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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1874
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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[1]

No. 1.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Es werde Licht!
Neujahrsgruß von Albert Traeger.


Fern liegt noch die mit ew’gem Frieden
Gebenedeite Gnadenzeit,
Schroff sind die Lager noch geschieden,
Das neue Jahr bringt neuen Streit,

5
Schaut grüßend unser Banner wehen,

Das mancher Kranz schon stolz umflicht,
Und hört es durch die Reihen gehen,
Wie Eidschwur und Gebetesflehen:
               Es werde Licht!

10
Dem schwarzen Troß der Lügengeister

Sei Schonung länger nicht gewährt!
Es ward ihr Frevel immer dreister,
Von feiger Langmuth groß genährt.
Führt alle Fälscher vor die Schranken,

15
Die Wahrheit sitze zu Gericht!

Des Aberglaubens Tempel wanken –
Macht frei den stürmenden Gedanken,
               Es werde Licht!

Macht Alles frei, was Wehr und Waffen

20
Im großen Kampf der Menschheit trägt!

Es gilt ein streitbar Heer zu schaffen,
Die Stunde der Entscheidung schlägt;
Das Wort, das auf des Geistes Schwingen,
Schon längst im Vordertreffen ficht,

25
Soll endlich uns der Sieg gelingen,

Laßt es den Fesseln sich entringen:
               Es werde Licht!

Und wieder steht zu kühnem Wagen
Das Volk geschaart in heißem Drang,

30
Das alle Feinde noch geschlagen

Und nie des Kampfes Preis errang.
Des letzten, schönsten Sieges Krone
Entwinde der Verrath ihm nicht!
Erlöst aus dieser Knechtschaft Frohne,

35
Nimmt es die Freiheit sich zum Lohne –

               Es werde Licht!

In solchem Sinne aufgerichtet,
Das deutsche Reich auf Felsen steht,
Wenn es den finstern Spuk vernichtet,

40
Und frei voran den Freien geht.

Frei lass’ es den Gedanken walten,
Der sonnengleich die Nacht durchbricht –
Dann wird’s der Zukunft Schlüssel halten
Und neu die alte Welt gestalten.

45
               Es werde Licht!



Die zweite Frau.
Von E. Marlitt.


1.


Ueber dem Teich, hoch im blauen Frühlingshimmel, hing lange und unbeweglich ein dunkler Punkt. Das blanke Gewässer wimmelte von Fischen; es lag immer so einsam und wehrlos da, und die alten, nahe an seinen Spiegel gerückten Baumriesen konnten auch nicht helfen, wenn der graugefiederte Dieb, jäh aus den Lüften herabstürzend, nach Herzenslust das silberschuppige Leben im Wasser würgte. Heute nun traute er sich nicht herab, denn es waren Menschen da, große und kleine, und die kleinen schrieen und jubelten so ungeberdig und warfen im kindischen Vermessen ihre bunten Bälle nach ihm; rastende Pferde wieherten und stampften das Ufergeröll, und durch die Baumwipfel quollen Rauchwolken und fuhren mit zuckenden Armen gen Himmel. Menschenlärm und Rauch – das war nichts für den heimtückisch hereinbrechenden Räuber, nichts für den Segler des krystallenen Aethers; mißmuthig zog der Reiher immer weitere Kreise und verschwand zuletzt unter einem gellenden Kinderhurrah so spurlos, als sei sein gewichtiger Körper zerblasen und zerstoben.

Am linken Ufer des Teiches lag ein Fischerdörfchen – acht zerstreut umherstehende Häuser, beschattet von vielhundertjährigen Linden, und so niedrig, daß die Strohdächer gerade zwischen den unteren Baumästen auftauchten. Mit ihren Hamen und Netzen an den Wänden, den schmalen Holzbänkchen neben der Thür, und an der Südseite flankirt von Weißdorn und Heckenrosen, hoben sie sich zierlich vom weißen Uferrande. An wuchtige ostfriesische Fischergestalten durfte man dabei freilich nicht denken, auch war es gut, daß der ungeheure Park mit seinen beträchtlichen Waldstrecken die dahinter liegende Residenz vollkommen [2] verdeckte – man glaubte an ländliches Leben und Treiben, bis – eine der schmalen Hausthüren aufging.

Hätte der deutsche Fürst gewußt, daß das harmlose Klein-Trianon der glänzenden Königin von Frankreich schließlich den Kopf kosten sollte, so wäre das Fischerdörfchen sicher nie gebaut worden; aber er war nicht prophetischen Geistes gewesen, und so stand die anmuthige Nachbildung seit beinahe hundert Jahren am Parkteich – die primitivste Idylle von außen, und im Innern das verwöhnteste Menschenkind umschmeichelnd. Der Fuß, an dem der Uferkies hing, trat direct auf schwellende Teppiche; dicke Seidenstoffe glänzten auf den Polstermöbeln und drapirten die Wände, da und dort unter breiten Spiegelflächen verschwindend. Wenn draußen auch bis zur glücklichen Täuschung mit Armuth und Einfachheit coquettirt wurde, an weißgescheuerten Tischen konnte man doch nicht essen, noch weniger aber auf harten Holzbänken vom süßen Spiel ausruhen.

Das Fürstenhaus, dessen einem Sproß das Fischerdörfchen sein Dasein verdankte, hielt seit alten Zeiten fest an dem Brauch, nach welchem jeder Thronerbe in seinem achten Lebensjahre eine Linde pflanzen mußte. Der Wiesengrund am linken Teichufer, das Maienfest genannt, war so zu einer historischen Merkwürdigkeit, zu einer Art Ahnentafel geworden. Selten war wohl einer der gefürsteten Bäume eingegangen – das Maienfest hatte wahre Prachtexemplare aufzuweisen; uralte Recken im eisgrauen Panzer, hielten sie den mächtigen grünen Schild himmelstürmend empor und schützten die Nachgekommenen und die Schwächlinge, denn die waren auch da, trotz der empfangenen Weihe – die Natur läßt sich eben kein Wappen aufnöthigen.

Heute, im Monat Mai, war der wichtige Act für den Erbprinzen Friedrich gekommen. Selbstverständlich feierten der Hof und die loyale Residenz den Tag in der durch das alte Hausgesetz vorgeschriebenen Weise. Sämmtliche Kinder der Hoffähigen waren eingeladen; die minder Glücklichen aber, die über keine fünf- und siebenzinkige Krone zu verfügen hatten, fuhren mit ihren Eltern hinaus, zuzusehen, wie ein wirklicher Prinz den Spaten handhabe. Hinter der Wagenburg trieb sich eine Menge Volks auf Weg und Steg herum, und die wilde Jugend hockte auf den Bäumen, unbestritten den vortheilhaftesten Observationsposten.

Das Fest war auch ein zwiefaches. Vor achtzehn Monaten war der Vater des Erbprinzen, der Landesherr, gestorben, und mit dem heutigen Tage erst hatte die schöne Herzogin-Wittwe die ungewöhnlich lange festgehaltene tiefe Trauer abgelegt.

Dort stand sie, neben dem bereits gepflanzten Lindenstämmchen. Nicht einen Augenblick blieb man im Zweifel, daß sie die Höchstgebietende sei. Sie war schneeweiß gekleidet; nur im Gürtel hing ihr eine blasse Heckenrose, und von dem rothen Futter des kleinen Sonnenschirms, mit welchem sie das unbedeckte Haupt beschattete, fiel ein leichter Rosaschein über das Gesicht, über ein feines, sehr kurzes Näschen und üppig geschwungene, wenn auch nur schwach gefärbte Lippen. Die auffallend unregelmäßigen Linien unter mähnenartig sich aufbäumendem schwarzem Haar, der Schatten, der sich zart bläulich um die Augen legte, und jener wachsweiße, unbelebte Teint, bei welchem wir gleichwohl unwillkürlich an große innere Leidenschaftlichkeit denken müssen, verliehen dem Gesicht den Typus der spanischen Creolin, wenn auch sicher nicht ein Tropfen Blutes jener Race durch die Adern der deutschen Fürstin lief.

Sie verfolgte den kreisenden Reiher mit derselben Aufmerksamkeit, wie die Kinderschaar, die bei seinem Verschwinden in das jubelnde Hurrah ausbrach.

„Du hast wieder nicht mitgeschrieen, Gabriel,“ sagte zornig ein kleiner Knabe zu einem größeren, neben ihm stehenden, dessen einfacher, weißer Leinenanzug inmitten der elegant gekleideten Kinder seltsam auffiel.

Der Angeredete schwieg und seine Augen suchten den Boden; das versetzte den Kleinen in Wuth.

„Schämst Du Dich denn gar nicht vor den Anderen, elender Junge? … Auf der Stelle schreist Du Hurrah! Wir rufen auch mit!“ befahl und ermuthigte er zugleich.

Der weißgekleidete Knabe wandte angstvoll das Gesicht weg. Er machte Miene, seinen Platz zu verlassen – da hob der Kleine blitzschnell seine Gerte und schlug ihn in das Gesicht.

Die Kinder stoben auseinander – einen Augenblick stand die kleine zornbebende Gestalt allein – ein ideal-schönes Kind in elegantem grünem Sammetanzuge, mit prächtigen braunen Locken, ein Bild der Kraft und Vornehmheit; der Erbprinz und sein Bruder sammt ihrem kindlichen Gefolge konnten sich mit ihm nicht messen.

Seine Erzieherin kam bleich und erschrocken herbei; aber schon hatte die Herzogin die kleine geballte Hand ergriffen.

„Das war nicht hübsch, Leo,“ sagte sie; allein in ihrer Stimme klang kein strafendes Zürnen mit, weit eher eine tiefe Zärtlichkeit.

Der Kleine riß seine Hand ungestüm aus den sammetweichen, schmeichelnden Fingern, mit einem scheuen Seitenblicke nach dem Gezüchtigten, der sich eben entfernte, drehte er sich auf dem Absatze herum. „Ach was,“ grollte er, „es geschieht ihm ganz recht! Papa kann ihn auch nicht leiden – er sagt immer: ‚Diese Memme erschrickt vor ihrer eigenen Stimme.‘“

„Wohl, mein kleiner Trotzkopf; weshalb aber bestehst Du dann darauf, daß dieser Gabriel Dich stets begleite?“ fragte lächelnd die Herzogin.

„Weil – nun, weil ich’s eben so haben will.“

Mit diesen trotzigen Worten warf er seinen Lockenkopf zurück, wandte der Gesellschaft den Rücken, als existire sie nicht, und verschwand hinter einem der Häuser. Auf weitem Umwege suchte er die dickstämmige Linde zu erreichen, hinter welche sich der Geschlagene zurückgezogen hatte.

Einsam lehnte die weiße Gestalt an dem Baume. Es war ein Knabe von vielleicht dreizehn Jahren, ein tiefmelancholisches Gesicht über feingebauten, geschmeidigen, aber wenig muskelstarken Gliedern. Er hatte sein Taschentuch in das Teichwasser getaucht und drückte es kühlend gegen die linke Wange, während seine zarten Lippen nervös aufzuckten, vielleicht weniger unter dem Schmerze, den ihm der Schlag verursacht, als in Folge der innern Aufregung.

Der kleine Leo umkreiste ihn mehrere Male, wobei er mit seiner Gerte wild in der Luft fuchtelte.

„Thut es sehr weh?“ fragte er plötzlich hart und kurz mit finster gefalteten Brauen und stampfte den kleinen kräftigen Fuß auf. Gabriel hatte das Tuch weggenommen, um es abermals in das Wasser zu tauchen – ein feurig rother, quer über die Wange laufender Striemen war sichtbar geworden.

„Ach nein,“ antwortete der Knabe mit sanfter, unbeschreiblich wohllautender Stimme, „es brennt nur noch ein wenig.“

Im Nu flog die Gerte auf den Boden; mit einem herzzerreißenden Aufschrei schlang der Kleine seine Arme um den Geschlagenen – man hörte seine Zähne aneinanderknirschen.

„Ich bin ein zu schlechter Junge!“ stieß er hervor. „Dort liegt meine Gerte, Gabriel; nimm sie und schlage mich auch!“

Die anderen Kinder begafften mit offenem Munde diesen unvorhergesehenen Ausbruch einer tiefen, schmerzlichen Reue. Auch die Herzogin stand in der Nähe; eine seltsame Empfindung mochte sie überwältigen – wie hingerissen zog sie ungestüm das Kind an ihr Herz und bedeckte sein schönes Gesicht mit Küssen.

„Raoul!“ flüsterte sie – wie ein Hauch kam der Name von ihren Lippen.

„Ach, dummes Zeug!“ murrte der Kleine, derb und kräftig sich loswindend. „Raoul heißt ja mein Papa!“

Die marmorweißen Wangen der fürstlichen Frau errötheten in tiefer Gluth; sie fuhr empor und blieb einen Moment unbeweglich stehen; dann wandte sie langsam den Kopf und warf einen scheuen, unsichern Blick hinter sich – die Damen, die nahe gestanden, waren unter der Thür des nächsten Häuschens verschwunden.




2.


Von der Residenz her rollte eine Hofequipage; ein Herr saß im Fond, und neben ihm auf dem blauen Seidenpolster lagen die Utensilien zum Croquetspiel. Eben bog der Wagen in die Fahrstraße ein, die am Teiche hinlief, als ein Fußgänger aus dem Dämmerdunkel eines Gehölzes trat. Der Herr im Wagen ließ sofort halten.

„Grüß Gott, Mainau!“ rief er hinüber. „Na, das nimm mir nicht übel; man hofft mit Schmerzen auf Dich, und da kommst Du flaniren auf dem größtmöglichsten Umwege! … Die Linde steht längst – hast dem Hause Mainau die stolze Tradition verwirkt, daß Deine Hand es war, die den Stamm [3] umspannte, während Friedrich der Einundzwanzigste Erde auf die Wurzeln schaufelte.“

„Man wird dereinst einen Trauerflor über mein Bild hängen müssen.“

Der Herr im Wagen lachte; er öffnete behende mit einer einladenden Handbewegung den Schlag.

„Plagt Dich der Teufel, Rüdiger – im Fond?“ wehrte der Andere in komischer Entrüstung, „Gott sei Dank, noch weicht mir das Zipperlein aus! … Fahre weiter im stolzen Bewußtsein Deiner Mission – hast das vergessene Croquetspiel holen müssen? Beneidenswerther!“

Der Herr sprang auf den Boden, warf den Schlag zu, und während der Wagen weiter fuhr, schlugen die Beiden den Fußpfad ein, der durch Buschwerk nach dem Fischerdörfchen lief. … Sie sahen seltsam nebeneinander aus – der im Wagen Gekommene klein, beweglich und sehr wohlbeleibt, und sein Begleiter so hoch von Gestalt, daß sein Haupt häufig dem untern Baumgeäst ausweichen mußte. Der Mann hatte etwas überraschend Blendendes in seiner Erscheinung, in dem ausdrucksvollen Kopf und in allen Geberden jenes dämonenhaft wirkende Feuer, das eben als sanfte Gluth fast elegisch dem Auge entströmt und im nächsten Augenblicke die schlanke, scheinbar weiche Hand zur Faust ballt, um einen verhaßten Gegner zu Boden zu schlagen. Der kleine jähzornige Knabe drüben beim Fischerdörfchen glich ihm Zug um Zug, fast bis zur Lächerlichkeit.

„Gehen wir denn!“ sagte Herr von Rüdiger. „Zum Diner kommen wir leider heute nie spät genug. … Brr – Kinderbrei und Puddings in allen erdenklichen Auflagen! … Eine Strafpredigt brauche ich auch nicht zu fürchten, ich bringe Dich ja mit. … Apropos, Du warst für zwei Tage verreist, wie Dein Leo der Herzogin sagte?“

„Ich war verreist, Verehrtester.“

Diese lakonische Bestätigung klang zu ironisch und abfertigend für den kleinen Beweglichen – das „Wohin“ blieb ihm hinter den Lippen sitzen. … Sie kamen eben an einer Stelle vorüber, wo das Dickicht auseinanderriß und einen Ausblick über den Teich hin gewährte. Man übersah das ganze Dörfchen. Unter den Linden standen weißgedeckte Tafeln; zwischen diesen und einem der Häuser, durch dessen Thür man den fürstlichen Koch in weißer Mütze am Herd beschäftigt sah, liefen Lakaien hin und her – das Diner war in Vorbereitung. Die aufregende Scene, die der kleine Leo veranlaßt, war längst vergessen, man spielte; Alles, was laufen konnte, spielte mit – graciöse Hofdamen und schlanke Kammerjunker, aber auch alle Cavaliere mit steifen Beinen, ja selbst die dicke, asthmatische Oberhofmeisterexcellenz watschelte händeklatschend durch den Kindertumult.

Die Herzogin war so nahe an das seichte Teichufer getreten, daß man meinte, das Wasser spiele an ihre Füße heran. Wie ein Schwanengefieder schwamm ihr weißes Spiegelbild in der klaren Fluth. Einige junge Damen hatten ihr einen Kranz von Waldreben und Blumenglocken gebracht; er lag über ihrer Stirn und ließ lange, grüngefiederte Ranken über die schöne Büste und den Nacken hinab hängen.

„Ophelia!“ rief Baron Mainau halblaut mit einer pathetischen Geberde – ein unbeschreiblicher Sarkasmus lag in seiner Stimme.

Sein Begleiter fuhr herum. „Nun bitte ich mir’s aber aus – das ist doch wieder einmal die reine Komödie, Mainau!“ rief er ganz empört. „Das verfängt wohl bei den Damen, die wie die Lämmer vor Dir zittern, bei mir aber nicht.“ Er steckte die Hände in die Seitentaschen seines leichten Ueberziehers, zog die Schultern in die Höhe und begann verschmitzt lächelnd: „Es war einmal eine wunderschöne, aber arme Prinzessin und ein glänzender, junger Cavalier. Die Beiden liebten sich, und die Prinzessin wollte die Durchlaucht an den Nagel hängen und eine Frau Baronin werden –“ einen Moment hielt er inne, und sein schelmischer Seitenblick streifte den Begleiter; er sah aber nicht, wie der schöne Mann erblaßte, wie er mit zusammengebissenen Zähnen so glühend in das Dickicht starrte, als solle das junge Laub versengen. Er fuhr harmlos fort: „Da kam der Vetter der Prinzessin, der Regierende, und begehrte ihre schöne Hand. Die schönen, schwarzen Augen vergossen bittere Thränen, schließlich siegte aber doch das stolze Fürstenblut über die Liebesleidenschaft, und die Prinzessin ließ es geschehen, daß man ihr die Herzogskrone auf die prächtigen, dunklen Locken setzte. … Hand auf’s Herz, Mainau,“ unterbrach er sich lebhaft, „wer mochte ihr das damals verdenken? Höchstens die Sentimentalen!“

Mainau legte die Hand nicht auf’s Herz, er erwiderte auch nichts – zornig knickte er einen jungen Zweig ab, der so keck gewesen war, seine Wange zu berühren, und schleuderte ihn von sich.

„Wie mag ihr heute das Herz klopfen!“ sagte Rüdiger nach einer kurzen Pause – er wollte sichtlich das interessante Thema um keinen Preis fallen lassen. „Die Wittwentrauer ist zu Ende; dem Fürstenstolz ist genügt für alle Zeiten, denn die Herzogin ist und bleibt die Mutter des Regierenden – Du bist auch Deiner Ehefesseln ledig. Alles fügt sich wundervoll … und jetzt willst Du mir weismachen – na, wer’s glaubt! … Wir wissen, was sich heute ereignen wird –“

„Schlauköpfe, die Ihr seid!“ sagte Baron Mainau mit verstellter Bewunderung. Bei diesen Worten traten sie hinaus auf den freien Platz, wo die Wagen standen. Sie geriethen zwischen das Menschengetümmel und hielten sich deshalb mehr auf dem schmalen Uferweg.

„He, Bursche, bist Du toll?“ rief Mainau plötzlich und nahm einen halbwüchsigen, kräftigen Betteljungen, der in höchst gefährlicher Position auf einem über dem Wasserspiegel schwankenden Ast schaukelte, beim Kragen; er schüttelte ihn einige Mal tüchtig wie einen nassen Pudel und stellte ihn auf die Füße. „Eine kleine Wäsche könnte Deinem Pelz nicht schaden, mein Junge,“ lachte er und klopfte seine sauber behandschuhten Hände gegeneinander, „ich bezweifle aber, daß Du schwimmen kannst.“

„Pfui, er war sehr schmutzig, der Bengel!“ sagte Rüdiger sich schüttelnd.

