Die Ruinen von Carthago

CCCXXVIII. Swansea in Wales Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band (1840) von Joseph Meyer
CCCXXIX. Die Ruinen von Carthago
CCCXXX. Jona und Staffa; – die Fingalshöhle
  Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
[Ξ]

DIE RUINEN VON CARTHAGO

[144]
CCCXXIX. Die Ruinen von Carthago.




Adieu, belle France! rief mein französischer Koch, die Augen unverwandt nach der fliehenden Küste seines Vaterlands gerichtet. Leuchtend im Glanze der Morgensonne erhoben sich in der Ferne die Thürme der Tochterstadt Carthago’s. Ihre von den felsigen Höhen herunter blickenden Forts, der Mastenwald im Hafen, die Kriegsschiffe auf der herrlichen Rhede, boten ein prachtvolles Schauspiel dar. Es dauerte nicht lange. Mit jedem Augenblicke wurden die Gegenstände am Strande undeutlicher, und bald hatte sich jener majestätische Anblick in den ermüdenden einer weiten Wasserwüste verwandelt. Unser Dampfschiff, das den neuen französischen Consul von Marseille nach Tunis führte, war von jenen größern eins, welche die Kraft der französischen Marine jetzt so bedeutend verstärken und der Regierung bei ihrem Verkehr mit Afrika so nützlich sind. Der Leviathan führte eine Maschine von 600 Pferdekräften, hatte 3 Masten und war als Corvette gerüstet. Außer dem Consul, dessen Familie und Dienerschaft bestand unsere Reisegesellschaft aus einigen jungen Gelehrten und Ingenieurs, die im Auftrage der französischen Regierung das Land durchforschen sollten, und einem halben Dutzend Marseiller Kaufleuten, jungen Männern von guter Familie und gut unterrichtet. Die fröhlichste Stimmung belebte die ganze Gesellschaft, und der Consul detachirte einen Diener in seinen Flaschenkeller, um bei einem Korbe des besten Bordeauxweins seine Gefährten zu versammeln, und noch einmal das Andenken an das schöne Frankreich, dessen Gestade längst schon in Wasser und Nebel verronnen waren, recht lebhaft in uns aufzufrischen.

Die ersten Stunden einer Seereise sind stets die heitersten. Die ganze Seele ist in Spannung. Man ist des Anblicks einer unermeßlichen Wasserfläche noch nicht müde geworden, und das ewige, eintönige Wogengeräusch dünkt einem noch Musik. Die Reiselust glüht so lebendig, die Phantasie malt jene neuen Länder, die wir nun bald sehen sollen, mit den schönsten Farben aus. – Doch schnell ändert sich die Scene. Bald tritt ein dunkles Mißbehagen über das Schaukeln des Fahrzeugs ein; leichte Anwandlungen von Schwindel folgen, der Appetit vergeht, die Helle des Geistes schwindet. So ging es auch uns. Immer matter wurde die Unterhaltung. Einzelne taumelten auf und nach dem andern Ende des Decks, und die Anfangs lachten über die blassen, schwankenden Genossen, verstummten einer nach dem andern. Es war ein Mitleid erregender Anblick, diese kurz vorher noch so blühenden Gestalten, welche der ausgelassensten Lustigkeit sich überlassen hatten, jetzt mit kreideweißen Lippen hinfällig allenthalben auf dem Verdeck [145] umher liegen zu sehen. Das Feuer ihrer Augen war erloschen, alle Kraft von ihren frischen Gliedern gewichen, die mit kaltem Schweiß bedeckten Gesichter schienen den nahen Tod zu verkündigen. Erst als sich die Körper durch stundenlanges Würgen völlig entleert hatten, trat ein besserer Zustand ein, und die Abgematteten taumelten nun den Cajüten zu, um in den Armen des Schlafs Genesung zu erwarten. – Dem so lärmend begonnenen Tage folgte die tiefste Stille der schönsten Nacht. Ich, abgehärtet durch so viele Seereisen, hatte keine Lust, zu den stöhnenden und schnarchenden Gesellen hinab zu kriechen, und blieb auf dem Verdecke sitzen, das mondbeleuchtete Meer zu betrachten, dessen aufhüpfende Goldwogen einer unermeßlichen Schaar von Sirenen und Nixen glichen, die ihre Klagen durch die Lüfte flüsterten. Ich dachte zuerst und lange Zeit an die Heimath, dann an das Ziel meiner Reise, an Carthago und dessen Geschicke, und an Den, dessen Geist vom Urbeginn an brütend über dem Ocean der Geschichte schwebt und den Kreislauf seiner Fluthen leitet. Vom Lichtglanz der Wellen geblendet, hatte ich die Augen schlummernd geschlossen und schwere, wilde Träume hielten mich umfangen. Mir war’s, als zogen mit jedem Athemzuge Schauer-Geister der Tiefe aus und ein, Titanengezücht, das sich in der Kammer meiner Seele bekämpfte, festkrallte, und, in Knäueln verstrickt, wieder hinaus sich wälzte, in den Abgrund hinunter, wo es noch lange tobte, bis bleiche Riesengebeine der Erwürgten auf den Wellen rollten, die sich als Dünen an das Gestade legten. Und auf jedem der Riesenknochen stand mit großen Lettern der Name eines Volks – bekannte Namen vergangener und lebender, und unbekannte künftiger. Da schlug die Schiffsuhr zwölf, und ehe sie ausgeschlagen, war der gräßliche Alp geflohen und seine Last von mir gewälzt. Betäubt und erschöpft wankte ich hinab zur Kajüte und sank auf meiner Matratze in erquickenden Schlaf.

