Die Frau in der Wirtschaft des zwanzigsten Jahrhunderts
Literatur:
Bearbeiten- Einige Ergebnisse der Berufszählung vom 12. Juni 1907 im Deutschen Reiche i. Reichsarbeitsblatt, Jahrg. VII, Nr. 2 u. 8, Berlin 1909.
- Zahn, Friedr. Deutschlands wirtschaftliche Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung der Volkszählung 1905, sowie der Berufs- und Betriebszählung 1907, Annalen des Deutschen Reichs, 43. Jahrg. München u. Berlin 1910, Nr. 6ff., bes. fünfter Abschnitt „Frauenerwerb“, S. 503ff. Auch selbständig erschienen.
- Silbermann, J. Die Frauenarbeit nach den beiden letzten Berufszählungen, Schmoller’s Jahrb. f. Gesetzgebung etc. 35. Jahrgg. Heft 2. Leipzig 1911.
- Pierstorff, Jul.: Weibliche Arbeit und Frauenfrage, Handwörterb. der Staatswissenschaften, 3. Aufl. Jena 1908–1911, woselbst eine Übersicht über einen Teil der kaum noch übersehbaren Fülle der Literatur sich findet, wie vorher schon in der 2. Auflage unter dem Titel Frauenarbeit und Frauenfrage.
- Handbuch der Frauenbewegung, herausgegeben v. Helene Lange u. Gertrud Bäumer, Bd. IV. Die deutsche Frau im Beruf, I. Aufl. Berlin 1902, 2. Aufl. Berlin 1910.
- Die neue Generation, herausgegeben von Hel. Stöcker, Publikationsorgan des Bundes für Mutterschutz. Berl. 1905
- Salomon, Alice, Mutterschutz und Mutterschaftsversicherung, Leipzig 1908.
- Mayet: Der Schutz für Mutter und Kind durch eine reichsgesetzliche Mutterschafts- und Familienversicherung. Berlin 1911.
- Fürth, Henriette. Die Mutterschaftsversicherung, Jena 1911.
I. Weibliche Erwerbstätigkeit und Frauenberufe.
BearbeitenDas 20. Jahrhundert zeigt die Stellung der Frau in der Wirtschaft wesentlich verändert im Vergleich mit derjenigen Stellung, welche dem weiblichen Geschlechte noch während der ganzen ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zugewiesen war. Diese tiefgreifenden Wandlungen, [109] denen frühere Zeiten nichts Ähnliches an die Seite zu stellen vermögen, sind zweifellos zum Teil veranlasst und getragen durch die individualistische Geistesrichtung der Zeit, welche die höhere Bewertung der Persönlichkeit schliesslich auch auf das weibliche Geschlecht erstreckte und eine andere Auffassung des Verhältnisses der Geschlechter zu einander herbeiführte. Sie hätten aber in dem Umfange, in dem sie sich vollzogen, nicht eintreten können, wenn sie nicht in der Hauptsache durch eine Umwälzung der wirtschaftlichen Verhältnisse geradezu erzwungen worden wären.
Während seit dem Mittelalter die Verwendung der weiblichen Kräfte im wesentlichen in Land und Stadt auf die meist naturalwirtschaftlich gebundene Hauswirtschaft beschränkt war, im zünftigen Handwerk sogar die weibliche Gewerbsarbeit, soweit sie von früher her hier bestand, im Laufe der Zeit planmässig mehr und mehr sich zurückgedrängt sah, änderte sich die Sachlage mit dem Vordrängen der Manufakturen und Fabriken und ihrer weitgehenden Arbeitszerlegung. Wenigstens auf dem Gebiete der Textilindustrie wurden zuerst im Hause, dann auch in gemeinsamen Arbeitsstätten zunächst Frauen und Mädchen der untersten Klassen in wachsendem Masse gewerblich beschäftigt. Vollends die zuerst in England seit Mitte des 18. Jahrhunderts aufkommende Maschinenverwendung bewirkte eine Zunahme weiblicher Fabrikarbeit, die sich ebenso wie die Kinderarbeit auch ihrer grösseren Billigkeit wegen empfahl. Von dort aus verbreitete sie sich weiter über andere Industriezweige, besonders über den Bergbau. Mit dem Vordringen des modernen Kapitalismus nahm die im 18. Jahrhundert begonnene Entwicklung von England aus im 19. Jahrhundert ihren Weg zu allen modernen Industriestaaten. Unter der anfänglich schrankenlosen Herrschaft einer rein individualistischen Wirtschaftsordnung führte dies zu einer antisozialen rücksichtslosen Ausbeutung der weiblichen Arbeitskräfte. Physische und moralische Degenerierung, und in Verbindung damit eine zunehmende Zerstörung des Familienlebens mit allen ihren verderblichen Wirkungen war die notwendige Folge dieser Zustände. Neben der Fabrikarbeit erhielt und entwickelte sich die gewerbliche Frauenarbeit in der Hausindustrie, welche zwar die Frauen nicht dem Hause, wohl aber der Hauswirtschaft entzog, indem sie dieselben meistens zu mehr und minder gedrückten Löhnen beschäftigte. So bildete sich im Zusammenhange mit der modern städtischen Entwicklung eine neue, meist grossstädtische Hausindustrie, besonders auf dem Gebiete der Konfektion aus, welche der alten ländlichen Hausindustrie zur Seite trat.
Den Schutz der in Industrie und Gewerbe beschäftigten Lohnarbeiterinnen gegen übermässige und sozialschädliche Ausbeutung ihrer Arbeitskraft wurde eine der wichtigsten Aufgaben der Arbeiterschutzgesetzgebung, welche, wie die moderne industrielle Frauenarbeit selbst, von England ihren Ausgang nahm.
