Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band | |
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Um 3 Uhr weckte und ein Kanonenschuß, dem im Nu drei andere folgten. Alles eilte auf’s Verdeck. Die Winde schwiegen, die Ruder rauschten nicht mehr; die Luft war schwül und eine bange Grabestille herrschte rings umher. Wir waren auf der Rhede von Tunis angekommen. Vor und flammte die Fackel des Leuchtthurms, und darüber starrte, wie ein ungeheuerer grauer Todtenhügel, das steinerne Amphitheater der alten Piratenstadt mit ihren beiden Castellen uns an. Bald erschien eine Schaluppe mit den Beamten des Dey, begleitet von mehren Nachen, von halbnackten Arabern gerudert, die uns mit unserm Gepäcke aufnahmen und dem Hafen zuführten. War es ein Traum? in der nächsten halben Stunde schon stand ich auf dem Boden von Afrika. Wir hatten das mittelländische Meer in seiner größten Breite durchfahren, und doch lagen zwischen meinem letzten Frühstücke in Marseille und dem ersten Mittagsmahle in Tunis nur zwei kurze Tage.
Meine Geschäfte waren in wenigen Stunden abgethan, und am nächsten frühen Morgen trabte ich, in Begleitung meines Dieners und eines Arabers, als Führers, der Gegend zu, wo das große Carthago gestanden, jene Stadt, bei deren Namensklang das mächtige Rom so oft erzittert; Carthago, das Britannien der alten Welt, das über gewaltige und tapfere Heere, über zahlreiche Flotten, über den Handel der Welt geboten, das mit seinen Colonieen ferne Gegenden bevölkert, und dessen Herrschaft einst Afrika, Spanien, Sardinien, Corsika, Sicilien, und den größten Theil Italiens umfaßt hatte. Ich war darauf gefaßt, nur wenige Spuren seiner einstmaligen Größe zu finden, denn allzuoft hatten es furchtbare Geschicke und entsetzliche Verheerungen getroffen; aber das Herz sank mir in die Brust, als ich, einen Hügel besteigend, von dessem Gipfel man die ganze umliegende Gegend bis an den Saum des Meeres übersieht, nichts gewahr wurde, als eine Menge kleiner, am Ufer hin zerstreuter, unförmlicher, halbverwitterter Massen Mauerwerks. So vollständig sind alle Zeichen des Glanzes und der Herrlichkeit dieser berühmten Stadt, welche im Drama der Weltgeschichte eine so große Rolle spielte, verschwunden, daß sogar ihr Name den gegenwärtigen Bewohnern des Landes unbekannt ist. Einige armselige Hütten unstäter Araber und Fischer sind auf der anderthalb geographische Quadratmeilen großen Fläche, welche die alten Stadtmauern umringten, die einzigen Wohnungen, und der Raum, welcher durch die Gegenwart von einer Million gewerbfleißiger und kriegerischer Einwohner belebt war, ist so stille wie das Grab. Kein Baum, kein Strauch, keine lebende Seele ist hier zu erblicken, sieht man nicht zuweilen einen Soldaten, der von dem Fort kommt, oder dahin zurückkehrt, oder die einsame und bewegungslose Gestalt eines arabischen Hirten, der auf den Trümmern irgend eines alten Palastes, oder Tempels stehend, seine Heerde hütet; – kurz, Verödung und Schweigen theilen sich in die unbestrittene Herrschaft über die ganze Landschaft, deren Anblick die Seele mit tiefer Wehmuth und mit erschütternden Betrachtungen anfüllt. Auf dieser Trümmerstätte erscheint die große Vergangenheit wie ein leerer Traum, der in’s nüchterne Wachen verwirrt und verwirrend herüber gaukelt. –
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/246&oldid=- (Version vom 20.11.2024)