Am andern Morgen war alles frisches Leben, und das Wehe der Seekrankheit vergessen. Der Wind blies aus vollen Backen, alle Segel waren ausgebreitet, so daß die Masten krachten unter des gefangenen Windes Last – wir flogen. – Eben hatten wir uns zu einem derben Frühstück versammelt, als der Ruf: Land! Alles in freudige Bewegung setzte. Jeder drängte sich dem Vordertheile zu, wo in der That, nur wenige Seemeilen fern, die grünen Ufer der Insel Minorka aus der blauen Meerfluth auftauchten. Wir Alle labten uns herzlich an diesem Anblick, denn wir fingen nachgerade an, der See mit ihrem ewigen Einerlei satt zu werden. Bald erschienen auch die Thürme und Häuserreihen der Stadt Mahon, welche am Ende ihrer weiten Bucht, die alle Flotten Europa’s aufnehmen könnte, anmuthig hinter Orangenwäldchen und Gärten hervorlacht. Der eigentliche Hafen ist klein, aber vortrefflich und durch ein Fort geschützt. Nach Abgabe einiger Briefe und einem kurzen Besuche des französischen Viceconsuls setzte unser Schiff seine Fahrt nach Afrika fort. Noch vor Einbruch der Nacht hofften wir die Küste des Welttheils zu erspähen, so schnell fuhren oder flogen wir vielmehr bei dem günstigen Winde. Vergeblich; die Küste wollte nicht sichtbar werden, und wir legten uns verdrießlich zu Bette.

[146] Um 3 Uhr weckte und ein Kanonenschuß, dem im Nu drei andere folgten. Alles eilte auf’s Verdeck. Die Winde schwiegen, die Ruder rauschten nicht mehr; die Luft war schwül und eine bange Grabestille herrschte rings umher. Wir waren auf der Rhede von Tunis angekommen. Vor und flammte die Fackel des Leuchtthurms, und darüber starrte, wie ein ungeheuerer grauer Todtenhügel, das steinerne Amphitheater der alten Piratenstadt mit ihren beiden Castellen uns an. Bald erschien eine Schaluppe mit den Beamten des Dey, begleitet von mehren Nachen, von halbnackten Arabern gerudert, die uns mit unserm Gepäcke aufnahmen und dem Hafen zuführten. War es ein Traum? in der nächsten halben Stunde schon stand ich auf dem Boden von Afrika. Wir hatten das mittelländische Meer in seiner größten Breite durchfahren, und doch lagen zwischen meinem letzten Frühstücke in Marseille und dem ersten Mittagsmahle in Tunis nur zwei kurze Tage.