Anders als in der Arbeiterklasse entwickelte sich die Frauenarbeit in den mittleren Schichten der Bevölkerung. Immer mehr gewann neben dem vom selbständigen Erwerbe lebenden Bürgertume der auf Gehalt angewiesene öffentliche und private Beamtenstand an Umfang und Bedeutung. Während mit der Ausbreitung der modernen Geldwirtschaft die alte Haus- und Familienwirtschaft mehr und mehr ihres produktiven Inhalts beraubt und auf blosse Konsumwirtschaft beschränkt wurde, verringerte sich in gleichem Masse die Möglichkeit ausser der Hausfrau weitere weibliche Familienglieder nutzbringend zu verwerten. So wurden Frauenkräfte in wachsendem Masse freigesetzt, zumal in diesen Kreisen die Aussichten, in der Ehe Lebensaufgabe und Versorgung zu finden, sich stark verminderten. Bei fehlendem oder unzureichendem Vermögen entstand oft bittere Not. Da aber in den Anschauungen und Sitten dieser Schichten das Ideal der allmählich dahin schwindenden alten und reicheren Hauswirtschaft noch immer fortwirkte, bedurfte es längerer Zeit, bis der Bann gebrochen und die Notwendigkeit, für die Haustöchter Lebensunterhalt und vor allem auch Erwerb im Berufsarbeit ausserhalb des Hauses zu suchen, erkannt und anerkannt wurde. Diese Wandlung der Anschauungen und Sitten herbeigeführt zu haben, ist das dauernde Verdienst der sogen, bürgerlichen Frauenbewegung, welche in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts in England und Deutschland einsetzte. Zugleich wirkte sie hier wie in anderen Ländern mit erfolgreichem Nachdruck nicht nur für eine Erschliessung neuer Berufe, sondern auch für eine Erweiterung und Reform der Frauenbildung behufs Steigerung der weiblichen Erwerbsfähigkeit. In diesen Rahmen gehören auch die schliesslich mit Erfolg gekrönten Bestrebungen, welche auf die Zulassung der [110] Frauen zum Studium unter voller Gleichberechtigung mit den Männern sowie auf Ermöglichung der notwendigen Vorbildung gerichtet waren.
Den auf Erweiterung der weiblichen Erwerbstätigkeit gerichteten Bestrebungen gehen diejenigen zur Seite, welche eine Hebung der weiblichen Leistungsfähigkeit für Haus und Familie überhaupt, abgesehen von allem Erwerbe, in allen Schichten der Bevölkerung bezwecken. Denn mehr und mehr hat die Einsicht sich durchgerungen, dass trotz aller Wandlungen in Wirtschaft und Gesellschaft allgemeinster und Hauptberuf der Frauen der Beruf der Frau und Mutter bleibt und es daher vor allem gilt das weibliche Geschlecht für die hieraus sich ergebenden Aufgaben tüchtig und leistungsfähig zu machen im Geiste der modernen Zeit. Darüber hinaus sind die Frauen für die Erfüllung allgemeinerer sozialer Aufgaben, welche sich aus den familiären entwickelt haben, zu interessieren und zu befähigen, vor allem für Kranken-, Armen- und Waisenpflege, auch allgemeine Kinderpflege und Kinderfürsorge ausserhalb des Kreises der Familie.
Abgesehen davon, dass zahlreiche Berufe und Berufsfunktionen für den weiblichen Organismus ungeeignet oder minder geeignet sind, bewirkt der Umstand, dass für die Frau – im Gegensatz zum Manne – die Ehe selbst Beruf ist und die grosse Masse der Frauen auch tatsächlich früher oder später zur Ehe gelangen, eine völlig andere Stellung des weiblichen Geschlechts zum Erwerbsleben. Für die grosse Masse der unverheirateten Frauen, zum mindesten in den unteren Schichten, in weiterem Umfange aber auch in den höheren, bildet die Berufstätigkeit nur ein Durchgangsstadium, und wird solche von Ehefrauen nur ausgeübt, soweit und so lange die Erwerbsnotwendigkeit es gebietet. Daher überwiegt bei der Frauenarbeit der unteren Klassen die ungelernte, auch in der der höheren Schichten solche, die keine oder nur geringe spezielle berufliche Vorbildung erfordert. Zumeist sind Frauen in solchen Berufszweigen und Berufstätigkeiten beschäftigt, welche den familiären Arbeitsgebieten ihres Geschlechts verwandt sind oder zu diesen in naher Beziehung stehen und mehr an die Geschicklichkeit als an die Körperkraft Anforderungen stellen. In letzterer Beziehung wirkte die Ausbreitung des Maschinenwesens und der Arbeitsteilung in der Industrie, sowie die mit der industriellen Konzentration und der modernen Verkehrsentwicklung Hand in Hand gehende Ausbreitung des Handels fördernd auf die Verwendung weiblicher Arbeitskräfte. Unter den freien Berufen ist es fast nur der Lehr- und Erziehungsberuf, der eine grössere Zahl von weiblichen Arbeitskräften anzuziehen vermag. Daneben kommt noch die ärztliche Praxis einigermassen in Betracht, doch wird die Zahl der weiblichen Ärzte stets eine beschränkte bleiben, da diese fast nur für die Behandlung von Frauen und Kindern in Betracht kommen. Wachsende Bedeutung hingegen kommt der berufsmässigen Krankenpflege zu, welche ein spezifisch weibliches Arbeitsgebiet darstellt, auf dem die männliche Konkurrenz völlig bedeutungslos ist.
In Deutschland betrug nach der Berufszählung des Jahres 1907 die Zahl der im Hauptberuf erwerbstätigen Frauen
8,24 Mill. = 26,37% aller weiblichen Personen. Dazu kommen weibliche Dienstboten 1,25 Mill. = 4,05% aller weiblichen Personen. Zusammen 9,49 Mill. = 30,37% aller weiblichen Personen.
Weitaus die grösste Zahl der erwerbstätigen Frauen entfallen auf die Land- (und Forst-)wirtschaft mit 4,60 Millionen, von ihnen aber nicht weniger als 2,84 Mill. auf die mithelfenden Familienangehörigen.
Bergbau und Industrie zählten demgegenüber nur 2,10 Mill. weibliche Erwerbstätige, Handel und Verkehr, der überhaupt weniger Hände beschäftigt, nur 0,93 Mill.
Um die Bedeutung dieser Zahlen richtig zu würdigen, bedarf es einer Berücksichtigung ihres Wachstums. Während die Zahl der erwerbstätigen Männer seit 1895 sich prozentual nicht veränderte (61%), stieg die Zahl der erwerbstätigen Frauen in derselben Periode von 5,26 auf 8,24 Millionen oder von 19,97 auf 26,37% und sank die Zahl der weiblichen Dienstboten von 1,31 auf 1,25 Mill. oder von 4,99 auf 4,00% bei einem gleichzeitigen Wachstum der Gesamtbevölkerung von 20% in dieser Periode von 1895–1907.
