Die Heldburg und der Straufhain

CCLVI. Der Mälarsee; Gripsholm Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band (1839) von Joseph Meyer
CCLVII. Die Heldburg und der Straufhain
CCLVIII. Karlsruhe
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DIE HELDBURG   DER STRAUCHHAYN

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CCLVII. Die Heldburg und der Straufhain.




Auf! mein wanderungsrüstiger Leser! Auf und schwinge dich mit deinen Geistesfittigen zurück an’s Gestade des Vaterlandes, schwinge dich über die weiten Ebenen und breiten Gewässer seines Nordens meinen heimathlichen Bergen zu, durchirre ihre kühlen, schattigen Thäler, die grauen Burgen auf ihren sonnigen Höhen voll Erinnerungen meiner Jugend und senke den Blick von Thüringens Zinnen dorthin, wo ein reiches, mühevolles Wirken und treue, aufopfernde Liebe mir ein Leben voll lauter Sorge und voll stillen Glücks beschieden. Siehst du die zwei Bergschlösser dort drüben auf den Waldkuppen, die, von der Abendsonne beleuchtet, über der Gegend glänzen? Das zur Linken ist die Heldburg, jenes rechts der Straufhain, – die uralten Grenzwächter des Frankenlandes und der Schmuck meiner zweiten Heimath. Näher – dort, wo der Werra Silberband aus dem Grunde schimmert – liegt Hildburghausen, und wenn du sonst verweilen magst, kannst du in dem kleinen Städtchen einen weiten Kreis recht gebildeter Menschen finden und manches Biedermannes Hand drücken, nicht von Eisen, wie die des alten Götz von Berlichingen, sondern kraftvoll und warm, und einem deutschen Herzen so nahe, wie Götzens Linke. Die Burg des Fürsten ist zwar seit 3 Lustren verwaist, die Schaar der Schranzen und Trabanten folgte dem alten Stern in’s neue Land, oder dreht sich, von der neuen Sonne angezogen, in einem entfernteren Kreise; Gras und Unkraut wachsen auf dem Schloßhofe, und des Hofes Saat wuchert wohl auch anderwärts noch fort; aber das Unkraut verdirbt doch nach und nach, und aus manch besserm Korn keimt ein besseres Geschlecht. Auch hier liegt für die Masse, – denn im Kreise der Gebildeten konnte der kleine Hof sich nie als Lebensprinzip geltend machen, – die glücklichere Zeit noch zuckend in den Geburtsschmerzen und die Noth wird noch gewaltig an die Pforten der Zukunft pochen müssen, ehe der alte Dämon weicht und der Genius zur Herrschaft gelangt, welcher für des Städtchens Glück keine andere Grundlage anerkennt, als beharrlichen Fleiß, gewerblichen Sinn, Sittlichkeit und Rechtschaffenheit seiner Bewohner.

Lassen wir die Stadt; unser Ziel sind heute die Berge, die Ruinen. – Von Hildburghausen führt der Weg zur nächsten, dem Straufhain, südwärts, auf der Coburger Straße, über eine mäßige Höhe in einen weiten, von lieblichen Gründen durchfurchten Gau, und die größere Fruchtbarkeit und der lauere, mildere Hauch der Winde verrathen den Uebertritt in das gesegnete Frankenland. Ueppiger stehen die Saaten, schöneren Wuchses ragen die [61] Bäume, und größeres Obst blinkt aus den Gärten der ansehnlichen Dörfer dieser Landschaft, deren Gewässer schon dem Main zueilen, während die eben verlassene noch dem Werragebiet zugehört. In Seidingstadt, 2¼ Stunden von Hildburghausen, einem großen Dorfe, dessen hübsches, anspruchloses Schlößchen mit freundlicher Gartenanlage ehedem der Hildburghäuser Fürstenfamilie zur Sommerresidenz diente, und das noch jetzt zur schönen Jahreszeit für einige Glieder des Hauses der trauliche Vereinigungspunkt ist, nehmen wir einen Führer, um den mit dichter Laubwaldung bewachsenen Basaltkegel zu erklettern, auf dessen Spitze die alte Burg ihr viereckiges Mauerhaupt stolz über alle Wipfel trägt. Eine Allee reicht bis zum Fuße, und ein Fahrweg windet sich von da schneckenförmig hinan, während den Fußgänger, der das Klettern nicht scheut, schmale, an steilen Wänden oft treppenartige Pfade durch dichtverwachsenes Gestrüpp gerade zum Gipfel leiten.