Meine Geschäfte waren in wenigen Stunden abgethan, und am nächsten frühen Morgen trabte ich, in Begleitung meines Dieners und eines Arabers, als Führers, der Gegend zu, wo das große Carthago gestanden, jene Stadt, bei deren Namensklang das mächtige Rom so oft erzittert; Carthago, das Britannien der alten Welt, das über gewaltige und tapfere Heere, über zahlreiche Flotten, über den Handel der Welt geboten, das mit seinen Colonieen ferne Gegenden bevölkert, und dessen Herrschaft einst Afrika, Spanien, Sardinien, Corsika, Sicilien, und den größten Theil Italiens umfaßt hatte. Ich war darauf gefaßt, nur wenige Spuren seiner einstmaligen Größe zu finden, denn allzuoft hatten es furchtbare Geschicke und entsetzliche Verheerungen getroffen; aber das Herz sank mir in die Brust, als ich, einen Hügel besteigend, von dessem Gipfel man die ganze umliegende Gegend bis an den Saum des Meeres übersieht, nichts gewahr wurde, als eine Menge kleiner, am Ufer hin zerstreuter, unförmlicher, halbverwitterter Massen Mauerwerks. So vollständig sind alle Zeichen des Glanzes und der Herrlichkeit dieser berühmten Stadt, welche im Drama der Weltgeschichte eine so große Rolle spielte, verschwunden, daß sogar ihr Name den gegenwärtigen Bewohnern des Landes unbekannt ist. Einige armselige Hütten unstäter Araber und Fischer sind auf der anderthalb geographische Quadratmeilen großen Fläche, welche die alten Stadtmauern umringten, die einzigen Wohnungen, und der Raum, welcher durch die Gegenwart von einer Million gewerbfleißiger und kriegerischer Einwohner belebt war, ist so stille wie das Grab. Kein Baum, kein Strauch, keine lebende Seele ist hier zu erblicken, sieht man nicht zuweilen einen Soldaten, der von dem Fort kommt, oder dahin zurückkehrt, oder die einsame und bewegungslose Gestalt eines arabischen Hirten, der auf den Trümmern irgend eines alten Palastes, oder Tempels stehend, seine Heerde hütet; – kurz, Verödung und Schweigen theilen sich in die unbestrittene Herrschaft über die ganze Landschaft, deren Anblick die Seele mit tiefer Wehmuth und mit erschütternden Betrachtungen anfüllt. Auf dieser Trümmerstätte erscheint die große Vergangenheit wie ein leerer Traum, der in’s nüchterne Wachen verwirrt und verwirrend herüber gaukelt. –

[147] Die Geschichte des alten Carthago gehört jenem Zeitraume an, in welchem sich die Weltreiche der Perser, Macedonier und Römer nach einander bildeten. Mit Rom rang Carthago erst nebenbuhlerisch um die Weltherrschaft, dann heldenmüthig um die eigene Freiheit und Selbstständigkeit. Es ist dieser Kampf eine der herrlichsten Episoden in der Geschichte der alten Völker.

Carthago, früher als Rom, war eine Pflanzstadt der Phönizier; der Sage nach gründete sie Dido, des Belos, Königs von Tyrus Tochter, etwa 900 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Schon 300 Jahre zuvor war Utica als phönizische Niederlassung an der afrikanischen Küste entstanden.