Enorm ist die Zunahme der weiblichen Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, wo ihre Zahl sich um 67,04% – von 2,75 auf 4,60 Mill. – erhöhte, während die Zahl der Männer absolut [111] und prozentual eine mässige Abnahme aufweist. Jenes auffallende Wachstum beruht indessen fast ausschliesslich auf der Zunahme der mithelfenden Familienangehörigen, und ist – wohl zum allergrössten Teil – nur ein scheinbares, insofern bei der letzten Berufszählung die genannten Angehörigen weit schärfer erfasst wurden als früher.
In der Industrie belief sich die Zunahme der weiblichen Kräfte auf 38,31%, indem ihre Zahl sieh von 1,52 auf 2,10 Mill. erhöhte. Am stärksten trat eine Vermehrung der Frauenarbeit im Handel und Verkehr zutage, wo sie um 60,69%, oder absolut von 0,58 auf 0,93 Mill. stieg. Doch auch die Männer nahmen in der Industrie um 35,39%. im Handel und Verkehr um 44,76% zu, aber bei weit höheren absoluten Ziffern. Von einer wesentlichen Verschiebung der Verhältnisse zu Gunsten des weiblichen Geschlechts kann daher nicht gesprochen werden, zumal da beim Handel allein die Zahl der als Familienangehörigen mithelfenden Frauen sich um 136 000 oder 144% erhöhte, während die analoge Vermehrungsziffer der Männer absolut geringfügig blieb.
In häuslichen Diensten (nicht als Dienstboten) und Lohnarbeit wechselnder Art waren 1907 320 000 Frauen, in etwas mehr als in doppelter Zahl wie Männer, beschäftigt.
Trotzdem die Zahl der in freien Berufen und Anstellungen tätigen Frauen seit dem letzten Vierteljahrhundert sich u m das anderthalbfache (oder auf das 2½fache) erhöht hat, bleibt sei mit 288 000 weit zurück hinter der Zahl der erwerbstätigen Männer, welche sich auf 1,45 Mill. beläuft.
Von allen erwerbstätigen Frauen, einschl. Dienstboten, (= 9,5 Mill.) entfallen auf
- Landwirtschaft 48,4%,
- Industrie 22,2%,
- Handel und Verkehr 9,8%,
- Häusliche Dienste 3,4%,
- öffentlichen Dienst und freie Berufe 3,0%,
- Dienstboten 13,2%.
Von allen erwerbstätigen Frauen, einschl. Dienstboten, waren
- Selbständige 12,62%,
- Angestellte 2,03%,
- Häusliche Dienstboten 13,16%,
- Mithelfende Familienangehörige 33,47%,
- Sonstige Arbeiterinnen 38,72%.
Weibliche Selbständige wurden gezählt:
- in der Landwirtschaft etc. 328 200 (13,1%),
- in der Industrie[1] 477 300 (24,1%),
- im Handel und Verkehr 246 600 (24,9%).
Weibliche Angestellte:
- in der Landwirtschaft 16 264 (16,5%),
- in der Industrie 63 936 (9,3%),
- im Handel und Verkehr 79 689 (15,8%).
Weibliche Arbeiterinnen:
- in der Landwirtschaft 4 254 500 (58,4%), davon
- mithelfende Familienangehörige 2 840 900 (73,0%),
- sonstige Arbeiterinnen 1 413 600 (41,7%),
- in der Industrie 1 562 698 (18,2%), davon
- mithelfende Familienangehörige 105 900 (79,0%),
- sonstige Arbeiterinnen 1 456 800 (17,2%),
- im Handel und Verkehr 605 000 (30,9%), davon
- mithelfende Familienangehörige 231 000 (88,7%),
- sonstige Arbeiterinnen 374 000 (22,0%).
[112] Unter den Gewerbegruppen, in welchen die Frauenarbeit absolut oder relativ grössere Bedeutung besitzt, stehen im Vordergrunde:
Beschäftigte Frauen Bekleidungsgewerbe 721 400 (50,7%), Textilindustrie 528 200 (50,0%), Nahrungs- und Genussmittel 249 000 (22,0%), Reinigungsgewerbe 161 700 (59,8%), Papierindustrie 67 300 (32,6%), Polygraphisches Gewerbe 38 000 (20,2%). Ferner waren Frauen beschäftigt: im Handelsgewerbe 545 200 (31,3%), in Gast- und Schankwirtschaft 339 600 (52,1%).
In der Industrie überwiegt die ungelernte weibliche Arbeit (802 000) die gelernte (651 000).
Viel weibliche Erwerbstätigkeit wird ausgeübt im Nebenberuf. Die 3,4 Mill. Nebenberufsfälle, welche auf das weibliche Geschlecht entfallen, bilden 45,25%, der Gesamtzahl. An ihnen sind weibliche Erwerbstätige mit Hauptberuf nur mit 1/5 beteiligt.
Stark sind die Frauen an der Hausindustrie beteiligt. Ihr Anteil ist im Wachsen, während die Beteiligung der Männer abnimmt. Zur Zeit ist er schon im numerischen Übergewicht.
Weitaus die meisten erwerbstätigen Frauen – 70,3 Proz. – sind unverheiratet. Von den 9,49 Mill. einen Hauptberuf ausübenden Frauen einschliesslich der Dienstboten waren nur 2,82 Mill. oder 29,7 Proz. verheiratet. Die geringste Zahl der Verheirateten weisen die Dienstboten auf, 0,7 Proz, unter 1¼ Million. Von den 290 000 Frauen, welche im öffentlichen Dienst oder in freien Berufen tätig waren, entfielen 11,0 Proz. auf die Verheirateten, von denjenigen, welche häusliche Dienste und Lohnarbeit wechselnder Art verrichteten, zusammen 320 000 = 16,4 Proz., aber 28,4 Proz. auf Verwitwete. Die drei grossen Berufsabteilungen Landwirtschaft, Industrie und Handel zählen zusammen unter 7,63 Mill. weiblichen Erwerbstätigen 2,72 Mill. oder 35,7 Proz. verheiratete Frauen. Von ihnen entfällt der weitaus grösste Teil, nämlich 2,01 Mill., auf die Landwirtschaft, in der es sich weniger um im engeren Sinne erwerbstätige Frauen handelt, als um in der Familie mithelfende Ehefrauen. Auch die starke Zunahme der erwerbstätigen Ehefrauen, welche seit 1895 166 Proz. betrug, rührt fast ausschliesslich von der Landwirtschaft und der schärferen Erfassung der mithelfenden Familienangehörigen in ihr her. In der Landwirtschaft sind 43,8 Proz. aller erwerbstätigen Frauen verheiratet, in der Industrie 21,3 Proz. (= 450 000 von 2,10 Mill.) im Handel und Verkehr 28,2 Proz. (= 260 000 von 930 000). Von diesen 260 000 im Handel und Verkehr tätigen Verheirateten entfällt wiederum der grösste Teil – 152 000 – auf die mithelfenden Ehefrauen.
