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CCLVII. Die Heldburg und der Straufhain.




Auf! mein wanderungsrüstiger Leser! Auf und schwinge dich mit deinen Geistesfittigen zurück an’s Gestade des Vaterlandes, schwinge dich über die weiten Ebenen und breiten Gewässer seines Nordens meinen heimathlichen Bergen zu, durchirre ihre kühlen, schattigen Thäler, die grauen Burgen auf ihren sonnigen Höhen voll Erinnerungen meiner Jugend und senke den Blick von Thüringens Zinnen dorthin, wo ein reiches, mühevolles Wirken und treue, aufopfernde Liebe mir ein Leben voll lauter Sorge und voll stillen Glücks beschieden. Siehst du die zwei Bergschlösser dort drüben auf den Waldkuppen, die, von der Abendsonne beleuchtet, über der Gegend glänzen? Das zur Linken ist die Heldburg, jenes rechts der Straufhain, – die uralten Grenzwächter des Frankenlandes und der Schmuck meiner zweiten Heimath. Näher – dort, wo der Werra Silberband aus dem Grunde schimmert – liegt Hildburghausen, und wenn du sonst verweilen magst, kannst du in dem kleinen Städtchen einen weiten Kreis recht gebildeter Menschen finden und manches Biedermannes Hand drücken, nicht von Eisen, wie die des alten Götz von Berlichingen, sondern kraftvoll und warm, und einem deutschen Herzen so nahe, wie Götzens Linke. Die Burg des Fürsten ist zwar seit 3 Lustren verwaist, die Schaar der Schranzen und Trabanten folgte dem alten Stern in’s neue Land, oder dreht sich, von der neuen Sonne angezogen, in einem entfernteren Kreise; Gras und Unkraut wachsen auf dem Schloßhofe, und des Hofes Saat wuchert wohl auch anderwärts noch fort; aber das Unkraut verdirbt doch nach und nach, und aus manch besserm Korn keimt ein besseres Geschlecht. Auch hier liegt für die Masse, – denn im Kreise der Gebildeten konnte der kleine Hof sich nie als Lebensprinzip geltend machen, – die glücklichere Zeit noch zuckend in den Geburtsschmerzen und die Noth wird noch gewaltig an die Pforten der Zukunft pochen müssen, ehe der alte Dämon weicht und der Genius zur Herrschaft gelangt, welcher für des Städtchens Glück keine andere Grundlage anerkennt, als beharrlichen Fleiß, gewerblichen Sinn, Sittlichkeit und Rechtschaffenheit seiner Bewohner.

Lassen wir die Stadt; unser Ziel sind heute die Berge, die Ruinen. – Von Hildburghausen führt der Weg zur nächsten, dem Straufhain, südwärts, auf der Coburger Straße, über eine mäßige Höhe in einen weiten, von lieblichen Gründen durchfurchten Gau, und die größere Fruchtbarkeit und der lauere, mildere Hauch der Winde verrathen den Uebertritt in das gesegnete Frankenland. Ueppiger stehen die Saaten, schöneren Wuchses ragen die

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/108&oldid=- (Version vom 22.11.2024)