Die Ordonnanz (Gemälde der Dresdener Gallerie)

Textdaten
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Autor: Adolph Görling
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Titel: Die Ordonnanz
Untertitel: Von Gabriel Metzu
aus: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1848–1851
Verlag: Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne
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Erscheinungsort: Leipzig und Dresden
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Quelle: Scan auf Commons
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aktuelle Zuschreibung des Bildes: von Gerard ter Borch
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The Ordinance.     Die Ordonanz.

[142]
Die Ordonnanz.
Von Gabriel Metzu.

In einer stürmisch-finstern Octobernacht des Jahres 1643 kamen zwei Reiter vor das westliche Thor der guten und festen Stadt Rottweil. Das Licht der Pechpfanne auf der vordersten Bastion flackerte hell ungeachtet des Regens und beleuchtete die Auffahrt, welche von der niedriger liegenden Straße in steiler Böschung zum wohl vertheidigten Eingange in die Stadt führte.

Die Reiter besprachen sich einige Augenblicke mit unterdrückter Stimme, indeß sie die triefenden Rosse dicht zusammenführten. Es waren zwei hochgewachsene, kriegerische Gestalten, diese beiden Männer. Sie trugen hellgraue, weite Mäntel und große Fuchsfellmützen, dazu hellfarbige Reiterstiefel, wie die schwere Cavallerie des bairischen Generals Johannes von Werth. Sie sprachen indeß französisch.

Eh bien, Sans-Regret, sagte der eine Krieger; Du bist doch Deiner Sache sicher? Du kennst doch genau den Weg zu der Gasse, wo dies verschmitzte Mädchen, ihrer Angabe nach, wohnen soll?

– Ohne Sorge, Marschall; ich bin zu lange in Rottweil gefangen gewesen, als daß ich mich in diesem Rattenneste nicht mit verbundenen Augen zurecht finden könnte.

Bon! erwiderte die klare, klingende Stimme des „Marschall“ Titulirten. Und wie heißt der unaussprechliche Name des commandirenden bairischen Oberlieutenants?

– Schachterer!

Der Marschall bemühte sich vergebens, die weichen, ihn unendlich hartdünkenden Laute dieses Namens auszusprechen. [143] – Sans-Regret! sagte er endlich höchst unmuthig; dieser verwünschte germanische Laut wird mich, da er im Deutschen jeden Augenblick vorkommt, sicherlich als Franzosen verrathen. Ich darfs nicht wagen, mich den bairischen Herren Offizieren vorzustellen.

– Das sagte ich ja! bemerkte Sans-Regret sehr ruhig.

– Du also, Monsieur le Trompette, wirst die Ordonnanz, diesen Urias-Brief allein zu übergeben das Vergnügen haben.

– Und Sie, Marschall . . .

– Nenne mich nicht immer Marschall, Coquin, der Du bist! bemerkte der Andere.

– Soll ich etwa Onkel Guébriant sagen? –

– Guébriant! murmelte dieser. Still, still! Ich glaube, die Bastionen vor uns und diese schlechten Thürme bewegen sich, als litten sie an Krämpfen . . . Wohlan, Rottweil und Du, glorreichster, bairischer Oberlieutenant, Liebling meines bairischen Busenfreundes, des Generals Mercy . . . Morgen früh wird der Name Guébriant so in Euren Ohren klingen, daß Ihr sie mit beiden Händen zuhalten sollt.

Der Sans-Regret schlug seinen Mantel zurück, faßte mit der Rechten rückwärts und brachte eine blitzende Trompete hervor, die er zum Ansatze bereit, dicht vor seinen Schnurrbart brachte.

– Soll ich, Onkel? fragte er.

– Immerhin.

Und ein schmetterndes Signal der bairischen Reiterregimenter tönte durch die Nacht und rief die Wachen schleunigst auf ihre Posten vor dem Ausfallthor und in die vorspringenden Winkel der Bastionen.

– Wer da? Wer da? hallte es, wie ein Lauffeuer sich fortpflanzend, rund um die Wälle von Rottweil.

