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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1878
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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[457]
Aufg’setzt.
Eine baierische Bauerngeschichte.
Von Herman von Schmid.
(Fortsetzung)
Nachdruck und Dramatisirung verboten.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.

„Oho,“ rief der Grenzjäger, „die Komödie fangt vor einer Stunde noch nicht an.“

„Komödi?“ rief der Jäger geringschätzig. „In die bringen zehn Pferd’ mich nicht hinein. Draußen, in den Auen, auf den Bergen, im Walde – da ist meine Komödi, und gewiß eine schönere, als die in Eurem niedren muffigen Stadel, wo man kaum recht ausschnaufen kann. – Die Geschicht’ aber, die war so. Wie ich schon gesagt hab’ – um Michaeli war’s, da bin ich in aller Früh’ von der Matron her gegen den Steinkopf hinüber gepürscht, um einem Capitalhirschen, den ich schon ein paarmal gespürt hab’, den Wind abzugeh’n, hab’ mir aber wenig Hoffnung gemacht, denn wie ich so halbe Berghöh’ hinauf gekommen bin, ist ein Nebel angefallen, wie’s um die Zeit oft geht – so dick, daß man einen Stecken daran hätt’ anlehnen können, ohne daß er umgefallen wär’. Ist mir also nichts Anderes übrig ’blieben, als wieder heim zu gehen, und wie ich in meinem Zorn so dahin geh’, giebt auf einmal der Hund Laut; ein Fuchs springt über’n Weg; ich geb’ ihm eine Kugel nach, weil ich kein Schrot geladen hab’, und seh’ gerad noch, wie’s ihn im Feuer über und über schnellt. Zu gleicher Zeit aber seh’ ich auch, daß der Hund gescheidter gewesen ist, als ich – keine dreißig Gäng vor mir unter einer Eiche steht ein Kerl, in einem grauen Gewand, so fest an den Baum hingedrückt, daß man hätt’ glauben können, er wär’ aus derselben Rinden gemacht. Ich hab’ ihn wohl gekannt; es war ein bekannter Raubschütz, dem ich schon oft zu Gefallen gegangen war, Einer von Denen, die sich aus dem Tirol herüber schleichen und drüben das Wildpret wohlfeil machen. Ich hab’ mir oft gewünscht, daß ich ihn einmal treffen sollt’ – jetzt hab’ ich ihn getroffen gehabt, aber freilich nit so, wie ich mir’s gewünscht hab’ – mit einem einzigen geladenen Lauf in der Büchs’ und er mir gegenüber das Gewehr im Anschlage. ‚Geh’ Deiner Weg, Forstner!‘ schrie er mir zu, ‚schau nit um und zieh’ Dich links, dann ist es gerad’ so gut, als wenn ich Dich gar nit geseh’n hätt’.‘ … ‚Da hast meine Antwort,‘ rief ich ihm entgegen, ‚ich möcht’ gar zu gern wissen wie Du in der Näh’ ausschaust.‘ Damit hab’ ich losgedruckt, er aber ist wie der Blitz hinter die Eich’ gesprungen, und meine Kugel ist daran vorbei gesaust, daß sie die Rinden mitgenommen hat. Gerad’ so geschwind aber hab’ ich gespürt, daß er im Springen auch noch geschossen haben muß, denn mein linker Arm ist mir hinuntergehängt wie todt, und der Stutzen ist vor mir auf den Boden gefallen. Er hat mich in der Hand gehabt. ‚Jetzt hab’ ich Dich, Forstner,‘ rief er mir wieder zu, indem er ganz frei hinter dem Baum hervorkam und ganz nahe heran trat, sodaß ich erkennen konnte, daß er sich das Gesicht schwarz gemacht hatt’ – ‚Du hast nicht mehr geladen; jetzt könnt’ ich Dir den Garaus machen, weil Du zuerst auf mich geschossen hast. Aber Du bist ein alter Kerl, hast Weib und Kind daheim – ich will Dir Dein Bissel Leben schenken, damit Du sagen kannst, Du hast mich ganz in der Näh’ gesehen.‘“

„Frechheit ohne Gleichen und doch nicht ohne einen Zug besseren Gefühls!“ sagte der Fremde, der an der Erzählung so lebhaften Antheil genommen hatte, daß ihm die Zornröthe unter die kurzen dünnen Haare gestiegen war. „Und was thaten Sie?“

„Was hab’ ich thun können!“ sagte der Jäger lachend, indem er aufstand, Gewehr und Tasche umhing und den Dachshund lockte. „Ich hab’ Schießpulver gekaut, damit der Schuß im Arme, der höllisch wehthat, nicht sollte brandig werden, und habe mich, so gut es ging, nach Haus getrollat – aber vergessen ist es dem Kerl nicht. Ich bilde mir ein und es ist, als wenn es mir im Geist vorgeh’n thät, daß wir noch einmal zusammenkommen im Leben – dann bin ich gewiß, daß ich noch eine Kugel im Lauf hab’.“

Er ging mit kurzem Gruße. Auch die Grenzer beurlaubten sich, und der Fremde wandte sich dem Nußbaume zu, wo indessen bereits ein Dienstmädchen sich eingefunden hatte, den Tisch zu decken und für das Mittagsmahl zu rüsten. Das Fräulein war noch immer eifrig mit der Zeichnung beschäftigt; als die Magd ihr Geschäft beendigt hatte, trat sie zutraulich hinter die Künstlerin und besah über deren Schulter das entstehende Bild des Thales – ein Vorwurf, welcher des darauf verwendeten Eifers und Fleißes, wohl würdig war und den sinnigen Geschmack des Fräuleins bewies. Die sich über dem Heckenzaune ausbreitende Landschaft war so schön in den Hauptlinien, so reich an wechselnden Gegensätzen und doch so übereinstimmend zu einem Ganzen abgerundet, daß man wohl weit wandern und suchen mochte, um ein ebenbürtiges Seitenstück zu finden. Eine schöne farbenhelle Ebene mit Saaten, Wiesen und braunem Ackerlande zog sich breit dahin mit kleinen Baumgruppen, Gebüschen und kleinen Waldstreifen wie mit Sträußern besteckt; getheilt und durchblitzt von dem mächtigen Strome und all den Altwässern und Nebenbächen, mit denen er sich durch die bebuschten Auen dahin wand, umfangen

[458] von den Rücken und Schrofen der Berge, die von beiden Seiten her ansteigend sich einander näherten, nur das Felsenthor zu bilden, das sich vor Jahrtausenden der grüne Bergstrom gebrochen.

„Aber Du kannst schön zeichnen, Fräul’n!“ sagte sie nach einer Weile des Betrachtens. „Wenn es auch nur schwarze Stricheln sind, die Du machst, ist es doch gerade wie draußen, daß man jeden Punkt kennen kann.“

„Gefällt es Dir also?“ sagte das Fräulein, ohne sich näher nach dem Mädchen umzusehen.

„Wie sollt’ es mir nicht gefallen?“ war die lächelnd gegebene Antwort. „Es ist ja ein jeder Punkt zu erkennen; da drüben links über’m Inn der Heuberg mit seinen Teufelshörnern – rechts herüben die große und kleine Matron, zwischen denen der schöne Wasserfall herunterfällt, und in der Mitte weit hinten das wilde Kaisergebirg’.“

„Du bist ja recht bewandert,“ unterbrach sie das Fräulein. „Du bist selbstverständlich in der Gegend daheim?“

„Freilich,“ sagte das Mädchen, „d’rum gefallt’s mir auch so gut. Es heißt ja im Sprüchwort: Wo der Vogel geheckt ist, da ist er gern, aber ich bild’ mir ein, es müßt’ allen Leuten gefallen, die zu uns kommen.“

„Das ist auch ohne Zweifel der Fall,“ bemerkte das Fräulein, indem sie mit dem Stifte auf eine Stelle ihrer Zeichnung deutete. „Und was ist das für ein kleines Kirchlein? Hier – zu höchst oben auf dem Bergvorsprunge? Kennst Du es?“

„Gewiß, das ist der Petersberg, ein altes, uraltes Kirchel … sie sagen man wisse gar nicht recht, wann es gebaut worden ist, gewiß vor ein paar hundert Jahren, wie noch die Heiden im Land gewesen sind.“

Der Gymnasiast hatte während dessen auf seinem botanischen Ausfluge die Entdeckung gemacht, daß Nesseln sehr empfindlich brennen und daß man darauf gefaßt sein muß, eine Blindschleiche zu fassen oder eine kühle Eidechse sich über die Hand schlüpfen zu lassen; er war zurückgekommen und hatte der Unterredung zugehört, nicht ohne von Zeit zu Zeit einen forschenden und zugleich verwunderten Blick auf die Kellnerin streifen zu lassen. Der geschichtliche Schnitzer, den sie soeben gemacht, war seinem gelehrten Bewußtsein zu widerstrebend, als daß er es über’s Herz bringen konnte, denselben ungerügt vorüber gehen zu lassen. „Die Heiden? Und vor ein paar hundert Jahren?“ rief er mit überlegenem Lachen. „Das werden wohl eher ein paar Tausende sein, als hundert.“

Das Mädchen wendete sich rasch nach dem Jünglinge um, indeß ihr ein tiefes Roth der Beschämung und Verlegenheit über Stirn und Wangen flog. Dennoch unterließ sie nicht, den jungen Tadler wie fragend von oben bis unten zu messen. „Ich bin halt nit so hochgestudirt, wie Du, Bübel,“ sagte sie, „ich kann solche Sachen nit so recht zusammenraiten.“

Das Erröthen und die Verlegenheit waren nun an den jungen Geschichtskundigen gekommen, aber eh’ ihm eine geeignete Antwort eingefallen war, unterbrach ihn die Schwester, welche sich umgewendet hatte und nun ebenfalls das Mädchen mit Ueberraschung und Wohlgefallen betrachtete. Das Wohlgefallen galt der nicht gewöhnlichen Schönheit, die Ueberraschung ihrer ganz ungewöhnlichen Kleidung. Die Züge des Angesichts waren von anmuthiger Regelmäßigkeit, frische Wangen und noch frischere Lippen erhöhten den Eindruck, welcher noch durch die lebhaften blauen Augen und durch das reiche blonde Haar erhöht und gerundet wurde, welche in zwei starker bebänderten Zöpfen über eine Art stehender Spitzenkrause und ein mit Goldborten besetztes dunkles Sammetleibchen hinab fielen. Das ebenfalls reich bordirte, zum größten Theil von einer weißen Wirthschaftsschürze bedeckte Kleid war leicht aufgeschürzt und ließ die rothen Stiefelchen sichtbar werden, in welche die Füße geschnürt waren. Um die Stirn war zum Ueberfluß ein Diadem mit mächtigen bunten Steinen geschlagen.

„Aber, Mädchen, wie siehst Du denn aus?“ sagte das Fräulein mit leichtem Lächeln. „Bist Du denn nicht die Kellnerin hier im Haus, und das ist doch kein Anzug für eine Kellnerin?“

„Ich bin nicht die Kellnerin,“ war die Antwort des Mädchens, „ich bin blos zur Aushülf da wegen der vielen Leute, und weil ich keine Zeit mehr hatt’ zum Umkleiden, hab’ ich gleich mein Spielgewand angezogen, ich bin ja auch bei der Komödien; ich bin eine von den Ritterinnen …“

„Ritterinnen!“ platzte der Student mit lautem Lachen heraus. „Das ist das Allerneuste, was es giebt.“

„Sei nicht unartig, Karl!“ mahnte die Schwester, „bringe das gute Mädchen nicht in Verwirrung!“ Die Besorgniß war aber diesmal nicht begründet. Die Ritterin schien nun schon gefaßt und auf solche Angriffe vorbereitet.

„Was ist denn da zum Lachen?“ fragte sie. „Die Frau Genoveva, wie ihr Herr Pfalzgraf fort ist in den Krieg, wird wohl auch diemalen Besuch gehabt haben, und wie sollen denn die Frauen anders heißen, die sie in Heimgarten eingeladen hat und zum Kaffee?“

„Kaffee!“ kreischte Karl und lachte unbändiger. „Das kommt ja immer schöner. Ritterinnen und Kaffee! – Kaffee – zu einer Zeit, wo Amerika noch gar nicht entdeckt war! Weißt Du denn das nicht?“

„Nein,“ sagte das Mädchen gelassen, „das weiß ich nicht und geht mich auch nichts an; wenn die Ritterinnen zur Pfalzgräfin in Heimgarten gekommen sind, wird sie ihnen doch mit ’was aufgewartet haben; da schickt sich der Kaffee doch am besten – eine Brennsuppen kann sie ihnen doch nicht vorsetzen.“

„Ereifere Dich nicht, Mädchen,“ sagte das Fräulein begütigend, während der Student einen Gang in den Garten der Fortsetzung des Gesprächs vorzog. Hier wurde er auf den in der Ecke befindlichen Bretterverschlag aufmerksam, weil der Spitz des Hauses in demselben am Boden eine Lücke aufgeschnüffelt hatte, in welche er zu kriechen versuchte; da dies nicht anging, begann er den Boden davor aufzuscharren.

„Laß Dich das Gerede nicht anfechten und bleibe bei Deiner Ritterin und Deinem Kaffee!“ fuhr das Fräulein zu reden fort, nachdem der Student gegangen. „Sage mir lieber, da ich doch mit dem Zeichnen aufhören muß, was das für eine Ruine ist, die da unterhalb des Kirchleins auf dem niedrigen Vorsprung liegt?“

„Du meinst den Falkenstein?“ rief das Mädchen vergnügt. „Das ist ein altes verfallenes Geschloß, von dem fast nichts mehr übrig ist, als der große viereckige Thurm da und die spitzige Wand, wo einmal die Capellen g’standen ist. Da ist’s wohl schön, und gerade herunter, gerad’ vor dem Mauerwerk, da das kleine Häuserl, das Du so accurat gezeichnet hast, da ist mein Heimathl; da solltest einmal hinaufsteigen; Dir thät’s gewiß auch da gefallen.“

„Warum glaubst Du das?“ entgegnete das Mädchen.

„Warum? Weil Du so schön zeichnen kannst, und weil Du Dich so gut auf die Gegenden verstehst, und nachher –“ setzte sie etwas zögernder hinzu, „weil Du eine so gute freundliche Fräul’n bist und ich’s gern hätt’, wenn Du mein Heimathl sehn und mich heimsuchen thätst. Ich mein’ überhaupt, Du solltest ein paar Tag, oder ein paar Wochen, oder noch länger in der Gegend bleiben; es thät Dir gewiß gut, denn wir haben gar einen gesunden Luft und mir kommt’s vor, als wenn Du den ’brauchen könnt’st. Du bist gar so bleich und kommst mir vor, wie ein niedergeregnet’s Blüml.“

Sie hatte das Fräulein an der Hand gefaßt und sah ihr zutraulich in die Augen. Ehe diese etwas zu erwidern vermochte, erklang vom Hause her eine Stimme, der es anzuhören war, daß sie wohl eingeübt war auf’s Befehlen und lautes Rufen. „Gertl,“ rief sie, „wo steckst so lang? Aufgetragen! Das Essen ist fertig.“

„Das geht mich an,“ rief die Ritterin. „Die Wirthin wird zanken, daß ich mich so verschwätzt habe.“

Eilend wollte sie dem Rufe folgen, aber es ging nicht so schnell, wie sie vorhatte, denn mit gleicher Geschwindigkeit kam Karl ihr von dem Verschlage her in den Weg gerannt.

„Das Thier dort in der Umzäunung,“ rief er, „ist wild geworden, weil der Spitz immer darauf hinbellt; ich glaube, der Rehbock will über das Geländer springen.“

„Rehbock?“ sagte Gertl mit dem unverkennbaren Ausdruck der Ueberlegenheit in dem hübschen Gesicht. „Das läßt er wohl bleiben – übrigens ist es gar kein Rehbock, sondern eine Hirschkuh, die wir zur Genoveva brauchen und Hirschkühe hat es schon gegeben, lang bevor das Amerika entdeckt worden ist.“

Den verdutzten Gelehrten seiner Beschämung überlassend, ging sie zu dem Verschlage und beschwichtigte das erschreckte Thier; es schien sie sehr wohl zu kennen, kam ihr zutraulich näher und kauerte dann beruhigt in der Ecke nieder.