Während des Steigens hat sich um den Kletternden, ihm selbst unbewußt, (denn das Gehölz verhindert jede Aussicht), eine große Welt entfaltet, und wenn er endlich, ermüdet, aus dem Dickicht hervortritt und er die Spitze des Kegels, von dem das gewaltige Mauerwerk in die Lüfte starrt, erreicht hat, öffnet sie sich ihm mit Einem Male. Vor dieser schönsten aller Rundsichten der Gegend flieht die Ermüdung, sinkt alle kleinliche Sorge des Erdenlebens und mit der reinern höhern Luft zieht in die Brust das Gefühl der Freiheit ein und der Nähe der ewigen Heimath. Froh und mit kindlichem Vertrauen blickt der Mensch bald in die im Zitterglanze der Sonne schimmernden, buntgekleideten Fernen hinaus, bald auf die mit rankendem Gesträuch und Wurzeln umklammerten Felsen und Mauern, oder er horcht auf das Zwitschern der jungen Schwalben und das Rufen der Käutzchen vom hohen Gemäuer, oder auf das Zirpen und Summen der Insekten, welche Bäume und Lüfte beleben, und gegenwärtig wird ihm die Liebe des Schöpfers, die Alles umfaßt und für Alles sorgt, von der Milchstraße an seinem Himmel bis zum Grashalm auf seiner Erde. Eine kühne Ahnung des Zusammenhangs steigt in ihm auf, und im Bewußtseyn seiner Gottverwandtschaft und Unvergänglichkeit wendet er sich von dem Endlichen ruhig und zufrieden aufwärts zum Aether. Er weiß, er ist kein Fremdling oder Gast im unbegrenzten Raume, sondern sein ewiger Bürger. –

Daß Tausenden vor ihm an dieser Stelle Herz und Gemüth aufgegangen, sieht er an unzählichen Zeichen. Da ist kein Baumstamm, kein entblößtes Gestein, das nicht Namens- und Erinnerungsmale trüge, und Kreise, Herzen und Sterne umschließen oft viele Namenszüge zugleich. – Der westliche Theil der Rundsicht kann da, wo die Burg ihre Mauern auf den äußersten Rand einer senkrechten Felswand aufsetzt, nur aus dem Innern der Ruine genossen werden, deren Fensteröffnungen durch den Schutt der eingestürzten Zwischenmauern theilweise zugänglich geworden sind. Hier ist die Aussicht überschwänglich schön, zumal wenn die scheidende Sonne in den Wellen ihrer Goldfluth die Fernen taucht und das Himmelsgewölbe mit allen Abstufungen des tiefsten Blaus bis zum glühendsten [62] Roth bemalt. Jeder Hügel trägt dann eine verschiedene Farbe, gleichsam aufgehöht tritt jede hervor vom lebhaftesten Blumengelb an bis zum düstern Blaugrün der Fichten und Kiefern. Zwischen den glänzenden Wiesen wallt bläuliche Saatenfluth, funkeln die silbernen Streifen der Bäche und Teiche, flimmern die Thurmspitzen der friedlichen Dörfer, und der röthliche Abendrauch zieht an den grünen Thalwänden hin. Ueber den Wäldern aber glänzen die verfallenen Ritterburgen in den letzten Strahlen der Sonne, so feurig, als wohnte neues Leben im alten Gemäuer.

Der Umfang des Panoramas ist wenigstens 50 Stunden. Vorzüglich schön ist die Aussicht nach Süd. Nicht nur die gegenüber liegende Heldburg, und Coburg’s Schmuck, die Festung und Schloß Callenberg, so wie die Thürme der Stadt selbst, sondern auch, in größerer Entfernung, Vierzehnheiligen und Kloster Banz, ja selbst die Burgen und Schlösser tiefer im Bamberger Lande (deutlich sieht man die Thürme des Bamberger Doms und zählt die Fenster der Altenburg mit bewaffnetem Auge,) sind kenntlich, und der fernste blaue Gebirgssaum am Horizont zeigt uns das Fichtelgebirge und einen Theil der böhmischen Kette. Die Heldburg scheint so nahe zu liegen, als könnte man sie mit einem Steinwurf erreichen. Auch nach allen andern Richtungen ist der Ausblick schön und mannichfaltig; überall öffnen sich Thäler und Gründe mit nahen und fernen Ortschaften, einzelnen Rittersitzen, Weilern und Mühlen, und blicken Kirchthürme hinter den Anhöhen hervor als freundliche Zeichen der dichten Bevölkerung.