Nicht sowohl durch die Waffen, als durch Handelsthätigkeit und Klugheit befestigte und erweiterte sich der junge Pflanzstaat. Mit seiner großen Mutter, Tyrus, in engster Verbindung, von ihr unterstützt und durch fortwährenden Zuzug frischer Ansiedler gekräftigt, sandte er bald selbst Colonieen aus, und Carthager bedeckten schon in den ersten 3 Jahrhunderten nach der Gründung ihrer Stadt die Küsten von Nordafrika, von Südspanien und die Inseln im Mittelmeere mit ihren Faktoreien: Jvica, die Balearen, Corsika, wo sie mit den Etruskern in Verbindung kamen; Sardinien und die Westküste Siciliens wurden von ihnen besetzt. Landeinwärts dehnten sie ihre Handelsverbindungen bis nach Aethiopien und zum Senegal aus. Die Reichthümer zweier Welttheile sammelten sich in ihren Mauern auf, und bald erregte ihr Gedeihen selbst den Neid von Sidon und Tyrus. Vorzüglich war es der atlantische Ocean, der dem waglichen Speculationsgeiste ein neues, unermeßliches Feld öffnete. Im Jahre 570 v. Chr. wurden Himilco und Hanno mit Entdeckungs-Expeditionen ausgesendet; jener zur Untersuchung der atlantischen Meere und Länder nordwärts, dieser, um die Oceane südwärts zu befahren und auf der afrikanischen Westküste Faktoreien zu gründen. – Die damalige Zerstörung der phönizischen Städte durch Nebukadnezar war für Carthago von den bedeutendsten Folgen. Tausende aus dem Mutterlande flüchteten mit ihren Reichthümern, ihren Kenntnissen und ihren Schiffen zur afrikanischen Tochter, und während sich so die Hülfsquellen der Colonie vermehrten, ward diese, der politischen Stützen in Phönizien beraubt, genöthigt, als selbstständige Macht sich geltend zu machen und zur Behauptung des eigenen Besitzes in fernen Ländern, und zur Beschützung ihres Handels Kriegsflotten auszurüsten, Festungen zu bauen und Waffenplätze zu errichten. Carthago übernahm die Rolle, welche bisher Tyrus behauptet hatte und betrachtete das Mittelmeer als sein rechtmäßiges Gebiet. Aus den Reibungen, welche eine so gänzlich veränderte Richtung in den äußern Beziehungen entwickelte, entstanden Fehden, und 536 v. Chr. lieferte eine Carthagerflotte den Phokäern das erste Seetreffen im sardischen Meere. Von diesem Zeitpunkte an sehen wir Carthago als eroberndes Handelsreich und mit den Ansprüchen auf Alleinherrschaft zur See auftreten. Bald erscheint es gewaltig und furchtbar. Fort und fort erlangt es neue Gebiete mit dem Blute fremder Söldner, die zu Hunderttausenden zu werben seinem Reichthume ein Leichtes war.

[148] Auf das um diese Zeit emporkommende Rom hatte Carthago frühe das Auge geworfen. – Durch zwei Handels- und Schifffahrtsverträge, die es 508 und 344 vor Chr. mit Rom abschloß, anerkannte letzteres förmlich Carthago’s Ansprüche auf das Recht, alle Meere ostwärts vom afrikanischen Cap Merkur ausschließlich zu beschiffen. Der Carthager Gebiet in Afrika dehnte sich aus bis an die Sahara; es schloß über 300 größere Städte ein. Sicilien, das reiche, blühende, reizte zunächst ihre Eroberungsgier, welche die inneren Zwistigkeiten der dortigen griechischen Colonien begünstigten. Aber hier stießen sie auf die Macht Griechenlands selbst, das seinen Töchtern Hülfe sandte. Das starke Syrakus nahm dem punischen Namen einen Theil seiner Schrecken. Fast zwei Jahrhunderte lang kämpften die griechischen Städte unter wechselndem Erfolg um die Behauptung ihrer Unabhängigkeit. Diese Kriege, von Seiten Carthago’s mit ungemessenem Aufwand durch fremde Söldner geführt, vergeudeten die Kraft des Staats, welcher bald mit einem neuen, furchtbarern Feinde sich messen sollte.

