zügel hellroth waren. Wie kostbar die Kleider der herzoglichen Familie waren, erhellt daraus, daß die des Herzogs auf mehr als 65 000 Gulden geschätzt wurden, da er nichts trug, was nicht den Werth von Gold hatte[13].

     Der Herzog begab sich mit der Herzogin in die reich behangenen Chorstühle. Jetzt begann das Hochamt. Zwei berühmte Organisten wetteiferten, die Feier durch ihr Spiel zu verherrlichen. Der blinde Organist des Herzogs begann; ihm folgte Johannes Noster, der Organist des Stiftes, welches seit Alters etwas darauf hielt, daß sein Gesang in keinem Stücke dem irgend einer anderen Kirche nachstehe. Wie Heimerich versichert, entlockten beide der Orgel so liebliche und auch wieder so majestätische Melodieen, daß Niemand es für möglich gehalten hätte und man nie etwas Ähnliches hörte.

     Nach dem Hochamte entfernte sich die Herzogin; der Herzog aber blieb im Chore, bis die Procession sich geordnet hatte. Vierzig Kanoniker und 21 andere Priester, welche an der Kirche angestellt waren, legten [66] die besten Chorkappen an, während der Zug sich ordnete. Ihn eröffnete eine Schaar weiß gekleideter Mädchen. Es folgten, paarweise geordnet, die Knaben in weißer Kleidung und mit frischen Kränzen um das fein gescheitelte Haar. Acht Choralen sangen mit kunstgeübter Stimme des hl. Victors Lob. Dann kamen die Vikare und die Kanoniker mit ihrem Dechanten. Vier kräftige Männer, Bürger von Xanten, hatten den schweren Reliquienschrein auf ihre breiten Schultern genommen, und der Herzog von Cleve ging mit seinen drei Söhnen neben dem Schrein her, um so wenigstens an die alte Sitte jener seiner Vorfahren zu erinnern, die stark und fromm genug gewesen, ihn in Wirklichkeit zu tragen.

     Als die Fürsten mit dem Schreine aus dem engen Durchgange hervortraten, der unter der Michaelskapelle einherführte und sich gegen den Markt öffnete, da jubelte das Volk, welches den Platz und alle Fenster füllte, laut auf. Ungefähr 500 Soldaten von Xanten schlossen sich dem Schreine an, und 200 Bürger der Stadt begleiteten die Procession, indem sie, mit einem rothen Stabe versehen, zu beiden Seiten einhergingen und für Ordnung sorgten.

     Aber nun fragte es sich, wer den Soldaten von Xanten folgen sollte. Von der einen Seite drängten sich die von Wesel heran, von der andern die von Dorsten. Es kam zu einem Wortwechsel, und ein ernster Streit schien zwischen den bewaffneten Männern losbrechen zu wollen. Freilich hatte der Herzog schon vorher das Kapitel auf die Rangstreitigkeiten aufmerksam gemacht, die zwischen Dorsten und Wesel bestanden. Die von Dorsten, als Mannen der Gräfin Emeza, seit Alters her mit dem Kapitel von Xanten eng verbunden, behaupteten, das älteste und beste Recht zu haben. Aber die von Wesel meinten, ihnen stehe ihr gutes, altes Recht zur Seite, den Soldaten von Xanten unmittelbar folgen zu dürfen. Die Sache war nicht vom Kapitel geordnet worden. So stand nun die Menge vor der ungelösten Schwierigkeit, und es drohte eine Störung des heiligen Festes mit blutigem Ausgang. Die Geistesgegenwart des Herzogs verhütete das Unheil. Er traf den Entscheid, dem sich Alle sofort fügten, indem er die Streitfrage des Vorranges vertagte und anordnete, die Soldaten der beiden Städte sollten neben einander gehen, jedoch so, daß seinen Weselern die rechte Seite zufiel. Sofort ordnete man sich in zwei parallele Reihen. Diesen folgten dann die Schützen von Kempen. Dieselben waren wunderbar bunt gekleidet: 60 von ihnen waren halb roth und halb blau angezogen, die andern 60 aber halb roth und [67] halb grau[14]. Auch Kalkar, Rees und die übrigen Städte der Umgegend hatten ihre Schützengilden gesandt, die am Umzuge theilnahmen.