II. Mutterschutz und Mutterschaftsversicherung.
BearbeitenDie modernen Wirtschaftsverhältnisse haben vielfach in besonderem Masse die verheirateten Frauen in eine schwierige Lage gebracht, zum mindesten in den unteren auf Lohnarbeit angewiesenen Schichten. Die verheirateten Frauen welche, durch unzulänglichen Verdienst des Mannes genötigt, Erwerbsarbeit verrichten, meistens sogar ausser dem Hause, sind doppelt belastet, weil sie daneben auch noch ihren natürlichen Beruf als Frauen und Mütter in Familie und Haus erfüllen sollen. Hieraus ergibt sich nicht nur eine Arbeitsüberbürdung, sondern auch eine Gefährdung ihrer Gesundheit, event. sogar ihres Lebens, wie eine Gefährdung von Leben und Gesundheit der Nachkommenschaft. Die Schwierigkeit Beruf und Mutterschaft zu vereinigen erzeugte das Bedürfnis eines besonderen Mutterschutzes. Schon die modernen Arbeiterschutzgesetze haben in wachsendem Umfange die Beschäftigung von Frauen in Fabriken und Werkstätten nach der Entbindung für längere Zeit verboten und schliesslich dieses Beschäftigungsverbot auch auf einen kürzeren Zeitraum unmittelbar vor der Entbindung erstreckt.
So dürfen in Deutschland zurzeit (Ges. vom 28.Dez. 1908, in Kraft seit 1. Jan. 1910) Arbeiterinnen vor und nach ihrer Niederkunft im ganzen während 8 Wochen nicht beschäftigt werden und [113] ist ihre Wiederbeschäftigung an den Ausweis geknüpft, dass seit ihrer Niederkunft wenigstens 6 Wochen verflossen sind. Mit derartigen Bestimmungen ist indessen die Aufgabe des Mutterschutzes nur in einer Richtung erfüllt. Denn diese Schonung für sich und für ihr Kind muss die eheliche wie die uneheliche Mutter mit dem Verlust des Lohnverdienstes während der Schutzzeit erkaufen, also gerade zu einer Zeit, in der sie im Hinblick auf die erhöhten Aufwendungen, welche die bevorstehende Geburt mit sich bringt, des Verdienstes mehr denn sonst und darüber hinaus oft weiterer Unterstützungen benötigt.
Diese Lage suchen die neuerdings hervorgetretenen Mutterschutzbestrebungen vor allem durch eine möglichst ausgedehnte Mutterschaftsversicherung zu bessern. In gewissem Umfange erscheint letztere bereits in der Arbeiterkrankenversicherung verwirklicht. In Deutschland waren bisher schon die organisierten Kassen (Orts- etc. Krankenkassen), bedingungsweise auch die Hülfskassen, nicht aber die Gemeindekrankenversicherung verpflichtet, ihren weiblichen Pflichtmitgliedern sowie den sich freiwillig weiter Versichernden für 6 Wochen Wöchnerinnenuntersuchung, in Höhe des Krankengeldes, welches ½ bis ¾ des ortsüblichen Tagelohns beträgt, zu zahlen. Auch durften sie mittels Statuts darüber hinaus Schwangeren erforderlichenfalles Schwangerschaftsunterstützung bis zu 6 Wochen, sowie allgemein freie Hebammendienste und ärztliche Behandlung zubilligen. Endlich war ihnen gestattet, den nicht erwerbstätigen Ehefrauen ihrer Mitglieder im Wege der fakultativen Familienversicherung freie ärztliche Behandlung und Arznei, sowie auch ohne Einführung der Familienversicherung die Wöchnerinnenunterstützung zu gewähren. Von dieser Erlaubnis zur Erweiterung der Mutterschaftsversicherung haben indessen die Kassen nur in sehr geringem Masse Gebrauch gemacht.
Diesem Zustande gegenüber wurde auf dem Krankenkassenkongress zu Berlin im Jahre 1909 und ähnlich bei sonstigen Gelegenheiten gefordert:
1. Obligatorische Schwangerenunterstützung im Falle von Erwerbslosigkeit, welche durch Schwangerschaft verursacht ist, auf 8 Wochen.
2. Obligatorische Gewährung freier Hebammendienste und freie ärztliche Behandlung der Schwangerschaftsbeschwerden.
3. Wöchnerinnenunterstützung auf 8 (statt auf 6) Wochen; falls das Kind lebt und die Mutter willens ist es selbst zu stillen, auf 13 Wochen.
4. Erhöhung des Pflegegeldes an Schwangere, Wöchnerinnen und Stillende für die Dauer der Schutzfrist auf die volle Höhe des durchschnittlichen Tagesverdienstes.
5. Ausdehnung der Versicherungspflicht auf alle lohnarbeitenden Frauen, auch landwirtschaftlichen Arbeiterinnen, Dienstboten, Heimarbeiterinnen, sowie alle Frauen, deren Einkommen 3000 M. nicht übersteigt.
6. Obligatorische Ausdehnung der Bestimmungen 2 bis 4 auf die Frauen der Kassenmitglieder.
Anderweitig wurden überdies Gewährung von Stillprämien verlangt, sowie Berechtigung der Kassen, Mittel darzuleihen oder aufzuwenden zur Organisierung eines umfassenden Mutterschutzes, so zur Gründung, Betreibung oder Unterstützung von Beratungsstellen für Mütter, von Schwangeren-, Wöchnerinnen-, Mütter- und Säuglingsheimen, sowie für Aushilfe zur Säuglingsernährung und Gewährung von Hauspflege. Diesen Forderungen liegt die Anschauung zugrunde, dass der Mutterschutz nicht nur um der Mutter, sondern ebensosehr auch um der Säuglinge willen notwendig sei und dass die erschreckend hohe Säuglingssterblichkeit und eine drohende Degeneration der Bevölkerung nur mittels einer Ergänzung des Mutterschutzes durch weitgehende Säuglingsfürsorge wirksam bekämpft werden könne.