Von der Geschichte des Straufhains ist fast gar nichts auf unsere Zeit gekommen. Castrum Struf hieß das Schloß in den ältesten Urkunden. Die Gewißheit, daß das nahe Streuf- (Struf-) dorf schon im 8. Jahrhunderte vorhanden war, macht es wahrscheinlich, daß die Burg in noch früherer Zeit gestanden und eine der ältesten der Gegend ist. Sie gehörte unter die zahlreichen Zwingvesten, mit welchen die mächtigen Grafen von Henneberg die ausgebreiteten Landstriche beherrschten, welche sie theils durch die Gunst des Reichsoberhaupts, theils erobernd, durch glückliche Fehden mit ihren Nachbarn, an sich gebracht hatten. Welche Bedeutung damals die Veste hatte, geht schon aus dem Umstand hervor, daß sich von ihr Hennebergs Dynasten den Titel Grafen von Struf (COMES DE STRUFA) beilegten.

Im dreizehnten Jahrhunderte wirkte sich der mächtige Berthold von Henneberg von Ludwig dem Vierten das Recht aus, alleiniger Richter in seinem Lande zu seyn, das er in mehre Zentsprengel theilte, in welchen er selbst, unter dem Beistand seiner Gerichtsschöffen, jährlich zu gewisser Zeit, unter freiem Himmel, Streitigkeiten schlichtete und zu Recht sprach. Alles wurde, wie sich begreifen läßt, mündlich verhandelt, Jeder führte seine Sache selbst, denn Advokaten gab’s damals nicht. Ein weises Gesetz bestimmte, daß, wer den Andern verklagte, seine Klage aber nicht vor dem Richter erweisen konnte, der Kläger eben die Strafe zu erleiden hatte, wie der Beklagte, im Fall dieser [63] des Verbrechens überführt worden wäre. Da hatte die Prozeßsucht Damm und Riegel. Schatten dieser altdeutschen Gerichtsverfassung haben sich noch jetzt in dem Namen der Zentgerichte erhallen. In verjüngten und zeitgemäßen Formen lebt sie bei uns in den Friedensgerichten wieder auf.

Auch Strauf war der Sitz eines Zentgerichts. Mit dem Amt des Burgvogts verband ein Graf von Henneberg den Erbtitel eines Marschalks, von dem zwei noch jetzt blühende Familien den üblichen Namen entlehnen. Zu den Zeiten des Faustrechts fiel Struf durch Verpfändung an die Familie Heßberg, und später wechselte es seine Besitzer noch öfters, von denen sich manche durch Wegelagerei und Fehde berüchtigte Namen erwarben. Zerstört wurde es, wie die meisten hennebergischen Schlösser und Vesten, im Bauernkriege, und seitdem ist’s Ruine. Ein gewaltiger, viereckigter Thurm, unverwüstlicher als der Felsen, auf dem er gebaut wird, steht noch aufrecht, von allen andern Gebäuden aber erheben sich nur geringe Spuren über den Boden.

Südwärts von Strauf, anderthalb Stunden davon, auch auf einer Basaltkuppe, liegt die Heldburg. Das in der breiten, fruchtbaren Aue zu ihren Füßen ruhende Städtchen mit demselben Namen nimmt sich von ferne in seinem thurmbesetzten Mauergurt gar ernst und ansehnlich aus und läßt Erwartungen zu, die freilich das Innere nicht befriedigt. Unmittelbar am Burgberge stehen die Wohn- und Wirthschaftsgebäude eines herzoglichen Kammerguts, des Neuhofs, und hier verläßt der Weg das Thal und die Heerstraße und geht aufwärts zur uralten Veste.