[459] Bald war das Mahl aufgetragen und wurde mit vollster Befriedigung verzehrt; die Fische waren trefflich zubereitet und auch die Hühner entsprachen vollkommen dem wohlgegründeten Rufe ihrer Zubereitung. „Was meinst Du, Lina?“ sagte der befriedigte Vater, „mir gefällt es hier, und ich hätte nicht übel Lust, statt in Oberaudorf hier unser Standquartier aufzuschlagen und den freundlichen Ort zum Standpunkt unserer Ausflüge zu machen. Ich denke, Du sollst Dir nach Tisch die Zimmer, die wir haben können, und die Betten besehn, und wenn sie entsprechen, wie ich hoffe, wollen wir hier bleiben, wo es mich recht angenehm anheimelt. Es wird sich wohl Gelegenheit finden, unser vorausgeschicktes Gepäck hierher bringen zu lassen – dann sind wir durch nichts gebunden, und auf einer Ferienwanderung, wie die unsere, sind solche rasche Entschlüsse oft vom angenehmsten Erfolge.“

Lina fand gegen den Plan nichts einzuwenden, und als Gertl wieder kam, um abzuräumen, schickte sie sich an, mit ihr und dem Wirthe, der ebenfalls herbeikam und mit lebhafter Befriedigung das Vorhaben seiner Gäste vernahm, die Besichtigung der Zimmer vorzunehmen.

Aber auch dies sollte nicht ohne kleinen Aufenthalt geschehen. Wohl hatte sich Spitz eine Weile dem Rufen und Abwehren gefügt, die Hirschkuh in Ruhe gelassen und sich mit den Abfällen der Mahlzeit beschäftigt, jetzt aber erhob er von Neuem sein Gekläff und belferte vor der Stelle des Heckenzauns, wo sich schon vorher das nicht beachtete Huschen und Rauschen hatte hören lassen. Gertl eilte hinzu, um nachzusehen, fuhr aber mit einem halben Aufschrei des Schreckens zurück, der auch den Wirth in die Nähe rief.

Eine wunderliche Gestalt hob sich unter einem größeren Heuschober auf, in dem sie sich im Winkel vergraben gehabt hatte.

Der Schrecken des Mädchens über den unerwartete Anblick war wohl erklärbar. Es war ein Krüppel der bedauernswerthesten Art, der mit der Verlegenheit des Stumpfsinnes der rasch versammelten Gesellschaft gegenüber stand. Die kräftigen Glieder steckten in einem zerrissenen und buntgeflickten Gewande, wie es einem Bettler zustand; das eine Bein war lahm und durch einen plumpen Stelzfuß gestützt. Wirres rothes Haar sträubte sich um die halb verdeckte Stirn; ein verwilderter Bart von gleicher Farbe hing fast auf die Fetzen des verschossene Lodenwammses herab. Mit einem lallenden „Bitt gar schön“ hielt er einen elenden, lumpigen Hut vor sich hin. Das Einzige, was nicht recht zu der ganzen Erscheinung stimmen wollte, war der ungewöhnliche Glanz der Augen, die unter den buschigen Brauen hervorblitzten und unbewegt wie starr an Gertl hangen blieben – ein letzter trügerischer Rest einer vielleicht tüchtigen, im Elend untergegangenen Menschlichkeit.

„Der Tiroler Stummerl!“ rief der Wirth halb lachend, halb ärgerlich. „Das hat man sich einbilden können, daß der heut nicht ausbleiben wird. Brauchen nicht zu erschrecken,“ fuhr er dann zu den Gästen gewendet fort, „es ist nichts zu fürchten mit dem Menschen – es ist ein halbstummer Bettelmann aus Tirol, der sich überall nach Baiern hereinschleicht, wenn irgendwo eine Festivität los ist, bei der er glaubt, es könnte auch für ihn etwas abfallen. – Wie bist Du nur da hereingekommen?“ fuhr er dem Bettler zugewendet fort, der zur Antwort mit lachendem Grinsen nach der Ecke deutete, wo sich in der Hecke eine von innen nicht leicht zu bemerkende Lücke zeigte.

„So? Da bist herein?“ begann der Wirth wieder. „Gut, daß ich’s jetzt weiß – jetzt werd’ ich dafür sorgen und das Loch zustopfen, daß mir keine solchen ungebetenen Gäste mehr herein kommen. Aber jetzt mach’, daß Du hinauskommst! Geh’ in die Kuchel und laß Dir ’was zu essen geben und komm’ mir nicht wieder, sonst kommst Du nicht so gut fort.“

Grinsend und nickend schickte der Bettler sich an, durch den Garten hinaus zu humpeln, aber immer noch hafteten seine Augen auf Gertl; es schien, als ob er sich nicht satt sehen könne an ihr: mitten im Geh’n hielt er sogar inne und that ein paar Schritte auf das Mädchen zu, daß dasselbe abermals erschreckend zurückfuhr.

„Was der Mensch nur von mir will?“ rief sie. „Er thut ganz bekannt mit mir.“

„Wirst ihm halt gefallen, Gertl!“ ewiderte lachend der Wirth. „Kannst Dir ’was einbilden auf die Eroberung.“

Sie schritten dem Ausgange entgegen, hinter ihnen Lina, um sich die Zimmer zeigen zu lassen. Der alte Herr kehrte zum Nußbaum und der dort aufgepflanzten Weinflasche zurück; leerte noch sein gefülltes Glas und lehnte sich an den Stamm des Baumes, um sich dem daheim wohl gewohnten Vergnügen eines Mittagsschläfchens hinzugeben.

Es sollte ihm nicht so gut werden.

Kaum begann der Schlummerthau sich auf seine Augen zu senken, als es ihm wie eine rauhe Hand über das Antlitz fuhr und den süßen Tropfen von den Wimpern wischte. Aus dem Hauseingang war ein Schrei erklungen, scharf und schrill, wie nur das Entsetzen oder der daran grenzende Schrecken einer schmerzlichen Ueberraschung ihn aus der menschlichen Kehle hervorzurufen vermag. Die Stimme kam ihm bekannt vor – es war ihm, als ob Lina ein Unfall zugestoßen sein könnte – er eilte den Hügel hinab. Allein schon vor der Thür kam ihm Karl, der wach und flinker gewesen war, entgegen und rief ihm zu, er solle nicht erschrecken; Schwester Lina sei unwohl geworden.

Er fragte nicht nach der Ursache, aber er verdoppelte seine Schritte, und die flüchtig ihn anwandelnde Blässe ließ errathen, wie sehr sein Herz an dem Mädchen hing, wenn er auch dem Knaben nichts anderes antwortete als ein barsches: „Wird nichts zu bedeuten haben! Sie hat wohl wieder einmal in die Hitze hinein getrunken.“

Den Anblick, der ihm im Hause bevorstand, mochte er nicht erwartet haben. Umringt von einem Knäul erregt durch einander redender Menschen, von denen jeder den Unfall zu erklären und ein Mittel dafür zu geben suchte, lehnte seine Tochter, in Wahrheit einer geknickten Lilie gleichend, mit schlaff herabhängenden Armen, mit dem Haupte rückwärts gelehnt in den Armen eines Mannes, in dessen gewinnender Erscheinung sich die volle Blüthe der Jugend mit der heranreifenden Kraft schöner Männlichkeit um den Vorrang zu streiten schien. Das kräftig geschnittene Angesicht war von einem dichten schwarzen Vollbarte umrahmt, während das Haupthaar, an der Stirn gescheitelt, lang und frei über Rücken und Schultern fiel. Neben ihm am Boden lagen seine Geräthschaften, die ihm entfallen waren, als er der Umsinkenden beisprang – es waren die eines auf der Studienreise befindlichen Malers – der starke Mann schien Mühe zu haben, die trotz der Erschlaffung leichte Last des schönen Mädchens aufrecht zu erhalten; seine Arme und Hände bebten im Krampfe der Leidenschaft, und in den Augen flimmerte es wie eine im Werden erstickte Thräne.

De herantretende Vater hatte rasch seine volle Fassung wieder gewonnen. Alles drängte und redete auf ihn hinein, und besonders der Wirth ließ nicht nach, zu wiederholen, wie das Fräulein kaum bis an die Mitte der Flur gekommen war, als sie laut aufgeschrieen habe und zusammengeknickt sei wie ein Taschenmesser, wie es ein wahres Glück gewesen sei, daß gerade im nämlichen Augenblick der Herr Maler in die Thür getreten sei, Alles weggeworfen und sie aufgefangen habe, sonst wäre sie vollends hingestürzt und hätte sich auf dem Pflaster sicher weh gethan.

Der Vater achtete nicht auf das Gerede; gelassen und sogar kalt war er zu dem Maler getreten und hatte ihm die Besinnungslose eben in dem Momente abgenommen, als sie aus der Ohnmacht wieder zu erwachen begann. Sie hob die Hände nach Auge und Stirn empor, blickte verwirrt umher, als sie das Antlitz des Malers über sich gebeugt sah und seine Arm um ihren Leib geschlungen fühlte, dunkelte eine tiefe Röthe der Scham und der Entrüstung ihr bis auf Hals und Nacken hinab. Hastig riß sie sich los, um sich, in Schmerzliches Schluchzen ausbrechend, in die Arme des Vaters zu werfen und ihr Gesicht an seiner Brust zu verbergen.

„Wie oft habe ich Dich schon gewarnt, unfolgsames Kind,“ sagte er mit warmer Herzlichkeit, „Dich vor plötzlicher Abkühlung in Acht zu nehmen! Beruhigt Euch, meine lieben Leute! Es ist nichts Bedenkliches dabei; es ist nichts, als daß das Mädchen von draußen aus der Sommerhitze unvermittelt in die kühle Hausflur eingetreten ist. – Geh’, mein Kind!“ setzte er noch milder hinzu, indem er ihr die Stirn streichelte, „laß Dir, wie Du ohnehin vorgehabt, unsere Zimmer zeigen und suche eine Gelegenheit, auszuruhen und Dich zu erholen! In einer halben Viertelstunde ist Alles vorüber – ich kenne ja meine entschlossene Tochter.“

[460] Er schien die richtige Saite berührt zu haben: Lina reichte ihm die Hand und wandte sich festen Schritts, beinahe als wenn nichts vorgefallen wäre, der Treppe in’s obere Stockwerk zu; sie stieg die Stufen hinan und wies die Unterstützung Gertl’s zurück, die ihr mitleidsvoll, wie sie dem ganzen Vorfalle zugesehen zur Seite schritt.

Der Vater schien bisher den hülfreichen Künstler gar nicht gewahr geworden zu sein; als Lina auf der Treppe verschwunden war, nahte er demselben und redete ihn mit kurzer Verbeugung in einem Tone an, dessen Kälte sich zu der Wärme seines früheren verhielt, wie der Eishauch in den sibirischen Zobelwäldern zu dem lauen Blüthenathem, der durch Andalusiens Myrtenbüsche fächelt.

„Der Anstand fordert, daß ich für Ihre Hülfeleistung danke, Herr von Linkow,“ sagte er. „Ich thue es hiermit in aller Kürze, da doch, wie ich annehmen zu dürfen glaube, keine Aussicht besteht, Ihnen wieder zu begegnen.“

Linkow war seiner augenblicklichen Bewegung ebenfalls schnell Herr geworden; frostig, aber mit der Art des vollendeten Weltmannes erwiderte er, seine Geräte zusammenraffend und sich anschickend, das Haus wieder zu verlassen: „Es ist nichts geschehen, Herr Oberforstrath, was irgend dankenswerth wäre – aber mich werden Sie zu lebhaftem Danke verpflichten, wenn Sie die Ueberzeugung mit sich nehmen, daß diese Begegnung ein reines Werk des Zufalls war. Eine große Gebirgslandschaft hat mich bestimmt, Berlin, wo ich für immer zu bleiben gedachte, noch einmal zum Zwecke einer Studienreise zu verlassen, die mich nach Brandenburg führte – dem beliebten Sammelpunkte der Maler, wie Ihnen bekannt sein dürfte. Ich kann daher nur auf’s Tiefste bedauern, wenn mein Erscheinen dahier der unselige Anlaß …“

Der Oberforstrath ließ ihn nicht aussprechen. „Sie sind in großem Irrthume, Herr von Linkow,“ sagte er, „wenn Sie das Unwohlsein meiner Tochter mit Ihrem Erscheinen in Beziehung bringen. Das Zusammentreffen beider Umstände ist ein reines Werk des Zufalls; Lina hat sich einfach verkühlt und wird sich in wenig Augenblicken erholt haben. Was aber das Vorkommen von Rückfällen betrifft, so werde ich zu sorgen wissen.“

„Das wird unnöthig sein, Herr von Waldner,“ entgegnete Linkow; „so lange mein Brandenburger Aufenthalt dauert, wird sich keinerlei Gelegenheit ergeben, weder zu Rückfällen noch Zufällen; darauf gebe ich Ihnen mein Wort.“

Eine knappe Verbeugung, und die Männer trennten sich; Linkow verließ das Haus. Waldner wandte sich der Treppe zu, um in’s obere Stockwerk zu gelangen und sich von Lina’s Befinden zu überzeugen.

(Fortsetzung folgt.)



Ein Königshof vor hundert Jahren.
Zur Beherzigung für heute.

Jeder unbefangene Beurtheiler wird den Kopf schütteln, wenn er die socialistischen Umstürzler unserer Tage mit dem Wirthshauspathos der Phrase über Elend, über unerträglichen Druck, über Aussaugung durch die höheren Classen, „welche sich vom Schweiße des Arbeiters nähren“, declamiren hört. Daß der arbeitende Mann nichts zu wünschen übrig hätte, wird Niemand behaupten; daß er seine Lage zu bessern trachtet, wird ihm Niemand verdenken. Aber daß jene aufgebauschten Phrasen nichts als ein künstliches Aufwiegelungsmittel sind, um Kraftanstrengungen hervorzubringen, welche die wirkliche Lage der Dinge natürlich und von selbst nimmer erzeugen würde, das liegt doch für Jeden der sehen will, auf der Hand. Um indessen vollkommen zu begreifen, wie übertrieben jene Klage über Aussaugung durch die bevorzugten Gesellschaftsschichten über den Luxus und Prunk oben und das Elend unten in Wahrheit sind, muß man sich in eine Zeit zurückversetzen, welche die Mutter jener Phrase gewesen ist, in eine Zeit, in der dieselben noch keine Phrasen waren, sondern einer traurigen Wirklichkeit entsprachen. Wir meinen die Zeit Voltaire’s und Rousseau’s, welche die französische Revolution gebar und deren allgemeines Bild in unserem Artikel über Voltaire („Zwei Lehrer der Freiheit und der Menschenrechte“ Nr. 1.) in großen Zügen dargestellt ist. In wie ganz unglaublichem Grade der damals bestehende Contrast von Oben und Unten von der Lage der Verhältnisse in unserer Zeit absticht, wie sehr unsere Socialdemokraten der geschichtlichen Vergangenheit gegenüber im Ganzen Ursache haben, ihr Dasein erträglich zu finden, das mag die folgende Schilderung der französischen Hofhaltung vor hundert Jahren bezeugen, zu welcher des Franzosen Taine Buch „Les Origines de la France contemporaine“ das Material geliefert hat.

Wahrlich, ein buntes Leben war es, das Leben am Hofe zu Versailles! Nicht der König allein hielt Hof; jeder Prinz, jede Prinzessin, die hohen Adelspersonen, die geistlichen Würdenträger, jede reiche oder bedeutende Persönlichkeit sammelte ihren eigenen Hof um sich. Sobald ein Prinz oder eine Prinzessin fünf oder sechs Jahre alt war, wurde ein eigener Hofstaat gebildet. Wenn ein Prinz sich verheirathete, erhielt die Prinzessin ihren eigenen Hofstaat. Und unter dem Worte „Hofstaat“ muß man sich eine Bedienung vorstellen, die aus fünfzehn oder zwanzig verschiedenen Abtheilungen bestand: Marstall, Jägerei, Officianten der Hauscapelle, Hausärzte, Hausapotheker, Kammer- und Garderobediener, Tafeldienst, Bäckerei, Küche, Kellerei, Obstamt, Pelzbewahrer, Rechnungskammer etc. Ohne diese Umgebung fühlte man sich nicht als Prinzessin.