Sans-Regret wiederholte seine Fanfare und ritt mit dem französischen Marschall Guébriant dicht unter das Ausfallthor.

– Ordonnanz vom General Johannes von Werth an den Commandirenden von Rottweil, Xaverius Schachterer! schrie der Trompeter in bestem Süddeutsch.

– Feldgeschrei! brüllte ein Mann von der scharfen Bastion den Reitern entgegen.

– Seid Ihr wahnsinnig? entgegnete Sans-Regret. Woher sollen wir Euer Feldgeschrei gewahr werden.

– Dann zurück oder es giebt Kugeln aus unseren Arquebusen.

– Sehr gut, Ihr unsinniges Volk! schrie Sans-Regret erbittert. Ich schwöre Euch, der Marschall Guébriant wird sie Euch mit schweren Zinsen wieder zurückzahlen.

– Wer? Wer?

– Guébriant wird morgen Nacht auf Rottweil marschiren; und wir, das heißt General Johannes von Werth, wir werden ihn abzuschneiden suchen, wenn Ihr Euch mit uns in den Sattel macht . . .

– Gut, gut, Kamerad! Der Oberlieutenant wird hier gleich in der Wache sein; spreche selbst mit ihm . . . bis dahin wartet draußen.

– Diese Hunde sind sehr wachsam! murmelte der Marschall. Wenn ich diese derben [144] Außenwerke betrachte und meine Kürassiere bedenke, so bemitleide ich schon im Voraus die braven Burschen, die sich, wenn ihre Vertheidigung eintritt, daran die Köpfe zerschellen werden.

– Pah! Wir werden nach Rottweil kommen, sagte Sans-Regret, und dann mache ich mich anheischig, das Fallgitter trotz einer Compagnie dieser baierschen Lanzknechte zu öffnen und offen zu erhalten, bis das: Vive la France! in den Straßen tönt.

Jetzt ward das Thor geöffnet.

Sans-Regret und Guébriant ritten ein. Der erstere stieg vor der Fronte der Arquebusire vor der Thorwache ab und übergab dem Marschall sein Pferd. Ein Offizier empfing den Trompeter und führte ihn in die Wachstube.

Hier befanden sich zwei Männer. Der bairische Commandant und sein Adjutant. Von Schachterer, der Oberlieutenant mit einem ungeheueren, aufgeschlagenen, weißen Filzhute, im Küraß, mit weiten Pluderhosen, Schuhen und Strümpfen, wie es bei dem bairischen Fußvolke gebräuchlich war, betrachtete den eintretenden Sans-Regret mit seinen großen blauen Augen ohne einen Zug von Mißtrauen. Der Franzose dagegen war die personifizirte Ruhe selbst. Während der Commandant sich neben dem Eichentische niederließ, blieb er stehen, übergab seine „falsche Ordonnanz“ und studirte mit überlegenem Blicke in dem Gesichte des Lesenden. Sans-Regret, ein äußerst schöner Mann, ein geborner Picarde, hatte nur ein Bedenken: er hatte eine französische Trompete und auf der breiten Schnalle seines Leibgurtes standen Frankreichs Lilien.

Die Lilien bedeckte er, indeß er seine große Mütze vor die Taille nahm; die Trompete, welche sich unter dem Mantel hervorstahl, überließ er ihrem Schicksale.

– Weißt Du den Inhalt der Ordonnanz? fragte der Infanterie-Offizier.

– Ja! Johannes von Werth ist in einer halben Stunde vor dem westlichen Thore; und Marschall Guébriant ist von der Ostseite her im Marsch auf Rottweil.

– Es heißt, der General, Freiherr von Werth! bemerkte der Adjutant, ein schöner, braunlockiger Mann, welcher seine Thonpfeife rauchte. Den schurkischen Franzosen brauchst Du nur schlechtweg Guébriant zu nennen.

Sans-Regret warf ironisch die Lippen auf. Der Commandant gab seine Befehle, damit die östliche Vorstadt und das entsprechende Thor, im Fall Guébriant unvermuthet angreife, stark besetzt und vertheidigt sei, und wandte sich dann an Sans-Regret, nachdem er den Empfang der Ordonnanz bescheinigt hatte.