Rom rüstete wider Carthago, und bei Messina geschah der erste Zusammenstoß. Rom hatte das Recht der Durchfahrt durch die sicilische Meerenge vergeblich gefordert, und aus dieser Weigerung erwuchs zwischen den rivalisirenden Völkern jener erbitterte Kampf um die Weltherrschaft, der nur mit dem Untergange des einen oder des andern endigen konnte. Er wurde entschieden durch die drei punischen Kriege.

Der erste, der vier und zwanzig Jahre gedauert hat, (von 264–241 vor Chr)., gab Carthago einige nichts entscheidende Siege, kostete ihm mehre Niederlagen, viele hunderttausend Krieger, 500 Kriegsschiffe, die Herrschaft zur See, das Monopol des Handels und einen schimpflichen Frieden, durch den der Staat ganz Sicilien nebst allen zwischen Italien und Afrika gelegenen Inseln an Rom abtrat und diesem sich zur Zahlung von 3200 Talenten verpflichtete. Das Maaß so großen Unglück zu häufen, kehrten die eigenen Soldtruppen gegen die Gedemüthigte, als sie, erschöpft, die rückständige Löhnung nicht pünktlich abzahlen konnte, das Schwert und brachten ihr neue schwere Verluste und die größte Gefahr. Darauf folgte durch die Empörung der afrikanischen Vasallenstaaten der libysche Krieg, welcher, nachdem er drei Jahre im Herzen des Carthagerreichs gewüthet, nur mit den größten Anstrengungen durch Hamilkar gedämpft werden konnte. Daß nach so vielen Unfällen Carthago noch den Muth besaß, Rom ein zweites Mal zum Kampfe auf Leben und Tod herauszufordern, machte die Welt erstaunen. Es nahmen die Römer den Fehdehandschuh freudig auf, denn sie hofften, die Gehaßte leicht zu zermalmen. So entstand der zweite punische Krieg, und er brach aus im Jahre 218 vor Chr.

Dießmal hatte sich Rom verrechnet. Was Carthago in einer drei und dreißigjährigen Periode voller Niederlagen und Unglück an Kraft und Macht verloren hatte, Länder, Flotten, Handel, Herrschaft der Meere und den Schrecken des Namens, ersetzte ein einziger Mann – Hannibal, der größte Feldherr des Alterthums.