Bei der Schwester des Königs gab es zweihundertzehn verschiedene Aemter; bei der Gräfin von Provence zweihundertsechsundfünfzig; bei dem Herzoge von Orleans zweihundertvierundsiebenzig; bei der Königin vierhundertsechsundneunzig. – Monsieur, der älteste Bruder des Königs, hatte einen Civilhofstaat von vierhundertzwanzig Personen und hundertneunundsiebenzig Mann Haustruppe. Der Hofstaat des Grafen von Artois, bekanntlich eines jüngeren Bruders des Königs, bestand aus sechshundertdreiundneunzig Personen. Der größte Theil dieser Angestellten war nur des Gepränges wegen vorhanden.

Wenden wir aber unsere Blicke ab von den Gestirnen zweiten Ranges und richten wir sie auf die königliche Sonne! Der König brauchte eine Wache, Fußvolk und Reiterei. Und jeder Theil des Palastes, jeder Theil des Zuges, wenn der König ausfuhr oder ausritt, oder wenn er sich aus einem Gemache in ein anderes begab, hatte eine besondere Garde: Leibgarde, französische Garde, Schweizer-Garde, Hundertschweizer, Gensd’armen-Compagnie, Thürwächter, im Ganzen, nachdem im Jahre 1775 eine Verminderung stattgefunden, neuntausendundfünfzig Mann, die jährlich sieben Millionen sechshunderteinundachtzigtausend Franken kosteten.

Als Edelmann war der König natürlich auch Reiter, und ein verhältnißmäßiger Marstall war unentbehrlich. Er hatte tausendachthundertsiebenundfünfzig Pferde und zweihundertsiebenzehn Wagen zu seiner Verfügung. Die Angestellten jeder Art, mehr als tausendfünfhundert, die der König kleidete, kosteten ihm jährlich an Livréen fünfhundertvierzigtausend Franken. Unter diesen Angestellten waren zwanzig Professoren und Hofmeister für die Pagen und etwa dreißig Aerzte und Apotheker. Vor der Reform befanden sich dreitausend Pferde in des Königs Ställen. Im Ganzen beliefen sich im Jahre 1775 die Ausgaben für diese Posten auf vier Millionen sechshunderttausend Franken und im Jahre 1787 waren sie auf sechs Millionen zweihunderttausend Franken gestiegen. Man vergesse dabei nicht, daß nach dem jetzigen Geldwerte diese Summe wenigstens das Doppelte oder das Dreifache betragen würde.

Um in damaliger Zeit als ein vollkommener „Cavalier“ angesehen zu werden, mußte man auch ein tüchtiger Jäger sein. Die Jagd nahm jährlich ungefähr eine Million zweihunderttausend Franken in Anspruch und beschäftigte außer den Pferden des Marstalls noch zweihundertachtzig andere Pferde. Natürlich war eine Meute für die Saujagd, eine andere für die Hirschjagd, eine andere für die Wolfsjagd vorhanden, und Beizvögel für die Elstern- oder die Hasenjagd durften auch nicht fehlen. Im Jahre 1783 wurden über zweiundfünfzigtausend Franken für die Nahrung der Hunde verausgabt.

Die ganze Umgebung von Paris, zehn Stunden in die

[461]
Album der Poesien.

Abschied.
Nach seinem Oelgemälde auf Holz übertragen von Otto Brausewetter.

So hab’ ich nun die Stadt verlassen,
Wo ich gelebet lange Zeit:
Ich ziehe rüstig meiner Straßen
Es giebt mir Niemand das Geleit

5
Man hat mir nicht den Rock zerrissen.

Es wär’ auch schade für das Kleid,
Noch in die Wangen mich gebissen
Aus übergroßem Herzeleid.

Auch Keinem hat’s den Schlaf vertrieben,

10
Daß ich am Morgen weiter geh’

Sie konnten’s halten nach Belieben,
Von Einer aber thut mir’s weh!

L. Uhland.     

[462] Runde, war dem Könige als Jagdrevier vorbehalten. Wehe Dem, der dort auf irgend ein Wildpret schoß! Die Rebhühner waren so zahm, daß sie bei der Annäherung des Menschen gar nicht flohen, sondern ruhig weiter fraßen. Bei Fontainebleau begegnete man nicht selten Rudeln von sechszig bis achtzig Hirschen. Von 1743 bis 1774 hetzte Ludwig der Fünfzehnte nicht weniger als sechstausendvierhundert Hirsche. Im Jahre 1780 soll Ludwig der Sechszehnte im Ganzen zwanzigtausendfünfhundertvierunddreißig Stück geschossen haben, eine Zahl, welche an das bekannte „Jägerlatein“ gemahnt, aber die einige Wahrscheinlichkeit erlangt, wenn es wahr ist, was dieser König am 31. August 1781 in sein Tagebuch schrieb: Heute vierhundertsechszig Stück geschossen.

Jeder Prinz, jede Prinzessin hatte eine Facultät, das heißt eine Anzahl Heilkünstler, sowie eine Hauscapelle mit Geistlichen, Musikern und Sängern. Die Hauscapelle des Grafen von Artois zählte zwanzig, die seiner Gemahlin neunzehn Angestellte, die Facultät des ersteren achtundzwanzig, die der letzteren siebzehn. Mit einer so kleinen Anzahl hätte sich der König natürlich nicht begnügen können. Seine Hofcapelle zählte fünfundsiebzig Capläne, Beichtväter, Sänger und Musiker; seine Facultät achtundvierzig Doctoren, Wundärzte, Augenärzte, Fußärzte, Apotheker, Destillirer und Scheidekünstler. Vergessen wir die profane Musik nicht: einhundertachtundzwanzig Sänger, Tänzer oder Sängerinnen und Tänzerinnen und Instrumentisten; dann auch die Bibliothek mit dreiundvierzig Custoden, Vorlesern, Uebersetzern; hierzu noch zweiundsechszig Herolde, Ceremonienmeister etc., ohne einer großen Anzahl anderer Bedienten zu gedenken.

Ein großes Haus erkennt man besonders an der Küche; werfen wir also einen Blick in jene Räume! Der ganze Küchendienst war in drei Abtheilungen getrennt: die erste für den König und seine jüngern Kinder; die zweite, die sogenannte Cavalierküche, für die Tafel des Oberhofmeisters, für die des Oberstkämmerers und für die Prinzen und Prinzessinnen, die bei dem König wohnten; die dritte, die Marschallsküche, für die zweite Tafel des Oberhofmeisters, für die der Haushofmeister, für die der Almoseniere, für die der dienstthuenden Edelleute, für die der Kammerdiener. Im Ganzen dreihundertdreiundachtzig Mund- und andere Köche, einhundertdrei Küchenjungen und über zwei Millionen Franken Ausgaben. Dazu kommen noch etwa vierhunderttausend Franken für die Tafel der Madame Elisabeth und über eine Million für die Schwestern des Königs. Der Weinhändler liefert jährlich für dreihunderttausend Franken Wein, und der Hoflieferant für eine Million Wildpret, Fleisch und Fische. Nur um in Ville d’Avray frisches Wasser zu holen, wurden fünfzig Pferde für siebzigtausend Franken jährlich gemiethet.

Noch einen Schritt weiter, und wir befinden uns im Heiligthume, in den Gemächern des Königs. Zwei Großwürdenträger walten dort, und jeder hat eine gewisse Anzahl von Untergebenen zu leiten und zu überwachen: einerseits der Oberstkämmerer mit seinen Kammerherren, Kammerjunkern und Kammerdienern, Barbieren etc., andererseits der Großmeister der Kleiderkammer mit einem Heere von Dienern, Schneidern, Waschmeistern, Wäschestärkern. Für jede Dienstleistung gab es besondere Angestellte: zum Herbeitragen des Mantels oder des Stockes, zum Kämmen, zum Abtrocknen, zum Umlegen der Halsbinde u. s. f.

Fügen wir hinzu, daß der König auch noch andere Residenzen hatte, Marly, Trianon, Meudon, St. Cloud, Rambouillet, ohne den Louvre und die Tuilerien zu zählen, daß dort auch Schloßhauptleute, Aufseher, Gärtner etc. erforderlich waren, und daß jährlich auf den Unterhalt dieser Residenzen zwei bis drei Millionen verwandt wurden! Im Ganzen nahmen die Ausgaben des Hofes vierzig bis fünfzig Millionen in Anspruch, den zehnten Theil der damaligen Einkünfte des Staates.

Welch einen Anblick mußten die Königssäle darbieten, wenn sie von der Menge angefüllt waren! Damals war der schwarze Frack noch unbekannt. Neben den Damen, die mit Gold, Silber, Perlen, Edelsteinen, künstlichen Blumen und Früchten bedeckt waren, bildeten die Herren keinen grellen Abstand. Mit ihren gepuderten Frisuren, ihren breiten Bandschlingen, ihren Handkrausen aus Spitzen, ihren gold- und silbergestickten Kleidern aus hellbrauner, rosenrother oder himmelblauer Seide waren die männlichen Trachten ebenso kostbar und buntglänzend als die weiblichen.

Unter all diesen Menschen war allerdings der König nicht der Beneidenswertheste. Wenn er sich auch nicht gar zu viel um die Regierungsgeschäfte bekümmerte, so mußte er doch zu jeder Stunde persönlich herhalten, sogar wenn er aufstand oder sich niederlegte.

Morgens zur bestimmten Stunde weckt der erste Kammerdiener den König; alsbald werden nach einander fünf verschiedene Rangclassen eingeführt, um dem König ihre Aufwartung zu machen. Zuerst erscheinen die Prinzen und Prinzessinnen der königlichen Familie und die beiden ersten Leibärzte. Hernach findet der Zutritt statt für die Kronbeamten, einige Personen des höchsten Adels und die besondern Günstlinge des Königs, wie auch die Barbiere, Schneider und Kammerdiener. Unterdessen wird dem König ein wenig Weingeist über die Hände gegossen; man reicht ihm das Weihwasser; er bekreuzigt sich und spricht ein Gebet. Vor den Blicken der Versammelten verläßt er hierauf sein Bett und schlüpft in seine Pantoffeln. Der Oberstkämmerer und der erste Kammerherr reichen ihm den Schlafrock dar; man zieht ihn an, und er setzt sich in den Lehnstuhl, auf welchem er angekleidet werden soll. In diesem Augenblicke wird die Thür zum dritten Mal geöffnet; die andern hohen Hofbeamten treten ein. Während die Kammerdiener sich dem König nähern, um ihn anzukleiden, nennt der erste Kammerherr die Namen der Großen, die vor der Thür warten. Der vierte Zutritt, den man den Zutritt der Dienstthuenden nennt, erfolgt; er ist viel zahlreicher als die früheren. Indessen wäscht sich der König die Hände, und die eigentliche Toilette beginnt. Zwei Pagen nehmen ihm die Pantoffeln ab; der Großmeister der Kleiderkammer ergreift den rechten Aermel der Nachtjacke, der erste Kammerdiener den linken, um sie abzuziehen. Während sie dieselbe einem andern Kammerdiener übergeben, wird das Hemd gebracht, das in einen Umschlag von weißem Taffet gehüllt ist. Jetzt nahet der feierlichste Augenblick, der Höhepunkt der Ceremonie. Die fünfte Rangclasse, eine wahre Fluth, drängt sich herein. Für das Hemdanziehen besteht eine höchst genaue Ordnung. Die Ehre, das Hemd darzureichen, ist den Brüdern oder Neffen des Königs vorbehalten oder, wenn keiner von diesen anwesend war, den anderen Prinzen von Geblüt oder, in Ermangelung dieser, dem Oberstkämmerer oder dem ersten Kammerherrn. Der letzte Fall ist jedoch selten; die Prinzen waren verbunden, dem Morgenempfang des Königs beizuwohnen, wie die Prinzessinnen dem der Königin. Während dem König das Hemd angezogen wird, halten zwei Kammerdiener den Schlafrock vor dem König ausgebreitet, anstatt eines Wandschirmes. Hierauf nimmt das Ankleiden seinen Fortgang. Jeder Gegenstand wird von einem besondern Diener herbeigebracht. Wenn der König endlich angekleidet ist, so kniet er neben seinem Bette nieder, um sein Gebet zu verrichten, während ein Hauscaplan mit leiser Stimme auch ein Gebet spricht. Nachdem der König sich wieder erhoben hat, schreibt er die Tagesordnung vor und begiebt sich mit den Höchsten seines Hofes in ein Cabinet, wo er manchmal Audienzen ertheilt, während die Menge in den Gallerien wartet, um später den König in die Messe zu begleiten.

Das ist le lever, der Morgenempfang des Königs, ein Schauspiel in fünf Aufzügen. Man hätte nichts Besseres erfinden können, um die Leere im Leben einer müßigen Aristokratie auszufüllen. Hunderte von den Gliedern des höchsten Adels haben mehrere Stunden damit zugebracht – sie sind gekommen, haben gewartet, haben sich in Ordnung gestellt, sind an dem König vorbeigegangen, und ihr immer unterthänigst lächelndes Gesicht hat in größter Glückseligkeit geleuchtet, wenn nur der geringste Strahl der königlichen Sonne auf sie fiel. Die Vornehmsten unter ihnen gehen hierauf in die Gemächer der Königin, um auch dort ihre Aufwartung zu machen.

Die Königin frühstückt im Bette, und nur zehn bis zwölf Personen erhalten Zutritt. Die Prinzen und Kronbeamten dürfen erst eintreten, wenn die Toilette beginnt. Für das Anziehen des Hundes herrscht dasselbe Ceremoniell, wie bei dem König.

Die beim Lever betheiligte Menge folgt dem Könige immer und überall, wenn er sein Reitkleid oder sein Abendgewand anzieht, und wenn er sich niederlegt. Wenn er speist, ist die Zahl der Zuschauer noch größer, weil dann auch der niedere Adel und selbst Bürgerliche Zutritt erhalten.

Zwei oder dreimal wöchentlich besuchte der König das Theater; einmal fand gewöhnlich ein Ball statt; jeden Abend wurde bei [463] dem König, bei der Königin, bei den Prinzessinnen gespielt; dazu kamen noch die Jagden. Man darf sich daher nicht wundern, wenn der österreichische Gesandte von Ludwig dem Fünfzehnten sagte, seine Art und Weise zu leben lasse ihm keine Zeit, sich mit etwas Ernsthaftem zu beschäftigen. Trotzdem wußte es Ludwig der Sechszehnte möglich zu machen, der Schlosserei einige Stunden zu widmen. Sein Hauptvergnügen war indessen die Jagd. Die Tage, an denen er nicht gejagt hatte, zählten nicht für ihn.

Er schrieb in sein Tagebuch:

11. Juli 1789. Nichts; Abreise des Herrn Necker.
12. Juli. Abendgottesdienst. Abreise der Herren von Montmorin, von St. Priest und von la Luzerne.
13. Juli. Nichts.
14. Juli. Nichts.
29. Juli. Nichts. Rückkehr des Herrn Necker.
4. August. Hirschjagd im Walde bei Marly; einen gehetzt; hin und her zu Pferd.

Und das war die Zeit, als die Nationalversammlung ihre stürmischen Sitzungen hielt! Anfangs Juli hatte der König dem Drängen der Höflinge nachgegeben, Truppen herbeigezogen, Necker verbannt. Da wurde am 14. Juli die Bastille, die Zwingburg der Stadt Paris, vom Volke erstürmt und damit das alte Regierungssystem gestürzt, und der König schreibt in sein Tagebuch: 14. Juli. Nichts! – Der Minister Necker mußte zurückgerufen werden; 29. Juli. Nichts! – Am 4. August erklärt die Nationalversammlung allgemeine Gleichheit, persönliche Freiheit und Volkssouverainetät als unentbehrliche Menschenrechte; 4. August. Hirschjagd!

