Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band | |
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des Verbrechens überführt worden wäre. Da hatte die Prozeßsucht Damm und Riegel. Schatten dieser altdeutschen Gerichtsverfassung haben sich noch jetzt in dem Namen der Zentgerichte erhallen. In verjüngten und zeitgemäßen Formen lebt sie bei uns in den Friedensgerichten wieder auf.
Auch Strauf war der Sitz eines Zentgerichts. Mit dem Amt des Burgvogts verband ein Graf von Henneberg den Erbtitel eines Marschalks, von dem zwei noch jetzt blühende Familien den üblichen Namen entlehnen. Zu den Zeiten des Faustrechts fiel Struf durch Verpfändung an die Familie Heßberg, und später wechselte es seine Besitzer noch öfters, von denen sich manche durch Wegelagerei und Fehde berüchtigte Namen erwarben. Zerstört wurde es, wie die meisten hennebergischen Schlösser und Vesten, im Bauernkriege, und seitdem ist’s Ruine. Ein gewaltiger, viereckigter Thurm, unverwüstlicher als der Felsen, auf dem er gebaut wird, steht noch aufrecht, von allen andern Gebäuden aber erheben sich nur geringe Spuren über den Boden.
Südwärts von Strauf, anderthalb Stunden davon, auch auf einer Basaltkuppe, liegt die Heldburg. Das in der breiten, fruchtbaren Aue zu ihren Füßen ruhende Städtchen mit demselben Namen nimmt sich von ferne in seinem thurmbesetzten Mauergurt gar ernst und ansehnlich aus und läßt Erwartungen zu, die freilich das Innere nicht befriedigt. Unmittelbar am Burgberge stehen die Wohn- und Wirthschaftsgebäude eines herzoglichen Kammerguts, des Neuhofs, und hier verläßt der Weg das Thal und die Heerstraße und geht aufwärts zur uralten Veste.
Der Pfad ist steil, doch anmuthig; denn der ganze Berg ist mit einem dichten Kranze von Gärten und freundlichen Anlagen umgeben und auf jedem Ruhepunkte ist dem Blick eine weitere und schönere Welt geöffnet. Auf drei Viertel der Höhe laden schattige Linden und kühle, in den Felsen gehauene Bänke neben Wirthschaftsgebäuden den Ermüdeten ein, sich zu erquicken. In der schönen Jahreszeit sind die Bänke fast nie ganz leer; denn jeder heitere Tag lockt Besucher herauf aus nah und fern. Weiter hinan werden die Garten-Anlagen immer schöner und mannichfaltiger: Blumenbeete wechseln mit Rasenplätzen und einzelnen Baumgruppen, Erd- und Brombeergesträuche und wilde Rosen umschlingen die Basaltblöcke zur Seite des Wegs; bald führt dieser an Weinpflanzungen hin, bald zu Felsenvorsprüngen und Terrassen, mit Ruhebänken und von Säulen getragenen Schirmdächern, unter welchen die herrlichsten Aussichten bequem und vor den lästigen Strahlen der Sonne geschützt, genossen werden können. Der tief aus dem stahlharten Fels gesprengte Burggraben trennt die sorgfältig gepflegten Anlagen von der Burg selbst, deren äußeres Ansehen, die Menge und Größe der Gebäude, die kunstvoll geformten Fenster, die verzierten Gesimse u. s. w. auf mehr als eine gewöhnliche Ritterwohnung hindeuten. Eine Pforte führt in den mit Mauern umschlossenen Vorhof, ein gewaltiges Thor in den innern Burghof. Staunen ist das erste Gefühl des Eintretenden, Wehmuth das zweite. Ganze Wände, vom Boden an bis zum Giebel, Balkone und Söller sind mit den kostbarsten Werken der
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/113&oldid=- (Version vom 4.10.2024)