Diesen Forderungen hat die Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911 lediglich im Hinblick auf die Kostenfrage, nur in bescheidenem Masse Rechnung getragen. Abgesehen von der Ausdehnung der allgemeinen Krankenversicherungspflicht auf alle, auch die landwirtschaftlichen Arbeiter, Gehilfen und Dienstboten sowie Hausgewerbetreibenden und, soweit das Einkommen 2500 M. nicht überschreitet, auch Handlungsgehilfen, Bühnen- und Orchestermitglieder, Lehrer und Erzieher, ist nur die Gewährung des obligatorischen Wochengeldes an weibliche Kassenmitglieder [114] auf 8 Wochen (statt auf 6), erstreckt worden, von denen mindestens 6 auf die Zeit nach der Niederkunft fallen müssen, so dass das Wochengeld ausser der Wöchnerinnenunterstützung eventuell eine mässige Schwangerenunterstützung umfasst. Den neugeschaffenen Landkrankenkassen, welche vorzugsweise Landarbeiter und Dienstboten umfassen, ist sogar gestattet worden, den Bezug des Wochengeldes zeitlich weiter zu beschränken, bis herunter auf 4 Wochen.
Das Wochengeld wird nach wie vor in der Höhe des Krankengeldes, nicht des vollen Lohnes, gewährt unter Ausschluss weiteren Krankengeldes. Mit Zustimmung der Wöchnerin kann an Stelle des Wochengeldes Kur und Verpflegung in einem Wöchnerinnenheim treten, auch Hilfe und Wartung durch Hauspflegerinnen, doch muss in letzterem Falle der Wöchnerin mindestens die Hälfte des Wochengeldes belassen werden. Ein Anspruch auf obligatorische Gewährung von Hebammendiensten und ärztlicher Geburtshilfe ist den Wöchnerinnen nicht eingeräumt, doch können die einzelnen Kassen freiwillig durch ihre Satzung solche Leistungen, soweit sie bei der Niederkunft erforderlich werden, den versicherungspflichtigen Ehefrauen oder selbst allen weiblichen Versicherungspflichtigen, somit auch den unehelich Gebärenden, zubilligen.
Neben dem Wochengelde ist eine weitergehende Schwangerenunterstützung eingeräumt, doch auch sie nur als fakultative, nicht als obligatorische Kassenleistung. Sie besteht in einem Schwangerengelde in Höhe des Krankengeldes bis zur Gesamtdauer von 6 Wochen, das, eventuell unter Einrechnung des vor der Niederkunft gezahlten Wochengeldes, denjenigen zusteht, die infolge der Schwangerschaft arbeitsunfähig werden. Desgleichen können die Kassen durch Satzungsbestimmung Schwangeren Hebammendienste und ärztliche Behandlung, die bei Schwangerschaftsbeschwerden erforderlich werden, zubilligen. Gewährung von Stillgeldern ist bis zum Ablauf der zwölften Woche nach der Niederkunft zulässig, nur dürfen sie den Betrag des halben Krankengeldes nicht übersteigen. Anspruch auf Wochenhilfe und Stillgeld dürfen die Kassensatzungen auch den versicherungsfreien Ehefrauen der Versicherten einräumen, nicht aber im Falle der Niederkunft die erforderlichen Hebammendienste und etwaige Geburtshilfe.
Da nach den bisherigen Erfahrungen die Krankenkassen von der Befugnis zur Ausdehnung der Mutterschaftsversicherung voraussichtlich nicht in wesentlichem Umfange Gebrauch machen werden und da überdies auch in Zukunft immer noch zahlreiche bedürftige Mütter der Krankenversicherungspflicht entrückt bleiben, so eröffnet sich den privaten, auf Selbsthilfe beruhenden Mutterschaftskassen ein reiches Feld der Betätigung. Die erste Anstalt dieser Art bildet die mutualité maternelle, die, auf Anregung Jules Simon’s von dem französischen Industriellen Felix Poussineau in Paris gegründet, im Jahr 1909 nicht weniger als 50 000 Versicherte in etwa 150 Tochtergesellschaften umfasste und der es gelang, die Kindersterblichkeit auf 3 Prozent herabzusetzen. Nach diesem Vorbilde wurde die erste deutsche Mutterschaftskasse im Jahr 1909 mit Hilfe öffentlicher und privater Unterstützungen in Karlsruhe errichtet. Gegen einen mässigen Monatsbeitrag gibt sie den am Ort lebenden Frauen und Mädchen, soweit ihr eigenes oder Familieneinkommen 3000 M. nicht übersteigt, nach einjähriger Karenzzeit ein Anrecht auf Wöchnerinnenunterstützung wie auf Stillprämien. Erst vereinzelt sind andere Städte dem Beispiele gefolgt. Die Karlsruher Kasse war eine Schöpfung der dortigen Propagandagesellschaft für Mutterschaftsversicherung, deren Endzweck die Erringung einer alle Bedürftigen umfassenden staatlichen Schwangeren- und Wöchnerinnenunterstützung bildet.