Es war dem Könige gelungen, fast den ganzen Adel an den Hof zu ziehen, und die Vasallen, die ein Jahrhundert vorher es noch gewagt hatten, gegen die königliche Macht Krieg zu führen, waren die unterthänigsten Kammerdiener des Königs geworden. Um aber unter der Menge zu glänzen oder nur ordentlich Figur machen zu können, war großer Gehalt und großes Vermögen unentbehrlich. Die Besoldungen der hohen Würdenträger waren viel beträchtlicher, als heutzutage. Der Herzog von Duras bezog als Gesandter in Madrid zweihunderttausend Franken und fünfhunderttausend Franken geheime Fonds; dazu erhielt er einmal eine Vergütung von dreihunderttausend Franken, und es wurden ihm für vier- bis fünfhunderttausend Franken Möbel geliehen, von denen er später die Hälfte für sich behielt. Wenn sich ein Minister oder ein Kronbeamter zurückzog, erhielt er eine sehr bedeutende Pension; wenn sich die Tochter eines solchen verheirathete, gab ihr der König gewöhnlich ein Hochzeitsgeschenk von zweihunderttausend Franken. Aber ohne ein großes Privatvermögen wären die Großen des Hofes doch nicht im Stande gewesen, solche Ausgaben zu machen, wie man sie sich damals erlaubte. Als der berühmte Marschall von Sachsen in Chambord wohnte, wurde immer an zwei Tafeln gespeist, die eine zählte sechszig Gedecke, die andere achtzig. Er hatte vierhundert Pferde in seinen Ställen und unterhielt ein Ulanenregiment als Leibwache. Seine Theatertruppe kostete jährlich mehr als sechshunderttausend Franken. Frau von Matignon schloß einen Vertrag, nach welchem ihr für vierundzwanzigtausend Franken jährlich jeden Tag ein neuer Kopfputz geliefert wurde. Schneiderrechnungen von hundertachtzigtausend Franken waren nichts Seltenes. Die bedeutendsten Summen aber wurden im Spiele vergeudet. In einer einzigen Nacht verlor Herr von Chenonceaux siebenhunderttausend Franken. Er und sein Bruder brachten in kurzer Zeit an acht Millionen durch. Im Alter von sechsundzwanzig Jahren hatte der Herzog von Lauzun, nachdem er das Capital von dreihunderttausend Franken Rente verzehrt hatte, zwei Millionen Schulden.

Wie sah es aber mit dem Volke aus?

Schon im Jahre 1689 hatte La Bruyère geschrieben: „Man sieht auf den Feldern gewisse wilde Thiere, Männlein und Weiblein; sie sind schwarz oder fahl, von der Sonne verbrannt; sie durchwühlen die Erde mit unermüdlicher Beharrlichkeit. Sie haben auch eine gewisse Sprache, und wenn sie sich aufrichten, so erblickt man ein menschliches Gesicht, und in der That, es sind Menschen. Des Nachts ziehen sie sich in Höhlen oder Löcher zurück, wo sie von schwarzem Brod, von Wasser und Wurzeln leben. Sie ersparen den anderen Menschen die Mühe des Ackerns, des Säens und des Erntens und verdienen dadurch, daß es ihnen nicht an dem, was sie hervorbringen, an Brod fehlen sollte.“ Diese Schilderung wäre ein Jahrhundert später noch schlimmer ausgefallen.

Die Steuern hatten außerordentlich zugenommen, während anderntheils die Erträgnisse des Landes abnahmen. Im Jahre 1757 betrugen jene 283,156,000 Franken, im Jahre 1789 dagegen 476,296,000 Franken. In manchen Provinzen bezog der König mehr als fünfzig Procent von dem Ertrage der steuerpflichtigen Felder; die Geistlichkeit nahm einen weiteren Theil des Ertrages in Anspruch, und oft hatte der Adel auch noch alte Rechte auf das Grundstück. So kannte man Fälle, in welchen dem Eigenthümer von einem Ertrage von hundert Franken nur achtzehn Franken neunzehn Centimes übrig blieben. Die vom Volke bezahlten Steuern beliefen sich aber weit höher, als die in den königlichen Schatz fließenden Summen. Die Steuern waren verpachtet, und die Generalpächter und ihre Angestellten waren nur darauf bedacht, von den Steuerpflichtigen so viel Geld wie möglich zu erpressen. Es bestand eben keine Finanzverwaltung, sondern nur eine Ausbeutung. Die Pächter wollten natürlich nicht nur den Pachtzins wieder herausbringen, sondern auch einen mehr oder minder beträchtlichen Gewinn. Und wenn man weiß, welchen Aufwand diese Pächter machten, so muß der Gewinn bedeutend gewesen sein.

Ebenso lästig wie die Steuern selbst waren die unzähligen Plackereien, welche die Eintreibung der Steuern im Gefolge hatte. – Man denke einmal an die Salzsteuer! Nach dem Decret von 1680 muß jeder über sieben Jahre alte Einwohner jährlich sieben Pfund Salz kaufen, das Pfund zu dreizehn Sous, nach unserem Geldwerthe ungefähr ein und eine halbe Mark. Dabei bestand das strengste Verbot, den geringsten Theil der sieben Pfund zu etwas Anderem zu verwenden, als für den Kochtopf und für das Salzfaß. Wenn etwa ein Bauer etwas Salz erspart und es zum Einsalzen von Schweinefleisch verwenden will und die Steuerbeamten erfahren es, so wird das Fleisch weggenommen und eine Strafe von dreihundert Franken über den Schuldigen verhängt. – Wer ein Schwein einsalzen wollte, mußte sich auf’s Salzamt begeben, von seinem Vorhaben Anzeige machen und eine bestimmte Menge Salz kaufen. Er erhielt dann einen Schein, den er beim Nachfragen der Salzsteuerbeamten vorzuweisen hatte.

Leicht begreiflich ist, wie sehr die Schmuggelei im Schwange ging. Nur wegen Salzschmuggel wurden jedes Jahr durchschnittlich viertausend Beschlagnahmen vorgenommen, dreitausendvierhundert Personen zum Gefängniß und fünfhundert zum Staupbesen, zur Verbannung oder zur Galeerenstrafe verurtheilt.

Was aber die Steuern noch drückender machte, war, daß es den Reichsten gelungen war, sich denselben ganz zu entziehen.

Der Adel und die Geistlichkeit sind befreit nicht nur von der Kopfsteuer, sondern auch von den Abgaben für die Grundstücke, die sie selbst bebauen oder die sie verwalten lassen. Von der Einkommensteuer hat sich die Geistlichkeit durch die einmalige Bezahlung einer gewissen Summe losgekauft, und der Adel hat es auch verstanden, sich davon frei zu machen oder wenigstens diese Steuer für sich zu verringern. Manche Städte hatten auch ähnliche Freiheiten. Es gab Provinzen, in denen die Gruppe der armen Landbewohner zehnmal so viel Steuern bezahlte, wie die Gruppe der Reichen. Die Zahl der Privilegirten betrug ungefähr zweihundertsiebenzigtausend, wovon hundertvierzigtausend dem Adel angehörten, die übrigen der Geistlichkeit. In Hochburgund, im Elsaß, im Roussillon war die Hälfte des Grundbesitzes in den Händen der Geistlichkeit, im französischen Hennegau und in der Grafschaft Artois drei Viertel desselben. Und alle diese Grundstücke waren steuerfrei. Auch der Adel besaß kolossale Reichthümer. Die Prinzen von Geblüt hatten zusammen bis fünfundzwanzig Millionen Einkünfte; der Herzog von Orleans hatte elfeinhalb Millionen.

Ob die Könige das Elend des Volkes kannten?

Wir besitzen einen Brief, den der berühmte Fenelon im Jahre 1693 an den König schrieb und in dem es heißt: „Sire, Ihr Volk stirbt vor Hunger. Der Anbau der Felder ist vernachlässigt oder fast ganz aufgegeben. Stadt und Land entvölkern sich. Handel und Gewerbe liegen darnieder. Ganz Frankreich ist nur noch ein großes trostloses Hospital.“ Man darf aber [464] nicht glauben, daß dieser Brief dem König vorgelegt wurde. Der freimüthige Prälat wäre für seine Kühnheit bestraft worden. Als später der Marschall Vauban, der große Festungsbauer, es wagte, auf gleiche Weise an den König zu schreiben, und es versuchte, eine Steuerreform hervorzurufen, fiel er völlig in Ungnade, was ihn so sehr betrübte, daß er sich darüber zu Tode grämte. Unter der Regierung Ludwig’s des Fünfzehnten geschah nichts, um den Uebelständen abzuhelfen. Noch wurde jeden Tag Te Deum gesungen und, wie Voltaire sagt, das Volk starb haufenweise dahin unter den Klängen der Lobgesänge.

Wenn man diese Zustände ein wenig genauer kennt, so begreift man leicht, daß eine Katastrophe durchaus unvermeidlich war; aber, wir wiederholen es, und angesichts des Vorstehenden ist vernünftiger Weise ein anderes Urtheil nicht gestattet: wer heute in den gesellschaftlichen Verhältnissen zureichende Gründe finden will, um den gewaltsamen socialen Umsturz zu predigen, der muß das Bild dieser gesellschaftlichen Verhältnisse fälschen. Vergleichen wir die oben geschilderten politischen und gesellschaftlichen Zustände der civilisirten Welt mit den heutigen, so finden wir, daß dazwischen eine Geschichte liegt, deren Ziel und eigentlichstes Wesen in einer versöhnenden Ausgleichung bürgerlicher Unterschiede, einer Ausfüllung von Klüften zwischen den Eigenthums- und Bildungszuständen der verschiedenen Gesellschaftsclassen besteht. Dieser Entwickelungsproceß ist noch nicht beendigt, aber er zeigt sein Wirken bereits in mächtigen Verbesserungen der menschlichen Lagen und in einem lebenskräftigen Werden. Weder ein revolutionärer Fanatismus, welcher dem Fortschritte gewaltsam seine Bahnen vorschreiben, noch eine reactionäre, eine feudale oder hierarchische Interessirtheit, die uns gern in jene alte Knechtschaft zurückschrauben möchte, werden den Gang des geschichtlichen Gesetzes, die allmähliche Wendung zum Besseren unterbrechen können, so lange der große Mittelstand unseres Volkes seines Rechtes und seiner Macht sich bewußt bleibt, jedem Plan eines verhängnißvollen Umsturzes von oben oder von unten her die Spitze abzubrechen.

A. R.



Phonographische Ueberraschungen.
Der automatische Privat-Stenograph. – Bücher, die sich selbst vorlesen. – Autophone berühmter Personen. – Galvanoplastisch vervielfältigte Arien und Opern. – Lachende und weinende Puppen. – Uhren mit Nachtwächtergesang. – Die Zukunfts-Telegraphie. – Das Aërophon.

Edison’s Phonograph, über welchen in dem Artikel „Sprechmaschinen“ (Nr. 10 d. Jahrg.) kurz berichtet wurde, ist seitdem in Nordamerika der Löwe des Tages geworden, und in Europa beschäftigen sich Forscher und Praktiker mit demselben. „Ein lehrreiches, interessantes Spielzeug!“ hatte man anfangs achselzuckend gesagt, aber sein Urheber, einer der erfindungsreichsten Menschen unserer Zeit, ist sehr stark bei der Arbeit, um der Welt zu beweisen, daß das „Spielzeug“ eine eminent praktische Bedeutung erlangen kann. Wir halten uns der Sicherheit halber im Nachfolgenden vorzugsweise an die eigenen Mittheilungen des Erfinders, die er in einem kürzlich erschienenen Artikel der „North American Review“ niedergelegt hat und die fast durchgängig bereits ausgeführte Ideen betreffen. Wir ersehen daraus, daß Herr Edison allen Ernstes daran denkt, den künftigen Generationen die Mühe des Briefeschreibens zu ersparen, indem man sich einen mechanischen Secretär und Vorleser in einer Person anschafft und mittelst desselben alle Correspondenzen mündlich erledigt. Man setzt sich vor den sogleich zu beschreibenden Standard-Phonographen und dictirt ihm, so schnell man zu sprechen gewöhnt ist, sei es im trockenen Geschäftstone, sei es mit Wärme und Nachdruck, was man auf dem Herzen hat. Gleich einem geschickten Stenographen verzeichnet die mitschwingende Nadel, wie in dem älteren Apparate, getreulich jedes anvertraute Wort auf einem Zinnblatte, welches nachher abgenommen und wie ein Brief versandt werden kann. Hat man zwei Blätter über einander aufgelegt, so kann das eine als Copie zurückbehalten werden.

Der Empfänger befestigt das Blatt auf eine genau gleichgearbeitete Maschine, setzt dieselbe in Gang und läßt sich, vielleicht dabei seinen Kaffee einnehmend, vorlesen, was sein Correspondent ihm zu sagen hat. Hat jener sehr schnell dictirt, so befördert die alle Schallschwingungen wiederholende zweite Maschine ebenfalls ihre hundertfünfzig bis zweihundert Worte in der Minute zu Tage. Der Brief bedarf keiner Unterschrift, denn man erkennt, trotz der etwas metallischen Färbung, deutlich die Stimme des Absenders mit allen ihren Eigenthümlichkeiten, Hebungen und Senkungen, und sollte man ja eine Passage nicht verstanden haben, so stellt man die Maschine zurück und läßt die Stelle nochmals wiederholen. Man mag sich selbst ausmalen, welche ganz andere Wirkung so übermittelte mütterliche Ermahnungen oder gar Liebesbriefe hervorbringen müssen.

Da nun bei der bisherigen Cylinderform des Phonographen die genaue Wiederbefestigung des Zinnblattes (damit die eingedrückten Schriftzeilen genau unter den nadelförmigen Fühler der Schallplatte kommen) einige Schwierigkeiten darbietet, so hat Edison neuerdings der Unterlage die Form einer ebenen, wagerechten Tafel gegeben, auf welcher die genaue Einstellung und Befestigung viel leichter zu erreichen ist. Die wie ein Linienblatt mit eingegrabenen Linien versehene Stahlplatte wird nun durch ein darunter befindliches Uhrwerk derartig bewegt, daß die schwingende Nadel, genau der vorgezeichneten Rinne folgend, in engen Parallelzügen über das Zinnblatt hingleitet. Bei einer keineswegs übertriebenen Enge der Linien konnte, nebenbei bemerkt, ein Zinnblatt von ungefähr dreiviertel Fuß im Quadrat gegen vierzigtausend Worte aufnehmen, also den Inhalt einer ganzen Broschüre, während selbst sehr ausführliche Briefschreiber es selten über zweitausend Worte bringen. Da es entschieden wichtig sein würde, alle diese Horizontalmaschinen nach demselben Normalmaß herzustellen, um mit Jedermann ohne Unterschied durch dieselbe Maschine verkehren zu können, so hat Edison diesem internationalen automatischen Secretär, dessen Maße übrigens noch festzustellen sind, den Namen des Standard- (d. h. Norm- oder Universal-) Phonographen beigelegt.

So schön nun das alles klingt, dennoch wird sich Niemand dem Bedenken verschließen, daß diese Zinnblätter nicht als Documente dienen könnten. Denn abgesehen davon, daß die Maschine manche Buchstaben, namentlich die Zischlaute bisher nicht klar genug wiedergeben will, obwohl man ihr schon einen gezahnten Mund und ähnliche Nachhülfen gewährt hat, gestattet die weiche Zinnfolie nur wenige Male das Lesen. Die Nadel der Leseplatte vermischt, indem sie in die verschieden tiefen und verschieden umgrenzten, bald mehr runden oder ovalen, bald spitz, bald langgezogenen Vertiefungen des Stanniols einspringt und beim Weitergleiten immer wieder heraussteigt, bald die Eigenthümlichkeiten derselben, und damit wird die Aussprache jedesmal etwas undeutlicher. Zwei-, dreimal versteht man ganz deutlich, dann wird die Aussprache immer verschwommener, und zuletzt bleibt in einem allgemeinen Summen nur noch ab und zu ein einzelnes Wort verständlich. Uebrigens giebt es viele Zwecke, bei denen ein zwei- bis dreimaliges Lesenkönnen vollkommen ausreicht, so bei gleichgültigeren Briefen, oder wenn ein Tagesschriftsteller seine „Plauderei“ in die Druckerei schickt, wo die Setzer dieselbe, in Streifen geschnitten, sich vorlesen lassen können, um darnach zu setzen.

Uebrigens hat der Erfinder auch bereits härtere Beschreibstoffe mit einigem Erfolge versucht, und sogar in gewissen Stahlsorten hinterließ eine Nadel mit Diamant- oder Sapphir-Spitze hinreichende Spuren. Vorläufig erscheint es für die Fälle, in denen es sich um dauerhafte „Autophone“ handelt, zweckmäßig, die mit den Eindrücken versehene Zinnfolie auf galvanoplastischem Wege in Kupfer zu vervielfältigen, was mit dem vollkommensten Erfolge gelingt. Von einer auf diesem billigen Wege gewonnenen Form können dann beliebig viele Abdrücke genommen werden, und man begreift damit leicht die Möglichkeit, Bücher herzustellen, die sich mit ausdrucksvoller Stimme selbst vorlesen und die bei vierzigtausend Worten auf jedem Blatte meist nur aus wenigen Blättern bestehen würden. Autophone berühmter Personen und ihrer Reden bei feierlichen Gelegenheiten könnten auf diesem Wege leicht und schnell vervielfältigt werden.