„Das war er. Ich kann Dir auch versichern, daß ich mich auf dergleichen Berührungen durchaus nicht capricire – das sind so rasche, plebejische Sünden der Hand, um welche die Seele nicht weiß. – Ja, da hast Du’s nun wieder – wir haben noch manchen Schritt bis zu jenem erhabenen Moment, wo auch unsere Körpermasse so aristokratisch durchdrungen ist, daß ihr ein solcher Mißgriff unmöglich wird – wie? Meinst Du nicht?“

Rüdiger wandte sich ärgerlich ab; er beschleunigte aber auch zugleich seine Schritte. „Deine Heldenthat ist drüben auf dem Maienfest gesehen worden,“ sagte er hastig. „Vorwärts, Mainau! Die Herzogin verläßt ihren Platz. … Und da kommt auch schon Dein wilder Junge!“

Der kleine Leo umrannte den Teich und lief stürmisch auf den Papa zu. Baron Mainau bog sich einen Augenblick liebkosend über sein Kind und nahm weiterschreitend die kleine Hand in seine Linke.

Während man auf dem Maienfest weiterspielte, kam die Herzogin, von mehreren Herren und Damen des Hofes begleitet, langsam wandelnd daher. … Sie hatte auch den schwebenden Gang, die unnachahmlich graciöse Geschmeidigkeit der Creolin. … Ja, die schwere, düstere Wittwentracht war abgestreift, wie die häßliche Puppe von dem hellbeschwingten Schmetterling. Dem Anstand, der Convenienz war genügt worden bis auf die äußersten Anforderungen – nun endlich durfte auch das Glück kommen, nun durften die Flammen der Leidenschaft rückhaltslos aus den Augen brechen, wie in diesem Moment.

„Ich muß schelten, Baron Mainau,“ sagte sie mit etwas unsicherer Stimme. „Sie haben mich eben sehr erschreckt durch Ihre rettende That und dann – kommen Sie doch allzu spät.“

Er hielt den Hut in der Rechten und verbeugte sich tief. Der Sonnenschein spielte über den braungelockten, räthselvollen Kopf hin, vor welchem die Damen „wie die Lämmer“ zitterten.

„Ich würde mit Freund Rüdiger versichern, daß ich sehr unglücklich sei,“ versetzte er, „allein Eure Hoheit werden mir das sicher nicht mehr glauben, wenn ich sage, wo ich mich verspätet habe.“

Die Herzogin richtete ihre Augen groß und befremdet auf sein Gesicht – es war ein wenig bleich geworden, aber sein Blick, dieser selten zu ergründende Blick funkelte ihr in einer Art von wildem Triumph entgegen. Ihre Hand fuhr unwillkürlich nach dem Herzen – die kleine, blasse Rose im Gürtel knickte ab und fiel unbemerkt zu den Füßen des schönen Mannes.

Er wartete umsonst auf eine Frage der fürstlichen Frau – sie schwieg, wie es schien, in athemloser Erwartung. Mit einem ehrerbietigen Kopfneigen fuhr er nach einer augenblicklichen Pause fort: „Ich war in Rudisdorf bei meiner Tante Trachenberg und erlaube mir, Euer Hoheit anzuzeigen, daß ich mich daselbst mit Juliane Gräfin von Trachenberg verlobt habe.“

[4] Die Umgebung stand wie versteinert – wer von ihnen hätte den Muth finden können, dieses momentane furchtbare Schweigen mit einem Laute zu unterbrechen, oder gar einen indiscreten Blick auf das Antlitz der Herzogin zu werfen, die entgeistert die blutlosen Lippen aufeinander preßte? … Nur ihre Nichte, die junge Prinzessin Helene, lachte unbefangen und muthwillig auf. „Welche Idee, Baron Mainau, eine Frau zu heirathen, die Juliane heißt! … Juliane! Puh – eine Urgroßmutter mit der Brille auf der Nase!“

Er stimmte ein in das heitere Lachen – wie klang das melodisch und harmlos! … Das war eine Rettung! Die Herzogin lächelte auch mit todesblassen Lippen. Sie sagte dem Bräutigam einige Worte mit so viel Ruhe und vornehmer Haltung, wie nur je eine Souverainin einen Untergebenen beglückwünscht hat.

„Meine Damen,“ wandte sie sich darauf leicht und ungezwungen an eine Gruppe junger Mädchen, „ich bedaure, Ihren reizenden Schmuck ablegen zu müssen – der Kranz drückt mich an den Schläfen. Ich muß mich für einen Augenblick zurückziehen, um die Blumen zu entfernen. … Auf Wiedersehen beim Diner!“

Sie wies die Begleitung der Hofdame zurück, welche ihr behülflich sein wollte, und trat in ein Haus, dessen Thür sie hinter sich schloß.

Lilienweiß war ja ihr Gesicht zu allen Zeiten, und die berühmt schönen Augen hatten so oft jenen heißen Glanz, der an das fiebernde Blut des Südländers denken läßt – sie hatte wie immer gütig lächelnd und grüßend gewinkt und war wie eine schwebende Fee hinter der Thür verschwunden. … Niemand sah, daß sie drinnen sofort wie eine vom Sturme niedergerissene Tanne auf den teppichbelegten Boden hinschlug, daß sie, wahnwitzig auflachend, den Kranz aus dem Haare riß und in wildem thränenlosem Schmerz die feinen Nägel in die seidene Wanddraperie krallte. … Und dazu nur eine kurze, streng zugemessene Spanne Zeit, um die Qual austoben zu lassen – dann mußten diese verzerrten Lippen wieder lächeln und alle die Hofschranzen draußen glauben machen, daß das kochende Blut friedlich und leidenschaftslos in den Adern kreise.“

Währenddem stand Baron Mainau, seinen Knaben an der Hand, am Ufer und beobachtete, scheinbar amüsirt, den Tumult bei der Wagenburg. Man hatte ihn beglückwünscht; aber es war wie eine Lähmung über die gesammte Hofgesellschaft gekommen – er sah sich sehr rasch allein. Da stand plötzlich Rüdiger an seiner Seite.

„Eine furchtbare Rache! Eine eclatante Revanche!“ murmelte der Kleine – in seiner Stimme bebte noch eine Schwingung des Schreckens. „Brr – ich sage mit Gretchen: ‚Heinrich, mir graut vor Dir!‘ … Gott steh’ mir bei! Sah man je einen Menschen, der seinem gekränkten Mannesstolze so grausam, so raffinirt, so unversöhnlich ein Opfer hinschlachtete, wie Du eben gethan? … Du bist tollkühn, entsetzlich –“

„Weil ich in nicht ganz gewöhnlicher Form, zur geeigneten Zeit erklärt habe: ‚Nun will ich nicht‘? … Glaubt Ihr, ich werde mich heirathen lassen?“

Der kleine Bewegliche sah ihn eingeschüchtert von der Seite an – dieser sonst so formvollendete Mainau war doch manchmal zu rauh, um nicht zu sagen grob. „Mein Trost dabei ist, daß Du unter den grausamen Maßregeln Deines unbändigen Stolzes selbst schwer leidest,“ sagte er nach einem kurzen Schweigen, doch fast trotzig.

„Du wirst mir zugeben, daß ich das einzig und allein mit mir auszumachen habe.“

„Mein Gott, ja! … Aber nun – was nun weiter?“

„Was weiter?“ lachte Mainau. „Eine Hochzeit, Rüdiger.“

„Wahrhaftig? … Du hast ja nie in diesem Rudisdorf verkehrt – ich weiß es ganz genau. … Also eine schleunigst acquirirte Braut aus dem Almanach de Gotha?“

„Errathen, Freund.“

„Hm – von erlauchtem Geschlecht ist sie, aber, aber – Rudisdorf ist, wie man weiß, jetzt – verödet. … Wie sieht sie denn aus?“

„Guter Rüdiger, sie ist eine Hopfenstange von zwanzig Jahren mit rothem Haar und niedergeschlagenen Augen – mehr weiß ich auch nicht. Ihr Spiegel wird Das besser wissen. … Bah, was liegt daran? … Ich brauche weder eine schöne, noch eine reiche Frau; nur tugendhaft muß sie sein – sie darf mich nicht incommodiren durch Handlungen, für die ich mit einstehen müßte – Du kennst ja meine Ansichten über die Ehe.“

Jenes stolzgrausame Lächeln, das vorhin die Gräfin erbleichen gemacht, zuckte wieder über sein Gesicht hin – offenbar in der Erinnerung an die „eclatante Revanche“.

„Was bleibt mir übrig?“ sagte er nach kurzem Schweigen mit frivoler Leichtigkeit. „Der Onkel hat mir Leo’s Hofmeister Knall und Fall fortgejagt, weil er Nachts im Bette las und consequent knarrende Stiefel trug, und die Erzieherin hat die üble Gewohnheit, entsetzlich zu schielen und im Vorübergehen Confect von den Platten zu naschen – sie ist unmöglich. Ich aber will in der Kürze nach dem Orient gehen, ergo – brauche ich eine Frau daheim. … In sechs Wochen vermähle ich mich – willst Du mein Trauzeuge sein?“

Der Kleine trippelte von einem Fuß auf den anderen. „Was will ich denn machen? Ich muß wohl,“ versetzte er endlich halb zornig, halb lachend; „denn von Denen dort“ – er deutete nach einer Gruppe flüsternder und herüberschielender Cavaliere – „geht Dir Keiner mit – darauf kannst Du Dich verlassen.“

„Du, Gabriel,“ sagte gleich darauf der kleine Leo aufgeregt zu dem weißgekleideten Knaben, „die neue Mama, die kommt, ist eine Hopfenstange – hat der Papa gesagt – und rothe Haare hat sie wie unser Küchenmädchen. … Ich kann sie nicht leiden; ich will sie nicht haben – ich schlage mit der Gerte nach ihr, wenn sie kommt.“




3.


„Liane, da sieh her! Raoul’s Brautgeschenk! – Sechstausend Thaler Werth!“ rief die Gräfin Trachenberg in das Zimmer herein – dann rauschte sie über die Schwelle.

Der Salon, in welchen sie trat, lag parterre in einem Seitenflügel des stolzen Schlosses. Seine ganze Vorderseite sah aus wie eine riesige, hier und da von feinem Bleigeäder und sehr schmalen Thürpfeilern unterbrochene Glasscheibe, welche einzig und allein das Fußgetäfel des Zimmers von der draußen in grandiosem Stil sich hinbreitenden Terrasse schied. Ueber das Terrassengeländer hinaus sah man auf breite Rasenflächen, durchschnitten von Kieswegen, deren Kreuzpunkte weiße Marmorgruppen bezeichneten. Dieses elegante Parterre umschloß ein Gehölz, scheinbar undurchdringlich wie ein Wald und gerade der Mittelthür des Salons gegenüber von einer schnurgeraden, fast endlos tiefen Allee durchlaufen, welche ein hochaufspringender, im Maienlicht funkelnder Wasserstrahl vor dem fernen blauduftigen Höhenzug abschloß.

Das Ganze – Schloß und Garten – war ein Meisterstück in altfranzösischem Geschmacke; aber ach – aus dem Steingefüge der Terrasse stiegen keck und verwegen ganze Schwärme gelber Mauerblümchen, und die unvergleichlich schön modellirten Rasenflächen sträubten sich in despectirlich wuchernden Unkrautbüschen und fingen an, in die Wege auszulaufen; die breite Kiesbahn der Allee aber deckte bereits das intensivste Smaragdgrün. … Und auf was Alles mußten erst die prachtvollen Stuckfiguren des Plafonds im Gartensalon niedersehen! … Sie waren abscheulich blind und wackelig, diese Rococomöbel an den Wänden; sie waren vor langen Zeiten als unmodern aus den brillanten Schloßräumen verstoßen worden und hatten alle Stadien der Demüthigung durchlaufen müssen bis in die Stallknechtstuben hinab, wo sie dem Sand und Strohwisch verfielen und abgescheuert wurden. … Nun standen sie wieder da auf dem Parquet, hohnlächelnde Zeugen der unerbittlichen Consequenzen eines herausgeforderten Schicksals. Alle die Prachtmöbel, die sie einst verdrängt, die kostbaren Spitzengardinen, die Bilder, Uhren, Spiegel, die nach ihnen gekommen, waren dem Hammer verfallen – sie wanderten hinaus nach allen vier Winden, und nur das alte verachtete Gerümpel durfte bleiben und wurde ängstlich reclamirt; denn es gehörte zum Fideicommiß und durfte nicht verkauft werden, als – die Sequestration über sämmtliche Güter des Grafen Trachenberg verhängt wurde. Das war vor vier Jahren geschehen – „ein schmachvolles Zeichen der ruchlosesten Zeit, ein empörender Sieg des Capitals über das Ideale, den ein gerechter Himmel nie hätte zugeben sollen,“ sagte die Gräfin Trachenberg immer.


(Fortsetzung folgt.)


[5]

Ein sächsisches Brautpaar aus dem Dorfe Wallendorf bei Bistritz.
Nach einer Photographie des Professor C. Koller in Bistritz in Siebenbürgen.

[6]
Galerie historischer Enthüllungen.


4. Arnold von Winkelried.*[1]


Wenn das schnaubende Dampfroß dahinrast auf jener Straße, die so recht in das Herz der schönen Schweiz hineinführt, auf der Eisenbahn von Basel nach Luzern, so geht es eine Zeitlang durch eine einförmige Ebene ohne nennenswerte Abwechselung; aber auf einmal erscheint auf der östlichen Seite der Bahn ein schöner See; in Mitteldeutschland, das an Seen arm, wäre er ein respectables Wasserbecken, in Asien und Amerika, in den Reichen der Riesenseen ein unbedeutender Teich; in der Schweiz gehört er zu den Wasserspiegeln mittlerer Größe. Jenseits der ansehnlich breiten blauen Fläche erheben sich mit Wiese und Wald und mit Obstbäumen bedeckte Höhen terrassenförmig, und dort liegt auch am Ufer das winzige Städtchen, das dem See den Namen gegeben hat, der aber zugleich erhebende historische Erinnerungen wachruft. Dort wird jährlich am 9. Juli unter dem Schatten der Bäume bei einer Capelle ein Fest gefeiert, das der Rettung des Vaterlandes durch einen glänzenden Sieg gilt. Wir meinen die Schlacht bei Sempach im Jahre 1386. Und mit diesem Siege ist der Name eines Mannes verknüpft, der nach mehrhundertjähriger Ueberlieferung denselben durch seine That herbeigeführt hat und durch diese unsterblich geworden ist, eines Mannes, der in der Reihe der Schweizer Helden die erste Stelle nach Tell einnimmt und im gegenwärtigen historischen Bewußtsein der Schweizer sowohl, wie der Ausländer, welche die Geschichte der Schweiz kennen, von der Erinnerung an die Schlacht bei Sempach schlechterdings nicht zu trennen ist. Es ist der Name Arnold von Winkelried’s aus Unterwalden, dessen schönes Denkmal, die That darstellend, seit zwölf Jahren seinen Heimathsort Stans in Unterwalden schmückt. Zahllose Bilder stellen diese Heldenthat dar, wie er die Mauer der feindlichen Speere bricht und in diesen mit den Worten: „Ich will Euch eine Gasse machen – sorgt für mein Weib und meine Kinder!“ den Opfertod für das Vaterland findet. Andere Bilder malen den Augenblick nach der That, wieder andere den Abschied des Helden von Weib und Kind. Sehr oft ist die That dramatisch bearbeitet worden, wenn auch nicht von Meisterhand, und Volkslieder variiren das Thema:

„Wir singen heut’ ein heilig Lied,
Es gilt dem Helden Winkelried.“

Die Heldengestalt Arnold von Winkelried’s hat mit der Zeit auf dem alterthümlichen Goldgrunde der Schlacht bei Sempach einen solchen Umfang an Charakter und Kraft gewonnen, daß gar nicht mehr gefragt wird, wodurch das Häuflein schlecht bewehrter und noch schlechter geübter Eidgenossen gegenüber der kolossalen Uebermacht des österreichisch ritterlichen Heeres den Sieg errang. Es gilt als selbstverständlich, daß dieses Resultat allein der Großthat Winkelried’s zu verdanken war, und der schweizerische Patriotismus sowohl, wie seine Bewunderer vergessen dabei auffallender Weise, daß der Tapferkeit der Schweizer als Volk und als Ganzes nicht viel zu thun übrig blieb, wenn ohne die freiwillige Selbstaufopferung eines Einzelnen die Sache der Freiheit verloren gewesen wäre.

Früher ist nun, in Bezug auf Winkelried, wie auf Tell, wenig danach gefragt worden, seit welcher Zeit sein Name als derjenige des Helden, der die Schlacht entschied, genannt wird. Die Gestalt des Helden stand im Bewußtsein der Schweizer und ihrer Freunde so fest, daß man gar nicht daran dachte, es könnte an seiner historischen Evidenz gerüttelt werden. Es wurde in der That dieser Versuch nicht gewagt, ehe die Geschichte von Wilhelm Tell gründlich in Zweifel gestellt war. Erst da wurde auch in Bezug auf Winkelried gefragt: Welche Berechtigung hat dieser Charakter, in der Geschichte eine Rolle zu spielen? Wie alt ist die Erzählung von seiner That? Konnte der schweizerische Sieg bei Sempach nicht ohne dieselbe erfochten werden?

Sehen wir nun nach, wie wir an der Hand genauer und gewissenhafter historischer Forschung auf diese Fragen antworten. Vorerst wird es nothwendig sein, in gedrängter Kürze bis auf die Ursachen zurückzugehen, welche den Zusammenstoß der österreichischen und schweizerischen Waffen bei Sempach herbeiführten.

Die Schweizer hatten beinahe dreißig Jahre in Frieden mit Oesterreich gelebt, ohne daß deshalb diese Macht ihre Ansprüche auf schweizerische Gebietstheile aufgegeben hätte. Der Friede konnte daher nicht von Bestand sein, namentlich da die ältesten Cantone von ihren Bundesgenossen und Vorposten, Bern und Zürich, durch österreichisches Gebiet getrennt waren, das sie sich aneignen mußten, wenn ihr Bund nicht steter Gefahr vor Angriffen ausgesetzt sein sollte. Am meisten dem Erbfeinde bloßgestellt war Luzern, zudem auch in seinem Verkehre durch die nahe vor seinen Thoren im Widerspruche mit ausgestellten Freiheitsbriefen erhobenen österreichischen Zölle empfindlich beeinträchtigt. Als nun ein an den Herzog Leopold von Oesterreich gerichtetes Verlangen um Aufhebung dieser Zölle keine Beachtung fand, zogen die Luzerner frischweg nach dem Städtchen Rothenburg, wo der lästigste Zoll erhoben wurde, nahmen es ein und rissen Thore und Mauern nieder. Das nämliche Schicksal hatten noch mehrere andere Burgen, und die Folge war, daß die Bevölkerung der ganzen Umgegend, darunter auch die Bürgerschaft von Sempach, sich in das Burgrecht von Luzern aufnehmen ließ. Nun sagte Herzog Leopold den Schweizern den Frieden ab und dasselbe thaten alle seine Bundesgenossen und Vasallen. Er zog mit denselben, die ein stattliches Heer bildeten, gerade auf Luzern los, während er zugleich durch eine Truppenabtheilung Zürich beschäftigte, damit es den Urschweizern nicht beistehen könne. Das Hauptheer langte am 9. Juli 1386 vor Sempach an, und von hier gehen die Berichte verschiedener Zeiten und Parteien auseinander.

Die österreichischen Geschichtsschreiber der nächsten hundert Jahre†[2] erzählen den Hergang der Schlacht bei Sempach ungefähr folgendermaßen: Das Heer des Herzogs stieß unvermuthet (?) auf die Schweizer und Leopold schickte einen Theil seiner Truppen gegen dieselben in’s Gefecht, welche sie kampfbereit empfingen. Aber die Ritter waren zu kampflustig und stürmten ungeordnet gegen die Feinde. Auch des Herzogs Banner war dabei. Anfänglich fochten die Oesterreicher mit Glück, doch bald hörte der Herzog ein klägliches Geschrei: „Rette Oesterreich, rette!“ und sah sein Banner in Gefahr. Da rief er seinen Rittern und Knechten, daß sie mit ihm absäßen und den Kämpfenden zu Hülfe eilten. Es geschah so; der Fürst that selbst wie seine Leute und kämpfte wie ein Löwe. Aber obgleich mancher Feind unter seinen und seiner Leute Streichen fiel, neigte sich der Sieg auf die Seite der Schweizer, und der Herzog, welcher, als es noch Zeit dazu war, hätte flüchten können, wurde mit vielen Rittern und Knechten erschlagen. Viel trug zu diesem für Oesterreich schimpflichen Ende bei, daß ein Theil der Leute des Herzogs zu Pferde geblieben war und bei der Wendung des Schlachtglückes die Flucht ergriffen hatte. Auch ist nicht außer Acht zu lassen, daß die österreichischen Berichte behaupten, das Heer des Herzogs sei an Zahl geringer gewesen, als das der Schweizer. Keiner der österreichischen Berichte aber weiß etwas davon, daß die Ritter, nachdem sie abgestiegen, mit vorgehaltenen Speeren eine Mauer gebildet hätten, keiner weiß etwas von Winkelried’s Namen und That. Alle schreiben den Ausgang der geringen Zahl der Oesterreicher, ihrem Mangel an [7] Ordnung, der großen Hitze des Tages und der Flucht Einzelner, wie auch der Tapferkeit und dem Ungestüm der Schweizer zu. Dabei ist nicht zu vergessen, daß die österreichischen Chronisten kein Interesse hatten, die That Winkelried’s zu verschweigen; im Gegentheil, es war ehrenvoller für Oesterreich und ungünstiger für die Schweiz, wenn die Niederlage durch die unvermuthete That eines Einzelnen, als wenn sie durch die Tapferkeit der Schweizer als Volk und durch die schlechte Haltung der Oesterreicher herbeigeführt wurde.