– Ihr reitet wieder zurück! sagte der Commandant.

– Nein! wir haben Ordre, hier zu bleiben und Quartier anzusagen. Unser Regiment wird bald eintreffen.

– Begebt Euch nach dem Marktplatze zur Hauptwache; ich selbst werde kommen und Euch weiteren Befehl geben.

Sans-Regret beurlaubte sich, ging hinaus, schwang sich auf sein Pferd und trabte mit dem Marschall stadteinwärts.

– Aber wir reiten nicht zum Markt! sagte dieser dringend. Wir suchen Caroline auf.

– Das hätte noch Zeit, Onkel. Wenn wir nur für unser gutes Gold ein Dutzend entschlossene Männer, meinetwegen mit Aexten, hätten, damit uns diese, wenn unsere Leute kommen, und es entsteht draußen ein Gefecht, das Thor offen halten.

[145]Bon! Dies Mädchen wird uns die beste Anweisung geben können. Wo wohnt sie?

– Da oben! sagte Sans-Regret sehr mißmuthig, nachdem sie mehre Straßen hinter sich hatten. Noch einmal, laßt das Teufelsmädchen zufrieden; sie ist zu unbändig.

– Eben das interessirt mich, Bursch.

Sans-Regret seufzte.

Vor zwei Tagen nämlich war von den Vorposten der Franzosen ein sehr hübsches Mädchen eingebracht und vor den Marschall geführt worden. Guébriant hatte, als er erkundet, sie sei aus Rottweil, Alles vergebens angewendet, um sie über die Besatzung der Stadt auszuforschen. Sie gestand nichts und verlangte frei zu sein. Guébriant ließ sie einsperren.

Dadurch aber brachte er sie vollends auf. Sie sagte ihm ins Gesicht: daß sie lieber sterben, als solchen schändlichen Franzosen, die mit den Schweden gemeinschaftliche Sache gemacht, Nachricht geben werde. Dabei entwickelte sie zugleich eine solche Naivetät, eine solche natürliche Anmuth, die von ihrer Entschlossenheit noch gehoben wurde, daß der feurige Franzmann nicht umhin konnte, sich heftig in die kleine Eigensinnige zu verlieben.

– Ich liebe Dich! sagte er, in das Zelt der Feldwache tretend, wo das Mädchen bewacht wurde. Sieh mich an. Könntest Du meine Leidenschaft erwidern: so mache ich dich zur Marschallin von Frankreich.

– O, ich will nicht! rief Caroline schluchzend; ich habe schon längst einen Geliebten. Er ist kein Marschall; aber viel jünger und schöner als Du bist.

Guébriant drehte ziemlich pikirt seinen langen, schon etwas ins Weißliche spielenden, ungeheuren Schnurrbart, drehte sich auf dem Absatze und ging, verliebter als je im Leben, indeß er das alte Lied brummte:

„Et si le Roi savait
La vie que nous mênons,
Il descendait du trône
Et se ferait Dragon.“

Sans-Regret mußte, weil er mehre Rottweiler Familien kannte, es versuchen, sie zu beruhigen. Sie ward wirklich so zutraulich, daß sie dem Trompeter ihren Namen und ihre Wohnung sagte und bat, daß er sie entschlüpfen lassen möge. Als er statt dessen aber sie ernstlich ermahnte, dem Feldherrn Gehör zu geben, ward sie wieder stumm wie vorher. Eine Stunde später war die Caroline von Rottweil glücklich entkommen; Niemand wußte wie.

Das war die Dame, vor deren Hause die beiden Franzmänner hielten. Guébriant stieg ab, Sans-Regret hielt den Schimmel des Marschalls, und sah höchst ingrimmig murrend zu, wie dieser sich das Haus öffnen ließ und dann klirrend die Treppe hinan ging.

– Wohnt hier Caroline? fragte Oncle Guébriant sehr naiv.

– Ja, die Tochter vom Hause heißt so! erwiderte sehr erzürnt die Magd. Die werdet Ihr doch um so späte Abendzeit nicht besuchen wollen?