[149] Den Vorwand zum Kampfe gab der traktatwidrige Angriff Carthago’s auf Sagunt, der Bündnerin Roms, welche Hannibal nach heldenmüthiger Vertheidigung vernichtete. Rom, damals auf seiner Ostgrenze beschäftigt, erklärte sogleich der Verwegenen den Krieg. Da ergriff Hannibal den wahrhaft großen Gedanken, seine Waffen in das Herz des Römerreichs zu tragen und den übergewaltigen Todfeind zu vernichten, ehe dieser seine Kräfte zu sammeln vermöchte. Mit 59,000 Mann überstieg er die Pyrenäen, durchstürmte, wie ein Orkan Alles vor sich niederwerfend, das südliche Gallien und mitten im Winter, unter fortwährenden Kämpfen und auf unbekannten, ungebahnten Pfaden, führte er sein Heer über die großen penninischen Alpen, deren Schrecken vor ihm noch selten ein Wanderer, niemals ein Heer getrotzt hatte; und nicht mit leichtem Fußvolk allein, auch mit schwerbewaffneten zu Roß und mit Elephanten. 15 Tage dauerte der Uebergang, der die Hälfte des Heeres kostete. Als Hannibal in der Ebene Italiens anlangte, hatte er nur 20,000 Mann Fußvolk und 6000 Reiter übrig. Mit diesem Häuflein zog er gen Rom, das 150,000 waffentragende Bürger zählte, wagte er die Eroberung des größten aller Reiche, das 600,000 Streiter rüstete. In ungeheuern Schlachten mußte Rom’s beste Heereskraft verbluten; bei Cannä blieben 45,000 römische Bürger, die Blüthe der Ritterschaft, die Senatoren, die Konsuln. Die unterjochten Völker fielen von Rom ab, die Hauptstadt zitterte, ihre Vernichtung schien gewiß. Da kam ihr unverhofft Hülfe aus Carthago selbst; denn voll kleinlicher Eifersucht auf die Größe Hannibal’s verweigerte der Carthaginensische Senat in dem entscheidenden Momente, wo es galt, den Koloß Rom mit einem letzten Schlage zu zermalmen, die nöthigen Verstärkungen, und Hannibal, durch so viele Siege erschöpft, sah sich genöthigt, statt dem bedrängten Rom das Schicksal Sagunt’s zu bereiten, im südlichen Italien Winterquartiere zu beziehen. Damit wendete sich das Geschick Rom’s, Carthago’s, der Welt. Hannibal und sein edler Bruder und Mitfeldherr, Hasdrubal, fanden in Rom’s neuen Heerführern Gegner, ihrer werth, und während in der Metaurischen Vernichtungsschlacht bei Sena ganz Oberitalien verloren ging, trugen die Scipionen die römischen Siegesadler nach Afrika und bis unter die Mauern von Carthago. Dieses rief nun Hannibal aus Italien zurück, welcher, selbst noch unbesiegt, mit seinem kleinen Heere im verschanzten Lager in einem Winkel Apulien’s stand, wie ein grimmiger Löwe nur auf den günstigen Augenblick lauernd, wo er Rom von Neuem angreifen könnte. Traurig gehorcht der Held dem Hülferuf des Vaterlandes und verläßt seufzend den sechzehn Jahre lang kühn und beharrlich behaupteten Schauplatz unsterblicher Thaten. Bei seiner Ankunft in Afrika sammeln sich um ihn die Trümmer der in so vielen Niederlagen zerstreuten carthagischen Truppen. Er vereint sie zu einem Heere und lagert es bei Zama.

Aber Hannibal berechnete die Chancen eines letzten Kampfes mit der letzten Kraft Carthago’s, und sah ein, wie wenig ihm blieben zum Siege. Aus einer Niederlage mußte die Vernichtung seines Vaterlandes unvermeidlich folgen, und großherzig sich selbst und den geschworenen ewigen Haß gegen Rom verleugnend, bot er Rom [150] den Frieden an und die schwersten Opfer. Alles carthagische Land außer Afrika sollte den Römern seyn. Vergebens. Die Schlacht bei Zama wurde geschlagen, und geschehen war’s um Carthago, um die Freiheit der Welt.

So endigte der zweite punische Krieg. Der von Rom diktirte Friede entwaffnete Carthago und erniedrigte es zum Vasallen. Es mußte, bis auf ein kleines Gebiet in Afrika, alle Besitzungen und Colonieen abtreten, die ganze Kriegsflotte ausliefern, 10,000 Talente bezahlen und hundert seiner vornehmsten Bürger nach Rom schicken als Geiseln für künftige Treue.

Fünfzig Jahre vergingen. Carthago, obschon der Macht als Staat beraubt, blühete noch durch Handel und Reichthum wie keine andere Stadt der Erde; es zählte ¾ Million Einwohner, also fast so viele als Rom selbst. Da beschloß das letztere, müde des eifersüchtigen Bewachens der Todfeindin, sie zu erdrücken. Der Vorwand war bald gefunden. Rom erklärte der Vasallin höhnend den Krieg. Schon stand die Exekutionsarmee mit den Konsuln in Sicilien zur Ueberfahrt nach Afrika gerüstet, des letzten Winks vom Senat gewärtig. –

Die geängstigten Carthager boten, den Sturm zu beschwören, demüthig ihre Unterwerfung an. Sie schickten 300 ihrer edelsten Bürger als Geiseln nach Rom und die Erklärung: sie harreten der Befehle des Senats, was weiter geschehen solle; sie würden in allem gehorchen. Die Geiseln kamen; die Konsuln gingen nach Afrika. Sie forderten Auslieferung der Schiffe, der Waffen, des Kriegsgeräths. Die Carthager gehorchten. Darauf gebot Rom: niederreißen sollten die Carthager ihre herrliche Stadt und bauen eine andere, weit weg vom Meere und ohne Mauern.