Die grosse Bedeutung, welche einer umfassenden Mutterschaftsversicherung wie eines verstärkten Mutter- und eines hiermit eng zusammenhängenden Säuglingsschutzes überhaupt nicht nur im Hinblick auf die unmittelbar Beteiligten, sondern auch für das Gemeinwohl zukommt, ist unverkennbar. Während in den Jahren 1907, bezw. 1906 bezw. 1905 die Säuglingssterblichkeit in Italien 16,1 Proz., in Frankreich 14,3 Proz., in England 11,8 Proz., in Schottland 11,5 Proz., in Dänemark 10,9 Proz., in Schweden 8,1 Proz. und in Norwegen sogar nur 6,9 Proz. betrug, erreichte sie 1907 in Deutschland die hohe Rate von 17,6 Proz., die nur von Österreich mit 23,1 Proz. und von Russland mit 27,2 Proz. übertroffen wird. Eine wesentliche Herabdrückung dieser Sterblichkeitsziffer, zugleich auch eine stärkere Verminderung der Frauenleiden, ist zum Teil durch die Möglichkeit bedingt, den Arbeiterfrauen grösseren Schutz und bessere Pflege während der Schwangerschaft zu verschaffen. Ein Arbeiten bis kurz vor der Niederkunft hat nach ärztlichem [115] Urteil in zahllosen Fällen Verlagerungen der Organe, gesteigerte Schwangerschaftsbeschwerden und vor allen Dingen eine verfrühte Geburt zur Folge. Kinder von Müttern, welche bis kurz vor der Niederkunft arbeiten mussten, kommen mit leichteren Gewicht zur Welt. Die Statistik der Leipziger Ortskrankenkasse ergibt, dass bei den weiblichen Pflichtmitgliedern Früh- und Fehlgeburten siebenmal so häufig vorkommen, als bei den freiwilligen Mitgliedern, d. h. bei denen, die längere Zeit vor der Niederkunft aus der Kassenpflicht ausscheiden, sich also aus dem Erwerbsverhältnis zurückziehen konnten. Bei einzelnen Berufsarten ist das Zahlenverhältnis noch weit ungünstiger.
Mit zunehmender Länge der Stillzeit verringert sich die Säuglingssterblichkeit. In den unmittelbaren Städten Bayerns fand sich nach Mayet bei einer durchschnittlichen Stillzeit von nur 27 Tagen eine Säuglingssterblichkeit von 30 bis 40 Proz. und darüber. Einer durchschnittlichen Stilldauer von 2 Monaten und 24 Tagen entsprach eine Sterblichkeit von 20 bis 30 Proz. und bei einer Stilldauer von 3½ Monaten und mehr ergab sich die niedrigste Sterblichkeit von 10 bis 20 Proz. Mit der Anerkennung dieser Tatsachen ist aber noch keineswegs die Frage entschieden, ob das Reich es hätte rechtfertigen können die Krankenkassen, deren Beiträge zu zwei Drittel von der Arbeiterschaft aufgebracht werden, und denen das Reich selbst keine Zuschüsse gewährt, allgemein mit der Verpflichtung zu einer so ausgedehnten Mutterschaftsversicherung, wie sie vielfach gefordert wird, zu belasten statt, wie geschehen, die Einrichtung einer weitergehenden Mutterschaftsversicherung ihren eigenen Entschlüssen zu überlassen. Würden sich doch die Kosten einer staatlich durchgeführten Mutterschaftsversicherung für das Deutsche Reich nach angestellten Berechnungen auf nicht weniger als etwa 135 Mill. M. im Jahre belaufen.
Die Mutterschutzbestrebungen erschöpfen sich indessen nicht mit der Mutterschaftsversicherung. Sie richten sich weiter auf den Ausbau der Arbeiterschutzgesetzgebung mit Rücksicht auf stillende Frauen, auf die Gewährung von Stillpausen und Einrichtung von Stillstuben in jeder Fabrik. Insbesondere suchen sie die Lage der unehelichen Mütter zu verbessern, welche teilweise in höherem Masse der Hilfe bedürfen, als in den unteren Klassen die Ehefrauen. Ausser der notwendigen Pflege für sich und ihre Kinder bedürfen sie oft vor allem einer Unterkunft, wo die eigene Familie ihnen eine solche nicht bietet. Überdies gilt es ihre Rechtslage zu bessern, ihre Alimentationsansprüche gerechter und wirksamer zu gestalten, auch ihnen behilflich zu sein bei der Geltendmachung ihrer Ansprüche. Im Zusammenhang hiermit ist der Bund für Mutterschutz bestrebt, die Lage der unehelichen Kinder günstiger zu gestalten durch erbrechtliche Gleichstellung mit den ehelichen, fachmännische Ausgestaltung der Fürsorge- und Zwangserziehung, allgemeine Einführung der Berufsvormundschaft für uneheliche Kinder usw. Die hiermit erstrebten humanitären Ziele, deren Verwirklichung ohnehin mit grossen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, werden indessen schwerlich gefördert, wenn, wie vereinzelt geschehen, die auf die Verbesserung der Lage der unehelichen Mütter und Kinder gerichteten Schritte in der Absicht unternommen werden, eine neue Sozialethik anzubahnen, d. h. die legale Institution der Ehe und der auf ihr gegründeten Familie zu gunsten freierer Liebesverhältnisse systematisch zu erschüttern.
III. Ehe- und Ehegüterrecht des B. G. B. und seine Fortschritte gegenüber dem früheren Recht (bezw. Reform des Ehe- und Ehegüterrechts).
BearbeitenIn der allgemeinen Rechtsstellung der Frau hat das B.G.B. keine durchgreifenden Änderungen bewirkt. Der unverheirateten Frau, ledig oder verwitwet, war schon vorher durch die Entwicklung des Privatrechts fast völlige Gleichberechtigung mit dem Manne eingeräumt. Neu war nur die unbeschränkte Zulassung auch der unverheirateten Frauen zur Vormundschaft. Ausserdem erhielten alle Frauen, verheiratete wie unverheiratete, das Recht, als Zeugen bei der Eheschliessung und bei Testamentsaufnahmen zu fungieren.
Bedeutungsvoller waren die Verbesserungen, welche die Rechtsstellung der Frau in der Ehe erfuhr. Im allgemeinen wurde auch für die verheirateten Frauen der Grundsatz der Gleichberechtigung strenger durchgeführt und nur soweit hiervon abgewichen, als es durch das Wesen der [116] Ehe durchaus geboten erschien. Beseitigt wurde die eheliche Vormundschaft oder die eheliche Gewalt des Mannes und auch der verheirateten Frau vollkommene Geschäftsfähigkeit zuerkannt. Nur kann, wenn die Frau sich zu einer von ihr in Person zu bewirkenden Leistung verpflichtet hat, durch welche die ehelichen Interessen beeinträchtigt werden, das Vormundschaftsgericht den Mann zur Auflösung des Vertrages ermächtigen, doch ist die Frau gegen den Missbrauch dieses ehemännlichen Rechts geschützt. Ausserdem bleibt die Frau bei Übernahme einer Vormundschaft an die Zustimmung des Mannes gebunden.
Die Verpflichtung zur ehelichen Gemeinschaft besteht gleichermassen für beide Teile. Hingegen steht in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten dem Manne die Entscheidung zu, insbesondere bestimmt er Wohnort und Wohnung, nur missbräuchliche Ausübung des ehemännlichen Entscheidungsrechts entbindet die Frau von der Pflicht der Folgeleistung.