     Als der Reliquienschrein bis zur Mitte des Marktes gekommen war, hielt der Zug eine Weile inne. Der Herzog verließ mit seinen drei Söhnen die Nähe des Schreines, um seinen Ehrenplatz dem Dechanten und drei Kanonikern zu überlassen. Dann stieg er auf ein reich aufgezäumtes Pferd und sandte seine Kinder zur Mutter in die Hofwagen. Wie spiegelte sich während dieser Pause die helle Sonne im goldenen Glanze des alten Schreines, und wie funkelten seine alten römischen Gemmen und seine Edelsteine, Tausenden von Andächtigen zur Augenweide! Sah man die Straßen entlang, so erblickte man alle Häuser mit Teppichen behangen und die Fenster gefüllt mit reich gekleideten Frauen und Mädchen in der bunten Tracht jener Zeit, geschmückt mit den altererbten goldenen Ketten und Ohrgehängen. Die Männer füllten Straßen und Plätze. Es strahlten weithin ihre blanken Harnische, ihre Kettenpanzer, ihre Helme und Hellebarden. Aber Alle übertraf an Pracht und Glanz das Gefolge des clevischen Hofes, der damals einer der angesehensten und reichsten der Welt war.

     Langsam bewegte sich die Procession in die Marsstraße hinein. Alle Gassen und Straßen, die in den Hauptweg mündeten, waren gesperrt. Ein herrliches Schauspiel eröffnete sich beim Heraustritt aus dem befestigten Stadtthore, vor dem der Fürstenberg sich erhob, von dessen Gipfel die Thürme des Klosters der Cistercienserinnen herabsahen, zu deren Kirche man hinaufzog. Heute waren alle Abhänge der welligen Gegend mit einer dichten Menschenmenge bedeckt, über deren Häuptern sich ein ganzer Wald von Kreuzen und Fahnen entfaltete. Selbst der Herzog, der oft zahlreiche Heere und Versammlungen gesehen hatte, konnte sich jetzt vor Staunen nicht fassen. Er schickte einige kriegserfahrene Herren aus, welche die Zahl der Anwesenden abschätzen sollten. Diese kamen nach einiger Zeit zurück und meldeten, die versammelte Menge belaufe sich wohl auf 200 000 Menschen.

     Langsam stieg die Procession den Berg hinan. Laut erschallten aus den beiden Thürmen der alten Klosterkirche die Glocken. Aus dem Portale kam die lange Schaar der Ordensfrauen mit brennenden Kerzen dem Reliquienschreine entgegen. Ihr Priester trug das heilige Sacrament. Wie die Pfarrer der Umgegend ihre Reliquien mitgebracht hatten [68] nach Xanten, und dieselben um die Überreste des hl. Victor gestellt hatten, damit alle Heiligen der Umgegend ihm huldigten, so begegnete jetzt der hl. Victor seinem höchsten Herrn und Könige, um ihm seine Huldigung darzubringen. Sein Schrein wurde eine Zeitlang auf eine Estrade vor das heilige Sacrament gestellt. Priester und Volk fielen auf die Kniee und beteten und sangen, und die ganze Gegend hallte wieder vom Lobe Gottes und seiner Heiligen. Es war, als ob ein Stück Himmel sich zum Troste der armen Erdenpilger herniedergelassen.

     Nach einiger Zeit nahmen neue Träger die Tragstangen auf, und die Procession schickte sich zur Rückkehr an. Von der Höhe des Berges herabsteigend, sah man an der andern Seite der Stadt vor dem Clever Thor die Trümmer der Colonia Trajana. Dort hatten die Diener des Herzogs glänzende Zelte aufgeschlagen, in denen die Herrschaften mit ihrem Gefolge speisten und dann zahlreiche Pilger gastlich bewirtheten. Fröhliche Stimmung herrschte überall in Feld und Wald. Es war keiner, der sich nicht freute, zum Feste gekommen zu sein. Allerorts hörte man Theile von dem Liede, das der Dechant für den Tag gedichtet und das die Schulkinder gesungen hatten. Es begann mit der folgenden Strophe:

Quam taedebit mira gesta
Et Victoris sancti festa
Cantilena promere,
Quae honesta nec molesta
Nequit satis ulla testa
Carmina plena comere.