[465]

Hamburger Fleet.
Nach der Natur aufgenommen von Ferdinand Lindner.


Größeren Beifall werden freilich die Autophone berühmter Sänger und Sängerinnen erhalten. Duette, Terzette, ja ganze Opern lassen sich auf diesem Wege versteinern, um sie bei passenden Gelegenheiten beliebig aus ihrem Schlummer zu erwecken. Obwohl nun manche Arien und Lieder wunderschön wiedererklingen und der Gesang vergleichsweise noch getreuer als die Sprache wiedergegeben wird, so wird doch vorläufig durch die unvermeidlichen Nebengeräusche die reine Gesangleistung mehr beeinträchtigt als die Sprache.

Für viele derartige Apparate dürfte nun wieder die Walzenform vorgezogen werden, wie z. B. für Gesangswerke, sprechende Puppen, Uhren, welche die Stunde ausrufen und dieselbe mit einem kurzen Liede oder Choral, respective mit einer passenden oder unpassenden Bemerkung begleiten. Allem Anscheine nach werden die lachenden, weinenden, sprechenden und singenden Puppen bereits nächste Weihnachten eine große Rolle spielen. Eine zolllange kleine Drehwalze im Kopfe der Puppe kann leicht den kleinen Wortschatz derselben aufnehmen und mittelst einer [466] nach außen verlängerten Achse gedreht werden: das Schallblech wirkt dabei als Zunge hinter den halb geöffneten Lippen, und die Unvollkommenheiten der Aussprache würden bei der kleinen Puppe nur so natürlicher klingen. Wird die Walze rückwärts gedreht, so werden auch die Worte rückwärts gesprochen und zwar natürlich nicht blos der Reihenfolge, sondern auch der Buchstabenfolge nach. Eine der oben erwähnten sprechenden Uhren, welche des Morgens zum Frühaufstehen und später zu den Mahlzeiten und den Geschäften des Tages einlädt, ein mechanischer Saturnus gleichsam, der keine Stunde vorbeiläßt, ohne seine Mahnungen wegen der Flüchtigkeit der Zeit zu wiederholen, soll bereits auf der Pariser Weltausstellung seine Künste hersagen. Ich würde meinerseits eine Uhr vorziehen, die jede Stunde mit einem Liede oder Sprüchlein, wie weiland die ehrsamen Nachtwächter, begrüßte. In den größeren Städten wäre das zugleich eine Erinnerung an die vorzeitlichen Gewohnheiten, in denen der Wächter die Stunde verkünden mußte, weil nicht Jedermann eine Schlaguhr besaß. Leider bleibt aber zu besorgen, daß diese Uhren in Folge ihrer nicht Tag noch Nacht feiernden Geschwätzigkeit bald genug heiser und unverständlich werden möchten.

Eine andere praktische Anwendung des Phonographen, der bekanntlich aus dem Telephon hervorgegangen ist, führt uns zu seinem Ursprunge zurück, nämlich auf seine Verbindung mit dem Telephon zu dem Zwecke der gleichzeitigen Niederschrift der mündlichen Depeschen. Das Wort ist flüchtig und verschollen, ehe man seinen Inhalt genau verstanden hat; die telephonische Depesche bietet keine Sicherheit, so lange sie nicht automatisch von dem Empfangsapparate aufgezeichnet wird. Da nun die Schallplatte des Telephons und des Phonographen im Wesentlichen dasselbe Ding ist, so liegt nichts näher, als diese Platte ihr Werk ganz thun zu lassen und ihr den Griffel zu geben, mit welchem sie gleichzeitig in „eherne Tafeln“ gräbt, was sie spricht. Man ersieht hieraus, das Zinnblatt braucht schließlich gar nicht verschickt zu werden; man kann den Brief mit eigener Stimme gleich dorthin dictiren, wo er hingehen soll. Dabei mag es uns zu Gute kommen, daß Professor Hughes, der Erfinder des Mikrophons, an dem Telephon eine Verbesserung angebracht hat, welche, einfach in der Einschiebung einer kleine Inductionsrolle in die Leitung bestehend, den Schall am Empfangsorte so verstärkt, daß man nicht mehr das Ohr an das Telephon zu legen braucht, sondern den Schall in weitem Umkreise vernimmt. (Vergl. den jüngst von uns gebrachten Artikel „Die Offenbarungen eines präparirten Kohlenstückchens“ in Nr. 24. D. Red.)

Edison glaubt, daß durch diese kaum weiter zu vervollkommnende Methode die Telegraphie in Zukunft eine besondere Gestalt annehmen wird. Die Telegraphengesellschaft der Zukunft, meint er, wird einfach eine Geschäftsvereinigung sein, welche ein ungeheures System überall hin verbreiteter Drahtleitungen durch erfahrene Beamte in gutem Zustande erhält, um durch Ausschließungen und Verbindungen beliebige Strecken für bestimmte Zeit zweien Correspondeten zu vermiethen. Beide erscheinen persönlich oder in ihren Vertretern auf den Aemtern, und kein Dritter braucht zu wissen, was sie mit einander verhandelt haben und was Jeder von ihnen, in Zinn gegraben, in seiner Mappe nach Hause trägt. Diplomaten und große Geschäftshäuser werden den Anschluß der Hauptleitung nach ihrem Arbeitsraume führen lassen, und dann hat sich vollends kein Dritter in ihr Geheimnis zu mischen. Ein New-Yorker Opernunternehmer, welcher bereits sich von der Lucca und der Mallinger Spieldosen einsingen zu lassen beabsichtigt, hätte nicht mehr nöthig, die Dame aufzusuchen; dieselben könnten ihm aus der Ferne dienen, und die Examina und Doctorpromotionen können schriftlich und mündlich „in absentia“ vollführt werden.

Auf einem ganz verschiedenen Gebiete bewegt sich ein fernerer Ableger des Phonographen, das Aërophon, dessen Idee darin besteht, jedem beliebigen Blasinstrumente die Articulation der menschlichen Stimme zu verleihen. Denken wir uns eine Orgelpfeife oder ein großes Signalhorn, an dessen unterem Theile die Schallplatte eines Phonographen angebracht ist. Der Stift dieser Platte soll diesmal, statt zu schreiben, dazu dienen, ein Ventil, seine Schwingungen entsprechend, fortwährend zu öffnen und zu schließen, sodaß die tönende Luftsäule gleichsam den mächtigen Brustton hergiebt, aus dem eine Riesenstimme geformt wird. Was will Stentor, der fünfzig Griechen überschrie, was will selbst Ares, der, glaube ich, wie ihrer zehntausend brüllte, gegen eine mit so und so viel Pferdekraft brüllende Maschine ausrichten, gegen einen großen Dampfkessel, dem man gegeben hat, Gedanken auszudrücken, die er nicht empfindet!

Als Hauptzweck dieses Apparates würde die Verständigung auf der See, sei es von Schiffen untereinander, sei es mit Stationen und Leuchtthürmen, anzusehen sein, mit denen man sich bisher mittelst Flaggen unterhielt (vergl. Gartenlaube 1877 S. 162[WS 1]), wobei ein leichter Nebel alle Bemühungen zu Nichte machte. Das Aërophon trägt die menschliche Sprache beinahe so weit, wie die Seesignale erkennbar sind, nämlich vier bis sechs Seemeilen, und die Verständigung mit dieser monotonen Dampfstimme ist eine viel bequemere. Bekanntlich hatte man schon längst an gefährlichen Uferstellen, auf Leuchtthürmen und Rettungsstationen, sogenannte Dampfsirenen aufgestellt. Apparate, die keineswegs bestimmt sind, wie die Homerischen Sirenen, mit erschmeichelnder Stimme die Vorbeisegelnden zum Landen einzuladen, sondern die vielmehr mit einer das Wellengebrüll des tobenden Meeres überschreienden Stimme die Schiffer warnen, sich ihnen zu nähern. Diese Apparate enthalten eine Drehscheibe, deren um den Umfang vertheilte Oeffnungen den Strom einer Dampfpfeife je nach der Schnelligkeit der Umdrehung öfter oder minder oft unterbrechen und dadurch höhere oder tiefere Töne erzeugen. Während man sich hier bemühte, aus höheren und tieferen Tönen eine Art Seesprache combinatorisch zusammenzusetzen, spricht in dem Aërophon der Dampf selber, was ihm der schwache Mensch einbläst. Ja, man bedarf des Menschen nicht einmal, da für viele Zwecke ein Phonograph die Rolle des Souffleurs übernehmen kann. Man erzählt sich drüben bereits fürchterliche Dinge von dieser Erfindung. Jede Fabrik, die einen Dampfkessel besitzt, würde in kurzen Pausen ihr Fabrikat ausposaunen, ja einige Industrielle sollen bereits darum eingekommen sein, den Ruhm ihrer Firma durch Stadt und Land mittelst sämmtlicher Dampfpfeifen der Eisenbahn-Locomotiven verbreiten lassen zu dürfen. Wenn dann die Straßenverkäufer mit Sand, Obst, Kartoffeln und Milch sich ähnliche Apparate anschaffen, so kann das ein Höllenskandal werden, und das alte Sprüchwort müßte umgetauft werden in „Morgenstunde hat den Teufel im Munde“.



Um hohen Preis.
Von E. Werner.
(Fortsetzung folgt.)
Nachdruck verboten und Uebersetzungsrecht vorbehalten.

Als der Gouverneur aus dem Hause trat und im Begriff war in seinen dort wartenden Wagen zu steigen, bemerkte er den Polizeidirector, der soeben die Straße passirte und sich ihm jetzt näherte.

„Soeben wollte ich mich zu Ihnen begeben, Excellenz,“ sagte er, den Freiherrn begrüßend. „Ich glaubte Sie in dem Schlosse zu finden.“

„Ich fahre dorthin,“ erwiderte Raven auf den Wagen deutend. „Darf ich Sie bitten, mich zu begleiten?“

Der Polizeidirector nahm die Einladung an, und die beiden Herren stiegen in den Wagen, der den Weg nach dem Schlosse einschlug. Der Freiherr hörte zerstreut auf die Mittheilungen seines Begleiters. Der stolze Mann ertrug mit verbissenem Grimme diese erste Demüthigung, die ihm auferlegt wurde. Man hatte ihn bisher unumschränkt walten lassen und ihm eine Macht eingeräumt, wie sie kein Gouverneur vor ihm besaß, und jetzt, wo er dieser Macht mehr als je bedurfte, jetzt sah er sich auf einmal in all seinen Entschlüssen gehemmt und gebunden. Man entzog ihm den Beistand, auf den er sich stützte und, nachdem er einmal so weit gegangen war, stützen mußte; man ließ ihn absichtlich allein im Kampfe mit der rebellischen Stadt – Raven wußte sich dieses Symptom zu deuten.

Der Polizeidirector hatte einige Minuten lang von verschiedenen

[467] ziemlich unwichtigen Vorfällen gesprochen, die sich im Laufe des gestrigen Tages ereignet hatten. Jetzt aber fuhr er fort: „Und nun noch eine Mittheilung, die auch Sie überraschen wird, Excellenz. Sie nehmen ja doch Antheil an dem jungen Doctor Brunnow.“

Raven wurde aufmerksam: „Gewiß, was ist mit ihm?“

„Die Sache betrifft ihn allerdings nicht persönlich, geht ihn aber leider nahe genug an. Sie erinnern sich des Herrn, den uns Hofrath Moser gestern Abend als einen Doctor Franz vorstellte; Sie hatten ja sogar eine längere Unterredung mit ihm. Ist Ihnen dabei nichts aufgefallen?“

Der Freiherr richtete sich schnell empor; die Andeutung genügte, um ihm zu zeigen, daß seine Befürchtungen eingetroffen waren und Brunnow sich in Gefahr befand. Es galt jetzt, Ruhe zu zeigen, um diese Gefahr vielleicht noch abzuwenden. Raven nahm seine ganze Kraft zusammen und antwortete mit einem kalten unbewegten „Nein“.

„Mir desto mehr,“ sagte der Polizeidirector. „Ich hatte schon bei jener flüchtigen Begegnung meine Bedenken, die durch einige unabsichtliche Aeußerungen des Hofrathes zum Verdachte wurden, und hielt es für nöthig, Nachforschungen anzustellen. Jetzt, wo nur wenige Fremde in der Stadt sind, war es eine leichte Mühe, das Absteigequartier des angeblichen Doctor Franz aufzufinden. Er war erst vor zwei Stunden in einem Gasthofe der Vorstadt angelangt, hatte sich in größter Unruhe und Aufregung nach dem jungen Arzte erkundigt und war sofort zu ihm geeilt. Der unvorsichtiger Weise im Gasthofe zurückgelassene Koffer trug die Bezeichnung Z. als Abgangsstation; andere dringende Verdachtsmomente kamen hinzu – kurz es ist kein Zweifel mehr, daß wir es mit dem Vater des Verwundeten, mit Rudolf Brunnow zu thun haben.“

Das alles wurde in demselben ruhigen Geschäftstone berichtet, wie die früheren Mittheilungen, und auch Raven versuchte es, den gleichen Ton festzuhalten, als er erwiderte:

„Das ist vorläufig nur eine Annahme, deren Bestätigung doch erst abgewartet werden muß. Sie können daraus allein nicht gegen den Fremden vorgehen.“

„Die Bestätigung haben wir bereits,“ sagte der Polizeidirector. „Doctor Brunnow hat sich bei seiner Verhaftung zu seinem Namen bekannt.“

„Bei seiner Verhaftung!“ fuhr der Freiherr auf. „Sie haben ihn verhaften lassen? Ohne mich vorher davon zu benachrichtigen, ohne mir auch nur einen Wink zu geben?“

Der Polizeichef sah ihn mit gutgespielter Verwunderung an. „In der That, Excellenz, ich begreife nicht – so viel ich weiß, gehören dergleichen Maßregeln ausschließlich in mein Ressort. Wenn ich jedoch gewußt hätte, daß eine vorherige Mittheilung Ihnen erwünscht, so würde ich sie Ihnen unbedingt haben zugehen lassen.“

Raven drückte krampfhaft den Handschuh zusammen, den er noch in der Rechten hielt. „Und ich würde Ihnen unbedingt von dieser Verhaftung abgerathen haben. Dachten Sie denn gar nicht an das Aufsehen, das sie nothgedrungen erregen muß, an die unausbleiblichen Folgen? Gerade jetzt, wo die Regierung nur auf das Einlenken, nur auf die Versöhnung bedacht ist, wo ihr alles daran liegt, populär zu sein, und sie beinahe ängstlich jedem Conflicte aus dem Wege geht, gerade jetzt ist nicht die Zeit, diese alten, halbvergessenen Erinnerungen an die Revolution so schonungslos wieder an das Tageslicht zu ziehen.“

Der Polizeidirector zuckte die Achseln. „Ich habe meine Pflicht gethan, nichts weiter. Doctor Brunnow war zu langjähriger Festungshaft verurtheilt und hat sich derselben durch die Flucht entzogen. Er weiß, daß er bei seiner Rückkehr dem Gesetze verfällt. Er ist dennoch gekommen und muß die Folgen tragen.“

„Ich dächte, Sie wären lange genug im Amte, um zu wissen, wie oft der Buchstabe des Gesetzes der Nothwendigkeit des Augenblickes geopfert wird,“ sagte Raven mit steigender Heftigkeit. „Weshalb ist der Flüchtling denn zurückgekehrt? Die öffentliche Stimme wird in der entschiedensten Weise Partei nehmen für den Mann, der in der Todesangst um das Leben seines einzigen Sohnes, in der Hoffnung, ihn durch seine ärztliche Kunst vielleicht noch zu retten, der eigenen Gefahr trotzte. Brunnow wird zum Märtyrer, dem die Sympathie des ganzen Landes gewiß ist. Glauben Sie, daß uns dergleichen erwünscht ist? Sie handelten auf einen rein persönlichen Verdacht hin. Sie werden sich wenig Dank damit in der Residenz verdienen.“

