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und heraus trat, unter mehren ältern Frauen und verschiedenen Männern, ein Mädchen, welches der Marschall augenblicklich als seine „Unbändige“ erkannte.

– Caroline! rief er. Ich hoffe, Du heißt mich in Rottweil willkommen.

– Wie? sagte der Herr vom Hause, befremdet vortretend.

Silence, Monsieur, et allez-Vous-en! sagte Guébriant.

– Guébriant! Marschall Guébriant! kreischte Caroline, die Hände zusammenschlagend. Die Franzosen! Barmherziger Gott! Hülfe! Die Franzosen sind in der Stadt!

Guébriant besann sich kurz. Dies war ein fataler Zufall. Er hörte oben im Hause Waffen klirren, deutsche Commandowörter schreien . . . Die einquartierten Baiern und Kaiserlichen stürzten die Treppen herab. Es war die höchste Zeit, sich zu entfernen . . . Guébriant schwang sich eben in den Sattel, als die Infanteristen aus dem Hause kamen. In gestrecktem Galopp sprengten die Franzosen von dannen, während Sans-Regret fluchte, daß den Pflastersteinen hätten die Haare zu Berg stehen sollen.

– Still doch! rief Guébriant. So horche doch nur!

Gewehrschüsse knallten in der Ferne. Ordonnanzen jagten im vollen Laufe durch die Straßen. Trommelwirbel donnerte an allen Ecken. Die Glocken wurden geläutet.

Die ganze Bevölkerung stürzte halbnackend vor die Thüren. Die Soldaten, nach der Ostseite der Stadt commandirt, liefen in Massen nach dem westlichen Thore. Es war klar, die Franzosen stürmten.

Guébriant und Sans-Regret erreichten sehr bald, rücksichtslos durch das Getümmel sprengend, das Thor. Hier waren nur erst geringe Streitkräfte vorhanden.

En Avant! rief der Marschall. Abgesessen, Camerad. Hier ist der „Oncle“ nur noch ein gemeiner Soldat.

Die Franzosen zogen die Schwerter und bahnten sich: Vivo le Roi! schreiend, einen Weg durch die erschrockenen Baiern, welche mit Entsetzen zu sehen meinten, daß die französischen Colonnen schon in der Stadt seien und sie im Rücken angriffen. So gelangten sie zum Fallgatter. Der Marschall sprengte das Schloß durch einen Pistolenschuß und kaum erhob sich das Thor, so krochen unaufhaltsam die Schweizer und die Musketiere vom Orleannois durch die Oeffnung, bis gleich darauf Helme und Federhüte, Hellebarden, Musketen sich in dichten Massen in die Stadt drängten.

Die Baiern kamen heran; ein kurzes aber entscheidendes Gefecht begann. Die Franzosen warfen Alles vor sich zurück und waren in einer Stunde vollkommen Meister der Stadt. Jetzt erst fing das immer mit größerer Bestürzung vorgenommene Nachforschen nach dem Feldherrn an, den Jeder während des Kampfes irgend anderswo beschäftigt geglaubt hatte. Er blieb abwesend.

Am andern Morgen, als die Leichen weggeräumt wurden, fand man den Marschall Guébriant sammt seinem getreuen Sans-Regret dicht neben dem Thore liegen. Guébriant war durch einen Musketenschuß und Sans-Regret durch einen Hellebardenstoß getödtet . . .

Das Heer trauerte lange um seinen „Oncle“. Der Herzog von Enghien nahm, als der

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Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 361. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/378&oldid=- (Version vom 1.8.2018)