Repetitio:

Hinc cantemus et laudemus
Brevi jubilamine,
Nam videmus, non egemus
Topico dictamine.

     Der Schluß lautete im lateinischen Texte und in einer gleichzeitigen Übersetzung:

Et canamus Victor Ave
In aeterna gloria,
Tuum nomen est suave
Victor a victoria.

En singhen Victor syn gegrüyt
In der ewigen glorien,
Want dyn naem die is soe süyt,
Victor van victorien[15].

     Der obige Bericht, der dem Wesentlichen nach sich an die Aufzeichnungen des Dechanten Heimerich hielt, betonte fast nur den äußeren Verlauf der Festfeier. Daß aber auch für die innere Heiligung des Volkes viel geschah, [69] erhellt aus den dargebotenen Ablässen, deren Erlangung im Allgemeinen den Empfang der heiligen Sacramente voraussetzte. Sehr wichtig sind deßhalb die Aufzeichnungen, welche in der Baurechnung von 1487 enthalten sind und die bis in’s Einzelne zeigen, wie die Seelsorge bei solchen Festen verwaltet wurde.

     Der Fabrikmeister verzeichnet zuerst, daß ein Eilbote (cursor) mit einem Auszug aus der neuen römischen Ablaßbulle (minuta bullae) in Xanten eintraf und zum Lohne etwas mehr als 2 Xantener Mark erhielt. Der Bote, welcher bald nachher das Original der Bulle brachte, bekam dagegen an 8 Mark. Nun gingen Kapitelsboten aus von Xanten zu den Franciscanerklöstern von Mecheln, Emmerich und Cleve, zu den Karmelitern in Mörs und zu den Predigerherren oder Dominicanern von Kalkar, Nymwegen und Utrecht, um von ihnen Beichtväter, Prediger und Priester zu erbitten, welche die Reliquien zeigen sollten. So reiste Herr Wessel Hotman nach Kalkar zum Magister Oldanus aus dem Predigerorden, „damit er sich gütigst vorbereiten möge, während der Tage der Ablässe das Wort Gottes von der Kanzel aus zu verkünden“.

     Vor der Stadt waren am Abhange des Fürstenberges drei Kanzeln erbaut, auf denen Magister Oldanus, der Frater Heinrich von Kempen, Guardian des Minoritenklosters zu Mecheln, und der Minorit Wilhelm von Cleve das Volk über die Bedeutung der Festfeier und der Ablässe unterrichteten. Am Feste der Enthauptung des hl. Johannes des Täufers ging der Guardian von Emmerich mit seinen Genossen nach Wesel, um dort nach der Predigt die Ablässe von der Kanzel zu publiciren (ad publicandum indulgentias post sermonem de ambone).

     Zwei Predigermönche von Kalkar, Johann von Bentheim und sein Genosse, übernahmen den Auftrag, die Ablässe in Holland und Friesland bekannt zu machen, wofür das Kapitel ihnen 20 Mark Reisegeld bewilligte.

     In Xanten wurden die Priester auf Kosten des Fabrikmeisters verpflegt und eingemiethet. Einige blieben über 16 Tage. In einem Hause waren nicht weniger als neun Beichtväter untergebracht. Beweis genug, wie ernst man es mit der Gewinnung der Ablässe nahm. Magister Oldanus wurde 12 Tage und der Minorit Wilhelm von Cleve 10 Tage beim Fabrikmeister Gerard von Goch beköstigt (hospitati sunt), schliefen aber beim Herrn Johann van der Speet (receperunt humanitatem videlicet nocturnam quietem).

     Sind diese Nachrichten für die Geschichte der Ablässe gegen Ende des 15. Jahrhunderts sehr bemerkenswerth, so bietet dieselbe Rechnung von 1487 einige bedeutungsvolle Notizen zur Geschichte der eben neu erfundenen Buchdruckerkunst. Während nämlich bei der vorhergehenden Victortracht von 1464 der Secretär des Dechanten 40 Copien der Einladungsbriefe für fast 1½ Mark schrieb und der Schullehrer 107 für 3 1/4 Mark, und noch 1487 dem Schullehrer für 11 Abschriften fast 1/3 Mark gezahlt wurde, kosteten in dem zuletzt genannten Jahre 3000 gedruckte Ausschreiben, die von Köln kamen, nur wenig mehr als 21½ Mark. Während also ein geschriebenes Exemplar 1464 und 1487 mit 4–5 Denaren bezahlt wurde, kam ein gedrucktes nur auf etwas [70] mehr als 1 Denar. Angesichts solcher Zahlen ist der rasche Aufschwung der Buchdruckerei nicht zu verwundern.