Zur Leitung des Hauswesens ist die Frau berechtigt wie verpflichtet, zu Arbeiten im Hauswesen nur verpflichtet, soweit eine solche Tätigkeit nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten üblich ist. Ihrem Rechte zur Leitung des Hauswesens entsprechend steht der Frau die sogenannte Schlüsselgewalt zu. Kraft dieser ist die Frau berechtigt, innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises die Geschäfte des Mannes für ihn zu besorgen und ihn zu vertreten.
Die Frau hat ihrem Manne gegenüber Anspruch auf standesgemässen Unterhalt. Umgekehrt schuldet die Frau dem Manne den standesgemässen Unterhalt nur, wenn er ausserstande ist sich selbst zu unterhalten.
Als eine besonders wertvolle Errungenschaft erscheint die im B.G.B. erfolgte einheitliche Regelung des ehelichen Güterrechts, weil bis dahin auf keinem anderen Rechtsgebiete eine gleich grosse Mannigfaltigkeit der Rechtsbildung herrschte, als auf diesem. Als allgemeiner gesetzlicher Güterstand wurde dasjenige System gewählt, welches ohnehin schon in dem weitaus grösstem Teile Deutschlands Geltung hatte, die Verwaltungsgemeinschaft. Sie schien auch dem Wesen der Ehe und der vorherrschenden Auffassung von ihr am besten zu entsprechen. Die Verwaltungsgemeinschaft gilt überall, wo sie nicht durch Vertrag ausdrücklich ausgeschlossen wird. Dadurch, dass es den Eheleuten frei steht, vertragsmässig einen anderen Güterstand zu begründen, wird abweichenden Anschauungen und Gewohnheiten ausreichend Rechnung getragen. Als vertragsmässige Gütersysteme erscheinen neben dem gesetzlichen Güterrecht der Verwaltungsgemeinschaft im B.G.B. die allgemeine Gütergemeinschaft, die Errungenschaftsgemeinschaft und die Fahrnissgemeinschaft. Auch kann die Gütertrennung vertragsmässig begründet werden. Wird eine Ehe einem von den genannten Systemen schlechtweg unterstellt, so gelten diejenigen Vorschriften, in welchen das B.G.B. ihren Inhalt regelt. Individuelle Regelung der Güterverhältnisse ist im übrigen nicht ausgeschlossen.
Bei der Verwaltungsgemeinschaft bleibt das von der Frau eingebrachte Vermögen ihr Sondergut, doch gebührt dem Manne Verwaltung und Nutzniessung. Fällt sonach der Ertrag des Frauenvermögens dem Manne zu, so hat dieser dafür die ehelichen Lasten allein zu tragen. Zum eingebrachten Gute gehört auch das Vermögen, das die Frau während der Ehe erwirbt.
Die Verwaltung und Nutzniessung des Mannes erstreckt sich indessen nicht auf das Vorbehaltsgut der Frau. Zu diesem Vorbehaltsgut, über das der Frau das unbeschränkte Verfügungsrecht verbleibt wie bei Gütertrennung, gehören nicht nur die ausschliesslich zum persönlichen Gebrauche der Frau bestimmten Sachen, insbesondere Kleider, Schmucksachen, und Arbeitsgeräte, sondern vor allem ist Vorbehaltsgut auch alles was die Frau durch ihre Arbeit oder durch den selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäftes erwirbt, ferner aller Erwerb von Todeswegen und aller Erwerb aus Schenkungen, wenn der Erblasser oder der Schenkende bestimmt hat, dass der Erwerb Vorbehaltsgut sein soll. Auch können darüber hinaus durch Ehevertrag beliebige Vermögensteile für Vorbehaltsgut erklärt werden. Aus diesem hat die Frau zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes nur insoweit beizutragen, als der Mann nicht schon durch die Nutzungen des eingebrachten Gutes einen angemessenen Beitrag erhält. Der Bestand des eingebrachten Gutes ist auf Verlangen eines der Ehegatten durch ein aufzunehmendes Verzeichnis festzustellen.
Das Verwaltungsrecht des Mannes ist kein unbeschränktes. Denn er ist nicht berechtigt, durch Rechtsgeschäfte die Frau zu verpflichten und können daher Verfügungen über die Sache [117] selbst, z. B. Verkauf und Verpfändung, in der Regel nur von beiden Eheleuten gemeinsam bewirkt werden.
Erscheint das eingebrachte Gut durch das Verhalten des Mannes erheblich gefährdet, so kann die Frau Sicherheitsleistung verlangen, eventuell sogar vollständige Aufhebung der Verwaltung und Nutzniessung. Insbesondere kann sie Aufhebungsklage erheben, wenn der Unterhalt von Frau und Kindern erheblich gefährdet ist, wenn der Mann entmündigt ist, sowie in einigen anderen Fällen. Für den aus schlechter Verwaltung entstehenden Schaden haftet der Mann der Frau.
Allerdings sind bei Gefährdung des Frauenvermögens die Sicherungsmittel nur wirksam, wenn die Frau sie rechtzeitig benutzt. Immerhin erscheint die Frau hier besser geschützt als bei Gütergemeinschaft, auch besser als bei allgemeiner Gütertrennung, wenn sie, wie in diesem Fall meist üblich, dem Manne Generalvollmacht erteilt.
Im System der allgemeinen Gütergemeinschaft wird das Vermögen beider Ehegatten, das vorhandene, wie das später erworbene, zu einem Gesamtgute verbunden. Dieses Gesamtgut steht in der Verwaltung des Mannes, der über dasselbe zu verfügen hat und aus ihm die ehelichen Lasten bestreitet. Nach dem Tode des einen Ehegatten fällt dem überlebenden die Hälfte des Gesamtgutes zu.
Die Fahrnissgemeinschaft erfasst nur das bewegliche Vermögen, das Gesamtgut wird. Das unbewegliche Vermögen bleibt Sondergut. Das Verwaltungsrecht des Mannes erstreckt sich hier auch auf das Sondergut, dessen Früchte ebenfalls Gesamtgut werden. Die Teilung des Gesamtgutes erfolgt im Todesfalle in derselben Weise wie bei der allgemeinen Gütergemeinschaft.