Wir kommen zu den schweizerischen Schlachtberichten. Der älteste schweizerische Chronist seit der Schlacht bei Sempach, ein Zeitgenosse derselben, der Stadtschreiber Justinger von Bern, erzählt das Ereigniß sehr kurz. Beide Theile stießen aufeinander, die Eidgenossen in Form eines Keils, und letztere siegten, wie der Berichterstatter fromm sagt, durch Gottes Hülfe. Von Winkelried und seiner That geschieht nicht die leiseste Andeutung, ja nicht einmal vom Lanzenwalle der Ritter. Ausführlicher ist der Bericht, welchen zwei Züricher Chroniken von der Schlacht geben. Die eine derselben nun enthält einen Zug, welchen man für die älteste Spur von Winkelried’s That hält. Sie sagt: Nachdem die Eidgenossen anfangs großen Schaden erlitten, half Gott ihnen zum Siege. Das hatte man einem getreuen Mann unter den Eidgenossen zu verdanken; da dieser sah, daß es seinen Landsleuten so übel ging und die Herren mit ihren Lanzen und Spießen überall die Vordersten niederstachen, bevor die Schweizer sie mit ihren Hellebarden erreichen konnten, da drang der ehrbare fromme Mann vor und erfaßte so viel Spieße, als er ergreifen konnte, und drückte sie nieder, so daß die Eidgenossen nun vordringen konnten. Und freudig rief er aus: „Sie fliehen Alle da hinten!“ Und da wurden viele Grafen, Ritter und Knechte erschlagen, und die Schweizer behaupteten das Feld.

Die andere, gleichzeitige und sonst mit der erwähnten übereinstimmende und aus gleicher Quelle schöpfende Züricher Chronik hat diesen Zug nicht. Was nun den letzteren betrifft, so ist nicht außer Acht zu lassen, daß weder der Name des tapfern Eidgenossen, welcher die Speere faßte, noch sein Tod gemeldet wird. Daß er nach erfochtenem Sieg sich über die Flucht der Feinde freut, spricht gegen sein Unterliegen; wäre er gestorben, so hätte es der Chronist sicherlich auch erwähnt. Da nun aber der Zug auf höchst ungeschickte Weise in die Erzählung verflochten ist, indem er erst erwähnt wird, nachdem bereits gesagt worden, daß die Schweizer gesiegt hätten und Leopold mit vielen Herren gefallen sei, so charakterisirt er sich als eine spätere Einschiebung. Die Abschrift, in welcher er enthalten ist, datirt aus dem Jahre 1476, die Abfassung der Chronik von 1466, also immerhin achtzig Jahre nach der Schlacht – eine Frist, nach welcher die Berichterstatter nicht mehr als Zeitgenossen gelten können, und innerhalb welcher eine Sagenbildung durch Gerüchte und Wiederholungen solcher leicht möglich ist. Auch ohne dies wäre ein Mann ohne Namen, welcher durch seine That den Sieg herbeiführt, ohne dabei den Tod zu erleiden, noch lange kein Winkelried. Nicht nur der Name, sondern die That selbst war aber noch dem Luzerner Chronisten Melchior Ruß unbekannt, welcher volle hundert Jahre nach der Schlacht sein Jahrbuch schrieb und darin, ganz Justingern nacherzählend, nicht ein Wort von Winkelried und seiner That sagt. Er fügt sogar der kurzen Darstellung des Berners anekdotenhafte Züge bei, z. B. die Oesterreicher hätten zwei Wagen voll Stricke mit sich geführt, um die Eidgenossen daran aufzuhängen, und die Ritter hätten sich die Schuhschnäbel abgehauen, um besser zu Fuß kämpfen zu können; sollte er da Winkelried’s That vergessen oder verschwiegen haben? Er wußte also nichts davon.

Derselbe Geschichtschreiber Ruß fügt seiner Erzählung auch ein Lied über die Sempacher Schlacht bei, in welchem ebensowenig von Winkelried die Rede ist, als in seiner Prosa, obschon es fünfzehn Strophen zählt, eine Menge Einzelheiten und Namen Kämpfender und Gefallener erwähnt und nach des Chronisten Aussage unmittelbar nach der Schlacht entstand. Dieses Lied nun ist beinahe ganz in ein anderes größeres von siebenundsechszig Strophen aufgenommen, welches die älteste Quelle bildet, die Winkelried’s That unter seinem Namen meldet, das heißt blos unter seinem Familien- ohne seinen Vornamen. Die letzte Strophe schreibt es einem Luzerner, Namens Halbsuter, zu, welcher es gedichtet habe, als er aus der Schlacht gekommen sei. Die historische Kritik hat aber nachgewiesen, daß dasselbe vor dem dritten Jahrzehnt des sechszehnten Jahrhunderts unbekannt war, die Behauptung der letzten Strophe also unwahr ist, was übrigens schon daraus hervorgeht, daß Ruß nur das kleinere Gedicht kennt. Ja, es ist durch Ottokar Lorenz unzweifelhaft bewiesen, daß das größere Lied aus drei Gedichten zusammengesetzt ist, aus dem kleinern und zwei anderen. Vor dem sechszehnten Jahrhundert wird demnach Winkelried’s Name nicht genannt, und in demselben war es nun, daß der Geschichtschreiber Aegidius Tschudi, dem wir auch die letzte Redaction der Tellsage verdanken, die Geschichte von Winkelried in diejenige der Schlacht bei Sempach einfügte und seinem Helden den Vornamen Arnold gab.

Wie bildete sich nun aber die Erzählung von Winkelried’s Namen und That aus? So wird der Leser mit Recht fragen. Wir wollen darauf zu antworten suchen.

Die That, wie sie das größere Sempacherlied und Tschudi von Winkelried erzählen, kommt in der schweizerischen Geschichte öfter vor. Der älteste schweizerische Chronist, Johannes von Winterthur, erzählt die That zweimal in Bezug auf sonst unbedeutende Schlachten, in den Jahren 1271 und 1332, jedesmal von Kriegern der Habsburger im Kampfe gegen Bern, und der Nürnberger Patrizier Wilibald Pirkheimer, welcher bekanntlich den sogenannten Schwabenkrieg Kaiser Maximilian’s gegen die Schweizer mitmachte, schreibt eine ähnliche That dem Heini Wolleb bei Frastenz (1499) zu, welcher Letztere sich allerdings, aber auf andere Weise, aufgeopfert hat. Solcher Züge häufiges Vorkommen ist aber gerade ein verdächtiger Umstand bezüglich ihrer Wahrscheinlichkeit, und sie haben daher etwas von der Eigenthümlichkeit der Mythe an sich; kommt ja in derselben die Selbstaufopferung auch ohne Krieg sehr häufig vor, ohne daß wir an einzelne Fälle zu erinnern nöthig hätten.

Wir kommen nun zum Namen Winkelried. So schlimm es in historischer Beziehung um die Existenz einer Familie Tell steht, so günstig verhält es sich mit derjenigen des Hauses Winkelried von Stans in Unterwalden. Die Winkelriede sind durch Urkunden seit alter Zeit wohl ausgewiesen. Der Aelteste des Geschlechtes, von dem wir wissen, war Ritter Rudolf von Winkelried im Jahre 1248, ein eifriger Anhänger des viel angefeindeten Kaisers Friedrich des Zweiten vom Hause Staufen. In den Jahren 1275 bis 1303 erscheint wiederholt Ritter Heinrich von Winkelried, genannt Schrutan, ein Lehenmann Graf Rudolf’s von Habsburg-Laufenburg.

Dieser Schrutan ist es aber, von welchem Tschudi seine erste auf die Winkelriede bezügliche Sage erzählt. Tschudi meldet nämlich in vollem Ernste: im Jahre 1250 habe ein großer Drache das Land Unterwalden verwüstet, und keine bewaffneten Maßregeln hätten etwas gegen ihn ausgerichtet. Da habe sich Herr Struth von Winkelried, der wegen eines Todtschlages verbannt gewesen, anerboten, den Drachen zu bekämpfen, wenn man ihm die Rückkehr in’s Vaterland erlaube. Es geschah so; er tödtete das Ungeheuer mit seinem von Dornen umwundenen Speere und mit dem Schwerte. Als er aber letzteres emporhob, träufelte ihm das Gift des Drachen auf den Leib, so daß er sterben mußte.

Man sieht klar, daß diese Geschichte rein mythisch ist. Struth Winkelried ist die Unterwaldener Variation von Hercules, Siegfried, St. Georg und Anderen, das heißt ein menschgewordener Gott, der den Drachen der Nacht tödtet, aber selbst wieder untergehen muß. Diese Erzählung Tschudi’s vom ältern Winkelried wirft daher ein höchst ungünstiges Licht auf die Wahrheit seiner spätern von Winkelried dem Jüngern bei Sempach.

Als Zeitgenossen der Tellsage und der Schlacht am Morgarten erscheinen (1309 bis 1325) Rudolf und Walther von Winkelried, 1363 Wilhelm von Winkelried und so noch Mehrere dieses Namens, ohne daß ihre Verwandtschaft unter sich bekannt wäre, bis wir endlich 1367 auf einen Zeugen, Namens Erni (Arnold) Winkelried stoßen und 1389 abermals auf einen Erni von Winkelried. Einer dieser beiden Erni ist entweder der von Sempach, dessen Schlacht zwischen jene beiden Jahre fällt, oder sie sind Einer und Derselbe, – dann wäre aber bei Sempach kein Winkelried gefallen, Tschudi führt allerdings seinen Arnold von Winkelried als den im Jahrzeitbuche von [8] Staus unter den gefallenen Unterwaldnern Erstgenannten auf; wann aber dieses nicht mehr vorhandene Jahrzeitbuch abgefaßt worden, ist nicht nachgewiesen.

Den Ersten und Einzigen der Winkelriede aber, welcher durch eidgenössische Berichte als Kriegsheld wohl ausgewiesen ist, lernen wir seit 1512 in Arnold von Winkelried kennen, welcher in jenen kriegerisch ruhmvollen, aber moralisch traurigen Zeiten, in denen die Eidgenossen zum Schaden ihrer guten Sitten als Herren Oberitaliens auftraten, eine hervorragende Rolle spielte. Wir finden ihn als Gardehauptmann der Schweizer bei Herzog Maximilian Sforza zu Mailand, als tapfersten Kämpfer in der Unglücksschlacht bei Marignano, wo die Franzosen den Kriegsruhm der Schweizer vernichteten, nach dem unseligen Bunde mit Frankreich aber – als französischen Söldner und Vorkämpfer bei Bicocca, wo er seinem alten Waffencameraden Georg von Frundsberg, dem bekannten deutschen Landsknechtführer, zurief: „Du alter Gesell, find’ ich Dich da? Du mußt von meiner Hand sterben.“ Aber nicht Frundsberg fiel, sondern Arnold Winkelried – einer besseren Sache würdig (1522).

Dieser letzte Winkelried (sein Sohn war der Letzte seines Stammes) war zu seiner Zeit so bekannt in der Schweiz, daß sich sein Name wohl an eine Gestalt knüpfen konnte, die sich gerade damals durch das größere Sempacherlied in den Gemüthern festsetzte.

Und nun unser Resultat? Es ist Thatsache, daß etwa anderthalbhundert Jahre nach der Schlacht bei Sempach die später erzählte That Arnold von Winkelried’s nicht bekannt war, die Schlacht aber allgemein so erzählt wurde, daß der Sieg der Schweizer derselben nicht bedurfte, sondern durch die Tapferkeit der Letzteren und die schlechte Disciplin der Oesterreicher hinlänglich erklärt wurde. Ob der zu derselben Zeit lebende Erni Winkelried in der Schlacht mitfocht oder gar darin fiel, kann bei dieser Sachlage leider nicht mehr von Belang sein. Auch muß daher zu unserem lebhaften Bedauern die That Winkelried’s, wie sie das große Lied und Tschudi erzählen, als eine nach und nach ausgebildete Sage betrachtet werden und der Held derselben als solcher dem Schicksale Tell’s anheimfallen. Dieses unerfreuliche Resultat hat aber weder für die Vaterlandsliebe, noch für den Ruhm der Schweizer irgendwelche nachtheilige Folgen. Unsere Vorfahren bleiben trotzalledem die Sieger von Sempach, ja der Ruhm verbreitet sich über alle Kämpfer, nachdem er bisher auf den Einen beschränkt war, der den Anderen erst die Bahn gebrochen.

Gleichviel aber, ob Sage oder Geschichte, ist der Umstand allein, daß ein solcher erhabener Zug in der Schweiz gedacht werden und Wurzel fassen konnte, ohne Frage schon ein Denkmal von der biderben und zugleich tiefpoetischen – ja sagen wir es gerade heraus, wie es ist –, echt deutschen Grundnatur unseres Volkes.

Dr. Otto Henne-Am Rhyn.     




Eine Weihe.


Ein Gespräch über Glaubenssachen mit Orthodoxen hatte von je großen Reiz für mich, vorausgesetzt natürlich, daß dieselben weder Heuchler, noch Flachköpfe, noch Fanatiker waren, sondern auch der Meinung Anderer Gerechtigkeit widerfahren ließen. Eine solche Unterhaltung hatte ich vor längerer Zeit mit dem Regierungsrath F., welcher ebenso strenggläubig und fromm wie geistvoll und duldsam war. Der Gegenstand des Gesprächs waren die Sacramente, die für mich altehrwürdige symbolische Bräuche sind, aber auch nichts weiter, und als solche auch für den Nichtgläubigen immerhin bestehen können, wenn nur Jedem die Kirche das Recht zu Theil werden läßt, sie nach seiner Auffassung zu nehmen; zum Beispiel das Abendmahl einfach als die schöne und rührende Feier zum Gedächtniß des Edelsten und Herrlichsten aller Menschen, die je für ihre sie erfüllende Idee ihr Leben hingaben; die Taufe, entkleidet aller alten Religionslehren, als den einfachen Act der Aufnahme in die christliche Gemeinde, welche vielleicht noch durch viel schönere und sinnvollere Symbole bezeichnet werden könnte.

Dieser Ansicht widersprach mein Gegner auf’s Heftigste. „Ja,“ rief er am Ende unserer Unterhaltung, „ihr Neuerer zerwühlt und zerspült nur den Boden der Glaubenslehren, zersetzt und zerfetzt nur die alten heiligen Dogmen. Ihr werdet sehen, wohin Das führt. Und verwerft ihr den Inhalt derselben, dann werft nur auch die leeren Formen hinterdrein als unnützen Ballast. Aber bald werdet ihr mit Schrecken sehen, welch formenloses Chaos und welch trostlose Oede euch umgiebt, und werdet jammernd euch zurücksehnen nach dem verlorenen Gute.“

„Für neuen Wein werden sich auch neue Schläuche finden lassen,“ erwiderte ich, „ein neuer Inhalt wird auch schon seine neuen entsprechenden Formen entwickeln und zwar in echter Freiheit, Wahrheit und Schönheit.“

Wir brachen das Gespräch ab, das schon hitzig zu werden anfing, und bei dem ja doch nichts weiter heraus kam, wie bei allen solchen Wortgefechten.

Heimgekehrt, fand ich einen Brief auf meinem Schreibtische mit dem Postzeichen „Jena“, der mir viel zu denken geben sollte. Er kam von meinem lieben Freunde und Wandergefährten, dem jungen Professor Häckel, dem berühmten Verfechter und Weiterbildner der Lehre Darwin’s, und lud mich ein, als Pathe bei der Taufe seines Erstgeborenen zu fungiren.

Es war im späten November. So lieb ich meinen wackeren Freund auch habe, spürte ich doch wenig Lust, zu so rauher Jahreszeit die weite Reise zu unternehmen; aber auch davon ganz abgesehen – was sollte ich dort? Zeuge sein und gar Pathe bei einer Handlung, zu welcher der Standpunkt des Pathen wie des Vaters so wenig paßte, um nicht zu sagen, in ausgesprochenem Gegensatz stand – das widerstrebte meinem innersten Gefühle. Mußte dadurch die Ceremonie nicht ihre eigentliche Bedeutung verlieren? Und war überhaupt zu hoffen oder vorauszusehen, daß auch der Täufling jener gläubige Christ werden würde, wie ihn die Taufe wollte? –

Doppelt lebendig erhob sich abermals der Gedanke des letzten Gesprächs in meiner Seele. Neuen Wein in neue Schläuche!

Sollten sich denn für ein Glaubensbekenntniß, wie das meines lieben Freundes und das meinige war, nicht auch neue bedeutungsvolle Formen finden? Sollte sich nicht auch für das Kind eines Naturforschers, wenn es der Welt und der menschlichen Gesellschaft dargebracht wird, eine weihevolle Feier bereiten lassen, eine in echter Freiheit, Wahrheit und Schönheit? –

Gedanke auf Gedanke durchzog noch spät in stiller Nacht meine Seele, und endlich entstand aus ihnen eine dem Tauffest meines naturforschenden Freundes gewidmete Dichtung, ein Versuch, in dramatischer Weise die Weihe eines jungen Erdenbürgers vorzuführen, bei der Jeder, welchem Glaubensbekenntnisse er zugethan sei, mit ruhigstem Gewissen seine Pathenstelle einnehmen könnte.

Hier ist meine Dichtung:

 Weihe,
ausgedacht und dargebracht dem Erstgebornen seines lieben
 Ernst Häckel.

(Scene: Festlich geschmückter Gartensaal. Die versammelten Gäste im Halbkreise. Der Knabe wird hereingetragen, und eine feierliche Musik, etwa Mozart’s Chor: „O Isis und Osiris!“ empfängt ihn. Wenn die Klänge verhallt sind, wird der Knabe zur Sonne emporgehalten. Einer der Pathen [Astronom] legt seine Hand auf dessen Haupt.)

 Der Sprecher.
Das ist die Sonne, die hohe, die helle,
Des Lichts und der Wärme erhabene Quelle,
Die Strahlen versendende,
Segen ausspendende,
Das ist die Sonne, das gold’ne Symbol
Ewiger Klarheit,
Ewiger Wahrheit.
Freue Dich ihrer, strebe zum Licht,
Sonst verdienst Du sie nicht!

(Der Knabe wird nun auf die Erde gesetzt. Drei andere Pathen [Geognost, Botaniker, Zoolog] legen ihre Hände auf ihn.)

[9] 

Das ist, o Sohn, die Allmutter, die Erde.
Drinnen und drauf herrscht ein ewiges Werde;
Das ist die mild in der Sonne erglühende,
Das ist die freundliche, grünende, blühende.
Doch in der Tiefe sind düstere Gluthen;
Unter den Bergen und wallenden Fluthen,
Allüberall ist ein wunderbar Weben,
Sinken und Heben, Streiten und Streben,
Ewiges Sterben, ewig Beleben,
Ewig Verschwinden, ewig Entfalten,
Geschlecht auf Geschlecht und Gestalt auf Gestalten.

Auf ihr sollst Du wohnen, Dich freu’n und genießen,
Sie sollst Du erforschen, sie sollst Du erschließen.
Strebe und streife,
Schwelge und schweife,
Dringe hinein!
Sie sei Dein, sie sei Dein!
Und Du selbst magst der Beste, der Bravste drauf sein!

(Die Eltern nehmen jetzt den Knaben in ihre Mitte. Alle Anwesende treten, ihn zum Willkommen begrüßend, hinzu.)

Das sind die Menschen – ergreif’ ihre Hände
Und habe sie lieb, sei getreu bis an’s Ende,
Doch fliehe die Falschen, die Schlechten, Gemeinen
Und halte Dich nur zu den Echten und Reinen!
Sei stark in Bedrängniß, sei muthig im Streit,
Doch weich, wenn bei Andern Du Noth siehst und Leid!
Erkennen und Helfen – Genießen und Streben
Und – das Glück des Beglückens, das fülle Dein Leben!

(Kurze Musik von heiterem Charakter. Ein bekränzter Becher mit Wein wird hereingetragen.)

Empfange denn nun die fröhlichste Weihe,
Nicht klebt sie am Dogma, die schöne, die freie,
Empfange der Traube Wundersaft,
Des Geistes Symbol und der Lebenskraft!

Entquollen den Brüsten der Allmutter Erde,
Durchglüht von den Strahlen der himmlischen Sonne,
So ward er bereitet, auf daß er werde
Den irdischen Herzen zur himmlischen Wonne

(Dreimal werden jetzt seine Lippen damit benetzt.)