Jetzt loderte der Muth der Verzweiflung auf. Der Welt sollte gezeigt werden, was ein aufs äußerste gebrachtes Volk vermöge. – Was man eben hingegeben, das Daseyn zu erkaufen, das schuf die erfinderische Verzweiflung von Neuem. Doch hier schildere ein Besserer[1] als ich! „Das Gebälke der Wohnungen wurde zu Schiffen verarbeitet, alles Metall in Häusern und Palästen, Tempeln und Gräbern zu Waffen. Weiber gaben ihr Geschmeide zu Pfeilen hin, ihr Haupthaar zu Bogensennen; Kinder, Sklaven, Verbrecher wurden bewaffnet, die Verwiesenen zurückberufen und statt einer wehrlosen Stadt fanden die erstaunten Römer ein Kriegslager, statt unterwürfiges Flehen tobende Kampfbegeisterung.“

„Gegen die sieggewohnten Legionen hielt sich die hülflose Stadt bis in’s dritte Jahr. Mehre konsularische Heere wurden geschlagen. Da sandten die Römer den edlen Scipio mit gewaltiger Macht, den ungleichen Kampf zu beendigen. Die Carthager thaten mehr, als glaublich ist. Der Hafen wurde durch einen Damm gesperrt; wunderbar [151] schnell wurde eine neue Mündung gegraben und der Feind durch eine neue Flotte erschreckt. Zwei Mauern waren gefallen; die dritte hielt. Die Carthager wurden überall geschlagen, zurückgeworfen, abgeschnitten von aller Zufuhr. Man trotzte dem Hunger, wie den Schrecken des Kriegs. Endlich drang Scipio bei Nacht in den innersten Hafen; der untere Theil der Stadt wurde genommen; die obere Stadt und die Burg (Byrsa) ergaben sich nicht. Da stürmte Scipio sechs Tage und sechs Nächte lang; in allen Straßen, Plätzen, Häusern floß Blut. Unermüdet, furchtbar stritten die ausgehungerten Bürger gegen die immer nachrückenden frischen Legionen Rom’s, bis die letzten Kräfte schwanden. Am siebenten Tage baten einige Abgeordnete um Gnade. Gern hätte Scipio sie Allen ertheilt. Aber nur 50,000 Menschen aus einer Stadt, welche 700,000 zählte, nahmen sie an und zogen in jammervoller Gestalt nach Scipio’s Lager. Die Uebrigen, in wilder Verzweiflung, stritten fort, zündeten die Stadt an und tödteten sich selbst in ihren Häusern, Tempeln, über den Gräbern der Väter. Die Gattin des carthaginensischen Feldherrn Hasdrubal, der, weniger groß, Gnade angenommen hatte, stürzte sich von dem letzten Halt der verzweifelnd Kämpfenden, von den Zinnen der Burg, mit allen ihren Kindern in die Flammen! Siebenzehn Tage brannte die herrliche, übergroße, unglückliche Stadt; die Römer, auf des Senats Befehl, schleiften die Trümmer.“

„So verschwand von der Erde, nachdem es hundert und zwanzig Jahre mit Rom gewaltig gestritten, das weitherrschende, dem Handel freundliche Carthago, Stadt und Volk, groß in ihrer Blüthe, im Falle noch größer.“ –