     Zum Schlusse möge folgende Übersicht zeigen, wie viel das Kapitel den Herren und Ordensleuten schenkte, die beim Feste mitwirkten. Es gab also 1487:

dem Herzog von Cleve und seinem Bruder Philipp 2 Ohm Wein, die 220 Quart enthielten, von denen jedes zu 2 Stüber berechnet war. Sie kosteten demnach 22 Mark,
dem Bischofe von Münster 1½ Ohm, d. h. 165 Quart für 16½ "
dem Grafen von Bentheim, dem Grafen von Limburg, dem Herrn Gisbert von Iselstein und dem Herrn Cornelius van den Baghen je 12 Quart, zu je 2 Stüber, d. h. je 11/3 "
dem Frater Heinrich von Kempen, Minoriten von Mecheln 6 "
dem Guardian von Emmerich 21/3 "
dem Meister Oldanus, Prediger von Kalkar 10 "
dem Minoriten Frater Wilhelm von Cleve 2 "
den Predigerbrüdern von Nymwegen 12 "
zweien Predigerbrüdern von Utrecht 2 "
dem Frater Rütger von Mörs, Karmeliter 2 "
dem Predigerbruder Johann von Bentheim, der mit einem Genossen in Holland und Friesland den Ablaß predigte 20 "

Die zuletzt Genannten brachten aus Holland 354 und aus Friesland 38 Mark.

     Daß bei der Victortracht von 1487 nicht nur für reiche geistliche Hilfe, sondern auch für die Erheiterung des Volkes gesorgt wurde, erhellt schon daraus, daß das Kapitel Musikanten (fistulatores) aus Aachen, Leyden und Soest kommen ließ.

     Glückliche Tage der Vorzeit, in denen noch die Fürsten mit dem Volke einig waren nicht nur im Glauben, sondern auch in der Bethätigung ihres Glaubens! Damals fehlte es dem Volke nicht an Verdienst, nicht an Erholung und freudiger Lebenslust. Aber seine Erholung war durch religiöse Weihe geheiligt und geadelt. Statt der Faschingszüge hatte es Processionen, statt der Wirthshäuser Schützenplätze und Gildesäle. Vom Altare ihrer Gilde holten die Handwerker den Segen Gottes für ihre Arbeiten und deren Gedeihen, und frohen Sinn, um in den Prüfungen dieses Lebens festzustehen und trotz aller Mühen und Sorgen, die gerade dem Handwerkerstande nie fehlen werden, die irdische Pilgerschaft in Zufriedenheit zu vollenden.