Lerne sie kennen, die liebliche Labe,
Koste die edle, die köstliche Gabe,
Noch sei sie Dir nur
Symbol der erfreuenden Mutter Natur!

(Indem der Sprecher den Wein über ihn ausgießt:)

Einst werde zu Theil Dir in Ueberfluß
Des Daseins hochherrlicher Vollgenuß! –

(Eine jubelnde Musik fällt ein, die aber bald in eine sanfte und ernste Weise übergeht, während der Knabe wieder in die Arme der Mutter gelegt wird.)

Nun schließe die Augen am Mutterherzen,
Bist frei noch von nagenden Sorgen und Schmerzen.
In der Mutter Arm
Ruht sich’s gar warm.
So schlaf’ und gedeihe und sammle Dir Stärke
Zum schönen Berufe, zum heiligen Werke!
Doch wirst Du zum Letzten die Augen einst schließen,
Ist’s aus mit des Daseins Kampf und Genießen,
Umsteh’n sie Dein Lager mit Klagen und Weinen,
Die treu Dir Verbund’nen, die Lieben, die Deinen,
O mögest Du dann, wenn Dein Auge will brechen,
Zu Deinen Getreuen getrost können sprechen:
„Ich ward ein Mensch, und es war meine Sendung
Zu helfen mit Euch an der Menschheit Vollendung.
Ich that, was ich konnte; – was ich gesollt,
In redlichem Streben hab’ ich’s gewollt.“

Hermann Allmers.




Ein New-Yorker Millionär.


Der Sonnabend Abend, am 22. November 1873, bot in New-York dem aufmerksamen Beobachter des stets unruhig, fast möcht’ ich sagen, krampfhaft fluthenden Lebens in der typischen Yankeestadt ein ganz ungewöhnliches Bild. Eine eigenthümliche, tief gehende, aber keineswegs laute Aufregung hatte sich aller Classen der gewaltigen Metropole bemächtigt. In der sogenannten „Abendbörse“ des Fünfte-Avenue-Hôtels drängten sich Massen von eifrig discutirenden Männern, die Crême der Geldprotzen, Börsenspieler, Eisenbahn-Actien-Speculanten und Anderer. Wie ernst sie sich unterhielten! Aber auf den Mienen fast Aller lag Befriedigung, ja eine gewisse Feierlichkeit. Sie redeten also wohl nicht über die jüngste Panik (Krach), – nein, in der That nicht, es fehlen ja gänzlich die gewohnten Schlagwörter ihres Börsenrothwelsches. Auf den Straßen, in den Omnibus, in den Pferdebahnwagen schütteln sich Leute vergnügt mit bedeutungsvollem Blicke die Hände, und trennen sich wieder oder ziehen ihre Abendblätter hervor, ohne mehr zu äußern, als eine oder die andere jener kurzen und doch so ausdrucksvollen Einsilben der englischen Sprache. In den Restaurationen, auf den harten Bänken der Lagerbiersalons sitzend, vor den Schenktischen der Giftbuden – bar-rooms genannt, – stehend, dieselbe tiefgehende Aufregung, in letzteren nicht ohne einige Kraftausdrücke, die einem Fluche so ähnlich sehen wie ein Ei dem andern, – am hellerleuchteten Abendtische des Reichen, in dem freundlichen Speisezimmer des wohlhäbigen Kaufmannes, Bürgers und Handwerkers, wie in dem engern Raume, wo der ermüdete Arbeiter die Seinigen um sich versammelt hat – überall dieselbe Aufregung, derselbe Gegenstand der Unterhaltung. War es der mit Spanien wegen des bestialischen Santiago-Autodafés drohende Krieg denn? Nein, auch das nicht. Was nur konnte die Millionen Menschen in einem Grade beschäftigen, wie ich es seit dem Tage nicht gesehen, als im Jahre 1861 die Nachricht von der Beschießung Fort Sumters tausendstimmig durch die Straßen gerufen wurde? Der Mund der zehntausend kleinen Zeitungsträger und Verkäuferinnen in ihrem eiligen Laufe über die Trottoirs, in ihrem katzenartigen Aufspringen und Abspringen von den Pferdebahnwagen verkündet es laut bis in das sechste Stockwerk der Paläste, bis in die tiefsten Bier- und Schnapsspelunken, von der fünften Avenue bis zum schmutzigsten, verrufensten Gäßchen, von Wallstreet bis zu den stillen Gartenhäusern der Vorstädte: „Boss Tweed condemned“ (Meister Tweed verurtheilt)!

Wer ist Tweed? und was hatte er verbrochen?

Wilhelm M. Tweed, ein Irländer, war bis vor etwa zehn Jahren dem großen Publicum gänzlich unbekannt, ein Advocat dritter Classe, der mit einer zahlreichen Familie in keineswegs glänzenden Verhältnissen lebte. Er galt für einen tüchtigen Geschäftsmann, von durchschnittlicher Redlichkeit, und hatte sich zu einem der Leiter der ultrademokratischen geheimen Gesellschaft „Tammany“ aufgeschwungen, einer politischen Verbindung, die, mit kurzen Unterbrechungen, die Politik des Staates New-York geleitet hat, und nicht ohne Einfluß auf die der Vereinigten Staaten gewesen ist. In dieser Gesellschaft vereinigten und vereinigen sich noch heute alle Elemente, die, bei einer auf allgemeinem und directem Wahlrechte beruhenden Verfassung und der in Republiken schwer vermeidlichen Laxität der Gesetzesanwendung, derselben eine ungeheure, fast unwiderstehliche Macht geben mußten. Die raffinirtesten Leiter, absolut rücksichtslos in den von ihnen zu ergreifenden Maßregeln, mit großartigen Mitteln ausgestattet, von den schlausten Advocaten berathen, von einem Haufen der gewissenlosesten und verwegensten Wahlfälscher unterstützt, an der Spitze der jeden Augenblick zu einem offenen Faustkampfe fertigen Fälscher, Meineidigen, „Repeaters“ (solche, die fünfzigmal und mehr bei einer Wahl stimmen) und wie sie der Katalog des Strafgesetzbuches sonst noch benennen mag, aller Nationen, besonders aber der irischen, und das Alles inspirirt, unterstützt und gesegnet von den Jesuiten und dem ganzen katholischen Pfaffenthum – sollten diese [10] nicht ein hübsches Werk zu Stande bringen? Es zeugt von der geistigen Bedeutung Tweed’s, daß er sich zum Dictator dieser noblen Gesellschaft aufzuschwingen wußte. Allein damit war weder sein Ehrgeiz noch seine Geldgier befriedigt. Für ihn war diese Stellung blos eine Staffel zu größeren Erfolgen. Sein Endziel war, die Casse der Stadt New-York in seine Hand zu bekommen. Zu dem Zwecke wußten er und seine Genossen es dahin zu bringen, daß sie in die Gesetzgebende Versammlung des Staates New-York gewählt wurden. Dort legten sie eine Anzahl von Gesetzen vor, welche die Verfassung der Stadt gänzlich neugestalteten und deren verschiedene Departements einer Anzahl von Commissionen übertrugen. Mit den ihm zu Gebote stehenden reichlichen Mitteln erkaufte Tweed in schamlosester Weise die Stimmen von Senatoren und Repräsentanten, und die Gesetze gingen durch. Natürlich wurden durch den Einfluß der Irländer und leider auch vieler Deutschen Herrn Tweed’s Genossen und Gehülfen bei der nächsten Wahl zu denjenigen Aemtern erwählt, die sie sich vorher planmäßig ausgesucht. Dies geschah im Jahre 1867. Die Rollen waren meisterhaft vertheilt. Die unglückliche Stadt blutete aus allen Poren. Massen von Sinecuren wurden den um Tweed verdienten Schurken gegeben. Die Gehälter wurden bedeutend erhöht, unbegreifliche und im Betrage fabelhafte Rechnungen präsentirt und bezahlt; die Presse wurde bestochen oder erkauft. Nichtswürdige Subjecte, zu Richtern erwählt, schützten die Verschwörer durch Rechtsverdrehung und selbst schamloses Zuwiderhandeln – kurz ein Corruptions- und Raubsystem wurde organisirt und in’s Werk gesetzt, von dessen Vollkommenheit und Ergiebigkeit die Geschichte kein zweites Beispiel kennt. Natürlich wurden auch die treuen Dienste der Jesuiten auf’s Freigebigste belohnt. Die katholischen Schulen und sogenannten wohlthätigen Anstalten erhielten eine jährliche Durchschnittsunterstützung von sechshunderttausend Dollars, nach der Zahl der Katholiken im Vergleich zu Andersdenkenden das Vierfache von Dem, was für letztere abfiel, obwohl gewiß neun Zehntheile der Steuern von den Nichtkatholiken bezahlt wurden. Um nur den unersättlichen Magen der von dem Knechte der Knechte in Rom infallibilistisch dirigirten Kirche versuchsweise auf kurze Zeit zufrieden zu stellen, schenkte der ganz aus Tweed’schen Marionetten der untersten Classe bestehende Stadtrath dieser Kirche zur Erbauung einer Kathedrale, die alle auf dem neuen Continente an Pracht überbieten soll, zwei Stadtviertel, dessen Werth zwei Millionen betrug.

In wenigen, etwa drei Jahren, hatte die Tweeds’sche Wirthschaft die städtische Schuld von einigen zwanzig aus nahezu hundert Millionen gebracht. Er selbst und seine Helfershelfer gediehen natürlich trefflich dabei. Er besaß jetzt einen der herrlichsten Paläste der daran so reichen fünften Avenue, von dessen verschwenderischer Einrichtung man sich annähernd einen Begriff machen kann, wenn man erfährt, daß sein Pferdestall mit dem schönsten Mahagoniholz sowohl innen wie außen versehen und viel besser ausgestattet war, als die Wohnungen des größten Theiles seiner irischen Landsleute. Und so fest war Tweed’s Macht begründet, so genau war jede Eventualität vorgesehen, so trefflich arbeitete unter dem Schutze der nichtswürdigen Richter Dowling, Curdozo, Mac Cunn etc. die Corruptionsmaschine, so vergeblich erwiesen sich alle Anstrengungen der Besseren in den Wahlen und vor den Gerichten, daß Viele an der Möglichkeit einer Besserung zu verzweifeln begannen.

Wo aber nichts mehr half – da that es die freie Presse. Eines der besten New-Yorker Blätter, „The New-York Times“, ließ im Stillen und mit Aufwand erheblicher Summen durch eine Anzahl seiner Berichterstatter, die Tag und Nacht bei Hoch und Niedrig, im Palaste wie in den Hütten herumspionirten, das oder doch ein Sündenregister des „boss“ (so wurde Tweed von dem nobeln Gesindel genannt, auf das er sich stützte) zusammenstellen und veröffentlichte dasselbe in einer Reihenfolge von täglichen Nummern. Die Wirkung war eine kaum glaubliche, denn es war nun nicht mehr möglich sich zu der überall so großen Partei der Leisetreter zu bekennen, „die sich noch keine Meinung gebildet hatten“ (had not made up their mind). Jetzt hieß es: Farbe bekannt, entweder für Tweed oder gegen ihn! Die großen täglichen Zeitungen, die eine Macht sind nicht nur für die Stadt New-York, sondern für die ganzen Vereinigten Staaten, traten nun mehr oder weniger entschieden, je nachdem ihre Hauptredacteure Redlichkeit und Charakter besaßen oder aber mit dem Tweedismus bisher aus der Ferne geliebäugelt hatten und dafür sehr anständig honorirt worden waren, gegen Tweed auf, unter ihnen auch – eine späte Bekehrung! – das größte deutsche Blatt, das früher ebenfalls zur Inthronisation Tweed’s beigetragen – die „New-Yorker Staatszeitung“.

Die öffentliche Erbitterung wuchs mit jedem Tage und in gleichem Grade der kühle, freche Trotz der von Tweed geführten Gaunerbande, die bis zum Oberbürgermeister Hall hinaufreichte; denn noch standen die Pfeiler ihrer Macht, jene nichtswürdigen Richter, unerschüttert. Aber bald fingen auch sie zu zittern, zu wanken an vor der allgemeinen Erbitterung. Mac Cunn beging Selbstmord; zwei Andere wurden von dem Senate der Gesetzgebenden Versammlung zur Absetzung verurtheilt; Einer zog sich freiwillig zurück. Jetzt fingen einzelne der Diebe, denen jene Richter noch immer Galgenfrist dazu verschafften, an zu verschwinden. Es bildete sich aus den besten Elementen des Kaufmanns-, Bürger- und Advocatenstandes ein Comité von Siebenzig, denen die Aufgabe gestellt wurde, alle gesetzlichen Mittel zu ergreifen, die Verbrecher vor die Gerichte zu bringen. Es war dies ein höchst mühseliges, beschwerliches und nicht ungefährliches Werk, das nur theilweise zu vollenden beinahe zwei Jahre dauerte.

Boß Tweed fühlte sich – und dies war der erste Fehler, der ihm in seinen großartigen Raubzuge passirte – im Besitze seiner Millionen (man spricht von fünfundzwanzig) so sicher, daß er blos auf einige Wochen unsichtbar wurde, dann aber wieder erschien und gegen Stellung einer Sicherheit von zwei Millionen Dollars bis zur gerichtlichen Verhandlung auf freiem Fuße blieb. Die ersten gerichtlichen Bestrebungen gegen die Diebesbande blieben erfolglos, obwohl unter ihren Gegnern die ersten Advocaten, wie O’Connor und Evarts, sich befanden. Die von Tweed ausgesetzten Honorare, die in die Hunderttausende gingen, sicherten auch ihm und seinen Genossen, die wie eine geschlossene Phalanx fochten, Talente ersten Ranges. Diese Schritte verschleppten sich fast durch ein Jahr, und noch immer war die Schlachtreihe der Diebe unerschüttert, ja sie hatte meistens Siege davongetragen. Wie dies möglich, ist einem mit dem englischen Rechte unvertrauten Verstande schwer begreiflich zu machen; jedenfalls scheint es mir außer meiner Aufgabe zu liegen. Vielleicht war es ein Fehler, daß man zuerst die Civilklage, das heißt die auf Rückerstattung des Gestohlenen und auf Entschädigungen, in den Vordergrund schob. Jedenfalls begann endlich gegen den Boß selbst die Verhandlung der Privatklage. Er erschien vor dem Richter Davis, umgeben von einem Stabe von sieben Vertheidigern, unter denen der unverschämte, aber äußerst schlaue und gewandte Graham die erste Rolle spielte, mit seiner gewöhnlichen Ruhe und verächtlichen Gleichgültigkeit, die zu sagen schien: „Wie! Ihr Zwerge wollt mich, der den ganzen Staat seit Jahren als Despot beherrscht, der Millionen zur Verfügung hat und bereit ist, sie zu verwenden, Ihr wollt mich in New-York, wo ich den Preis eines jeden Einzelnen kenne, verurtheilen? Erspart Euch doch die Farce!“

Nachdem der Versuch der Vertheidiger, den Richter Davis, von dem sie wegen seiner anerkannten großen Befähigung, Unparteilichkeit und Ehrenhaftigkeit Alles zu fürchten hatten, zu beseitigen, gescheitert war, nahm die Bildung der Geschworenenbank drei Tage in Anspruch. Viele hundert Bürger erschienen, blos um nicht angenommen zu werden. Unter den Gebliebenen waren fünf Deutsche, und diese waren, wie die amerikanischen Blätter anerkennen, die entschiedensten. Die interessanten Verhandlungen, beständig von den Vertheidigern unterbrochen, endigten mit einem Schuldig von einundfünfzig dem Tweed zur Last gelegten Vergehen. Richter Davis verurtheilte demnach Tweed zu zwölf Jahren Zuchthaus und zwölftausendfünfhundert Dollars Geldstrafe.

Ich kann nicht umhin, einen Theil der Anrede, die Richter Davis dann an Tweed hielt, hier in der Uebersetzung mitzutheilen. Sie dürfte auch in gewissen Regionen in Deutschland dem Durchlesen und Beherzigen empfohlen werden.

„Wilhelm M. Tweed!“ sprach der Richter Davis. „Sie sind durch den Wahrspruch von verständigen und redlichen Geschworenen einer großen Zahl der in der Anklageschrift enthaltenen Beschuldigungen überführt. Dieser Wahrspruch konnte, nach Ansicht des [11] Gerichtes, nicht anders ausfallen, ohne Verletzung des von den Geschworenen geleisteten Eides. Der den Geschworenen vorgelegte Beweis war einfach eine mathematische Demonstration Ihrer Schuld. Im Besitze eines hohen Amtes, geehrt und geachtet von einer zahlreichen Classe der Gemeinde, in der Sie lebten, und geliebt, wie ich nicht zweifle, von Ihren Gefährten, haben Sie, bei all diesem in Sie gesetzten Vertrauen, bei all den vielen Gelegenheiten zu treuer Pflichterfüllung, wodurch Sie Ehre und die Achtung des ganzen Gemeinwesens gewinnen konnten, es vorgezogen, die Macht, mit der Sie bekleidet waren, auf eine nichtswürdigere und schändlichere Weise zu mißbrauchen, als dies je in der Geschichte irgend einer civilisirten Nation geschehen. Statt das Gemeinwesen zu schützen, haben Sie es geplündert. Anstatt bei dem Schatze, der Ihnen anvertraut, Wache zu stehen, haben Sie ihn weit geöffnet gehalten, nicht nur Ihrer eigenen Gier, sondern auch der Ihrer Gefährten, und zwar unter Umständen, die keinen Zweifel lassen, daß zwischen Ihnen und Jenen eine Verschwörung zur Beraubung desselben und zu Ihrer und Jener Bereicherung bestand. Der Beweis über diesen Punkt läßt keinen Zweifel über Ihre moralische Verschuldung zu.

Am 5. Mai begannen Sie Ihr Amt mit der Organisation des Rechnungshofes und Annahme der Bestimmungen, wie Rechnungen vorgelegt und belegt werden sollen. Am 6. Mai und von da ab hintereinander, bis die hundertneunzig Rechnungen angenommen und angewiesen und die Beträge bezahlt waren, ist der Beweis unumstößlich, daß Ihr ganzes Verfahren blos ein wohlüberlegter Plan war, sich selbst und Ihre Gehülfen zu bereichern. Gäbe es keine weiteren Umstände, um es darzuthun, so würde, meines Bedünkens, die Thatsache genügen, daß Ihr Raubantheil an jeder einzelnen Rechnung, wie sie zugelassen und bezahlt wurden, ein für allemal auf vierundzwanzig Procent bestimmt war, und der Antheil Ihrer Genossen scheint ähnlich fixirt gewesen zu sein. Es ist unmöglich, anzunehmen, daß Ihr Antheil in hundertneunzig Vertheilungsfällen des geraubten städtischen Geldes stets vierundzwanzig Procent sein sollte, wenn das nicht Ihr voraus vereinbarter Antheil gewesen wäre.

Wenn wir eine Maschine bei jeder Umwälzung ein bestimmtes gleichmäßiges Product liefern sehen, so schließen wir aus diesem Erfolge, daß er das Werk des Nachdenkens und Beschlusses Eines Gedankens ist. Und wenn wir erfahren, daß die Maschinerie, deren Sie und Ihre Genossen sich bedienten, ein ebensolch gleichmäßiges Resultat ergab, dann bleibt kein anderer Schluß möglich als der, daß kraft einer wohlorganisirten Verschwörung Sie mit Andern die Beute theilten. Es ist also vergeblich zu behaupten, daß politischer Haß oder Aemtergier in der Untersuchung mitgewirkt habe. Nein, der ganze Kampf war zwischen Ehrlichkeit und Tugend auf der einen, und Betrug und Verbrechen auf der andern Seite. Wohl hat eine große Zeitung der republicanischen Partei zuerst den Augen der Bürger die infamen Betrügereien vorgelegt, allein redliche Männer aller Parteien haben sich vereinigt, um Licht in die Sache zu bringen, so die demokratischen Leiter Karl O’Connor und Jilden. Ihre Schuldigerklärung ist nicht das Ergebniß von Verfolgungssucht Einzelner oder von Parteien, nein! sondern von einer Beweisaufnahme so einfach und klar, daß ich mich nicht erinnere, weder in meiner Praxis noch in meiner Lectüre einen Fall getroffen zu haben, wo der Beweis so überwältigend und es so unmöglich für die Geschworenen war, sich zu irren. Durch die ganze Untersuchung hindurch bis zu Ihrer Schuldigerklärung blieben Sie so ruhig und heiter, als ob Sie sich für Ihre Freisprechung ganz auf Ihre Unschuld verließen, während es so klar wie die Sonne, daß Ihre Heiterkeit nichts war als Dreistigkeit, Vertrauen auf die Allmacht der Corruption eher als Verlaß auf Unschuld und reines Gewissen. Es ist meine Pflicht, über Sie eine Ihrem Verbrechen einigermaßen angemessene Strafe auszusprechen.“

Tweed’s Benehmen während der Verhandlungen war so, wie es Richter Davis geschildert, ja es war geradezu impertinent. Es drückte sich darin die Bulldogköpfigkeit seiner Race mit der Ueberhebung des verhätschelten Parvenu aus. Das für unmöglich, ja für geradezu lächerlich gehaltene „Schuldig“ schmetterte ihn zusammen wie ein Blitzstrahl. Vorher ein schöner kräftiger, fein aussehender Mann der besseren Jahre, voll geistiger und animalischer Federkraft, erschien er wie durch Wunder in einen hinfälligen, theilnahmlosen, gebrochenen alten Mann verwandelt. Und in der That sind die zwölf Jahre bei seinem Alter gleichbedeutend mit „lebenslänglich“. „Lebenslängliches Zuchthaus in Sträflingstonsur und Jacke für einen Mann, der Millionen auf Millionen besitzt, der in der Stadt und um sie herum Paläste und prachtvolle Landhäuser sein nennt, der seit zehn Jahren Stadt und Staat New-York despotisch regierte, vor dem Hunderttausende schmutzwinselten und den die Besten fürchteten!