Andere Orte keimten in spätern Zeiten auf der Stätte, blühten eine Zeitlang und vergingen wieder; aber ein Carthago erstand nie wieder. Cajus Grachus erbaute eine Junonia; Augustus schickte 3000 Ansiedler dahin und machte eine Colonia Carthaginiensis daraus. Marcus Aurelius wandte große Summen auf deren Verschönerung und die beiden Gordiane erhoben sie sogar, – sonderbares Geschick! – während ihrer ephemeren Herrschaft, zur Hauptstadt des römischen Reichs. Im Jahre 312 nach Chr. wurde sie von Maxentius niedergebrannt, dann nothdürftig wieder aufgebaut, 439 von Genserich erstürmt und zur Hauptstadt des Vandalenreichs erklärt, 585 aber von Belisar erobert und auf’s Neue zum Schutthaufen gemacht. Justinian baute sie wieder auf und nannte den Ort Justiniana. Er schleppte 44 Jahre ein schwächliches Daseyn hin, bis 647 nach Chr. die Araber unter Anführung Hassan’s, Feldherrn des Kalifen Ben Merwan, ihn gänzlich zerstörten. Seitdem ist die Trümmerstätte unter der Herrschaft der Moslims geblieben, die zwei kurzen Perioden ausgenommen, wo Tunis von den Franzosen unter dem heiligen Ludwig (1270) und von den Spaniern unter Karl V. (1535) besetzt war.

Dieser Abriß von den Schicksalen Carthago’s erklärt genügend, warum sich so wenige seiner Reste bis auf den heutigen Tag erhalten haben und kein einziges durch Masse imponirt. Die ziemlich ansehnlichen Trümmer einer [152] Wasserleitung, nahe der Stätte des alten Carthago, ist jedenfalls ein späteres Werk aus der Römerzeit. Doch läßt sich aus dem Vorhandenen noch ziemlich genau auf die Größe der punischen Stadt schließen, so wie auch die beiden Häfen, durch einen weit in das Meer reichenden Molo oder eine Landzunge geschieden, deutlich zu erkennen sind. Nach den Angaben der Alten betrug der Umfang Carthago’s fast 4 deutsche Meilen, und noch ist dieser Raum mit unzähligen Fragmenten von Substruktionen, Säulenstücken etc. bedeckt. Wo die Burg und der Haupttempel gestanden, ist jeder Stein, den man aufhebt, ein Stück seltnen Marmors, Serpentin, Giallo Rosso, Verdantico, Jaspis, Porphyr etc. – Diese kleinen Bruchstücke und der, wie einige Ausgrabungsversuche nachweisen, thurmhohe Schutt, der die Gegend bedeckt, sind Alles, was noch übrig ist von Carthago’s Prachtgebäuden, von jenen Riesentempeln zum Beispiel, zu welchen, wie zu dem des Aeskulap, nach Livius Berichten, 60 Marmorstufen emporführten; und von jener Burg, deren Souterrains Quartiere für 24,000 Mann, Stallung für 6000 Pferde und 300 Elephanten, und die Magazine für die Ernährung von 200,000 Mann auf 2 Jahre enthielten. Daß für Ausgrabungen diese Trümmerstätte ein ergiebiges Feld darbietet, ergibt sich aus der Art seiner Zerstörung und aus dem Umstande, daß Scipio noch einen Werth von vielen Millionen aus ihren Ruinen sammelte. –

Lassen wir die Alterthumsforscher nach punischen Inschriften, Scherben und Schätzen suchen, wir suchen solche nicht auf Carthago’s schweigsamem Friedhofe. Aber die nämlichen großen Züge, die uns in Tyrus’, Theben’s, Palmyra’s Ruinen begegneten, finden wir auch hier wieder, und in jeder Handvoll Erde, in welcher der Staub vom Palast des Reichen und von des Armen Hütte, die Asche des Großen mit der seines untersten Sklaven gemischt ist, lesen wir die ewige Wahrheit wieder, die den Menschenfreund entzückt, den Tugendhaften erhebt und dem Schlechten, dem Unterdrücker und Tyrannen jeglichen Genuß vergiftet. –




  1. Rotteck; Weltgeschichte, II. Bd.