Der Pfad ist steil, doch anmuthig; denn der ganze Berg ist mit einem dichten Kranze von Gärten und freundlichen Anlagen umgeben und auf jedem Ruhepunkte ist dem Blick eine weitere und schönere Welt geöffnet. Auf drei Viertel der Höhe laden schattige Linden und kühle, in den Felsen gehauene Bänke neben Wirthschaftsgebäuden den Ermüdeten ein, sich zu erquicken. In der schönen Jahreszeit sind die Bänke fast nie ganz leer; denn jeder heitere Tag lockt Besucher herauf aus nah und fern. Weiter hinan werden die Garten-Anlagen immer schöner und mannichfaltiger: Blumenbeete wechseln mit Rasenplätzen und einzelnen Baumgruppen, Erd- und Brombeergesträuche und wilde Rosen umschlingen die Basaltblöcke zur Seite des Wegs; bald führt dieser an Weinpflanzungen hin, bald zu Felsenvorsprüngen und Terrassen, mit Ruhebänken und von Säulen getragenen Schirmdächern, unter welchen die herrlichsten Aussichten bequem und vor den lästigen Strahlen der Sonne geschützt, genossen werden können. Der tief aus dem stahlharten Fels gesprengte Burggraben trennt die sorgfältig gepflegten Anlagen von der Burg selbst, deren äußeres Ansehen, die Menge und Größe der Gebäude, die kunstvoll geformten Fenster, die verzierten Gesimse u. s. w. auf mehr als eine gewöhnliche Ritterwohnung hindeuten. Eine Pforte führt in den mit Mauern umschlossenen Vorhof, ein gewaltiges Thor in den innern Burghof. Staunen ist das erste Gefühl des Eintretenden, Wehmuth das zweite. Ganze Wände, vom Boden an bis zum Giebel, Balkone und Söller sind mit den kostbarsten Werken der [64] altdeutschen Bildhauerkunst überdeckt, Karyatiden, – die Helden germanischer und heidnischer Sagen mit Speer und Harnisch, – tragen die Portale, humoristische Vorstellungen aus der Fabelwelt der Thiere wechseln mit den Thaten der Götter und Heiligen auf Entablaturen und Gesimsen, und Arabesken von Blumen und Laubwerk durchziehen das Ganze bald trennend oder berahmend, bald Verwandtes einigend, bald hindeutend auf verborgenen Sinn. Aber der Geist der Zerstörung und des Vandalismus hat unter diesen Werken der alten Kunst schrecklich gehaust. Viele der schönsten Figuren sind abscheulich verstümmelt, mehre der edelsten Gebäude links am Thore gänzlich eingestürzt und bis auf einige mit kühnen Kreuzgewölben versehene Räume des Erdgeschosses ein Haufe Ruinen. Schutt, längst überrast, deckt den wahren Boden des Burghofs mannshoch; denn die Eingänge zu den ältesten und nobelsten Theilen der Burg, rechts vom Burgthore, liegen tief unter dem Niveau des heutigen Bodens zur Hälfte begraben, und man kann sie nur gebückt betreten. Schon dieser Umstand zerstört das Ebenmaß der Verhältnisse; noch mehr thun dieß die gebrechlichen, geschmacklosen Bausudeleien aus dem 17. Jahrhundert, die einen widrigen Contrast zu dem alten Prachtbau machen. – Gar traurig ist die Verwüstung der innern Räume. Herzklopfend folgt man dem Führer über wankende Treppen und durch finstere Corridors über morsches, verfaultes Gebälk von Stockwerk zu Stockwerk, aus Zimmer in Zimmer, aus Saal in Saal. Dort eingestürzte Decken, hier geborstene Mauern, da drohend-überhängende Wände; Haufen von Schutt liegen auf den Fußböden, und im großen Rittersaale flatterte, als ich das letzte Mal da war, aufgeschreckt eine Eule umher. In diesem Verwüstungschaos machen die überall noch sichtbaren Zeichen vergangener Pracht eine um so tiefere Wirkung. Bildhauerarbeit ist an Gesimsen, Vorsprüngen, Thürstöcken, Fensterbrüstungen, an Kaminen und Pfeilern verschwendet und, troß der ärgsten Verstümmelung von Frevel-Händen, bewundert der Kenner in Manchem die höchste Meisterschaft ihres Bildners. Viele erinnern an den Meisel Adam Krafft’s und bestimmt sind sie, wenn nicht von ihm selbst, doch aus der Schule dieses berühmtesten Nürnberger Steinmetzen.

Nachdem man das uralte Grafen- und Fürstenhaus ein Jahrhundert lang sorglos der Verwüstung von Wind, Wetter und Menschen preisgegeben hatte, keimte unter dem letzten der Hildburghäuser Fürsten ein Interesse für seine Erhaltung und Herstellung. Mancherlei Restaurationspläne kamen auf, aber zur That wurde nichts, als eine nothdürftige Ausbesserung des Dachs und das kleinliche Aufputzen eines einzigen Gemache. – Auch unter der jetzigen Herrschaft fängt man an zu restauriren und zu flicken; aber offenbar sind die angewiesenen Mittel dem Zwecke so wenig gewachsen, daß sie nicht einmal zur Erhaltung ausreichen. Es geht hier wie mit so manchen andern Bestrebungen:

Altes erneuen, das wollen wir! Vivat, es lebe das Alte!
Aber – das Alte ist todt; Jugend nur blüht und bringt Frucht.