Bereits sind gegen zwei seiner Spießgesellen weitere Verurtheilungen ergangen, und es unterliegt keinem Zweifel, daß die ganze Bande, soweit sie nicht den atlantischen Ocean zwischen sich und die Nemesis geschoben, bald im Staatszuchthaus, das den melodischen Namen Sing-Sing führt, sich zusammenfinden wird.

So hat sich denn des Erdballes Lasterhöhle gereinigt; Redlichkeit ist nicht mehr lächerlich, und die Stadt, der Staat und das ganze Land athmen nach einem schwerem langedauernden Alpparoxysmus wieder auf.

Darf man es nun übel nehmen, wenn wir stolz auf dieses Resultat sind und neugierig, was nun im alten Vaterlande mit ähnlichen Millionären und Candidaten der Criminalzelle geschehen wird? Vivat Sequens!




Aus dem Lebens- und Leidensbuche eines Dichters.
Nach handschriftlichen Quellen. Von Adolf Strodtmann.
2. Molly.


Wie kam es, daß der Friede einer Ehe, die offenbar nicht aus äußeren Rücksichten, sondern aus inniger Herzensneigung geschlossen ward, so kurzen Bestand hatte? Denn so viel ist sicher, daß Bürger jedenfalls unter dem Einflusse einer trügerischen Erinnerung stand, wenn er später in der sogenannten „Beichte“ an das Schwabenmädchen Elise Hahn behauptete, daß er seine erste Frau geheirathet habe, ohne sie zu lieben. Auch war Molly-Auguste zu der Zeit, als er mit ihrer Schwester vor den Altar trat, keineswegs ein „Kind von vierzehn bis fünfzehn Jahren“; sie hatte das erste Viertel ihres siebenzehnten Jahres vollendet und war kaum zwei Jahre jünger als Dorette. Wenn Bürger damals wirklich „schon den Zunder der glühendsten Leidenschaft für sie im Herzen trug“, so ist gewiß seiner weiteren Versicherung zu glauben, daß er dies aufkeimende Liebesgefühl aus mangelnder Selbstkenntniß „höchstens für einen kleinen Fieberanfall hielt, der sich bald geben würde“. Es lag ja durchaus im Charakter jener empfindsamen Zeit, die Begriffe „Liebe“ und „Freundschaft“ im Verkehr der Geschlechter auf eine uns heute fast unverständliche Art zu verwechseln. Theilte doch zum Beispiel auch Schiller lange nach der Verlobung mit Lotte von Lengefeld seine Neigung zwischen seiner Braut und ihrer lebhafteren Schwester, ohne diese Doppelliebe in seinem Gewissen für Sünde zu erachten! Bei der Befriedigung, welche Bürger in der ersten Zeit seiner Ehe empfand, hätte er vielleicht die aufflackernde Leidenschaft für Augusten ebenso wohl zur ruhigen Flamme einer unschuldigen Freundschaft herabgedämpft, wenn nicht besondere Verhältnisse den glimmenden Funken unablässig geschürt hätten.

Verhängnißvoll war zunächst der Umstand, daß das junge Ehepaar ein volles Jahr nach der Hochzeit auf Niedeck wohnen blieb. Schwankte Bürger, nachdem er Doretten zur Gattin gewählt, in allem Ernste über die Natur des Gefühles, das ihn zu der jüngeren Schwester hinzog, so konnte der Ruhe seines Herzens nichts gefährlicher sein, als der tägliche Anblick Augustens, die im Hause ihrer Eltern, gleichsam unter einem Dach mit ihm, wohnte und, bei dem zärtlichen Verhältnisse zwischen den Geschwistern, auch als er nach dem nahegelegenen Wöllmershausen übersiedelte, den regsten Verkehr mit ihm und Doretten unterhielt. [12] Molly-Auguste stand in jenem pikanten Alter, das auf poetisch angelegte Gemüther so großen Reiz zu üben pflegt: – Bürger sah den schelmischen Backfisch, den ausgelassenen Springinsfeld sich vor seinen Augen zur herrlich blühenden Jungfrau entfalten, in deren elfenhaft zierlicher, feurig beweglicher Gestalt sich „die schönste Weiberseele“ offenbarte.

Dorette war ernster, schüchterner, verschlossener. Sie verstand es nicht, auf die Dauer ihrem durch einen geistvollen Universitätsverkehr verwöhnten Manne dichterische Anregung zu gewähren, und da sie im elterlichen Hause, wo man auf großem Fuß zu leben gewohnt war, weder Sparsamkeit noch Ordnung gelernt hatte, wußte sie sich nicht in beschränkte Verhältnisse zu schicken und die Pflichten einer wirthschaftlichen Hausfrau, wie es nöthig war, zu erfüllen. Dadurch verstimmt, unterschätzte Bürger zuletzt ihren Werth und war überrascht, als er zufällig einmal dahinter kam, daß sie sogar Verse schrieb, „die erstaunlich

Bürger’s Molly (Auguste Leonhart).
Nach einem von ihr selbst 1781 gemalten Pastellbilde.
Dorette Bürger (1781).
Nach einem Pastellbilde von ihrer Schwester Molly-Auguste.

viel Anlage verriethen“. Kopfschüttelnd theilte er einem Freunde die Entdeckung mit: „Es ist aber ein gar schnurriges Weib. Von alledem läßt sie keinem Menschen, am allerwenigsten mir ’was sehen. Wüßte sie, daß ich ’was davon ausspionirt hätte, so wäre Alles aus. Ich muß sie also in der Stille beginnen lassen und verstohlen sehen, was heraus kommt.“

Ein so schweigsam stilles Wesen, das vielleicht den besten Theil seines inneren Lebens in sich verschloß, paßte schlecht zu einem Manne, der in kindlicher Offenheit stets sein Herz auf der Zunge trug. Er wurde es müde, hinter der spröden Schale den süßen Kern zu suchen, und scheint nicht ganz Unrecht zu haben, wenn er behauptet, daß sie in ihrem Mangel an Eifersucht „durch einige Herzensgleichgültigkeit unterstützt“ wurde. Ihrem jüngsten Bruder schreibt sie selbst einmal über dieses Thema: „Für Deine schöne pathetische Lobrede auf meine Zurückhaltung und Enthaltsamkeit mache ich Dir in Gedanken den tiefsten Knix. Ich glaube aber wirklich, daß ich eine gute Portion Neugierde weniger muß empfangen haben, wie meine theuren Mitschwestern, denn es fällt mir nie ein, Etwas, das für Bürger bestimmt ist, durchwühlen zu wollen, wäre ich auch überzeugt, daß er es mir nicht übel nehmen würde. Es ist also noch die Frage, lieber George, ob dies Tugend oder Temperament ist?“

Auch fremden Besuchern gegenüber mag Dorette nicht sehr gesprächig gewesen sein. In den Briefen der Freunde Bürger’s, welche sie kannten, ist selten von ihr die Rede. Die Dichterin Philippine Gatterer schreibt charakteristisch bei der Erinnerung eines Besuches im Bürger’schen Hause: „Mehr als einmal wünschte ich nach Wöllmershausen zu kommen, und Ihre liebe sanfte Frau und Ihr pfiffiges kleines Mädchen wieder zu sehen. Damals, wie ich sie sah, war das letzte einige Wochen alt; ich sah, wie ihm Zwieback-Brey in’s Mäulchen geschmiert wurde, und hörte es schreyen; das war nicht viel, mehr konnte man damals aber nicht fordern, jetzt würde sie mich gewiß sehr ergözen. Ihre Frau Gemahlin war noch nicht ganz wieder hergestellt, sah sehr krank aus und schien nicht viel Lust zum Reden zu haben. Ich hoffte es wenigstens und schrieb’s ihrer Schwächlichkeit, und ihr Stillseyn keiner Abneigung gegen mich zu. Sie saß so zärtlich und sittsam auf dem Kanapee. Hatte sich und ihr Kind in einen Mantel gehüllt und schlug die Augen auf das Kind wie eine Madonna.“ Diesen Eindruck der Mater dolorosa, der sanft ergebenen Dulderin, machte Dorette also schon damals, zu einer Zeit, wo ihr häusliches Glück noch durch keine Kämpfe gestört war.

Die erste verschleierte Andeutung solcher Kämpfe findet sich in einem Billet an Goethe vom Januar 1776. „Ich habe,“ schreibt Bürger, „ein gutes Weib und ein schönes Kind vom zweyten Geschlecht, aber was helfen die einem Herzen, über welchem Basilisken brüten? Wie oft ärgere ich mich, daß die mich nicht ärgern können und wollen.“ Und in einem andern Briefe an Boie vom Sommer desselben Jahres heißt es: „Ach, Freund, was für Projecte und Phantome wälzen sich nicht Kopf unten Kopf oben in meiner Seele herum! Bisweilen denke ich, ich will die Revenüen meines Bischen ererbten Vermögens meiner Frau und Kind zu ihrem Lebensunterhalte anweisen und mich dann nackt und bloß in den weiten Ocean der Welt stürzen. Komm’ ich um, so komm’ ich um! Erreich’ ich aber irgendwo ein schönes gesegnetes Eiland, so will ich die Meinigen nachholen.“ – „Ja, hättest Du nicht Weib und Kind,“ antwortet der warnende Freund, „so möchtest Du immer sagen: Haec schola me non capit, und den Staub von deinen Füßen schütteln.“ [13] Der Hauptgrund zu dem Unmuthe des Dichters war indeß jetzt noch nicht sein Liebesschmerz, sondern die unfruchtbare Quälerei seiner Amtspflichten, deren Erfüllung ihm durch die beständigen Chicanen des Obristen von Uslar völlig verleidet ward. „Gott erlöse mich aus dem Moraste dieses Verdrusses!“ rief er aus. „Schwehr ist mir’s, daß ich Weib und Kind habe, und noch schwehrer, daß ich beyde liebe … Wenn Du das Heurathen nur einigermaßen lassen kannst, so laß es! Die Ehe – und wenns auch aufs köstlichste mit ihr ist – ist Mühe und Arbeit.“

Silhouette Bürger’s.
Nach einem Schattenrisse von
Dr. Weis (1777).

Aehnlich schrieb er mit erzwungenem Humor im Januar des nächsten Jahres an Voß, welcher sich kurz nach seiner Verlobung mit der Schwester Boie’s um eine Lehrerstelle zu Hamburg beworben hatte. „So helfe Sie denn der Himmel zum Conrectorat am Johanneo und Ihrem Mädchen. Das wünscht Ihnen, weil Sie’s doch nicht anders werden haben wollen, Ihr Freund aus treuem Herzen. Sollten Sie mit der Zeit von beyden gern wieder losseyn wollen, wie sich dergleichen hin und wieder in der Welt zutragen soll, so mögen Sie sich das selbst wünschen. Ich habe so meine eigene Schadenfreude, wenn ich das wonne- und hoffnungstrunkene Völklein um den bunten gleißenden verschlossenen Tempel Hymens herumtaumeln und nach der Eröffnung seufzen höre. Wir, die wir drinn sind, könnten Euch draußen wohl manches zur Beherzigung eures Wohls und Wehes herausrufen. Allein weil wir angeführt sind, sehen wir gern, daß auch Andere mit uns es werden. Man denkt: Abraham zwing dich, ich habe mich auch gezwungen. – Liebster Voß, wie werdet Ihr Euch verwundern, daß in eben dem Tempel, dessen Außenseite so herrlich erscheint, dessen Kuppeln von Azur und Gold ins Feld glänzen, dessen marmorne Außenseiten mit Statuen, Gruppen, Basreliefs und Mahlereyen al fresco so herrlich verziert sind, daß, sag

Das Bürgerthal bei Reinhausen.
Nach einer Originalzeichnung von Otto Peters.

ich, in diesem Tempel die schönsten Hallen und Gemächer nur mit Tapeten von altem Wachstuch bekleidet und mit ganz ordinären Geräthschaften versehen sind. Mit den Blumen, die manche raffinirte Leute in Töpfen und Gläsern drin aufziehen wollen, ist es lauter Hudeley gegen die Blumen der Natur in freyer Flur unter dem unermeßlichen blauen Himmel. Hieraus, Freund, müßt Ihr nicht schließen, als ob mir etwa ein Stall oder Keller zu Theil geworden wäre. Mit Nichten! Ich bewohne eins von den besten Zimmern. Aber es ist doch darin überall so ordinair als auf einer Studentenstube.“

Dies war das erste Stadium seiner Leidenschaft. Wie fast alle Gedichte Bürger’s ein Spiegel persönlichster Erlebnisse sind, so erzählt die am 2. Februar 1776 vollendete Ballade „Schön Suschen“ mit ergreifender Wahrheit die Geschichte seiner Liebe zu Doretten und das allmähliche Erkalten dieser Liebe:

Und wieder kam gar andre Zeit,
Gar anders ward es mir:
Doch alle Tugend, Sittsamkeit
Und Schönheit blieb an ihr.

Ich kam und ging, ich ging und kam,
Wie Ebb’ und Fluth zur See.
Ganz wohl mir that es, wann ich kam,
Doch, wann ich ging, nicht weh.

Das einige Monate nachher entstandene Lied „Das Mädel, das ich meine“, schildert noch in beglückter, von inbrünstigem Danke gegen Gott erfüllter Bewunderung den Zauberreiz Molly’s, die ihm wie ein Engel des Himmels erschien, und die elegische Schlußwendung:

Doch ach! für wen auf Erden lacht
Das Mädel so in Liebespracht? –
O Gott, bey deinem Sonnenschein!
Bald möcht’ ich nie geboren sein,
Wenn nie in solcher Liebespracht
Dies Mädel mir auf Erden lacht –

ist in ihrer wehmüthigen Resignation, wie das gleichzeitige „Schwanenlied“, noch weit entfernt von der stürmischen Gluth, welche in den späteren Ergüssen alle Dämme der Vernunft und des Pflichtgefühls durchbricht.

Einen dämonischen Einfluß scheint auf Bürger’s Gemüth die Lectüre von Goethe’s „Stella“ geübt zu haben, welche ihm dieser als Antwort auf seine Klagen gesandt hatte, damit sie ihm „Liebes- und Lebenswärme in den Schnee bringe“. Diese kraftgenialische Verherrlichung einer Doppelliebe, die mit dem Auskunftsmittel einer Doppelehe schloß, wurde durch ihre beredte Dialektik nicht allein Bürger, sondern auch mancher anderen schwärmerischen Seele verderblich. „Mir schwindelt vor mir selbst!“ ruft sein Freund Sprickmann aus, der im Herbste 1776 einige Monate in dem benachbarten Benniehausen verlebte und seitdem eine lebhafte Correspondenz über Herzensangelegenheiten mit ihm unterhielt. „Stellas sind keine Träume; aber weiß Gott, auch Fernandos nicht! und wer weiß – Bürger schreibt mir um Gotteswillen!“

Sprickmann scheint der Erste gewesen zu sein, dem Bürger seinen ganzen Liebeskummer enthüllte, und das rückhaltlose Aussprechen desselben, die beständige Berührung der Wunde in dem Briefwechsel der Freunde ist das zweite Stadium dieser tragischen Herzensgeschichte. Bürger verzweifelte daran, die wachsende Gluth insgeheim zu ersticken, er führte ihr neue Nahrung zu, indem er sie offen eingestand, obschon er sie im tiefsten Gewissen verdammte.

„Daß es mir“ – schrieb er an Sprickmann – „in meiner Lage gar nicht behäglich ist und seyn kann, und warum es nicht seyn kann? werden Sie wohl wissen. Phantasie und Herz werden mir wohl bis an das Ende ihre tollen Streiche spielen. Ich brumme so einen Tag nach dem andern hin und bin schier mit Nichts als meinen Schwachheiten zufrieden: und doch sind es bloß diese, die mir wehren, glücklich zu seyn. Es ist ein elend jämmerlich Ding um das Menschenleben. Warum hab ich doch keine Einsiedeley auf dem Pico!“ – Ueberreizt und krank von der verzehrendem Gewalt seiner Seelenqual, gedenkt Bürger im nächsten Sommer Heilung durch den Gebrauch einer Brunnencur in Hofgeismar zu suchen. „Aber ach!“ fügt er ahnungsvoll hinzu, „alle Gesundbrunnen der weiten Welt werden den Brand nicht kühlen, der mir in allen Adern und in dem [14] innersten Marke wüthet. Gott! Gott! Was ist das im Menschen, was die Leute Liebe nennen?

Drum Lieb’ ist wohl wie Wind im Meer;
Sein Sausen ihr wohl hört,
Allein ihr wisset nicht, woher
Er kommt? wohin er fährt?

Wär’ er doch nur schon wieder zu allen T– gefahren!“ – „Sie sind also krank gewesen,“ heißt es im nächsten Briefe, „oder noch krank?“ Das ist auch von Herzen albern. Es geht mir indessen nicht viel besser. Ich befinde mich fast nie in einem Gefühl vollkommener Gesundheit; werde auch wohl nie wieder dazu gelangen, es wäre denn, daß dieser oder jener Traum erfüllt würde. Einer von diesen Träumen ist, befreyet von allen meinen Hand- und Beinschellen, als ein vollkommener Hans ohne Sorgen unter den Hirten der Alpen, so lange es mir behagte, meinen Aufenthalt aufschlagen zu können.

Gentle youth, oh tell me true,
Is it not the same with you?

Könnte ich nur meiner Frau ein hinlängliches Auskommen anweisen, so ließ’ ich mir morgen bei Bruder Bethgen ein Pilgerkleid machen und wanderte mit Stock und Ranzen immer zum Dorf hinaus. Aber ach! – würde ich dem Geyer entfliehen, der mir täglich und stündlich das immer wieder wachsende Herz aus dem Leibe hackt? Gott im Himmel! Was soll daraus noch werden? … Ich darf nicht einmal wünschen, denn die Wünsche, die allein zu meinem Heil abzwecken könnten, scheinen mir schwarze Sünde, wovor ich zurückschaudere.“

In dieser verzweiflungsvollen Stimmung gewährt ihm ein vierwöchentlicher Besuch bei Boie, der als Stabssecretär des Feldmarschalls von Spörken nach Hannover berufen war, heilsame Erquickung. Der kluge Freund vermied es, ihn zu fruchtlosen Herzensergießungen zu veranlassen, versuchte ihn zu zerstreuen und auf andere Gedanken zu bringen, indem er ihn in seinen tüchtigen Umgangskreis, in das Kestner’sche und Mejer’sche Haus, einführte und ihn mit seinen literarischen Freunden und dem berühmten Schauspieler Schröder bekannt machte, für welchen die Hexenscenen aus Shakespeare’s „Macbeth“ übersetzt wurden. In heiterster Laune kehrte Bürger Ende März 1777 nach Hause zurück. Wenige Wochen nachher wurde sein Schwiegervater unvermuthet durch ein bösartiges Brust- und Gallenfieber hinweggerafft, was auf Bürger einen tiefen Eindruck machte und seine Gedanken auf Momente von dem Gegenstande seiner Leidenschaft ablenkte. Die aufopferungsvolle Energie, mit welcher er sofort die Ordnung der verwickelten Geschäfts- und Vermögensverhältnisse seines Schwiegervaters und die Sorge für dessen zahlreiche Familie in die Hand nahm, nöthigte seinen Freunden die wohlverdienteste Bewunderung ab. Er bewarb sich sofort um die erledigte Amtmannsstelle in Niedeck, die er freilich, trotz Boies warmer Fürsprache, nicht erhielt. Die interimistische Führung der Amtsgeschäfte daselbst, die Pacht- und Vormundschaftsangelegenheiten führten Bürger wieder täglich in Molly’s Gegenwart, welche später mit ihrer Mutter und den beiden Stiefschwestern nach dem eine Meile nördlich gelegenen Bösinghausen zog. Neue schmerzliche Kämpfe erwuchsen ihm, in denen jedoch immer noch das Pflichtgefühl Sieger blieb. Wieder war Sprickmann der Vertraute seines Kummers. Bürger schrieb ihm im Sommer 1777:

„Die Sorge für mein Nest voll Schwäger und Schwägerinnen liegt mir schwer auf dem Halse. Wär’ es nur allein für das Mädel, das ich meine, dann … Was soll ich zu dem übrigen Inhalt Eures Briefes sagen? Es ist ein elend jämmerlich Ding um aller Menschen Leben! Dies Sprüchlein ist mir so geläufig geworden, daß ich’s in alle Stammbücher schreibe. Mir steht nun bald Trennung von der Geliebten meines Herzens bevor. Was wird aus mir, und was aus Ihr werden? O, daß mich so viele heilige, wiewohl schwehre, saure Pflichten gegen Andere an die Welt fesseln! Die gegen mich scheinen mir Träume, die ich abschütteln würde. – O Sprickmann, hab’ ich Euch wohl von Robinson Crusoe’s Insel jemals gesagt? Wie herrlich, wenn wir da wären! Tausend Meilen weit rings umher von den Wogen des Weltmeers umströmt! In süßer, seliger Ruhe und Einsamkeit! Ha! – doch was hilft’s? Man muß die Zähne zusammenbeißen, die Augen zudrücken und mit zerfezter Stirn vorwärts durch die sperrigen Dornenhecken dringen.“ – „Hör’ einmal, Pursche,“ heißt es in dem nächsten Briefe an denselben Freund, der für eine unglückliche Ehe in den wechselvollsten Liebesabenteuern Ersatz suchte, „ich habe einen gar verdammten Gedanken. Nehmlich den: Alles zusammenzuraffen, in Ordnung zu bringen, mein Haus zu bestellen, die Meinigen zu versorgen, und dann … erwerthern nicht! aber allenfals bewaschingtonen. Denn unsere Weiber, wenn wir sie versorgen, verliehren nichts an uns. Oder, was meint Ihr, wenn wir so viel noch zusammentragen und mitnehmen könnten, um uns am Rhein oder einer andern anmuthigen geseegneten Gegend ein Häuschen und einen Weinberg zu kaufen? Darinn als ein Bauer zu arbeiten, zu leben und zu sterben, stelle ich mir gar paradiesisch vor. Aber ach! wird der Wurm unserer Qual dort sterben?“

So ist’s immer, hier wie dort, der laute Ruf des Gewissens, welcher den stets wiederkehrenden Gedanken einer gewaltsamen Zerreißung der ehelichen Fessel, kaum ausgesprochen, zurückweist.

