Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band | |
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altdeutschen Bildhauerkunst überdeckt, Karyatiden, – die Helden germanischer und heidnischer Sagen mit Speer und Harnisch, – tragen die Portale, humoristische Vorstellungen aus der Fabelwelt der Thiere wechseln mit den Thaten der Götter und Heiligen auf Entablaturen und Gesimsen, und Arabesken von Blumen und Laubwerk durchziehen das Ganze bald trennend oder berahmend, bald Verwandtes einigend, bald hindeutend auf verborgenen Sinn. Aber der Geist der Zerstörung und des Vandalismus hat unter diesen Werken der alten Kunst schrecklich gehaust. Viele der schönsten Figuren sind abscheulich verstümmelt, mehre der edelsten Gebäude links am Thore gänzlich eingestürzt und bis auf einige mit kühnen Kreuzgewölben versehene Räume des Erdgeschosses ein Haufe Ruinen. Schutt, längst überrast, deckt den wahren Boden des Burghofs mannshoch; denn die Eingänge zu den ältesten und nobelsten Theilen der Burg, rechts vom Burgthore, liegen tief unter dem Niveau des heutigen Bodens zur Hälfte begraben, und man kann sie nur gebückt betreten. Schon dieser Umstand zerstört das Ebenmaß der Verhältnisse; noch mehr thun dieß die gebrechlichen, geschmacklosen Bausudeleien aus dem 17. Jahrhundert, die einen widrigen Contrast zu dem alten Prachtbau machen. – Gar traurig ist die Verwüstung der innern Räume. Herzklopfend folgt man dem Führer über wankende Treppen und durch finstere Corridors über morsches, verfaultes Gebälk von Stockwerk zu Stockwerk, aus Zimmer in Zimmer, aus Saal in Saal. Dort eingestürzte Decken, hier geborstene Mauern, da drohend-überhängende Wände; Haufen von Schutt liegen auf den Fußböden, und im großen Rittersaale flatterte, als ich das letzte Mal da war, aufgeschreckt eine Eule umher. In diesem Verwüstungschaos machen die überall noch sichtbaren Zeichen vergangener Pracht eine um so tiefere Wirkung. Bildhauerarbeit ist an Gesimsen, Vorsprüngen, Thürstöcken, Fensterbrüstungen, an Kaminen und Pfeilern verschwendet und, trotz der ärgsten Verstümmelung von Frevel-Händen, bewundert der Kenner in Manchem die höchste Meisterschaft ihres Bildners. Viele erinnern an den Meisel Adam Krafft’s und bestimmt sind sie, wenn nicht von ihm selbst, doch aus der Schule dieses berühmtesten Nürnberger Steinmetzen.
Nachdem man das uralte Grafen- und Fürstenhaus ein Jahrhundert lang sorglos der Verwüstung von Wind, Wetter und Menschen preisgegeben hatte, keimte unter dem letzten der Hildburghäuser Fürsten ein Interesse für seine Erhaltung und Herstellung. Mancherlei Restaurationspläne kamen auf, aber zur That wurde nichts, als eine nothdürftige Ausbesserung des Dachs und das kleinliche Aufputzen eines einzigen Gemachs. – Auch unter der jetzigen Herrschaft fängt man an zu restauriren und zu flicken; aber offenbar sind die angewiesenen Mittel dem Zwecke so wenig gewachsen, daß sie nicht einmal zur Erhaltung ausreichen. Es geht hier wie mit so manchen andern Bestrebungen:
Altes erneuen, das wollen wir! Vivat, es lebe das Alte!
Aber – das Alte ist todt; Jugend nur blüht und bringt Frucht.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/114&oldid=- (Version vom 23.11.2024)