[65] Anstatt den alten, doch nicht mehr zu rettenden Prachtbau durch die Flickerei vollends zu verunstalten, wäre es gescheuter, man zündete ihn an und machte ihn mit Einemmale zur malerischen Ruine.

Noch verdienen der Brunnen und die Souterains eine kurze Erwähnung. An diesen Werken erkennt man den Geist der alten Zeit und ihrer Menschen; die Größe, Kraft und Ausdauer ihres Willens. Der Brunnen ist 10 Fuß im Durchmesser, aus dem härtesten Basalte gehöhlt, über 450 Fuß senkrecht tief, und hat noch jetzt, ob schon seit ¾ Jahrhunderten aller Schutt der eingestürzten Gebäude hineingeworfen worden ist, die Tiefe von 320 Fuß. – Keller, Verließe und unterirdische Gänge sind auch zum Theil aus dem lebendigen Fels gehauen und bilden ein schauerliches Labyrinth, das unter der Burg sich verzweigt. Noch zeigt man in dem tiefsten der finstern Gewölbe die alte Marterkammer, mit den ganz kleinen, schmalen Oeffnungen in der dicken Mauer und daneben das ehemalige Stübchen des Gerichtsfrohn. Der letzte starb noch in diesem Jahrhundert und dessen Vorfahre hatte vor kaum 70 Jahren der letzten Torturoperation beigewohnt. – In einem andern Gewölbe sind die Ringe noch sichtbar, an welchen die armen Gefangenen geschmiedet waren; noch die niedrigen, Schweinskoben ähnlichen Käfige von massivem Eichenholz, wo Verbrecher, oder Opfer der Gewalt, des Hasses und der Intrike, in Gesellschaft der Molche und Kröten auf verfaultem Stroh oft viele Jahre lang vergeblich auf den Tod, als ihren einzigen Erlöser, harrten. Was für Seufzer der Qual, was für Jammertöne der unerträglichen Schmerzen mögen durch diese Gewölbe gezittert haben, was für Angstschweiß und Thränen in ihnen vergossen worden seyn, während in den Prunksälen über ihnen die fürstliche Freude schwelgte. Kein Mensch wird diese Denkmale der alten Zeit ohne Schaudern betrachten, und kein Mensch, der sie gesehen hat und ein Herz im Busen trägt, jene alte Zeit zurück wünschen.


Ueber die Entstehungszeit der Heldburg hängt ein dichter Schleier. Urkundlich erwähnt wird sie zuerst im 9ten Jahrhundert, als gelegentlicher Sitz der alten Gaugrafen des Grabfeldes. Auch die zum Besitz der Burgmannen gehörigen Städte Hilpertshausen (Hildburghausen) und Heldburg waren als Dörfer bereits vorhanden. Noch im 9ten Jahrhundert kamen Burg und Herrschaft an das Hochstift Fulda, später an die Grafen von Henneberg, und endlich an das Kur- und herzogliche Haus Sachsen. Herzog Friedrich der Mittlere erfor die Heldburg, 1560, zu seiner Residenz. Er erweiterte damals das Schloß zum prächtigsten Fürstenhause der ganzen Gegend. Als Festung wurde es im 30jährigen Kriege von den Kaiserlichen zweimal erstürmt, geplündert und zum Theil niedergebrannt.

Nach der Theilung der Sächsisch-Ernest. Länder unter die Söhne Ernst des Frommen fiel die Heldburg der Hildburghäuser Linie zu, bei der sie blieb, bis sie der letzte Erbvertrag mit dem ganzen Lande an Meiningen brachte.

[66] Schön ist die Umsicht von der Heldburg, zumal von dem, obschon nicht ohne Gefahr zugänglichen, runden, halb abgetragenen, Thurme und sie bietet ein Rundgemälde dar, das 96 Dörfer, Höfe und Mühlen, über 100 benamte Berghöhen und eine Menge Schlösser, Burgen und Klöster, theils bewohnte, theils in Ruinen, umfaßt. Im Westen macht die lange Kette der hohen Rhön, im Süden, wo über die Städte Heldburg und Coburg hin, das gesegnete Frankenland sich mit seinen Städten und Flecken dem Auge bis hinter Bamberg aufthut, das Fichtelgebirge, gegen Nord der Bogen des Thüringer Waldgebirgs den Rahmen. Nur gegen Ost ist die Aussicht durch die näher rückenden Gebirgsmassen beschränkter.