Die Heftigkeit dieser Worte ließ sie fast beleidigend erscheinen, aber der Polizeidirector entgegnete ruhig und artig:

„Das müssen wir abwarten. Ich habe nach bestem Ermessen gehandelt und bedauere nur, daß meine Maßregel so wenig Beifall findet. Auf eine Mißbilligung Ihrerseits war ich am wenigsten gefaßt, denn gerade Sie, Excellenz, haben jene Zurückhaltung von Seiten der Regierung, jene Scheu vor Conflicten von jeher als Schwäche verurtheilt und zeigen es jetzt eben wieder der Stadt gegenüber, daß Sie nur von einem rücksichtslosen und energischen Vorgehen Erfolg erwarten.“

Der Freiherr biß sich auf die Lippen. Er fühlte, daß er sich allzu weit habe fortreißen lassen, und fragte abbrechend: „Doctor Brunnow hat sich also zu seinem Namen bekannt?“

„Ja. Er war allerdings sehr bestürzt, als man ihm die Verhaftung ankündigte, faßte sich aber sofort wieder und leugnete nichts ab. Es wäre in diesem Falle auch nutzlos gewesen. Ich habe dafür gesorgt, daß sein Sohn für’s Erste noch nichts von dem Vorfalle erfährt, wenigstens hat mir Hofrath Moser versprochen, zu schweigen. Der arme Hofrath! Er bekam beinahe einen Ohnmachtsanfall, als ich ihm entdeckte, wer der vorgebliche Doctor Franz sei. Er, der so ängstlich jede illoyale Berührung vermied, wird nun ganz ohne sein Verschulden in solche Beziehungen förmlich hineingerissen.“

„Ich hoffe wenigstens, daß Sie Ihrem Gefangenen die möglichste Rücksicht angedeihen lassen,“ sagte Raven, ohne auf die letzten Worte zu achten. „Die Veranlassung zu seiner Rückkehr und die Aufopferung seines Sohnes für Ihre Beamten geben ihm den vollsten Anspruch darauf.“

„Ohne Zweifel,“ stimmte der Polizeidirector bei. „Doctor Brunnow wird sich über nichts zu beklagen habe. Er ist vorläufig in einem Zimmer des Stadtgefängnisses, und ich habe auch die Vorkehrungen zu seiner Bewachung mit der größten Schonung getroffen. Streng muß diese Bewachung allerdings sein; es könnte sonst eine nochmalige Flucht oder – Befreiung versucht werden.“

Raven’s Auge heftete sich voll und finster auf das Gesicht seines Begleiters. Der leise Hohn, der um dessen Lippen spielte, sagte dem Freiherrn, daß seine Beziehungen zu dem ehemaligen Jugendfreunde kein Geheimniß mehr seien, und daß der Schlag nicht gegen Brunnow, sondern gegen ihn selber geführt wurde. Zu welchem Zwecke, das errieth er im Augenblicke noch nicht, aber der Polizeidirector war nicht der Mann, der sich einer Uebereilung schuldig machte oder Dinge unternahm, die ihm eine ernste Verantwortlichkeit auferlegten. Er wußte immer, was er that.

„Flucht! Befreiung!“ wiederholte Raven mit Bitterkeit. „Dafür möchte es wohl zu spät sein.“

„Ich hoffe das auch, will aber doch nicht die nöthige Vorsicht versäumen. Man kann nie wissen, wie weit die Verbindungen dieser Flüchtlinge reichen. – Das waren die Mittheilungen, um deren willen ich Sie aufsuchen wollte. Jetzt möchte ich Sie nicht länger in Anspruch nehmen. Wir kommen sogleich an meinem Bureau vorüber – darf ich bitten, dort anhalten zu lassen? Es wartet wahrscheinlich wieder eine ganze Fluth von Geschäften auf mich.“

Nach kaum zehn Minuten hielt der Wagen vor dem Polizeibureau, und der Chef desselben verabschiedete sich in verbindlichster Weise von dem Freiherrn, der nach dem Schlosse weiterfuhr. Endlich waren ihm einige Minuten des Alleinseins vergönnt. Seit heute Morgen traf ihn Schlag auf Schlag. Erst der Brief des Ministers, dann die Eröffnung des Oberst Wilten, endlich die Nachricht von der Verhaftung Brunnow’s. Die drohenden Anzeichen mehrten sich, und Rudolph’s Prophezeiung war vielleicht ihrer Erfüllung näher, als er selbst glaubte. Der Boden unter dem Mächtigen begann zu wanken und zu weichen, und zum ersten Male blickte er von seiner schwindelnden Höhe nieder mit dem Gedanken, wie tief wohl der Sturz sein könne. Aber Arno Raven erbleichte nicht vor solchen Gedanken. Der stolze, energische Trotz in seinen Zügen zeigte, daß er nicht gesonnen war, der drohenden Gefahr auch nur einen Schritt zu weichen. Wenn sie auch jetzt von allen Seiten gegen ihn heranzog, er wollte nicht unterliegen, und mit diesem unbeugsamen Willen, dessen Macht sich so oft schon bewährt hatte, trat er auch jetzt dem Sturme entgegen.

(Fortsetzung folgt.)
[468]
Skizzen aus Niederdeutschland.
2. Das venetianische Hamburg.

Wenn man vom Handel in seiner Gesammtheit ein einziges gewaltiges und zugleich plastisches Bild haben will, so muß man es in Hamburg suchen, sobald mit dem Grauen des Morgens jenes Getriebe erwacht, das uns lebhaft an Goethe’s Worte im Faust erinnert: „Wo Himmelskräfte auf- und niedersteigen und sich die goldnen Eimer reichen“ –. Gold führen sie allerdings mit sich, jene Kräfte, welche in den verschiedensten Formen als Dampf-, Hebel-, Menschen- und Thierkraft thätig sind; auf- und niedersteigen sie als Theile des gewaltigen Räderwerkes, welches wir Verkehr nennen, und durch ihre langen Reihen läuft Gut um Gut in geordneter Folge.

Hamburger Fleet.
Nach der Natur aufgenommen von Ferdinand Lindner.

Diesem riesigen Verkehre nun, vor Allen der im Hafen gelöschten und für die Speicher der Stadt bestimmten Gütermasse gegenüber, würden die an sich nicht sehr breiten Straßen und die Tragfähigkeit von Rollwagen nicht entfernt ausreichen; hier tritt daher jenes bis in’s Herz der Stadt vordringende System von Wasserstraßen als willkommene Ergänzung ein, das einen der hervorragenden Charakterzüge im Bilde dieser Stadt ausmacht: die Fleete. Diese Fleete sind es, welche in ihrer Eigenschaft als gewaltige Lastträger die Güter gleich in größeren Massen den Speichern zuführen, wo sie entweder zur Lagerung kommen oder alsbald in die Adern des städtischen Kleinhandels übergeführt werden. Auf demselben Wege gelangt natürlich auch der Theil der Waaren, welche das Hinterland für den Export zur See nach Hamburg sendet, und die nicht ohne Weiteres aus dem Güterwagen der Eisenbahn an die Quais überladen werden, nach dem Hafen.

Es liegt auf der Hand, daß mit dieser Erleichterung der Communication eine wesentliche Ersparung, sowohl an Spesen beim unmittelbaren Verkehr wie auch, namentlich früher, an Capitalien für solche Anlagen verknüpft ist, zu denen andere Hafenstädte in Ermangelung ähnlicher günstiger Terrainverhältnisse gezwungen waren. Eben darum haben die Fleete, welche zum guten Theil natürliche Wasserläufe der Elbe und Alster sind, bei dem Aufblühen Hamburgs zur Handelsstadt in frühesten Zeiten jedenfalls eine wichtige Rolle gespielt.

Das zum Transporte auf dem Fleet verwandte Fahrzeug ist die „Schute“, bei deren Bau der Gesichtspunkt möglichst hoher Tragfähigkeit allein maßgebend war, ein mit starken Rippen versehener, fest gefügter, flacher und offener Kahn; empfindliche Ladungen werden bei Regenwetter mit dem „Persenning“, einer getheerten Leinewand, bedeckt. Die Fortbewegung findet mittelst des „Peekhaken“, einer sechszehn bis zwanzig Fuß langen Stange, statt, wie solche auch anderwärts dem ähnlichen Zwecke dient. Mit diesem Instrumente ist ein einziger Mann im Stande – vorausgesetzt, daß ihm die Fluth nicht zuwider ist, – eine Last von mehreren hundert Centnern fortzubewegen. Oft liegen ganze Flotten solcher Schuten in den breiteren Fleeten, und auch auf unserer Illustration bilden sie die hauptsächliche Staffage. Da wir nun diese Staffage so wie so, gegen Recht und Gebrauch, im Voraus in den Rahmen unserer Schilderung gezogen haben, so wollen wir gleich hier noch eine andere Gattung Fahrzeuge, welche die Fleete bevölkern, nämlich die „Ewer“, besprechen. Diese sind den Schuten gegenüber in der bedeutenden Minderzahl, was schon ihrer Bestimmung nach nicht anders möglich ist, indem ihre Ladung nur aus den ländlichen Producten der Elbufer, also wesentlich aus Grünwaaren, Obst, Kartoffeln einerseits und Fischen andererseits besteht.

Zu den schwerfälligen und unmalerischen Schuten bilden diese Ewer den flotten malerischen Gegensatz, denn sie sind Segler (natürlich nur außerhalb der Fleete als solche fortbewegt) und für alles Wetter und hohen Wellenschlag gebaut. In den Fleeten an der alten Börse bilden sie eine kleine originelle Flottille; sonst finden wir sie meist vereinzelt oder zu zwei, drei und vier an Stellen, wo kleine Gassen oder schmale Gänge zwischen den Brandmauern zweier Häuser aus der angrenzenden Straße zum Fleet hinabführen. Käufer, welche den Vortheil des Ankaufs aus erster Hand benutzen wollen, steigen hier zum Ewer hinunter. Ebenda pflegen auch vielfach Schuten anzulegen, welche Kohlen geladen haben und damit Kleinhandel treiben. Von Zeit zu Zeit ziehen noch kleine Jollen, das Hintertheil tief in das Wasser gedrückt, durch die Fleete, in denen Männer mit goldberänderten Mützen stehen und scharfen Auslug halten. Es ist die Hafenrunde, die Wasserpolizei, welche namentlich auf das im Hafen und Fleet verbotene Hausiren mit Spirituosen vigilirt und schon manchem der auf dem Wasser arbeitenden Spitzbuben das Handwerk gelegt hat.

Hiermit wäre die Besprechung der Staffage erschöpft, und wir wenden uns nun zur Schilderung der Fleete selbst. Was den allgemeinen Eindruck betrifft, so sind sie nicht allein sehr interessant, ja oft grotesk, sondern sie bieten auch theilweise Motive dar, die den höchsten malerischen Ansprüchen Genüge leisten, wofür unsere Illustration den Beweis liefert.

Der Bestimmung der Fleete entsprechend, sind natürlich unter den begrenzenden Gebäuden die Speicher vorherrschend; in und zwischen denselben, namentlich in den unteren Etagen, drängen sich eng aneinander Werkstätte und Wohnung des Handwerkers, und an der Mischung dieser Elemente liegt ein wesentlicher Theil des Charakters der Fleete ausgesprochen. Bei aufmerksamer Beobachtung wird man erkennen, daß, mit Ausnahme einiger Fleete in der Nähe des Binnenhafens, die Gebäude der Fleete immer [469] mit der davorliegenden Straße zusammenhängen, wie auch die hauptsächlicheren größeren Fleete im Volksmunde keinen selbstständigen Namen tragen. Fast jedes Fleet bildet die Rückseite einer Straße, das heißt einer Häuserreihe derselben. Hierin liegt schon an sich ein höchst pikantes Moment, namentlich soweit es sich um die innern fashionablen Theile der Stadt handelt. Während hier auf der Straßenfront glänzende Läden all die tausend Gegenstände des täglichen Bedürfnisses, Comforts und Luxus in reicher Auswahl darbieten, das Trottoir von einem dichten Strome von Passanten – darunter eine elegante Damenwelt –, das Pflaster von einem Durcheinander verschiedenster Wagen, Equipagen, Droschken, Milch- und anderer Karren, überragt vom hochgethürmten Omnibus, mannigfaltig belebt ist, brauchen wir nur um die Ecke und nach einer der über das Fleet führenden Brücken zu biegen, um uns nach wenigen Schritten dem schärfsten Contraste zu dem eben Gesehenen, der tiefen Stille und Einfachheit des Fleets gegenüber zu befinden, wo massive Kräfte in ruhigem abgemessenem Tempo geräuschlos thätig sind, die Schute schwerfällig durch das oft tief beschattete Gewässer einherzieht und der Waarenballen am Seile in gleichmäßigen Pausen durch die Luft nach dem Speicher emporsteigt, wo die Gebäude, im Unterschied von der modernisirten Straßenfront, noch den Giebel- und Fachbau, wenigstens zum größeren Theil, bewahrt haben.

In den großen Fleeten, welche mit wenigen Biegungen sich vom Hafen quer durch die Stadt bis in die Nähe des Alsterbassins ziehen, herrscht, entsprechend dem Charakter der angrenzenden Straßen, der mächtige Speicher, auch neuerer Bauart, vor und steigt oft, rechnet man das letzte Giebelfenster mit, zu einer Höhe von sechs bis sieben Etagen empor. Aus einer der obersten ragt dann der mit dem charakteristischen Schutzdach versehene Flaschenzug hervor; in neuerer Zeit wird das Aufziehen auch durch schwimmende Dampfwinden besorgt. Befindet sich der Flaschenzug – der seltnere Fall – zu ebener Erde, so nimmt das Schutzdach die Dimensionen eines kleinen Hauses an, das einem auf Stützen ruhenden Napoleonshut nicht unähnlich ist und der Umgebung einen niederländischen Charakter verleiht. Jene überall auf der aus der Front hervorspringenden Schutzdächer gehören wesentlich mit zu den charakteristischen Eigenthümlichkeiten der Fleete.

Hamburger Fleet.
Nach der Natur aufgenommen von Ferdinand Lindner.

Entfernen wir uns nunmehr vom eleganten Mittelpunkte der Stadt nach den Gegenden, wo die Straßen enger, das Pflaster holperiger und Giebel und Fachwerk vorherrschend werden, so beginnt auch das Fleet schmäler zu werden; die Speicher steigen teilweise von ihrer Höhe herab, Werkstätten und Wohnräume des Handwerkers überwiegen mehr und mehr, bis das Fleet, wie unsere Illustration zeigt, zum düsteren Wassergäßchen zusammenschrumpft. Während die größeren Fleete eine ziemlich glatte, ja oft reservirte Außenseite zeigen, blickt man hier in ein unentwirrbares Durcheinander von Dächern und Giebeln, von Balken und Bälkchen, Latten und eisernen Haken, die theils scheinbar zwecklos in den Luftraum hineinragen, theils mit Gegenständen, wie alten Kleidern, Wäsche, Lappen u. dergl. m. von oft zweifelhafter Form und noch zweifelhafterer Farbe behängt sind. Auf den unteren Vorsprüngen gruppirt sich dann eine Sammlung über Bord geworfener Gegenstände, als da sind zerbrochene Näpfe, Schalen, Küchenabfälle etc., zu einem mehr malerischen als appetitlichen Stillleben, das den zahlreich vorhandenen Ratten erwünschten Genuß bietet. Ein beobachtender Kater hat auf einem jener Häuschen oder Balcone Posto gefaßt, welche den Namen „Laube, Fleetlaube“ führen und in großer Zahl an den Wänden kleben. Es ist schon an und für sich rathsam, auch in größeren Fleeten nicht allzu nahe an den Häusern hinzufahren, da von Zeit zu Zeit ein Fenster geöffnet und ein Kübel gleich von oben herunter seines Inhalts entleert zu werden pflegt. In den engen schluchtartigen Fleeten dagegen wird die Situation wirklich beängstigend; es bieten sich da dem Auge zahlreich gewisse architektonische Widerlichkeiten dar, wie sie auf den häßlichen Kehrseiten eleganter Großstädte so vielfach zu finden sind. Das wirkliche Venedig weist in manchen seiner Canäle Aehnliches auf.