  1. Über die ältern Victortrachten vgl. Baugeschichte S. 117, 130, 136, 162. Über das Fest von 1464 und 1487: * Heimeric I fol. 5–38, 164–174; die Handschrift * Distelhusius; die Urkunden im * Repertor. I Nr. 1437, 1441, 1446, 1641, 1642, 1644, 1647, 1648, 1649½; * Repertor. II Nr. 300 und 384; * Pels V p. 515, III p. 248, 396, II p. 103 und die Baurechnungen. Ferner Acta Sanctorum Octob. V p. 43, 44, 45 Nr. 11–12; Spenrath 3 S. 81; Annalen 13 S. 298 f.
  2. Scholten, Cleve S. 220, 222, 225.
  3. Die betreffenden Urkunden bei Binterim, Erzdiöcese 3 S. 197; 4 S. 306 und 313, und Lacomblet, Urkundenbuch 2 S. 306; 3 S. 93, 104, 160, 165, 177, 206, 259, 746, 831, 881; 4 S. 99, 120, 298, 317, 332, 343, 392. Wichtige Nachrichten über den Streit von 1444 bei Lacomblet 4 S. 393 Anm., S. 408 Anm. 1 und Einleitung S. XVI. Über den Clever Landesbischof vgl.: Zum clevisch-märkischen Kirchenstreit von Floß, Bonn 1883 S. 2 und S. 68–72, sowie: Papst Eugen IV. [57] und das clevische Landesbisthum von Dr. R. Scholten. Cleve 1884. Der Friedensvertrag von 1464, in Mörs am 22. Mai beurkundet und besiegelt, bei Lacomblet 4 S. 404. Seine Interimsbestimmungen wurden 1473 und 1481 erneuert, nachdem 1467 das Bündniß zwischen Köln und Geldern zur Wiedererlangung von Xanten erfolglos geblieben war. 1496 verfügt der Herzog von Cleve über Xanten wie über unbestrittenes Eigenthum. Lacomblet 4 S. 418, 465, 518 und 592 mit S. 666 Anm.
  4. Baurechnung von 1463: Item dominis portario et Jo. Moer equitantibus Coloniam ad habendum responsum a domino electo et ad habendum salvum conductum consumpserunt III mrc. II sol. III den. incluso vino in reditu bibito. Item scriptoribus domini electi propinati sunt in cancellaria II flor. Arnhem. fac. I mrc. VII sol. IX den. (Kanzleigebühren für den Geleitsbrief). Item pro equo domini portarii quinque diebus habito I mrc. XIII½ den.
  5. * Heimeric. I fol. 21 und 24.
  6. Der Anfang des Briefes des Kapitels zeigt, wie weit man schon 1464 in Höflichkeitsformeln ging und wie wir Deutsche von Alters her an Titulaturen gewohnt sind. Er beginnt so: „Reverendo in Christo parti et eximio Theologiae Professori, domino Hermanno, ordinis fratrum minorum, Ministro provinciae Coloniensis, domino tanquam patri nostro observandissimo. Reverende in Christo pater et domine, vir observandissime, amice noster excolendissime. Post tam debitam quam sinceram commendationem seipsos etc.“ … Das Antwortschreiben des Ordensmannes ist viel einfacher abgefaßt. Sein Anfang lautet „Egregiis et venerabilibus dominis, Decano ceterisque canonicis Xantensibus.“
  7. * Heimeric. fol. 36. Die Briefe fol. 23, 26 und 27.
  8. * Heimeric. fol. 20. bis. Plures pro aeris libertate per chorum et ecclesiam evacuatae fenestrae.
  9. Die Baurechnungen notiren 1 rheinischen Gulden und 7 Weißlinge für die Beköstigung der herzoglichen Diener, und 3 Goldgulden als Trinkgeld, im Ganzen 5 Mark. Ebensoviel erhielten später die Sänger des Herzogs, die bei der Feier mitwirkten.
  10. * Heimeric. fol. 32. Vexilla coccinea armis patroni potentissima, quorum fastigia tintinnulis intersuta … angelicum certe ventilantia tonum. Diese Einrichtung der Fahnen ließe sich wohl auch heute noch mit Glück nachahmen.
  11. Der Dechant Heimerich, der die Victortracht von 1464 leitete, muß bei der folgenden im Jahre 1487 nicht genug berücksichtigt worden sein. Es ist wahrhaft komisch, wie er immer und immer auf den zeitigen Fabrikmeister zu sprechen kommt, der, wie es scheint, nicht zu allen Ausgaben bereit war, die der gealterte Dechant machen wollte. Heimerich schreibt z. B. fol. 170 seq.: Nesciebat quam recipere nichil exponere. Item tubicines tibicinesque ducantur (1487), qui ab eo die per totum festum apud menia dictae turris singularum dierum crepusculis et auroris sua instrumenta exerceant, quo haberi poterunt canoriores et arte magis ydonei, ne videantur canere „van lole“, „van lole“. Dann setzt er hinzu: Revera nihil quam „van lole“, „van lole“ suis instrumentis cecinerunt neque id quidem omnibus diebus praedictis nam hujus fabricae magistri inexplicabili parcitate et tristitia obmissum est.
  12. * Heimeric. I fol. 25, 32, 169, 171.
  13. * Heimeric. fol. 34 seq.
  14. Annalen 14 S. 299.
  15. * Heimeric. fol. 38.