Um diese Zeit sollte das Herz Bürger’s einen neuen herben Verlust erleiden, der ihn auf’s Tiefste erschütterte. Ein Fieber entriß ihm sein einziges Kind, Antoinette, das er mit abgöttischer Zärtlichkeit liebte.

„Mein kleines Mädel, hatte er noch vor Kurzem in stolzer Vaterfreude geprahlt, „soll einmal was Rechts werden. Das ist Dir ein Mädel! Andere Leute haben auch Mädels, sehn auch aus wie Mädel, sind auch Mädel, aber mein Mädel ist doch allein ein Mädel. Ich erschrecke manchmal ordentlich über die unerwartete Klarheit und die Strahlen, die aus dieser jungen Seele hervorgehn. Und eine Munterkeit! Ein Leben!“

Und Boie hatte mit theilnehmendem Scherze geantwortet: „Deinem kleinen Mädel gieb einen Kuß von mir. Wenn ich so in meinen Jahren stehen bleiben könnte, solltest Du sie für mich erziehen.“

Nun traf ihn ihr Tod wie ein Donnerschlag. „Verwichene Nacht,“ schrieb er dem Freunde von Niedeck aus, „haben sie mich nebst meiner Frau von unserm einzigen sterbenden Kinde weggerissen und hierher gebracht. „Jetzt merk ich, ob man’s schon noch verhehlt, daß meine ganze einzige Freude, ach! daß die Seele meines Lebens aufgeflogen ist. Gott erbarme sich unser! Laß mich für heute schweigen, liebster Boie, und meinen Jammer, meinen unendlichen Jammer, den Du nicht zu fassen vermagst, in die wüste Nacht ausheulen. So ein enormer Schmerz hat mein Herz noch nie belastet, und später konnt’ ich kaum sonst was auf Erden empfinden. Ach! Du hast mein Kind nicht gekannt; aber es war ein Mädchen von Anlagen des Geistes und Herzens, welches auch Blutfremde einen Engel nannten. Vor vierzehn Tagen blühte es noch in seiner wunderschönen Gesundheit. Nun hat ein Fieber – Gott weiß, woher es kam – die schöne Rose entblättert. Barmherziger Vater im Himmel, warum so hart? – Meine einzige Freude! – meine einzige! – Nachschrift. Ich hatte mich in meiner Muthmaßung, als ich Obiges schrieb, betrogen. Das Kind lebte noch und gab Hoffnung zur Besserung. Aber wozu? – Um mit gedoppeltem Schmerz mir diesen Morgen abzusterben.“

Bürger suchte die schmerzliche Erinnerung seines Verlustes zu übertäuben, indem er mit Eifer an die Sammlung und Ueberarbeitung seiner Gedichte ging. Anfangs wollte der lähmende Druck nicht weichen, der auf seinem Gemüthe lag, obschon Dorette ihn nach wenig Monden wieder mit einem Mädchen beschenkte, das viel Aehnlichkeit mit dem verstorbenen Schwesterchen besaß.

„Blos um meinetwillen,“ klagte er, „würde ich keinen Schritt mehr thun. Denn mir ist alles Erdenglück alleweile gar erstaunlich gleichgültig.“

Bald jedoch erwies die Muse sich ihm als treue Trösterin, und manches herrliche Lied entstand noch während des Drucks seiner Gedichte, so daß er, trotz des anfänglichen Zweifels, die versprochene Bogenzahl füllen zu können, zuletzt noch Vieles für eine künftige Sammlung zurücklegen mußte. Aber es war nur ein vorübergehender Anlauf von Kraft, und die Schwingen des Genius sanken müde herab, sobald ihm nicht mehr „das Feuer auf den Nägeln brannte“. Er verfiel in die alte Unlust und Traurigkeit, ehe noch seine Gedichtsammlung erschienen war – der Ruhm reizte ihn nicht mehr; überall umschwebte ihn das Bild der fernen Geliebten.

Ernstlicher trat der Gedanke einer längern Reise an ihn [15] heran, für welche der ansehnliche Ertrag der Subscription auf seine Gedichte ihm genügende Mittel bot. Er teilte Boie seinen Plan mit:

„Von meiner Seelenverfassung ist nicht viel Angenehmes zu sagen. Ich brüte über hundert Entwürfen, die Glückseligkeit meines Lebens betreffend, kann aber zu keinem Entschluß kommen. Es scheint fast um mich gethan zu seyn, da mein Geist und Körper noch nie so erschlafft gewesen sind, als jezt. Es ahndet mir, als stürbe, ich bald. Eine vollkommene Zerstreuung würde mir, glaub’ ich, allein noch zuträglich sein. Aber wo finde ich die? Ich kann mich doch nie von allen Sorgen, die mein Leben aufzehren, losmachen. Ich mögte wohl mein Amt aufgeben, meine Frau und Kind auf eine Zeitlang anderwärts unterbringen und etwa auf ein Jahr in irgend ein anderes Land (England, Spanien, Portugal) reisen. Was sagst Du dazu? Mich dünkt, wenn ich alsdann gesund an Leib und Geist wiederkäme, so wäre das ja besser, als so noch länger zwischen Leben und Sterben hinzusiechen.“

Boie, der Gefahr im Verzuge sah, rieth zu einer Reise durch Deutschland. „Mag die Welt sagen, was sie will; wenn Deine Frau zufrieden damit ist, so geht’s keinem Menschen weiter was an. Ich fürchte, Du hast irgend einen Seelenkummer, den Du mir nicht sagst, der Dich abspannt und Dich unthätig macht. Dawider ist kein besser Mittel.“

„Ach! freilich,“ antwortet Bürger, „belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz, und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Kehle. Entweder ich gehe bald zu Grunde oder genese. Aber kann ich genesen? Schwerlich anders, als der Halbgeräderte, zum Krüppel. Gott stehe mir bei, daß die Verzweiflung mich wenigstens nicht eher überrascht, als bis ich mein Haus bestellt habe. Werde ich wohl reisen können, ohne daß die schwarze Sorge sich mit hinter meinen Sattel setzt? – Gott geb’ es!“

Statt zu reisen, beging Bürger die Thorheit, ein Pachtgut des Generals von Uslar in Appenrode zu übernehmen und dadurch seine eben in besseren Zustand gerathenen Finanzen vollends zu ruiniren. Zuerst freilich nahm er sich kräftig der landwirthschaftlichen Angelegenheiten an und hoffte ein gutes Geschäft zu machen, wenn er all die Feld- und Gartenfrüchte, die er sonst theuer hatte kaufen müssen, fortan auf eigenem Boden gewinne. „Ich glaube,“ schrieb er muthvoll, „diese Veränderung wird mir wohl thun. Ich wühle in meinem Garten wie ein Maulwurf und springe von den Gleichen zu dem Eschenberge und vice versa wie ein junges Reh. Der Geist und die Kraft des Herrn soll, denke ich, wiederkehren.“ Das hochgelegene Appenrode war allerdings ein gesünderer Aufenthaltsort, als das in sumpfiger Niederung sich hinstreckende Wöllmershausen.

Häufig besuchte der Dichter auch die wildmalerischen Partien der Umgegend zwischen Bremke und Reinhausen. Ein herrliches, von wogenden Kornfeldern umsäumtes Wald- und Felsenthal bei letztgenanntem Orte, das er besonders geliebt und wohin er oft seine Gäste geführt haben soll, führt jetzt noch den Namen „das Bürgerthal“. In seinem Garten zog er einen Flor der schönsten Blumen; Rosen und Reben umrankten sein Haus. Aber seine Kenntnisse der Landwirthschaft waren gering für den Betrieb eines so großen Geweses, und Dorette war in der Haushaltung noch nachlässiger, als er selbst. Binnen Kurzem sah er sich tief verschuldet und mußte Jahr für Jahr, bei der hohen Pachtsumme, ein Erkleckliches zusetzen. Die ewige Finanznoth verstimmte ihn und raubte ihm Muth und Kraft. „Wenn ich recht mit Aufmerksamkeit den Quellen meines Unmuts nachspüre,“ schrieb er an Boie, welcher um diese Zeit Landvoigt von Dittmarschen geworden war, „so ist das eine der Hauptquellen, daß ich bei meinen Scherereien kein hinreichendes Auskommen habe. Mein eigenes Armüthchen setze ich zu und gerathe noch obenein in Schulden. Das, das schlägt mir Leib und Geist am meisten darnieder. Mit dem Uebrigen, was mir nicht behagt, hätte es allenfalls nicht so viel zu sagen.“ – „Verdruß,“ fährt er fort, „wird mir sonst von andern wenig gemacht, außer demjenigen, den ich mir selbst mache, daran sind die infamen Finanzaffären Schuld. Freund, Du solltest Dein blaues Wunder sehen, wenn meine Schulden bezahlt wären und ich ein Amt hätte, daß mir ein hinlängliches Auskommen gewährte! Schaff mir nur auch so eine stattliche Landvoigtey!“

(Schluß folgt.)




Aus meinem Gefängniß- und Fluchtleben.
Auch eine Jubiläums-Erinnerung von Fritz Rödiger.


Wir befanden uns mitten im sonnigen Brachmonate des Jahres 1849. Die Mai-Ereignisse waren vorübergebraust. Einer oder der Andere hatte sich klüglicher Weise „gedrückt“. Viele „saßen“ oder waren „eingeschränkt“, nach jagdtechnischem Ausdrucke „eingekreist“, das heißt, sie durften ohne polizeiliche Erlaubniß ihren Wohnort nicht verlassen. Ich hatte nach Adorf, meinem alten Lieblingsstädtchen, Korn geführt und trank eben ein Glas echt bürgerlich-reihenschenkerischen Gerstensaftes, wie man es jetzt nicht mehr in den Schenken findet, als der „Wachtmeister“ des Amtes Adorf mit einem Getreuen am Horizonte des Schenkzimmers auftauchte und in der freundlichsten Weise Goethe’s Faust zu commentiren suchte, indem er mir lächelnd andeutete: „Liebes Herrchen, darf ich’s wagen, meinen Schutz und Geleit Ihnen anzutragen?“ Die Zeit war gefährlich geworden; es bedurfte zwei Mann zum Einheimsen eines Einzigen. Ich wurde vor einen kleinen dicken Actuar geführt, der mir lächelnd und äußerst höflich eine zierliche Standrede hielt und mich tröstete: „Jetzt sind wir wieder am Platze. Hätten die Demokraten gesiegt, so säßen Sie jetzt an meiner Stelle.“ – „Ich wäre also erster Actuar und Amtsverweser geworden,“ dachte ich, „hm! hm! und der kleine dicke Actuar … Hochverräther? Sonderbare Wandlungen!“

Der Herr Actuar, mit dem ich übrigens privatim auf ganz freundlichem Fuße stand, faßte sofort eine unüberwindliche Neigung zu meiner Persönlichkeit, lud mich ein, es mir einige Zeit „in seinem Hause“ gefallen zu lassen, und bot mir sogleich als gastfreundlich Quartier die „Wechselstube“ an. Diese Stube ist der Ort, wo „unbezahlbare“ Geschäftsleute, Banquerotteure, leichtsinnige Schuldenmacher, Wechselfabrikanten und dergleichen „noblere“ Verbrecher vor dem ungestümen Anprall ungeduldiger Gläubiger im amtlichen Essig und Oel aufbewahrt wurden. Das Zimmerchen war hell und freundlich, mit einer gewöhnlichen Thür ohne Fütterungsluke und gewöhnlichen, großen Fenstern mit leichten „Eisenvorhängen“ versehen – ein Beweis, daß Madame Gerechtigkeit weit artiger gegen Schelme von „Distinction“ ist, als gegen gemeine Diebe und Räuber, für die finstere und frostige Zellen mit brettervernagelten Pseudofenstern, zu denen später, wie wir sehen werden, auch die politischen Verbrecher „emporsanken“, mehr als genügen. Kurz und gut, die „Wechselstube“ war ein ganz manierliches Stübchen; dennoch wollte ich diesen Wechsel anfänglich nicht recht „acceptiren“. Half aber Alles nichts! Der Herr Actuar war Sieger und warf sein Gerichtsschwert in die Wagschale. Die beiden Gerichtsdiener, wahre Goliaths mir kleinem David gegenüber und Beide mit biblischen Weberschäften als Polizeistöcken in den Händen, nahmen mich in ihre Mitte, und so ging es hinaus zur neuerbauten Frohnveste des Amtes Adorf – zur Freude und Genugthuung aller „Gutgesinnten“ jener Tage, die aber zu jener Zeit im oberen Voigtlande sehr dünngesäet und noch dünner aufgegangen waren.

Die Behandlung war während dieser Untersuchung noch eine äußerst humane, und ich war der Einzige von allen Maiverdächtigen, der „saß“.

Der amtirende Actuar – Schmieder hieß derselbe – war ebenfalls ein humaner Mann; dies ging schon daraus hervor, daß er die Familienväter in Freiheit ließ und nur die Ledigen, allerdings die Haupträdelsführer, einsteckte – also auch meine Wenigkeit. Nach etwa sechs oder sieben Wochen stiller Zurückgezogenheit entließ er auch mich sogar wieder, auf „Ehrenwort“, das ich ihm, trotz aller Versuchung und Warnung, auch ehrlich gehalten habe.

[16] So war die Untersuchungsweise im Sommer 1849 im oberen Voigtlande in der That noch eine solche, die gegenüber derjenigen in anderen, weniger humanen Justizämtern, alle Anerkennung verdiente. So soll ganz besonders in jenen Tagen das Amt Voigtsberg gleich von vornherein seinem Namen von 1848, „Zwing-Voigtland“, alle Ehre haben zu Theil werden lassen.

Doch auch aus der Frohnveste des oberen Voigtlandes spülten die höher und höher steigenden Wogen der Reaction etwaige freundliche Rücksichten gegen politische Gefangene bald genug hinaus.

Es mochte Anfang September 1850 sein. Die Sonne warf lachend und lieblich den prachtvollsten Herbsttag auf die Erde. Es war Morgens fünf Uhr; da fuhr ein Steuerwäglein in das liebe heimathliche Dörfchen Schönberg am Capellenberge, in meine Residenz, herein, bespannt mit zwei etwas mageren Droschkenarabern, geführt von der kundigen Hand des damaligen königlichen Straßeneinnehmers Heckel zu Adorf. Hinten drinnen saß der neue Actuarius Longus, wie wir ihn gewöhnlich nannten – sein wirklicher Name gehört nicht in ein Blatt wie die Gartenlaube – eine lange, magere, etwas klapperige Corpsburschenpersönlichkeit, die man inzwischen mit der politischen Untersuchung des Obervoigtlandes betraut hatte, wahrscheinlich als Specialrichter, nachdem der freundliche Amtsverweser versetzt und endlich das Schwurgericht, das letzte Bollwerk freiheitlicher Errungenschaften, beseitigt worden war. An der Seite dieser Justizperson saß in milchkaffeefarbiger Uniform mit blauen silberbetreßten Aufschlägen und blanken Knöpfen, umgeschnalltem Schleppsäbel, einige Pistolen und die unvermeidlichen Handmüffchen (Handschellen) des eisernen Zeitalters in der Tasche, mein alter Bekannter, Adorfs Wachtmeister. (Der Mann hieß Uhlmann, wahrscheinlich ein Seitensprosse der nachmals so berühmt gewordenen Uhlanen.) Die Zeiten hatten sich sichtlich verschlimmert; unter Bedeckung von drei Mann und zwei Pferden, mit Waffen von allen Arten, wurde ich diesmal vom Hause abgeholt. Ich sah die Herren kommen und hätte langsam und bequem den Berg hinauf nach den böhmischen und bairischen Wäldern entfliehen und diesen vierzehnbeinigen Kelch an mir vorüberrasseln lassen können. Ich that es nicht.

Obgleich meine Mutter zum Tode krank darniederlag und mein Vater alle ihm zu Gebote stehende Bürgschaft anbot, mußte ich mit, „im Bunde der Vierte“, und so ging es

Durch die Wälder, durch die Auen
Flott im Morgenstrahl dahin.

Doch wurde ich am Abend desselben Tages gegen fünfzehnhundert Thaler Bürgschaft, die dem Actuarius Longus am Morgen wahrscheinlich nicht sicher genug waren, auf so lange entlassen, bis meine Mutter wieder gesund war, dabei aber dem Dorfrichter, einem alten lieben Manne, noch eigens zu genauer Ueberwachung und täglicher Visitation anempfohlen, was der Alte auch richtig bei einem guten Glase Bier regelmäßig und scherzend vollzog.

Mit den Fackel- und Laternenzügen und den Heimholungsmusiken des achtundvierziger Jahres war es nun freilich vorüber. Zeit und Leute waren traurig geworden. Dagegen schaukelte ich mich während dieser letzten Rückreise in’s heimathliche Haus stolz in unserer Landkutsche zwischen zwei frischen Sachsenkindern mit dunklen Haaren, hellem Sinn und blitzenden Augen, die mich als Hochverräther gar nicht so entsetzlich fürchteten. Die Eine ruht schon längst tief unter der Erde; die Andere freut sich weit unten in pommerschen Landen eines glücklichen Lebens und der wiedergekehrten deutschen Kraft und Einheit. Ich sah diese beiden freundlichen Begleiterinnen nicht wieder*[3]; denn bald darauf schloß sich das Gefängnißthor hinter mir auf’s Neue für viele Monate, die Pforte meiner Heimath für dreiundzwanzig Jahre.

Mit der gemüthlichen Wechselstube war es nun auch aus. Es ging diesmal zwei Treppen hoch und später, als die Reaction wie ein rauher Nordostwind immer schneidender durch’s Land pfiff, immer mehr Maikäfer davonsurrten und immer strengere Maßregeln decretirt wurden, da ging’s gar drei Treppen hoch in die Gefängnisse für gemeine Verbrecher. Es war von wegen der „Gleichheit.“ Seit 1849 war ich sonach bedeutend im Werthe gestiegen, vom Parterre bis unter’s Dach.

Jetzt saß ich also drin, mit mir nur noch Advocat Blankmeister. Obgleich Derselbe Mitglied der Zweiten Kammer und früher Bürgermeister von Mühltroff geworden war, campirte er dennoch unter mir. Ein höchst bedenklicher Vorrang! Ich könnte hier nun viel und Vieles erzählen von Gedanken, Gedichten, Gesängen, Briefwechsel und Telegraphenspiel nach außen und innen; dieses Capitel ist aber schon so allseitig erschöpft, daß ich nur einzelne einschneidende Erlebnisse mitzutheilen gedenke.