Ein Theil der Gebäude nickt lebensmüde vornüber und stemmt sich Schulter an Schulter gegen das Umsinken, worin es von Seiten der Menschen durch einige mitleidige Balken unterstützt wird. Dieses lebensmüde Haus, oder wenigstens dasjenige, welches mit dem rechten Winkel auf gespanntem Fuße lebt, ist übrigens für Hamburg typisch und in allen Stadttheilen durch einzelne oder mehrere Exemplare vertreten. Man sollte es nicht für möglich halten, daß in dem schiefen Gerümpel noch Menschen zu existiren vermöchten, ja zu existiren wagten. Freilich lockt die überaus billige Miethe; im Jahre 1876 ist aber der hamburgische Staatssäckel einmal übel gefahren, indem im November dieses Jahres ein Theil des Fleets an der Reichenstraße sich häuptlings in’s Wasser stürzte, wobei leider auch Menschen um’s Leben kamen. Da aber der hamburgische Staat Eigenthümer und Vermiether der alten Baracken war, so mußte er an dreißigtausend Mark Schadenersatz zahlen.

Wenn wir schließlich noch auf den dem Fleet ganz besonders eigenthümlichen stämmigen Unterbau von Balken mit ihrer verwitterten feuchten Außenseite, die sogenannten „Vorsetzen“, aufmerksam machen, auf welchen die Häuser errichtet sind, so können wir damit die Schilderung der Baulichkeiten schließen, um noch einige Worte über jenes Element zu sagen, das bei dieser Gattung Straßen eine wichtige Rolle spielt – das Wasser. Auf ihm beruht die manchen Besuchern Hamburgs auffällige Aehnlichkeit mit venetianischen Scenerien, eine Aehnlichkeit, die in einer sommerlichen Mondnacht oft geradezu frappant hervortritt.

Wir nannten das Wasser des Fleets den Lastträger der Stadt, und getreu diesem seinem öffentlichen Amte hat es auch ein ruhiges gesetztes Benehmen und ist weit entfernt von den [470] Excessen seiner oft stürmisch erregten, schäumende Wogen aufwerfenden Mutter Elbe – es fluthet und ebbt vorschriftsmäßig, wie es im Hamburger Kalender steht. Ganz besonders trägt hierzu bei, daß der Fleetverkehr, da das Niveau der Elbe von dem der Alster wesentlich verschieden ist, durch Schleußen (Schleußenbrücke, Graskeller, Ellernthorbrücke) vermittelt wird. Der Anblick der von der Ebbe trocken gelegten Fleete ist freilich kein sehr anmuthiger oder appetitlicher. Aber selbst in dem nun zu Tage tretenden Schlammboden findet der Mensch eine Quelle seines Unterhaltes. Mit hohen Wasserstiefeln an den Beinen, einen Korb auf dem Rücken und einen Stab mit eisernem Haken in der Hand, erscheint der „Fleetenkieker“, eine besondere Species der Hamburger Lumpensammler, welcher die auf dem Boden des Fleets versenkten verlorenen Gegenstände hervorsucht.

Nur in einem Falle neigt das geduldige trübflüssige Gewässer des Fleets zum Excesse und führt denselben oft auf das Nachdrücklichste aus. Wenn ein steifer Nord-Wester um die Giebel und Dächer heult und schwere Regenwolken über die düstere Elblandschaft hinziehen, dann blickt der Bewohner der Räume, welche zunächst über dem Wasserspiegel gelegen sind, bedenklich zum Himmel hinan und auf die Höhe des Wasserstandes hinunter: Es wird Sturmfluth geben diese Nacht. Er rüstet seine Habseligkeiten zum schleunigen Transporte und legt sich zu Bette „wie immer, aber zum Sprunge bereit“.

Die Nacht ist vorgeschritten – da schnellt er in die Höhe und horcht – ein schwerer, dumpfer Schlag schmettert über die Straßen hin – wieder einer – ein dritter. Die Geschütze auf dem Stintfange am Hafen benachrichtigen die Bevölkerung, daß die Telegramme von Cuxhaven hohe Fluth verkünden. Noch braucht er keine Ueberfluthung seines Heimwesens zu befürchten, wenn keine neuen Signale erfolgen; die ersten drei Schüsse gelten nur zur Warnung. Aber da donnert es schon wieder herüber – ein-, zwei-, dreimal! Nun gilt es, das Feld zu räumen; Alles, was transportabel und vom Wasser zerstörbar ist, wird hinaufgeschleppt, während neue Salven über die Stadt rollen; bald sickert die dunkle Fluth über die Diele und steigt plätschernd an den Wänden empor. Wie Mancher aber – sei es in Folge eines allzu gesunden Schlafes, sei es, weil das Sturmgeheul die Signale verschlang – ist erst davon erwacht, daß das Wasser bereits sein Bett umspülte! Da gilt dann freilich kein langes Besinnen; nach den Hausschuhen braucht man nicht zu suchen; sie schwimmen schon handgerecht am Bettrande, und aus den warmen Federn geht es hinein in das kalte Element.

Wirklich lebensgefährliche Situationen sind jedoch dabei höchst selten. Die „Lüd von de Waterkant“ haben eine gewohnheitsmäßige Technik für solche Fälle erworben, welche zur Zeit der Aequinoctien regelmäßig, ja oft, besonders wenn die Elbe hohen Wasserstand hat, tagelang hinter einander wiederkehren. Ja, sie wundern sich wohl, wenn die Ueberschwemmung ausbleibt, daß der Keller „gar nicht gespült worden ist“.

Wenn man bedenkt, daß die Ueberschwemmung jedes Mal einige Stunden andauert, so bleibt es für unsere Anschauung unbegreiflich, wie Menschen hiernach wieder in den durchnäßten Räumen, Wasserratten gleich, existiren können; freilich sind Rheumatismus und ähnliche Leiden ihre Stubengenossen, aber dennoch gestalten sich die feuchten Räume nicht in dem Grade zu Krankheitsherden, wie man zu glauben geneigt sein dürfte.

Wir schließen unsere Schilderung vom „venetianischen Hamburg“, nicht ohne unseren Lesern dringend anzurathen, bei einem Besuche der stolzen Elbstadt diese charakteristische Seite derselben genauer in’s Auge zu fassen, als das meist von den Fremden zu geschehen pflegt; wer die Fleete besucht, der wird sich – und namentlich der Binnenländer – in einer ganz fremdartigen Welt finden und die dort empfangenen Eindrücke jedenfalls als ganz besonders interessant in seinem Tagebuche verzeichnen.


William Makepeace Thackeray.
Von Ludwig Kalisch.

Es war an einem heiteren Sommermorgen 1850, als ich mich, mit einigen freundlichen Zeilen von Philarète Chasles versehen, zu Thackeray, dem berühmten englischen Humoristen und Romandichter, begab. Der Bediente, der mir die in England stets verschlossene Hausthür öffnete, bemerkte, daß sein Herr um diese Stunde Niemand vorließe. Da ich indessen den weiten Weg nicht noch einmal zurücklegen wollte, so übergab ich ihm das Einführungsschreiben. Bald kehrte er zurück und zeigte mir die Thür, die zum Zimmer seines Herrn führte.

Ich öffnete sie, und ein riesiger Mann in einem leinenen Rocke trat mir entgegen und hieß mich mit einem herzlichen Händedruck willkommen. Er hatte eine Radirnadel in der Hand, da er gerade beschäftigt war, die Illustrationen zu den letzten Heften seines Romans „Arthur Pendennis“ zu vollenden. Er reichte mir eine Cigarre und stellte mir einen Stuhl neben den seinigen; während er mit der Nadel arbeitete, unterhielt er sich auf’s Lebhafteste mit mir von tausenderlei Dingen, besonders aber von deutscher Literatur. Ich sah bald, daß er von derselben eine genauere Kenntniß hatte, als man sie gewöhnlich bei einem Ausländer voraussetzen darf, und als ich ihm darüber meine Verwunderung ausdrückte, sagte er mir, daß er in seiner Jugend mehrere Jahre in Deutschland zugebracht, daß er längere Zeit in Weimar gelebt und den Olympier Goethe persönlich gekannt habe. Ich bemerkte in Allem, was er sprach, eine außerordentliche Klarheit, eine besonnene Würdigung der Zeitverhältnisse und eine scharfe, aber richtige Beurtheilung der Menschen. Besonders freute es mich, in seiner Unterhaltung nichts von jenem affectirten Wesen zu entdecken, das so viele Schriftsteller diesseits und jenseits des Canals auszeichnet und deren Umgang so unausstehlich macht. Er sprach wenig oder gar nicht von sich selbst und suchte auch nicht im Geringsten die Gelegenheit, sich zum Gegenstande der Unterhaltung zu machen. Er klagte weder über das Publicum, noch über die Buchhändler; er beschwerte sich weder über die Recensenten, noch über seine Musengenossen, und er zog seinem Gespräche keine Sonntagskleider an, damit es in irgend einem Journale dem Leser wortgetreu überliefert würde. Kurz, Thackeray machte auf mich, der ich schon so viele Jünger Apollo’s in Deutschland und in der Fremde gesehen, einen höchst günstigen Eindruck, und als meine Cigarre ausgeraucht war und ich mich von ihm verabschiedete, wünschte ich recht lebhaft, mit ihm genauer bekannt zu werden.

Dieser Wunsch wurde auf’s Allerbefriedigendste erfüllt. Während meines mehrjährigen Aufenthaltes in London war ich oft, ja zu gewissen Zeiten fast täglich in seinem Hause und im Kreise seiner Familie, sodaß ich Gelegenheit gehabt, ihn genauer kennen zu lernen, als so Viele, die über ihn geschrieben.

Man weiß, daß der Verfasser der „Vanity fair“, auf welches Werk wir sogleich zurückkommen werden, seine trüben, seine kummervollen Tage hatte, daß gar manches traurige Jahr verging, bis es ihm gelang, seinem Talente die gebührende Geltung zu erkämpfen. Der Weg zum Ruhme ist viel dornenvoller, als die unberühmten Leute glauben. Man muß außer dem angeborenen Talente einen eisernen Willen, eine eiserne Kraft besitzen, um nicht auf halbem Wege zu erliegen. Thackeray ist 1811 in Calcutta geboren, wo sein Vater Beamter der ostindischen Compagnie war, und kam noch jung genug mit seinen Eltern nach London, um in voller Frische wissenschaftliche und Kunststudien treiben zu können. Nachdem sein Vater jedoch sein nicht unbeträchtliches Vermögen in falschen Speculationen verloren hatte, sah sich der junge Mann in die peinlichste Lage versetzt, und er hatte Zeiten, wo er mit seiner Familie darben mußte. Er floh in die Literatur; seine ersten Leistungen erwarben sich jedoch nur Geltung in engeren Kreisen. Vielen war seine Satire unverständlich; Anderen erschien sie gehässig, und so sah sich Thackeray als Autor vieler Schriften mehr recensirt als gelesen, und mehr gelesen als verstanden. Seine „Irländischen Skizzen“ sowie seine „Reise von Cornhill nach Kahira“, die er unter dem Namen Michael[WS 2] Angelo Titmarsh herausgab und als gewandter Zeichner selbst illustrirte, erwarben sich einige Gunst, aber sie versprachen nichts weniger als eine glänzende literarische Laufbahn. Eines bedeutenden Erfolges erfreute sich jedoch sein „Buch [471] der Snobs“, eine Satire, die der Punch veröffentlichte und die sowohl wegen des Stoffes als auch wegen der geistreichen Behandlung einen sehr ausgedehnten Leserkreis gewann.

Was aber ist ein Snob? wird der Leser fragen.

Ein Snob ist ein Philister. Man kann dieses Wort nicht einfacher und erschöpfender übersetzen. Was das Philisterthum in Deutschland, das ist der Snobismus in England. Der englische Philister unterscheidet sich zwar von dem deutschen Philister, wie sich überhaupt John Bull von unserem Michel unterscheidet; im Ganzen aber gleicht er diesem darin, daß ihm für alles Edle und Erhabene der Sinn fehlt, daß er sich nur in der Plattheit behaglich fühlt und sich gern denen anschließt, die so platt sind wie er selbst.

In der erwähnten Schrift lieferte Thackeray eine Naturgeschichte der verschiedenen Arten und Gattungen der Snobs. Er ist der Cuvier des Snob-Reichs, und seine Satire hat nicht wenig zur Verbreitung des „Punch“ beigetragen.

Thackeray arbeitete auch viel an „Frazer’s Magazine“ und lieferte für dasselbe z. B. eine sehr geistreiche satirische Skizze „Unsere Weiber“. Indessen diese und ähnliche Arbeiten erwarben ihm wohl Anerkennung, jedoch keinen allgemeinen Ruf. Man hielt ihn für einen geistvollen Literaten, der eine spitze Feder führte, aber für keinen Schriftsteller, der berufen wäre, in der englischen Literatur eine bleibende Stelle einzunehmen. Da trat er unerwartet mit dem ersten langathmigen Werke, mit dem Romane „Vanity fair“ auf, und seine Stellung als Schriftsteller ersten Ranges war gesichert. Dieser bereits genannte „Roman ohne einen Helden“ ist ein wahrhaftiger Spiegel von vielerlei Eitelkeiten. Er schildert in demselben „das bewegte Leben nach allen Seiten, die Heuchelei und Lächerlichkeit, die sich unter prächtigen Masken breit machen“ und führt namentlich den englischen Leser gleichsam in „einen Saal, von dessen Wänden ihn die Portraits all der Thoren anlachen, mit denen er während seiner Lebenszeit zusammengetroffen“.

Als ich eines Tages bei Thackeray war und er in seinen Papieren herumstöberte, fiel ihm eine Abschrift seines besten Romans in die Hände. Er zeigte mir dieselbe nicht ohne sichtbare Rührung und mit der Bemerkung, daß es ihm unendlich viel Mühe gekostet, für das Lieblingskind seiner Muse einen Abnehmer zu finden. Er liebte es überhaupt, in vertrauten Augenblicken von diesem Buche zu sprechen, das seinen düsteren Lebensverhältnissen eine solche günstige Wendung gegeben. Als ich an einem Winterabende mit ihm und einem irländischen Romanschriftsteller in einem kleinen, aber sehr gemüthlichen Zimmer des „Swan-Hôtel“ saß, zeigte er mir das Ecktischchen, an welchem er die Vorrede zu „Vanity fair“ geschrieben.

Sogleich nach dem Erscheinen dieses Romans wurde Thackeray der Held des Tages. „Vanity fair“ ward in allen Häusern gelesen, und der Autor war der Gegenstand der Unterhaltung in gebildeten und halbgebildeten, in aristokratischen und in aristokratischthuenden Kreisen. Noch ein anderer, höchst sonderbarer Umstand kam hinzu, seiner Persönlichkeit ein seltenes Interesse zu verleihen. Die Verfasserin des schönen Romans „Jane Eyre“, die pseudonyme Currer Bell (Miß Bronte), sprach in einer Vorrede ihre Bewunderung für das Talent Thackeray’s aus und stellte ihn über die englischen Humoristen des 18. Jahrhunderts. Das Publicum, das so oft den Autor mit dessen Helden verwechselt, glaubte nun, daß die Verfasserin der „Jane Eyre“ in diesem Roman ihr eigenes Leben geschildert und daß der Held dieses Romans, Rochester, kein Anderer wäre, als William Makepeace Thackeray. Das vermuthungssüchtige Publicum hatte für diese Vermuthung mehrere Gründe. Rochester, der Held des Romans „Jane Eyre“, schien nicht nur der Schilderung der äußeren Erscheinung nach ein Portrait Thackeray’s zu sein, sondern der Umstand, daß dessen Gattin seit Jahren an einer unheilbaren Geisteskrankheit litt, gab dieser Vermuthung einen noch weiteren Spielraum, und so machte man in den Londoner Salons einen Roman, in welchem ein Romanschriftsteller und eine Romanschriftstellerin die Hauptpersonen bildeten. Man behauptete sogar, daß Jane Eyre im Hause Thackeray’s lebe, und als ich mich einst in einer Gesellschaft befand, in der man wußte, daß ich Thackeray oft sehe, ward ich von allen Seiten mit der Frage bestürmt, ob ich nicht die Gouvernante seiner zwei Töchter kennte, die keine Andere wäre, als Currer Bell. Ich wußte recht gut, daß Miß Bronte damals in Yorkshire wohnte, und zwar als Jungfrau, die fast vier Dutzend Jahre hinter sich hatte und also älter war als Thackeray. Ich erfuhr von diesem, daß ihm der hinter seinem Rücken auf seine Kosten entworfene Roman nicht unbekannt war, ja, daß ihm einst einer seiner liebenswürdigen Landsleute geradezu mit der höchst naiven Frage zu Leibe rückte, was denn eigentlich an der Sache wäre? Thackeray, der ein Mann von Geist war und einen guten Spaß liebte, that sehr geheimnißvoll und mystificirte seinen zudringlichen Landsmann auf die komischste Weise.

