Seite:Meyers Universum 6. Band 1839.djvu/112

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Roth bemalt. Jeder Hügel trägt dann eine verschiedene Farbe, gleichsam aufgehöht tritt jede hervor vom lebhaftesten Blumengelb an bis zum düstern Blaugrün der Fichten und Kiefern. Zwischen den glänzenden Wiesen wallt bläuliche Saatenfluth, funkeln die silbernen Streifen der Bäche und Teiche, flimmern die Thurmspitzen der friedlichen Dörfer, und der röthliche Abendrauch zieht an den grünen Thalwänden hin. Ueber den Wäldern aber glänzen die verfallenen Ritterburgen in den letzten Strahlen der Sonne, so feurig, als wohnte neues Leben im alten Gemäuer.

Der Umfang des Panoramas ist wenigstens 50 Stunden. Vorzüglich schön ist die Aussicht nach Süd. Nicht nur die gegenüber liegende Heldburg, und Coburg’s Schmuck, die Festung und Schloß Callenberg, so wie die Thürme der Stadt selbst, sondern auch, in größerer Entfernung, Vierzehnheiligen und Kloster Banz, ja selbst die Burgen und Schlösser tiefer im Bamberger Lande (deutlich sieht man die Thürme des Bamberger Doms und zählt die Fenster der Altenburg mit bewaffnetem Auge,) sind kenntlich, und der fernste blaue Gebirgssaum am Horizont zeigt uns das Fichtelgebirge und einen Theil der böhmischen Kette. Die Heldburg scheint so nahe zu liegen, als könnte man sie mit einem Steinwurf erreichen. Auch nach allen andern Richtungen ist der Ausblick schön und mannichfaltig; überall öffnen sich Thäler und Gründe mit nahen und fernen Ortschaften, einzelnen Rittersitzen, Weilern und Mühlen, und blicken Kirchthürme hinter den Anhöhen hervor als freundliche Zeichen der dichten Bevölkerung.

Von der Geschichte des Straufhains ist fast gar nichts auf unsere Zeit gekommen. Castrum Struf hieß das Schloß in den ältesten Urkunden. Die Gewißheit, daß das nahe Streuf- (Struf-) dorf schon im 8. Jahrhunderte vorhanden war, macht es wahrscheinlich, daß die Burg in noch früherer Zeit gestanden und eine der ältesten der Gegend ist. Sie gehörte unter die zahlreichen Zwingvesten, mit welchen die mächtigen Grafen von Henneberg die ausgebreiteten Landstriche beherrschten, welche sie theils durch die Gunst des Reichsoberhaupts, theils erobernd, durch glückliche Fehden mit ihren Nachbarn, an sich gebracht hatten. Welche Bedeutung damals die Veste hatte, geht schon aus dem Umstand hervor, daß sich von ihr Hennebergs Dynasten den Titel Grafen von Struf (COMES DE STRUFA) beilegten.

Im dreizehnten Jahrhunderte wirkte sich der mächtige Berthold von Henneberg von Ludwig dem Vierten das Recht aus, alleiniger Richter in seinem Lande zu seyn, das er in mehre Zentsprengel theilte, in welchen er selbst, unter dem Beistand seiner Gerichtsschöffen, jährlich zu gewisser Zeit, unter freiem Himmel, Streitigkeiten schlichtete und zu Recht sprach. Alles wurde, wie sich begreifen läßt, mündlich verhandelt, Jeder führte seine Sache selbst, denn Advokaten gab’s damals nicht. Ein weises Gesetz bestimmte, daß, wer den Andern verklagte, seine Klage aber nicht vor dem Richter erweisen konnte, der Kläger eben die Strafe zu erleiden hatte, wie der Beklagte, im Fall dieser

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/112&oldid=- (Version vom 23.11.2024)