Ich hielt eine Zeitung, die ich meinem Schicksalsgenossen sendete und dann von ihm zurückempfing. Mit diesen Zeitungen trugen die Beamten unsere Correspondenzen emsig hin und her, in Zeichen, die kein Anderer verstand. Am Tage wurde, so lange die Untersuchung währte, Jeder einzeln in den Garten auf die Weide geführt, wie wir es nannten. Den Abend brachten wir dann und wann bei Wachtmeisters zu. Hier hätten wir öfter Gelegenheit zum Entspringen gehabt; allein ich wollte, wenn ich einmal den Entschluß zur Flucht fassen würde, des Wachtmeisters Familie, die stets zuvorkommend und freundlich gegen uns war, unbetheiligt lassen.

Die Flucht eines Gefangenen, der wegen Dieberei um seine Freiheit gekommen war und von dem der Wachtmeister zu sagen pflegte: „Es kam ’raus; er kam ’nein,“ hatte für mich und Blankmeister die scheinbar üble Folge, daß wir nicht mehr als die Löwen des Tages nach der Stadt in’s Verhör geführt wurden. Auch kamen wir von nun an monatelang nicht mehr auf die Weide. Es wurde die ehedem so gemüthliche Wechselstube in’s Verhörlocal umgewandelt, von uns scherzweise die Folterkammer betitelt. Just dies hatte aber für unsere künftige Flucht sehr glückliche Folgen. Blankmeister saß gerade über der Folterkammer. Dazu kam, daß die ganze große Frohnveste neu und, weil für die Zwecke eines Untersuchungsgefängnisses bestimmt, so leicht und leishörig gebaut war, wie eine Windmühle.

Wenn Blankmeister sein Ohr zur Diele neigte, konnte er des Herrn Criminalactuars zürnende oder wohlmeinende Stimme ganz prächtig vernehmen. Ebenso das gewohnheitsgetreue Ja der drei Gerichtsschöppen, das uns immer lebhaft an das Ende der Pfeffel’schen Pfarrwahl erinnerte, wo die oppositionslustigen Bauern, gehörig angedonnert, in den tragikomischen Chorus ausbrechen: „Ach ja! Herr Amtmann, ja!“ Diese drei Zeugen bei dem alten Gerichtsverfahren bildeten das fünfte, sechste und siebente Rad am ohnehin schon allzu vielrädrigen Justizkarren. Sie hatten nur eine Verpflichtung, nämlich die „der süßen Gewohnheit des Daseins“, um mit Egmont zu reden. Das Gericht erkor sich diese Wache selbst und traf stets die rechten Männer, die nur dann den Kopf erheblich schüttelten, wenn ihnen Gott Morpheus schelmisch in den Nacken oder eine ungezogene Sommerfliege auf die Nase gerieth. Schließlich unterschrieben sie den Leviathan des Actenstoßes ungelesen, wie ihn auch der Gefangene nach angehörtem Vorlesen unterschreiben mußte. Was konnte Alles dazwischen liegen, wenn der Verhörrichter wollte! Und daß Viele wollten, werden Viele erfahren haben. Briefe wurden mir nur gezeigt; ich sollte anerkennen, daß dies meine Handschrift. That ich es, so war ich übel daran, da man in jener Zeit an Freunde viel Ueberschwängliches geschrieben hatte; that ich es nicht, so hätte ich meine unverkennbare Handschrift geleugnet, wie Alles. So wurde in jenen traurigen Tagen oft nach der Schablone inquirirt, und ich hatte keinen andern Genuß, als dabei die drei Zionswächter zu beobachten. Sie waren, nebenbei bemerkt, im bürgerlichen Leben wohlwollende Männer, und meine Bemerkungen gelten nicht ihren vielleicht längst begrabenen Persönlichkeiten, sondern der lächerlichen Einrichtung überhaupt, zumal man von Seiten der Rückwärtsmänner im deutschen Reiche auf’s Neue an Untergrabung der Schwurgerichte arbeitet und an deren Stelle ein Zwitterding einschieben möchte, dessen Name schon (Schöppengericht) alle Humoristen und Satiriker der Gegenwart zu brennenden Lobgesängen begeistern muß. Wir Männer von 1849 haben bitter erfahren, was die Unterdrückung der Schwurgerichte zu bedeuten hat. Man nehme sich ein ernstes Beispiel daran!

Blankmeister telegraphirte mir das im Verhörzimmer Gehörte sofort durch Pochen an die Wand herauf, das ich deutlich vernahm, obgleich ich einen Stock höher und nicht direct über ihm logirte.


  1. * Der Verfasser fühlt sich gedrungen, von vornherein gegen jede falsche Unterschiebung, die ihm in Bezug auf diesen Artikel wieder gemacht werden könnte, zu protestiren. Man hat seine Arbeit über Tell und den Rütlibund (1872, Nr. 49) als einen Angriff auf die patriotischen Gefühle der Schweizer, zu denen er ja selbst gehört, und seine Arbeit über Calvin (1873, Nr. 2) sogar als einen Ausfluß katholisch-jesuitischer Tendenzen verdächtigt. Beides ist gleich ungerechtfertigt. Weder gehört es zum Patriotismus, alle Traditionen seines Landes ohne Rücksicht auf ihre historische Nachweisbarkeit für wahr zu halten, noch zu antirömischer Gesinnung, in welcher der Verfasser gewiß das Aeußerste geleistet, alle Reformatoren und Wortführer des Protestantismus zu feiern und ihre Thaten durch Dick und Dünn zu vertheidigen. Wenn daher der Verfasser nachgewiesen (oder die Nachweise übersichtlich dargestellt), daß Tell nicht gelebt und daß Calvin kein Reformator, sondern ein protestantischer Inquisitor gewesen, so hat er einzig und allein der Wahrheit gedient und es hindert ihn dies so wenig, ein guter Schweizer zu bleiben, als es ihn hindert, wirkliche Reformatoren, wie namentlich Zwingli und Luther, hoch zu verehren und ihrem Auftreten begeisterten Beifall zu zollen.
  2. † Es gehören dazu: Der Chronist Gregor Hagen, die Reimchronik Peter Suchenwirt’s, die Chronik Königshofen’s, die Constanzer und die sogenannte Klingenberger Chronik.
  3. * Vor zwei Jahren, als ich einige Artikel in die Gartenlaube schrieb, wurde mir die große Freude zu Theil, von der noch lebenden Seele ein freundliches Lebenszeichen durch dieses Blatt zu erhalten.
    D. V.
[17]

„Spitzbube – endlich ertappt?“
Ein Stillleben von Ebersberger in München.




Endlich war der jüngste Tag gekommen. Wir wurden in der Wechselstube versammelt. Als ich eintrat, war Blankmeister schon da, und vorn am Ofen standen mit wahrhaften Armensündergesichtern die noch übrigen drei Hauptmitattentäter: der Stadtförster, der Tuchscheerer und ein Dorfschulmeister. Der Vorsitzende des hohen Gerichts räusperte sich feierlichst. Die drei Gerichtsschöppen übten sich in möglichst Bedauern und Mitleid andeutendem Mienen- und Geberdenspiel. Endlich ertönten zwischen langen und salbungsvollen Pausen die salomonischen Sprüche. Der Stadtförster bekam fünfzehn Jahre aufgeförstert, der Tuchmacher [18] gerieth in die achtjährige Zuchthauswolle, und der Schulmeister notirte dito acht Jahre Schulzwang. Blankmeister bekam zehn blanke und meine Wenigkeit gerade ein volles Dutzend Waldheimer Jahre, dazu noch eine kleine Knochenzulage wegen Preßvergehen in der von mir damals redigirten „Staats- und Hausbrille“, drei Monate Hubertusburg in vier Wochen Waldheim übersetzt.

Zwei der Attentäter am Ofen machten einen kühnen, aber mißlungenen Versuch, Thränen zu vergießen, der Stadtförster und der Schulmeister. Bei Blankmeister lief das kleine Häflein voll des Zornes brandend über; er wurde fuchsteufelswild und schlug ob des harten Urtheils auf den hölzernen Tischaltar der blinden Frau Justitia, so daß Actuarius Longus ebenfalls zornröthlich erglühte und mit ernster Miene und gebieterischer Stimme Blankmeistern daran erinnerte, daß er „vor Amte stehe“. Meine Erwartungen hatte dagegen das Urtheil nicht übertroffen; ich nahm ruhig ein Blatt Papier und schrieb nach Hause, daß ich nur zwölf Jahre erhalten hätte, was meinen Gleichmuth und meine gute Laune nicht im Mindesten unterbrach. In dieser Stunde reifte aber auch der ernste Entschluß zur Flucht, während alle Vorbereitungen, die ich bereits getroffen, mir mehr zur Unterhaltung gedient hatten.

Inzwischen war ich wieder einmal um eine beträchtliche Nüance dunkler, kühler und feuchter aus- und einquartiert worden, nämlich gegen Norden. Dies ging also zu: man hatte mir früher eine Eisensäge zugesteckt, allein dabei nicht ganz reinen Mund gehalten, und als ich bereits einen hoffnungsvollen Versuch gemacht und das Sägelchen die Eisenstangen am Fenstergitter zum Verwundern schön angeschnitten hatte, wurde plötzlich untersucht. Ich warf das Instrument hinaus, allein der Verdacht war erregt, obgleich ich den Anschnitt meisterhaft zu verdecken verstanden, und ich wurde dislocirt. So gerieth ich in eine sehr nachtheilige Lage, in eine Zelle, welche mit „Jalousien“, das heißt mit einem Holzkasten, vulgo Taubenschlag, vor dem ohnehin sehr angelaufenen Fenster, versehen war. Des Schreibzeuges war ich schon seit Langem beraubt. Ebenso war Rauchen und Singen streng verboten. Doch diese aus Gründen größerer Sicherheit hervorgegangene Uebersiedelung brachte mich der Ausführung meines Fluchtversuches um einen Schritt näher. Ich kam nun gegenüber von Blankmeister zu wohnen, der, wenn ich lethargisch und gleichgültig werden und bis zum Zuchthaus den Leidenskelch leeren wollte, mich durch sein Telegraphiren immer wieder auf’s Neue zu beharrlichen Studien anspornte, denn er wußte, daß meine monatelangen Vorbereitungen weiter nichts als der Entschiedenheit zur Ausführung bedurften, und da er Familienvater war, so lag ihm natürlich mehr an der Freiheit als mir, der ich mich wirklich mit echt deutscher Gemüthsruhe an’s Gefängniß gewöhnt hatte.

Herzlich lachen mußte ich dagegen oft, wenn der eifrige Wachtmeister allnächtlich zwischen zehn und zwölf Uhr Alles ängstlich untersuchte, namentlich die Fensterstäbe, wenn er an die stark mit Blech beschlagene, ohnehin dritthalb Zoll dicke Thür bedachtsam ein Schloß nach dem anderen anlegte, wenn der marmorkalte Amtmann, vulgo steinerner Gast, von Zeit zu Zeit unter der Thür erschien und nachsah, oder gar die ergötzliche Frage stellte, ob mir nichts fehle, oder wenn der Actuar Longus, nachdem irgendwo wieder Einer fort war, mitten in der Nacht mit dem Wachtmeister die Treppen heraufgestürmt kam und mit seinen mächtig dünnen Beinen eiligst hinauf an’s Guckloch (Schiffsluke) kletterte, um sich höchstselbst von der guten Gesinnung der Fensterstäbe zu überzeugen, während mein Tunnel der Freiheit längst schon fertig war.

Daß bei solchen Besuchen des steinernen Gastes oder des Untersuchungsrichters niemals von einem „Guten Tag“ oder „Guten Abend“, überhaupt von irgend einer Freundlichkeit die Rede war, verstand sich bei dem Charakter dieser beiden Herren und jener Zeiten von selbst. Ihnen war der politische Verbrecher das Nonplusultra aller Verbrecherlichkeit. Anders verhielten sich die übrigen Actuarien des Justizamtes, die manchmal im Falle der Noth und während der Abwesenheit der Oberen mir etwas mitzutheilen oder einen Besuch einzuführen hatten. Diese Herren pflegten stets Anstand und Höflichkeit, wie es unter Gebildeten in jeder Lage des Lebens deutsche Sitte ist. Ihnen noch heute die Hochachtung jedes redlichen Mannes!

Mit mir ging, nach ergangenem Urtheil, die Verhörplage noch einmal los, weil der Stadtförster, der nun auch schon seit Jahren im selbstgegrabenen Grabe liegt, seine Hasenhaut durch Bekehrung und Denunciation zu retten suchte. Jedoch durften von nun an Blankmeister und ich zusammenkommen und dann und wann selbander, wie zwei Lämmlein, auf die Weide gehen, aber unter steter Aufsicht zweier Hirten.

Am 28. Juli 1851 Morgens war es, als mir Blankmeister, der inzwischen auch um ein Stockwerk erhöht worden und mir gegenüber (im Corridor) eingezellt worden war, telegraphirte: „Wir werden einstweilen bis zur Rückkehr des Urtheils vom Oberappellationsgericht in’s Zuchthaus abgeführt. Wagen soll heute schon ankommen“. Dieselbe Nachricht wurde mir etwas später auch von dem Gehülfen mitgetheilt, und als Neuigkeit und mit aufrichtigem Bedauern erzählte mir des Wachtmeisters blondlockiges Töchterlein dasselbe, als sie Mittags das Essen durch die Futterluke, freundlich wie immer, hereinschob.

Blankmeister telegraphirte nochmals: „Heute Nacht, vorwärts!“

An demselben Nachmittag gab die Sonne eine ihrer solennsten Vorstellungen dieses Jahrhunderts. Es war große Sonnenfinsterniß. Zum letzten Mal sollten wir uns des Gartens und zwar des größeren, der Außenwerke erfreuen. Der Wachtmeister und sein Gehülfe Münch führten uns auf und ab. Durch angerußte Gläser betrachteten wir die Sonne gleichgültig, mit mehr Interesse das Publicum, das rings auf den Hügeln und um den Garten stand, saß und lagerte. Darunter manch’ gute, befreundete Seele; in nächster Nähe Blankmeister’s Kinder und sein treffliches Weib, das trotz aller Strenge im lebhaftesten Briefwechsel mit ihrem Manne stand und von unserm heutnächtigen Fluchtversuch unterrichtet war. Ich hatte mich nämlich nun fest entschlossen, mein Mauerbrecherlicht nicht ferner unter den Gefängnißscheffel zu stellen.

Es war ein toller Tag, dieser 28. Juli! Alles ergab sich dem süßen Nichtsthun. Voraussichtlich kam auch unser Wachtmeister heute Nacht mit einem Haarbeutel nach Hause. Wie ich später erfuhr, hatte er in der heitersten Stimmung verschiedene jener Tempel besucht, aus denen der liebe Gott den Arm heraushängt, und in heiterster Stimmung triumphirend ausgerufen: „Ja, meine Vögel sitzen fest; die kommen nicht ’raus!“

Am Abend telegraphirte ich Blankmeister. „Ich beginne. Auf Wache!“ Ich bereitete Alles vor. Weil ich den Ofen geöffnet hatte, um nochmals zu untersuchen, war die Diele zum Theil rußig geworden. Da ich Solches vorausgesehen, hatte ich mir für den Abend einen großen Krug voll Wasser bringen lassen. Ich schloß den Ofen wieder, wusch die Dielen, trotz der besten Stubenmagd, öffnete die Fenster zum Trocknen, legte mich auf mein Pritschenbett und erwartete nun des Wachtmeisters regelmäßige Nachtvisite. Punkt Mitternacht erschien er, wie Samiel im Freischütz, aber lustig und wohlgemuth. Er bot mir, wie immer, mit seinem feststehenden Sprüchworte: „Das sind Sachen, und wer’s nicht weiß, muß darüber lachen“ ein kernhaftes Kapuzinerfrühstück an, wie er die obligate Prise zu nennen beliebte, und trollte, ohne ängstliche Umschau zu halten, aber doch gewohnheitstreu in alle Winkel leuchtend, zum Tempel hinaus. Draußen hing er sorgfältiglich wieder Schloß um Schloß an die eisengepanzerte Thür, Jedes an seinen bestimmten Ort, besuchte hierauf noch, der Gleichheit wegen, die minderen Vögel und stieg dann allmählich, schlüsselklirrend und thürangelknarrend, wie man es in alten Ritter- und Räuberromanen zu lesen gewöhnt ist, die langen steinernen Treppen, geisterhaft schlürfend, hinab in sein Kämmerlein, um einen langen Schlaf zu thun.

Aufgeregt sprang ich von der Pritsche herab und begann sofort meine Maulwurfsarbeit. Ich stellte mein Tischchen an die vordere Platte des viereckigen Ofenkastens, legte Rotteck’s Weltgeschichte darauf und nahm aus meinem einzigen Stuhle das längst dazu hergerichtete Stuhlbein heraus, um es als Hebel zu benutzen, von dem jener berühmte englische[WS 1] Naturforscher schon gesagt hatte: „Gieb mir einen Stützpunkt, und ich hebe die Welt aus ihren Angeln.“ Einen solchen Stützpunkt hatte ich; doch mein Heben galt nur dem obern Theile des eisernen Ofens mit Mittelplatte, welcher sinnreich nach hinten an die Mauer angeschlossen war, damit man ihn nicht einreißen sollte. So hob ich Alles mit Leichtigkeit, bis ich die vordere Platte herausnehmen konnte. Dann stellte ich Tisch und Stuhl zur Seite – natürlich [19] mußte dies Alles im Finstern und tastungsweise geschehen – steckte in den Stiel meines Zellenbesens ein längeres Stück Holz, das im Ofen aufbewahrt lag, und mein ganzer fürchterlicher Apparat zum Ausbruche aus dem Staatsgefängnisse des Obervoigtlandes war fertig. Ein Tisch, ein starkes Buch, ein Stuhlbein, ein Besen, ein Scheitchen Holz! „Ein geborener Künstler bedarf weniger Werkzeuge,“ pflegte Franklin zu sagen und hobelte mit der Holzaxt.

Die letzte Hülle hatte ich abgestreift, um bei allfälligem Mißlingen am Morgen kein verrußtes Nachthemd als Verräther zu besitzen. Auch war die Oeffnung sündhaft eng und ganz und gar nicht für eine behäbige Ausbrecherbequemlichkeit berechnet. Obgleich es Ende Juli war, fror es mich bald erbärmlich, als ich mich zwischen den eisernen Wänden des Oefchens eingekeilt hatte, um wacker drauflos zu arbeiteten. Ich klapperte anfänglich vor Frost und Aufregung.

Zuvörderst nahm ich den beweglichen Rost heraus und schob dann durch den Aschenbehälter, dessen Thürchen auf dem Corridor ich am Tage unbemerkt und mit Hülfe einer Kriegslist und zwar in Gegenwart beider Gefängnißwärter geöffnet hatte, meinen verlängerten Besen nach dem Corridor hinaus. Hierauf kam die erste Hauptschwierigkeit: das Herausnehmen des Ofenthürchens, dessen Rahmen so eng war, daß kein Kind hindurch gekonnt hätte. Ueber die Einrichtung desselben hatte mir Blankmeister schon einige Monate vorher telegraphische Mittheilungen gemacht, da er nach meiner Anweisung von seiner früheren Zelle aus gelegentlich eines Neubaues von Gefängnissen genaue Beobachtungen darüber gemacht hatte, wie diese Thürchen eingesetzt werden. Er telegraphirte mir klar und deutlich, wie ein Baumeister, die Auflösung des Räthsels zurück; es war sehr einfach. Ich rüttelte mit der Hand den Rahmen heraus und legte dann Ziegel um Ziegel zurück in die Zelle. Bald war die Oeffnung so groß, daß ich mit den Schultern hindurch konnte.

Zwischen dem Ofenthürchen und der Kaminthür, die auf den Corridor führte und nach innen, wie die Gefängnißthür, mit starkem Blech gefüttert und mit Nägeln beschlagen war wie eine Bergsandale, befand sich ein enger, etwa acht Zoll breiter Raum, der nach oben in das russische, ganz enge Kamin und nach unten in den Aschen- und Zugkasten ausmündete, in welchem mein verlängerter Besen lag. In diesen engen Raum mußte ich nachrücken, so daß ich den Kopf fest an das beblechte und benagelte Kaminthürchen anlehnen, die linke Wange auf den Granitsockel besagter äußerer Thür fest auflegen mußte, um den linken Arm durch den Zwischenraum hinab in den Aschengang zu zwängen. Dies gelang; ich stieß nun meine Besenlanze behutsam zum Thürchen des Aschenbehälters auf den Zwischengang hinaus, drückte den Ellenbogen fest auf den Boden des Aschenraumes und gewann in dieser Lage mit dem linken Vorderarme so viel Raum, um meinen Angriff, mittelst Handgelenk und Besen, auf die beiden an Kettchen befestigten Vorstecker der Kaminthür beginnen zu können, gleichwie erst dann zum Angriffe auf eine Festung vorgerückt wird, wenn die Laufgräben gehörig eröffnet sind. Diese letzte Kanonade, um Bresche zu schießen, vertrieb allen Frost aus den Gliedern, bald dagegen rann der Schweiß aus allen Poren. Es war eine Art Kampf um Sein und Nichtsein. Der untere Vorstecker flog sofort und laut klappernd heraus, aber der obere stellte alle meine Kunst, alle meine Kraft und Geduld auf eine einstündige, fürchterliche Probe; es war ein Uhr, als der erste wich; um zwei Uhr arbeitete ich noch vergeblich nach vielmaligem Ausruhen, fieberhaftem Wassertrinken und, als kein solches mehr vorhanden war, bei quälendem Durste. Die bei der anstrengenden Arbeit einzunehmende Stellung erzeugte öfters peinlichen Krampf, der mich ebenfalls zu unfreiwilligen Pausen nöthigte. Endlich glaubte ich, es sei eine reine Unmöglichkeit, diesen unbarmherzigen eisernen Wächter der „Gerechtigkeit“ mittelst Besenstiels hinwegzudisputiren, und wollte mich schon verzweifelnd zurückziehen und, in Gottes Namen, die Freuden und Segnungen der Zuchthaushalle erwarten, da rief ich mir noch einmal Muth und Beharrlichkeit zu.