Man hat Thackeray oft mit Dickens verglichen. Seine Freunde haben ihn hoch über diesen, seine Gegner mehr oder minder tief unter ihn gestellt. Freunde und Gegner sind in einem großen Irrthume befangen. Obgleich beide Schriftsteller die englische Gesellschaft zum Hauptthema ihrer Werke machen, sind doch diese himmelweit von einander verschieden. Dickens berührt nicht gern die höheren Schichten der Gesellschaft; Thackeray vermeidet in seinen Romanen absichtlich, die unteren Volksclassen zu berühren. Thackeray geißelt die höheren und mittleren Stände; Dickens schildert mit Vorliebe die niederen Volksclassen. Thackeray deckt nur die Thorheiten und Schwächen gewisser Stände auf, die Muse Dickens’ aber steigt selbst bis in den Abgrund der furchtbarsten Verbrechen hinab. Thackeray hat keine reiche Phantasie. Er schafft wenig Typen. Sein scharfer analytischer Verstand aber zersetzt jeden Charakter und zeigt uns die logische Nothwendigkeit in dessen Handlungen. In der Charakterschilderung ist Thackeray ein großer Meister. Dickens’ schöpferische Einbildungskraft führt uns eine Menge Personen vor und läßt sie in mannigfache Conflicte, in die unerwartetsten Situationen gerathen; diese Conflicte sind jedoch häufig zu gewaltsam herbeigeführt; diese Situationen sind selten motivirt. Dickens’ schwächste Seite ist die consequente Durchführung eines Charakters. Man verzeiht ihm indessen diese Fehler, sowie man ihm seine häufigen Sünden gegen den guten Geschmack und seine unkünstlerische Effecthascherei verzeiht, und zwar wegen des Adels seiner Gesinnung und der ihm eigenthümlichen, sich niemals verleugnenden Gefühlswärme.

Dickens sitzt fest im Herzen seines Volkes. Er war auch persönlich sehr beliebt, und zu denen, die ihn am aufrichtigsten liebten, gehörte Thackeray, der keinen Handwerksneid kannte und auch von keiner Literaten-Eitelkeit besessen war. Die Siege eines Andern raubten ihm nicht den Schlaf, und seine eigenen Siege verblendeten ihn durchaus nicht über sich selbst. Man konnte die allerstrengste Gerechtigkeit gegen ihn üben, ohne sich seinem Groll auszusetzen. Thackeray hatte eine derbe Haut. Er gehörte nicht zu jenen Schriftstellern, die Ach und Zeter schreien, wenn sie von irgend einem literarischen Floh gestochen werden. Er wußte auch recht gut, daß er niemals die Popularität Dickens’ erlangen, daß er niemals in die unteren Volksschichten dringen würde. Beide Schriftsteller waren während kurzer Zeit etwas über den Fuß gespannt, schlossen sich aber bald um so inniger an einander an, und ihre Freundschaft ging auf ihre Kinder über.

Thackeray hatte viel Verstand, er war aber kein bloßer Verstandesmensch. Er räumte dem Verstande keine tyrannische Gewalt über sein Herz ein; ja, er war sogar einer der gefühlvollsten Menschen, die man sich denken kann. Als ich ihm nach der Lectüre des „Pendennis“ bemerkte, daß mir die Mutter dieses Romanhelden der gelungenste und sympathischste Charakter schiene, deutete er tief gerührt auf das Portrait seiner Mutter, das in seinem Arbeitszimmer hing, und rief: „Das ist die Mutter des Pendennis!“ Man weiß, welche Rolle dem Muttergefühl in „Vanity fair“ zugetheilt ist. Das Bild seiner Mutter schwebte beständig vor seiner Phantasie.

Kurze Zeit bevor ich die Bekanntschaft Thackeray’s machte, wurde Gorehouse, die prächtige Residenz der Lady Blessington, mit dem kostbaren Inhalt von Möbeln, Büchern und Kunstgegenständen versteigert. Die Besitzerin hatte sich genöthigt gesehen, vor ihren Gläubigern nach Frankreich zu fliehen, und in den prunkenden Gemächern, wo die berühmtesten und geistvollsten Männer Europas sich so oft versammelt, drängten sich Krämer aller Confessionen, jeden Gegenstand betrachtend und taxirend. Aber auch viele Neugierige, die das Haus in seiner Pracht und Herrlichkeit gekannt, kamen herbei, um an dem Contraste sich zu [472] weiden. Alle Säle waren gedrängt voll, aber unter der bunten Menge war nur ein Einziger, der, von dem Wechsel menschlicher Dinge heftig ergriffen, sich eine Thräne aus dem Auge wischte: und dieser Mann war William Makepeace Thackeray.

Ein anderes Beispiel von der Wärme seines Herzens!

Eines Tages, als ich bei ihm vorsprach, rief er mir entgegen: „Wie freut es mich, daß Sie kommen! Sie können mich vielleicht aus einer großen Verlegenheit reißen.“ Und als ich ihn fragte, um was es sich handelte, sagte er, daß ein deutscher Künstler seine Dienstfertigkeit in Anspruch genommen. „Er hat mir bereits zweimal geschrieben,“ fuhr er fort, „aber immer das Hauptsächlichste vergessen: seine Adresse. Die Unbeholfenheit dieses Mannes erregt meine lebhafteste Theilnahme. Ich möchte ihm gern dienen und in ihm den Verdacht nicht aufkommen lassen, daß ich seine Briefe gleichgültig in den Papierkorb geworfen.“ Er bat mich sodann, nichts unversucht zu lassen, um etwas Näheres über meinen Landsmann zu erfahren. Dies gelang mir jedoch trotz aller meiner Bemühungen nicht, worüber Thackeray ganz trostlos war.

Ich sah ihn, nachdem ich London verlassen, oft in Paris, wo seine Mutter wohnte, eine edle ehrwürdige Matrone, in deren Antlitz die Spuren früherer Schönheit noch deutlich zu sehen waren. Bei ihr lebten, während Thackeray’s Reisen in den Vereinigten Staaten, seine zwei Töchter. Ich glaube, es war im Spätsommer 1861, als ich ihn zum letzten Male sah. Ich begegnete ihm auf den Boulevards und fand ihn aufgeregt. Er sagte mir, daß er soeben seiner älteren Tochter das letzte Capitel der „Newcomes“ dictirt habe. Er lud mich ein, mit ihm eine Spazierfahrt nach dem Bois de Boulogne zu machen, und klagte mir auf dem Wege, daß seine Gesundheit zerrüttet, daß alle seine Illusionen dahingeschwunden und daß er froh sei, durch die Früchte seiner Arbeit die Zukunft seiner Kinder gesichert zu wissen. Die häufigen Reisen nach Paris fingen an, ihn zu ermüden; er überredete deshalb seine von ihm wahrhaft angebetete Mutter nach London überzusiedeln und in seinem Hause den Abend ihres Lebens zu verbringen. Das Glück, in seiner Nähe zu leben, währte nur kurze Zeit. Am 24. December 1863 ward ihr der Sohn, in dessen Ruhm sie sich verjüngte, plötzlich durch den Tod entrissen. Dieser Verlust brach ihr das Herz, und sie folgte ihm bald in’s Grab.

Thackeray war von athletischem Körperbau. Auf seinen breiten Schultern saß ein gewaltiger Kopf, der von Energie und Festigkeit des Willens zeigte. Er hatte bereits schneeweißes Haar, als er kaum das Jünglingsalter überschritten, was ihn viel älter erscheinen ließ, als er war. Sein Gesicht war voll und derb und wäre vielleicht schön zu nennen gewesen, hätte sich nicht die Nase auf Kosten desselben so sehr breit gemacht. Was indessen das Gesicht dadurch an Adel verlor, gewann es an Originalität. Wenn sich Thackeray’s Züge im Gespräch belebten, hatten sie sogar einen ganz eigenthümlichen Zauber.

Im Umgang war Thackeray schlicht, wohlwollend und ohne die allergeringste Prätension. Er zeigte sich oft kaustisch, doch ohne jemals zu verletzen. Obgleich Engländer durch und durch, war er doch frei von den Vorurtheilen, die, wenigstens noch vor drei Decennien, in seinem Vaterlande gegen alles Nichtenglische herrschten. Thackeray war ein Gentleman, und zwar in der umfassendsten, vor allein in der schönsten Bedeutung des Wortes.


Blätter und Blüthen.


Ein deutscher Freihandels-Apostel“. So nannte die „Gartenlaube“ im Jahrgang 1863 den berühmten volkswirthschaftlichen Schriftsteller Julius Faucher, der, seiner Fahne bis zum Ende getreu, am 12. Juni dieses Jahres in Rom gestorben ist. Er ist nur achtundfünfzig Jahre alt geworden und stand in der höchsten Manneskraft, als vor fünfzehn Jahren die „Gartenlaube“ zu seiner Lebensschilderung sein Bildniß brachte. Wie die Freundeshand Heinrich Beta’s ihn vor uns hingestellt hat, mit seiner gewaltigen Arbeitskraft, seinem vielseitigen Wissen und dem Scharfblick, der in ihm sofort das volkswirthschaftliche Genie und den culturgeschichtlichen Hellseher erkennen ließ, – so hat er fortgewirkt, bedeutend als Schriftsteller, aber noch weit bedeutender als Redner, selbst als in den letzten Jahren seine Gesundheit erschüttert war und ein Augenleiden ihm das Schaffen erschwerte.

Faucher’s schriftstellerische Hauptthätigkeit blieb seit 1863 seiner „Vierteljahrsschrift für Volkswirthschaft und Culturgeschichte“ gewidmet. Im Kriege 1870 hatte ihm die englische Zeitung „Daily News“ die Organisation der Berichterstattung vom Feld aus anvertraut. Ebenfalls in englischer Sprache schrieb er über die Aufhebung der Leibeigenschaft in Rußland und über die englischen Branntweinzölle. Als eine werthvolle Reisefrucht begrüßte man seinen „Winter in Italien, Griechenland und Constantinopel“ (zwei Bände, Magdeburg, Faber); sein letztes Werk war das von Rümpler in Hannover 1877 gedruckte Buch: „Vergleichende Culturbilder aus den vier europäischen Millionenstädten“ (Berlin, Wien, Paris und London).

Was aber hatte in derselben Zeit dieser eine Mann als Redner und Organisator geleistet! Wollen wir auch seine Thätigkeit im preußischen Landtage nicht besonders hervorheben, so verdient dies doch vor Allem seine anregende Theilnahme an vielen volkswirthschaftlichen Congressen. Er hat 1865 in Wien das Eintreten des Kaiserstaats in das System der Cobden’schen Handelsverträge betrieben und wiederholte dies drei Jahre später in Petersburg für Rußland. Auf dem volkswirthschaftlichen Congreß zu Breslau (1868) gründete er den „Verein für Fluß- und Canalschifffahrt“. Bei der Landtagswahl 1871 dem Exminister Bodelschwingh erlegen, lebte er wieder in London und auf Reisen, nahm 1873 Theil am volkswirthschaftlichen Congreß in Wien und an den Arbeiten der Presse für Wiederherstellung der Valuta in Oesterreich. Auch die Feste des „Cobden-Clubs“ in London ehrten in ihm einen ihrer besten Sprecher. Wer so, wie Julius Faucher, in zweien Nationen Führer-Ehre auf einem der wichtigsten Arbeitsfelder erworben, wird nicht sobald der Vergessenheit anheimfallen.



Die Heizung einer ganzen Stadt von einer einzigen Centralstelle aus ist im letzten Winter zum ersten Male mit gutem Erfolge zu Lockport im Staate New-York unternommen worden und wird auch während des Sommers fortgesetzt, um den Haushaltungen kochendes Wasser, den Gewerbetreibenden Dampf und Bewegungskraft zuzuführen. Einem kürzlich erschienenen Berichte von Mr. G. Maur entnehmen wir folgende Einzelheiten. Die Centralstelle enthält drei Dampfkessel, zwei von 16:5 Fuß und einen von 8:8 Fuß Länge und Durchmesser. Der überhitzte Dampf, den man in diesen Kesseln erzeugt, wird durch ein in seiner Gesammtheit drei englische Meilen langes Hauptröhrensystem in zweihundert Häuser geleitet, und diese unterirdischen Hauptröhren sind ebenso, wie die in die Häuser eintretenden Zweigröhren, durch Umgebung mit Substanzen, welche die Wärme schlecht leiten, derartig geschützt, daß sie nur wenig Wärme auf ihrem Wege verlieren. Die Ersparniß besteht darin, daß weniger Feuerstellen nöthig sind und daß die Wärme beinahe vollkommen ausgenützt wird, während in den Oefen der größte Theil derselben zum Schornstein hinausgeht. Dazu kommt die höchste Sauberkeit. Man öffnet einen Hahn, und sofort strömt der mehr als hundert Grad heiße Dampf durch den Zimmerofen, der aus einem einfachen oder doppelten Kranze senkrecht gestellter zollstarker Metallröhren von circa dreißig Zoll Länge besteht. Oben vereinigen sich dieselben zu einem Ringe, unten zu einem Behälter, aus welchem man jederzeit verdichtetes, beinahe kochendes Wasser für Haushaltungszwecke entnehmen kann.

In sehr kurzer Zeit sind die Zimmer durchheizt, und die Geschäfte der Küche erledigen sich überraschend schnell. Gewerbe, die, wie z. B. die Färberei, die Erhitzung größerer Wassermengen zur Siedetemperatur brauchen, erreichen dies mittelst Dampfdurchleitung aus siebförmigen Oeffnungen in zwei bis fünf Minuten, wozu sie sonst stundenlanger Feuerung bedurften. Selbst zwei Dampfmaschinen von zehn und vierzehn Pferdekraft entnehmen ihren Kraftbedarf aus der reichlich eine halbe englische Meile entfernten Anstalt. Da das Unternehmen vorläufig einen gemeinschaftlich unternommenen Versuch darstellt, so verlautet über den Kostenpunkt nichts Bestimmtes, doch dürfte derselbe sich, abgesehen von der größeren Bequemlichkeit und Reinlichkeit, kaum höher als derjenige der Privatheizung stellen.



Kleiner Briefkasten

Ch. D. in G. Unsere mit so vielem Beifall aufgenommene Zeitstudie Die Socialdemokratie und die Schule (Nr. 25) hat den Maler Ferdinand Lindner zum Verfasser, dessen illustrierter Artikel „Das venetianische Hamburg“ unsere heutige Nummer schmückt.



Für die Hinterlassenen der verunglückten Seeleute vom „Großen Kurfürsten“
gingen ferner ein: Latendorf in Pößneck M. 3; Mey und Edlich in Plagwitz-Leipzig M. 50; Karl Eggerß-Marseille in Rostock M. 25; Vorstand des Liederkranzes in Birkenfeld, Ertrag eines Concertes, M. 58.50; G. in Paris M. 20; durch Amtsrichter Leißring in Königsbrück gesammelt M. 25.50; ein Abonnent der „Gartenlaube“ in Stade M. 5; W. Kämpf in Greußen M. 3.20; Stationsverwalter Curschmann in Nieder-Flörsheim M. 6; C. Westphal, Lehrer in Stralsund, Ertrag eines Concertes, gegeben von dem Stralsunder Lehrer-Gesangsvereins, M. 67.10; Expedition der „Friedländer Zeitung“ in Friedland i. M., gesammelt in Folge einer Rede des Herrn Bürgermeister Voß bei Gelegenheit des fünfzigjährigen Jubiläums des Herrn Stadtsecretärs Advocat Durchschlag, M. 69.80; Z. Z. in Coburg M. 5; J. R. in Grimma M. 20; R. R. in Dresden M. 10.
Die Redaction

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 1873 S. 162
  2. Vorlage: Michel