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Die Geschichte des alten Carthago gehört jenem Zeitraume an, in welchem sich die Weltreiche der Perser, Macedonier und Römer nach einander bildeten. Mit Rom rang Carthago erst nebenbuhlerisch um die Weltherrschaft, dann heldenmüthig um die eigene Freiheit und Selbstständigkeit. Es ist dieser Kampf eine der herrlichsten Episoden in der Geschichte der alten Völker.

Carthago, früher als Rom, war eine Pflanzstadt der Phönizier; der Sage nach gründete sie Dido, des Belos, Königs von Tyrus Tochter, etwa 900 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Schon 300 Jahre zuvor war Utica als phönizische Niederlassung an der afrikanischen Küste entstanden.

Nicht sowohl durch die Waffen, als durch Handelsthätigkeit und Klugheit befestigte und erweiterte sich der junge Pflanzstaat. Mit seiner großen Mutter, Tyrus, in engster Verbindung, von ihr unterstützt und durch fortwährenden Zuzug frischer Ansiedler gekräftigt, sandte er bald selbst Colonieen aus, und Carthager bedeckten schon in den ersten 3 Jahrhunderten nach der Gründung ihrer Stadt die Küsten von Nordafrika, von Südspanien und die Inseln im Mittelmeere mit ihren Faktoreien: Jvica, die Balearen, Corsika, wo sie mit den Etruskern in Verbindung kamen; Sardinien und die Westküste Siciliens wurden von ihnen besetzt. Landeinwärts dehnten sie ihre Handelsverbindungen bis nach Aethiopien und zum Senegal aus. Die Reichthümer zweier Welttheile sammelten sich in ihren Mauern auf, und bald erregte ihr Gedeihen selbst den Neid von Sidon und Tyrus. Vorzüglich war es der atlantische Ocean, der dem waglichen Speculationsgeiste ein neues, unermeßliches Feld öffnete. Im Jahre 570 v. Chr. wurden Himilco und Hanno mit Entdeckungs-Expeditionen ausgesendet; jener zur Untersuchung der atlantischen Meere und Länder nordwärts, dieser, um die Oceane südwärts zu befahren und auf der afrikanischen Westküste Faktoreien zu gründen. – Die damalige Zerstörung der phönizischen Städte durch Nebukadnezar war für Carthago von den bedeutendsten Folgen. Tausende aus dem Mutterlande flüchteten mit ihren Reichthümern, ihren Kenntnissen und ihren Schiffen zur afrikanischen Tochter, und während sich so die Hülfsquellen der Colonie vermehrten, ward diese, der politischen Stützen in Phönizien beraubt, genöthigt, als selbstständige Macht sich geltend zu machen und zur Behauptung des eigenen Besitzes in fernen Ländern, und zur Beschützung ihres Handels Kriegsflotten auszurüsten, Festungen zu bauen und Waffenplätze zu errichten. Carthago übernahm die Rolle, welche bisher Tyrus behauptet hatte und betrachtete das Mittelmeer als sein rechtmäßiges Gebiet. Aus den Reibungen, welche eine so gänzlich veränderte Richtung in den äußern Beziehungen entwickelte, entstanden Fehden, und 536 v. Chr. lieferte eine Carthagerflotte den Phokäern das erste Seetreffen im sardischen Meere. Von diesem Zeitpunkte an sehen wir Carthago als eroberndes Handelsreich und mit den Ansprüchen auf Alleinherrschaft zur See auftreten. Bald erscheint es gewaltig und furchtbar. Fort und fort erlangt es neue Gebiete mit dem Blute fremder Söldner, die zu Hunderttausenden zu werben seinem Reichthume ein Leichtes war.

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/247&oldid=- (Version vom 20.11.2024)