Guébriant blickte auf seinen eben nicht sehr empfehlend sehenden Anzug eines gemeinen bairischen Reiters, und erwiderte dann:

– Ja doch, Diantre! führe mich hin; Du wirst sehen: sie wird mich etwas rücksichtsvoller als Du empfangen.

Ein sehr lebhafter Wortwechsel erhob sich. Links und rechts öffneten sich Zimmerthüren [146] und heraus trat, unter mehren ältern Frauen und verschiedenen Männern, ein Mädchen, welches der Marschall augenblicklich als seine „Unbändige“ erkannte.

– Caroline! rief er. Ich hoffe, Du heißt mich in Rottweil willkommen.

– Wie? sagte der Herr vom Hause, befremdet vortretend.

Silence, Monsieur, et allez-Vous-en! sagte Guébriant.

– Guébriant! Marschall Guébriant! kreischte Caroline, die Hände zusammenschlagend. Die Franzosen! Barmherziger Gott! Hülfe! Die Franzosen sind in der Stadt!

Guébriant besann sich kurz. Dies war ein fataler Zufall. Er hörte oben im Hause Waffen klirren, deutsche Commandowörter schreien . . . Die einquartierten Baiern und Kaiserlichen stürzten die Treppen herab. Es war die höchste Zeit, sich zu entfernen . . . Guébriant schwang sich eben in den Sattel, als die Infanteristen aus dem Hause kamen. In gestrecktem Galopp sprengten die Franzosen von dannen, während Sans-Regret fluchte, daß den Pflastersteinen hätten die Haare zu Berg stehen sollen.

– Still doch! rief Guébriant. So horche doch nur!

Gewehrschüsse knallten in der Ferne. Ordonnanzen jagten im vollen Laufe durch die Straßen. Trommelwirbel donnerte an allen Ecken. Die Glocken wurden geläutet.

Die ganze Bevölkerung stürzte halbnackend vor die Thüren. Die Soldaten, nach der Ostseite der Stadt commandirt, liefen in Massen nach dem westlichen Thore. Es war klar, die Franzosen stürmten.

Guébriant und Sans-Regret erreichten sehr bald, rücksichtslos durch das Getümmel sprengend, das Thor. Hier waren nur erst geringe Streitkräfte vorhanden.

En Avant! rief der Marschall. Abgesessen, Camerad. Hier ist der „Oncle“ nur noch ein gemeiner Soldat.

Die Franzosen zogen die Schwerter und bahnten sich: Vivo le Roi! schreiend, einen Weg durch die erschrockenen Baiern, welche mit Entsetzen zu sehen meinten, daß die französischen Colonnen schon in der Stadt seien und sie im Rücken angriffen. So gelangten sie zum Fallgatter. Der Marschall sprengte das Schloß durch einen Pistolenschuß und kaum erhob sich das Thor, so krochen unaufhaltsam die Schweizer und die Musketiere vom Orleannois durch die Oeffnung, bis gleich darauf Helme und Federhüte, Hellebarden, Musketen sich in dichten Massen in die Stadt drängten.

Die Baiern kamen heran; ein kurzes aber entscheidendes Gefecht begann. Die Franzosen warfen Alles vor sich zurück und waren in einer Stunde vollkommen Meister der Stadt. Jetzt erst fing das immer mit größerer Bestürzung vorgenommene Nachforschen nach dem Feldherrn an, den Jeder während des Kampfes irgend anderswo beschäftigt geglaubt hatte. Er blieb abwesend.

Am andern Morgen, als die Leichen weggeräumt wurden, fand man den Marschall Guébriant sammt seinem getreuen Sans-Regret dicht neben dem Thore liegen. Guébriant war durch einen Musketenschuß und Sans-Regret durch einen Hellebardenstoß getödtet . . .

Das Heer trauerte lange um seinen „Oncle“. Der Herzog von Enghien nahm, als der [147] Nächste nach ihm, bis zur Ankunft Turenne’s den Oberbefehl an, welcher an der Spitze seiner Truppen die letzten Phasen des dreißigjährigen Kriegs bis zum baldigen Frieden von Münster und Osnabrück gestalten half.