Schon begann der Tag allmählich heraufzudämmern – noch ein Stoß – und laut klappernd rasselte der hartnäckige Steckkopf am Thürchen draußen herab. Rasch schlüpfte ich durch die geöffnete Thür auf den Gang hinaus, ein über und über schwarzer Adam. Ebenso rasch befreite ich die gegenüberliegende Kaminthür von ihren zwei Vorsteckern und riß das dortige Ofenthürchen auf, um Freund Blankmeister, der längst laut meiner Anweisung gelernt hatte, den innern Ofen zugänglich zu machen, heraus zu accouchiren. Ein kurzer Augenblick, und des Advocaten schwarzbuschiger Dickkopf tauchte aus seiner Höhle empor. Dem Herrn Collegen hatte die lange Haft gut angeschlagen; er war beleibt geworden. Doch hinten schoben die kurzen Beine sammt dringender Nothwendigkeit emsig nach, und vorn zog ich als Neger mit all der mir zu Gebote stehenden Naturkraft, und seine polizeiwidrige zweite Geburt war vollendet. Alles dies ging so rasch, aber auch so still als möglich vor sich. Immerhin war es wunderbar, daß unser unfern schlummernder denunciationslustiger Stadtförster, wie alle übrigen Gefangenen, von alledem nichts hörten. (Nachwirkungen der Sonnenfinsterniß, die viel Durst gemacht hatte.) Rasch holten wir aus einer leeren Zelle unsere Verhör- und Weidekleider. Ebenso rasch waren wir angekleidet, ich schwarz und nobel, aber in Strümpfen und ohne Hemd, Blankmeister in vom Ofen zerrissener Hose, grüner Wolljacke von mir, böhmischer Mütze mit schwarzrothgoldner Schnur und – Filzschuhen. Blankmeister hatte noch die glückliche Idee, die Uhr mitzunehmen. Ich ließ Alles in der Zelle, denn hier war meines Bleibens nicht mehr; jeder Augenblick war kostbar.


(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Brautleute im Sachsenlande. (Mit Abbildung, Seite 5.) Es ist länger als siebenhundert Jahre her, daß der Ungarnkönig Geisa der Zweite in das Stück des alten Dacien, das heute von uns Siebenbürgen genannt wird, Deutsche einwandern ließ, zum kleinern Theil aus Flandern und vom Rheinlande, zum größern aus dem Harze, der besonders Bergleute liefern mußte, und aus Thüringen; nach beiden letzteren erhielten im Laufe der Zeit alle siebenbürgischen Deutschen den Namen Sachsen. Ueber Land und Leute im siebenbürgischen Sachsen bringt die Gartenlaube später einen ebenfalls illustrirten und eingehenderen Artikel. Jetzt bleiben wir bei unserm Bilde.

Diese Sachsen behielten nämlich mit vielen anderen guten Sitten der Väter in der alten deutschen Heimath auch die des Verliebens und Verlobens bei, und trotz her weiten räumlichen Entfernung von uns sind sie darin uns so durchaus gleich geblieben, daß gewiß sämmtliche verehrte Leserinnen der Gartenlaube an dem ihnen vorgestellten Brautpaare nicht das Geringste auszusetzen haben. Noch heutzutage wird auch bei uns kein Bräutigam seiner Braut den Trauring anders an den Finger stecken können, als es hier geschieht, und hübsch sind alle Beide; liebe gute deutsche Gesichter haben sich diese unsere Sachsen bewahrt seit siebenhundert Jahren.

Besser ist’s, wir treten selbst in die Stube, denn auch in ihrer Einrichtung finden wir Vieles, das uns anheimelt, wenn auch die durchgängige Wohlhabenheit diesem Sachsenvolkes die bäuerliche Einfachheit und Derbheit mit einem eigenthümlichen Luxus aufgeputzt hat. Vor Allem bemerken wir eine außerordentliche Reinlichkeit. In der linken Ecke der Stube sehen wir von dem bis an die Decke aufragenden Schrank (Schüsselramp) für die zahlreichen Schüsseln und Teller der sächsischen Hausfrau nur ein Stückchen hervorstehen; rechts davon findet häufig eine der landesüblichen großen Kisten (Truhen) ihren Platz. All dieser Hausrath ist mit den hellsten Farben, Blau, Weiß, Grün und Roth, bemalt, mit großen Blumen (Rosen und Lilien) und wunderlich geschnörkelten Figuren. Die Zimmerdecke entlang läuft ein hölzerner Rechen, der in der obern Abtheilung die bemalten irdenen Prunkschüsseln und an hölzernen Pflöcken eine stattliche Reihe irdener, ebenfalls bemalter Krüge trägt.

Steht der Schüsselschrank in der linken Ecke, so erblicken wir sicherlich in der rechten den reichgestickten, weißen Bettvorhang, der das bis an die Decke aufgethürmte Bett verhüllt, dessen Einzeltheile reichgestickte Linnenüberzüge zeigen. Schönheit und Zahl der Prunkschüsseln und -Krüge und das hohe Himmelbett, so wie ein reicher Vorrath des schönsten Linnen bilden den Stolz und Reichthum der sächsischen Hausfrau und die geschätzte Mitgift für ihre heirathsfähige Tochter. Wählten doch die Bauern eines sächsischen Dorfes Niemand zum Pfarrer, von dem sie wußten, daß er aus Mangel an Linnen mehr als einmal im Jahre waschen müsse. Zwischen Schrank und Bett zieht sich ziemlich in jeder Bauernstube eine Lehnbank hin bis zu dem Tische, auf dem die immer reine weiße, schwarz oder roch gestickte Tischdecke prangt.

Vor dem Tische befindet sich die Hauptgruppe unseres Bildes, der siebenbürgisch-sächsische Bursche (Knecht) und sein Mädchen (Maid). Bei dem ersten Schlage der Kirchenglocke ist der Bursche zu seiner Braut geeilt, um sie, wie es Sitte ist, zur Kirche zu geleiten und dafür den nie fehlenden großen Blumenstrauß (Rosmarin und Muskat dürfen darin nie fehlen) zu empfangen, den er stolz auf seine breite Hutkrämpe steckt oder ehrbar in der Hand trägt. Seine Braut ist offenbar zum Kirchgange schon gerüstet. [20] Dem blauen, bändergeschmückten Rocke hat sie die gestickte weiße Mousselinschürze vorgebunden und darüber den geschmackvoll und reich gestickten Pelz angezogen. Auf dem Haupte sitzt der die siebenbürgisch-sächsische Jungfrau kennzeichnende „Sammetborten“, unter dem die langen, blonden Zöpfe tief herabfallen. Wir überraschen das Paar in dem Augenblicke, wo er ihr den Ring ansteckt. Ist es nicht, als ob er mit dem altsächsischen Volksverse spräche:

„Hier geb’ ich Dir den Ring der Treu’,
Gott geb’, daß es Dich nie gereu’!“




Noch einmal die „literarische Freibeuterei“. Unsere Leser werden sich eines Artikel unter obiger Ueberschrift (Nr. 44, 1873 der Gartenlaube) erinnern, in welchem wir den Anspruch einer Pester Dame auf die Autorschaft der Werner’schen Novellen als einen unberechtigten zurückwiesen. Wir stellten in einem Nachtrage zu jenem Artikel die bisher aus schonender Rücksichtnahme unterlassene Namensnennung der Dame für den Fall in Aussicht, daß dieselbe das durch Herrn Aigner gegebene Versprechen, „uns die Antwort nicht schuldig bleiben zu wollen“, wider Erwarten unerfüllt lassen sollte. Auf diese Aufforderung hin ging nun eine Zuschrift der Dame vom 22. November an unsere Redaction ein, in welcher dieselbe bittet, ihr einige Tage Frist zu der ihr „selbst nothwendig erscheinenden Erwiderung auf den ihr gemachten Vorwurf“ zu gewähren. Nachdem nun seit der Absendung jenes Briefes mehr als ein Monat verflossen ist, ohne daß die Pseudo-Werner uns jene verheißene Erwiderung zugestellt, würden wir jetzt unbedenklich zu der in Aussicht genommenen Veröffentlichung des Namens schreiten, hätten nicht inzwischen eingetroffene Zuschriften von mehr oder weniger an der Sache betheiligten Personen auf die Dame ein Licht so greller Natur geworfen, daß wir nunmehr gezwungen sind, jede Beziehung zu derselben zurückzuweisen.

Der juristische Vertreter des Herrn Aigner, Herr Dr. Adolph Reinitz in Pest, schreibt uns unter dem 6. November Folgendes:

„Euer Wohlgeboren! Im Zusammenhange mit der in der letzten Nummer der ‚Gartenlaube‘ erschienenen auf die Affaire ‚T – Buerstenbinder‘ bezüglichen Erklärung erlaube ich mir Ihnen als Rechtsfreund des Herrn Ludwig Aigner folgende Mittheilung zu machen.

Fräulein –a von T– hat mit Herrn Ludwig Aigner einen Vertrag abgeschlossen, laut welchem sie meinem Clienten fünf Novellen um den Preis von zweihundert Gulden ö. W. verkaufte, ferner das Eigenthumsrecht ihrer unter dem Namen ‚Werner‘ in der ‚Gartenlaube‘ erschienenen Novellen auf denselben übertrug und schließlich sich verpflichtete, einen Roman, dessen Honorar auf zweihundert Gulden ö. W. festgesetzt wurde, zu liefern. Herr Aigner bezahlte auch an Fräulein –a von T– zweihundert Gulden; inzwischen erhielt er jedoch Ihren in der letzten Nummer der ‚Gartenlaube‘ veröffentlichten Brief, in Folge dessen er die weiteren Ratenzahlungen einstellte. Fräulein –a von T– fand es nun für gut, gegen meinen Clienten einen Proceß auf Bezahlung der rückständigen zweihundert Gulden anzustrengen, wurde aber mit ihrer Klage abgewiesen und in die Zurückerstattung des bereits erhaltenen Vorschusses von zweihundert Gulden verurtheilt. Die ganze Angelegenheit wurde seiner Zeit in Nummer 215 des ‚Ungarischen Lloyd‘ vom 19. September dieses Jahres mit voller Nennung der Namen der Betheiligten besprochen und ist daher Ihre Delicatesse, mit welcher Sie den Namen dieser literarischen Freibeuterin verschweigen, mindestens überflüssig. Hier wird Fräulein T– in Folge dieses Processes allgemein die ‚falsche Werner‘ genannt.“

Außer diesem eben reproducirten Briefe sind uns mehrere Zuschriften von anderer Seite zugegangen. Wenn der Reinitz’sche Brief die in Rede stehende Dame als des Betruges schuldig hinstellt und uns das gravirende Urtheil des Gerichts im Zeitungs-Ausschnitt mittheilt, so entwerfen die übrigen Zuschriften von der Dame ein Bild, welches sie uns auch in sittlicher Beziehung auf dem Wege völliger Corruption erscheinen läßt. Es würde das Gefühl der Wohlanständigkeit verletzen, eine nach jenen Nachrichten mit dem Makel der Entsittlichung behaftet erscheinende Person neben der allverehrten Werner-Bürstenbinder genannt zu sehen, wie es uns nunmehr auch als eine Pflicht gegen unser eigenes Blatt erscheint, dasselbe nicht mit einem derartig beleumundeten Namen weiter in Verbindung zu bringen.

Indem wir somit von einer näheren Bezeichnung der –a v. T– absehen, verweisen wir alle Diejenigen unter unseren Lesern, welche dennoch deren Namen zu erfahren wünschen, auf die in dem obigen Briefe des Herrn Dr. Reinitz erwähnte Nr. 215 des „Ungarischen Lloyd“ vom Freitag, den 19. September 1873 (Morgenausgabe: Gerichtszeitung) und wollen damit in dieser uns aufgedrungenen Angelegenheit das letzte Wort gesprochen haben.




Lebensretter. So oft man die Nachricht von dem Untergange eines Schiffes mit vielen Passagieren liest, drängt sich Einem die Frage auf, weshalb nicht praktische Vorkehrungen getroffen werden, um für die Rettung derselben so wie der Mannschaft zu sorgen.

Die gewöhnlichen Behelfe, als Rettungsböte, Flöße, Bettmatratzen mit Kork gefüllt, zeigen sich leider gar zu häufig als unzureichend, indem die Böte in vielen Fällen beim Herunterlassen theils zertrümmert werden, theils lange nicht hinreichend sind, um Alle aufzunehmen. Die Korkbettmatratzen sind aber in den meisten Fällen nicht zahlreich genug vorhanden oder zu unhandlich, um auf’s Deck gebracht zu werden, wo Alles, Rettung suchend, aus den unteren Räumen zusammeneilt.

Das einzige wirklich Praktische ist, daß sämmtliche Regierungen durch Gesetz verordnen, daß jedes Schiff verpflichtet sein soll, so viel Korkgurten (gewöhnliche Korkschwimmgurten mit einem Riemen, um sie um den Leib zu schnallen), als Menschen an Bord sind, mit sich zu führen. Diese Korkgurten müssen sämmtlich stets auf dem Deck ihren Platz haben, am zweckmäßigsten rund herum an der Schanzkleidung, auf den Hütten etc. hängen, so daß ein Jeder in dem Augenblicke, wo er auf dem Deck steht und den Untergang des Schiffes vor Augen sieht, einen Gurt umschnallen und damit in’s Meer stürzen kann. Ist dann ein Schiff in der Nähe, so kann man mit Wahrscheinlichkeit darauf rechnen, daß sämmtliche Menschen gerettet werden können, während bis jetzt in den meisten Fällen nur ein kleiner Theil davon am Leben erhalten wird.

Damit die Korkgurten bei dem fortwährenden Hängen auf dem Deck durch Wasser nicht zu schnell verdorben werden, müßte die Leinwand, in welche die Korkstücken eingenäht sind, mit Oelfarbe gestrichen sein, es ist durchaus nothwendig, daß sie stets frei vor Augen hängen damit man sie augenblicklich zur Hand hat, wenn die Noth sich einstellt.

Solche Korkgurten sind ganz billig herzustellen, und die Ausgaben dafür stehen in gar keinem Verhältnis zu dem ungeheuren Nutzen, den sie beim Untergange eines Schiffes stiften können, wo sonst oft das Leben vieler Hunderte von Menschen rettungslos verloren gehen würde.

H. B. Hansen, Schiffsrheder.




Für unsere New-Yorker Leser.Der Neujahrstag in Amerika“, jener frisch geschriebene Artikel von Georg Stein (Nr. 47 des Jahrgangs 1873 der Gartenlaube), war wegen bereits getroffener Dispositionen längere Zeit hindurch als Manuscript in unserem Redactionspulte zurückgehalten worden, so daß der Autor sich begreiflichermaßen auf den Abdruck desselben keine Rechnung mehr machen zu können glaubte und ohne unser Wissen zu dessen anderweitiger Verwendung geschritten war. Hierdurch erklärt sich, daß der Aufsatz fast gleichzeitig mit seiner Veröffentlichung durch unser Blatt in einer amerikanischen Zeitung, freilich in wesentlich veränderter Form, zum Abdrucke kam. Dies zur Verständigung unserer amerikanischen Leser.

D. Red.




K. S. in R. Die Beantwortung Ihrer Anfrage ist sehr einfach. Während uns aus Ost- und West-Preußen fast jede Woche wahrhaft erschütternde Schilderungen des Elendes dort angestellter Volkslehrer zugehen, ist aus Sachsen und Thüringen noch keine einzige Klage eingelaufen.




Unsere Sammlung zur
Ehren-Dotation für Roderich Benedix.

hat trotz aller Agitationen gegen dieselbe einen erfreulichen Fortgang und nimmt – Dank der Unterstützung anständiger Bühnenvorstände und Dilettantenvereine – immer größere Dimensionen an. Seit unserer letzten Quittung in Nr. 45 des vorigen Jahrganges gingen wieder ein:

Ertrag der Benedix-Vorstellung des Ständischen Theaters in Riga durch den Präses des Verwaltungs-Comités A. Berkholz 236 Thlr. 26 Ngr.; Schillerverein in Leipzig 50 Thlr.; Ernst Seyffarth in Crefeld 5 Thlr.; dritter Beitrag der Redaction der Gartenlaube, Ertrag einer an Herrn Franz Duncker in Berlin verkauften Erzählung 50 Thlr.; Ertrag der studentischen Aufführung in Leipzig zu Gunsten der Benedix-Dotation, übergeben durch die Comitémitglieder Franz Hoffmann, stud. jur. und Richard Altsmann, stud. jur. 421 Thlr.; Vorstellung des Theaters in Frankfurt am Main: die zärtlichen Verwandten, 566 Thlr; Theaterabend und Ball des Militärvereins der Jäger und Schützen in Leipzig 51 Thlr. 1 Ngr.; A. Silberstein in Elbing 2 Thlr.; Elise Strauch in Berlin 5 Thlr.; C. H. in Quedlinburg 2 Thlr. 7½ Ngr.; A. A. in Bingen 14 Thlr.; Concert des Bürgergesangvereins in Wilhelmshaven 36 Thlr. 22½ Ngr.; von einem Böhmen, aber guten Deutschen 5 fl. ö. W.; aus Eilenburg 10 Ngr.; Freunde der Bühnenwerke von R. Benedix in Berlin 10 Thlr., Marie Flachs in Görlitz 1 Thlr.; R. S. in Marne 2 Thlr.; confiscirtes Nadelgeld dreier Damen 1 Thlr.; Z. in Braunschweig 2 Thlr.; Bertha Schlag in Lippendorf 1 Thlr.; Ludwig Troppin in London 5 Thlr.; Rudolf Philipp in Hermannstadt 2 fl. ö. W.; durch, mit und von Lust in Frankfurt am Main 4 Thlr.; R. Jordan in Hamburg 5 Thlr.; Dilettanten-Vorstellung des Benedix’schen Lustspiels: „Der Liebesbrief“ in Glauchau, durch Rechtsanwalt Hugo Lincke 45 Thlr.; R. V. in Dortmund 2 Thlr.; Dr. N. zu N. bei L. 2 Thlr. 24½ Ngr.; Ueberschuß des Concerts des Zöllner-Vereines zu Leipzig 62 Thlr. 23½ Ngr.; Aufführung der „Zärtlichen Verwandten“ zu Ostrau bei Döbeln, durch Ostrauer Herren und Damen, angeregt durch einen Jugendfreund Roderich’s 40 Thlr.; Ertrag einer Benedixfeier in Coethen, durch Rudolf Bunge 72 Thlr. 14 Ngr.

Gesammtbetrag der heutigen Quittung 1700 Thlr. 12 Ngr.




Noch einmal appelliren wir an die Opferfreudigkeit aller deutschen Bühnen, indem wir sie bitten, zu Ehren des heimgegangenen Dichters dem Beispiele des Kölner, Frankfurter, Rigaer und Karlsruher Theaters zu folgen und ihre Dankbarkeit durch Benefizvorstellungen zu Gunsten der Benedix’schen Hinterlassenen zu documentiren. Der so früh hinüber Geschlummerte hat durch die Schöpfungen seiner lebensfrischen Muse Hunderttausende den Cassen der Bühnendirectionen zugeführt und somit noch im Grabe das Recht, eine Ehrengabe, die ihm im Leben zugedacht war – auch jetzt nur für seine Hinterlassenen – in Anspruch zu nehmen. Mögen die Bühnendirectionen ihrer Ehrenpflicht eingedenk sein!

Auch die Dilettanten- und Liebhaber-Theater, die meist von den Früchten Benedix’scher Poesie zehren, werden ihres Lieblings sicher nicht vergessen und durch Festvorstellungen den Pflichten der Anerkennung und des Dankes nachkommen.

Die Redaction.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: griechische; siehe Berichtigung (Die Gartenlaube 1874/4)