Bei der Errungenschaftsgemeinschaft bleibt das Vermögen, welches die Ehegatten bei Eingehung der Ehe besitzen oder während der Ehe durch Erbschaft oder Schenkung erwerben, gesondert. Gemeinsamer Besitz werden nur die Früchte dieses Sonderguts, sowie alles, was die Ehegatten in anderer Weise als durch Erbschaft oder Schenkung während der Ehe erwerben.
Bei Gütertrennung endlich bleibt alles Vermögen Sondergut. Zwar hat auch hier der Mann den ehelichen Aufwand zu tragen, doch ist die Frau verpflichtet, dem Manne aus den Einkünften ihres Vermögens und ihrem persönlichen Lohn- oder Erwerbsverdienste einen angemessenen Beitrag zu leisten. Erscheint der Unterhalt von Frau und Kindern erheblich gefährdet, so ist die Frau berechtigt, von ihrem Beitrage das zum Unterhalt Erforderliche zurückzubehalten Überlässt die Frau ihr Vermögen ganz oder teilweise der Verwaltung des Mannes, so kann dieser die Einkünfte nach freiem Ermessen verwenden, falls die Frau nicht abweichende Bestimmungen getroffen hat.
Die Verwaltungsgemeinschaft enthält in der Art, wie sie im B.G.B. geordnet wurde, insofern eine Härte, als sie der Frau beim Tode des Mannes keinen Anspruch auf das während der Ehe gemeinsam Errungene verleiht. Gerechter verfährt das neue schweizerische Zivilgesetzbuch, welches in solchem Falle der Frau ein Drittel des sogenannten Vorschlages zuspricht, d. h. des Überschusses, welcher sich nach Ausscheidung des Mannes- und Frauengutes ergibt. Auch bei Scheidung der Ehe weist die deutsche Verwaltungsgemeinschaft im Unterschied zum schweizerischen Zivilrecht die gesamte Errungenschaft dem Manne zu, selbst dann, wenn er der schuldige Teil ist, während die Frau nur insoweit einen Anspruch auf standesgemässen Unterhalt hat, als sie ihn nicht aus dem Ertrag ihres Vermögens oder ihrer Arbeit zu bestreiten vermag. Ist die Frau auch nur mitschuldig, so entfällt auch dieser Anspruch.
Eine wesentliche Verbesserung hat die vermögensrechtliche Stellung der Witwe erfahren, welche früher zum Teil eine überaus ungünstige war. Mit zunehmender Entfernung des Verwandtschaftsgrades der übrigen Miterben steigt die Grösse des Witwenanteils. Er beträgt mindestens ein Viertel, im günstigsten Falle erbt die Witwe allein. Diese Art der Regelung erfolgte im Anschluss an das preussische und das sächsische Recht. Sofern die Witwe nicht zusammen mit Kindern erbt, erhält sie sogar das Haushaltsinventar als Voraus. Die gleichen Erbrechte geniesst der Mann, wenn er die Frau überlebt.
Auch in den übrigen familienrechtlichen Bestimmungen hat das B.G.B. die Frau im allgemeinen dem Manne gleichgestellt, soweit nicht die innere Natur der Familienverhältnisse das zu verbieten schien. So wird die väterliche Gewalt der früheren Zeit ersetzt durch die elterliche und bedeutet die Art, wie diese letztere geregelt ist, einen wesentlichen Fortschritt in der Entwicklung [118] der Mutterrechte. So lange der Vater lebt, wird zwar die elterliche Gewalt von ihm allein ausgeübt und nimmt die Mutter lediglich an dem Recht und der Pflicht für das Kind zu sorgen teil, mit der Beschränkung, dass bei Meinungsverschiedenheiten der Vater entscheidet. Stirbt jedoch der Vater, so geht die Ausübung der elterlichen Gewalt zugleich mit der Nutzniessung am Vermögen des Kindes auf die Mutter über, wenn auch auf letztwillige Verfügung des verstorbenen Mannes hin ihr ein Beistand bestellt werden kann. Im Unterschied von dem früheren gemeinen Recht und den auf ihm beruhenden Gesetzen, welche keine der väterlichen grundsätzlich gleichstehende mütterliche Gewalt kannte, ist hier der Grundsatz der vollen Handlungsfähigkeit der Frauen zur konsequenten Durchführung gebracht.
In einigen Fällen bleibt die Stellung der Frau auch jetzt noch ungünstiger als die des Mannes. So ist der geschiedenen Frau, selbst wenn ihr die Erziehung der Kinder anheimfällt, das Recht der Vertretung und der Vermögensverwaltung versagt, während der Vater im gleichen Falle die vollen Elternrechte geniesst. Völlig ausgeschlossen von der elterlichen Gewalt ist die uneheliche Mutter. Höchstens kann ihr die Vormundschaft über ihr Kind übertragen werden. Die Verpflichtung des Vaters zum Unterhalte seines unehelichen Kindes endet schon, wenn das letztere das 16. Lebensjahr erreicht, es sei denn, dass das Kind in diesem Zeitpunkte infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen ausser Stande sei, sich selbst zu unterhalten. Erscheint hier die Unterhaltspflicht des Vaters zu eng begrenzt, so ist andererseits insofern die Lage der unehelichen Mutter wesentlich gebessert, als im Gegensatz zur früheren Zeit alle aus dem persönlichen Verhalten der Mutter abgeleiteten Einreden gegen die Ansprüche der Mutter und gegen die Alimentenforderungen des Kindes beseitigt sind.
Erheblich günstiger als das B.G.B. hat das schweizerische Zivilgesetzbuch die uneheliche Mutter und das uneheliche Kind gestellt. Hier kann in bestimmten Fällen der Mutter, abgesehen von der Schadloshaltung, eine Geldsumme als Genugtuung zuerkannt und unter den gleichen Voraussetzungen das Kind dem Vater mit Standesfolge zugesprochen werden. Erst mit der Vollendung des 18. Lebensjahres endet in der Regel die Alimentationspflicht und ist die Vormundschaftsbehörde berechtigt, das Kind unter die elterliche Gewalt der Mutter zu stellen.
Aber mögen auch nicht alle berechtigten Frauenwünsche im B.G.B. erfüllt erscheinen, so ist doch alles, was es etwa in dieser Beziehung vermissen lässt, von untergeordneter Bedeutung gegenüber der grossen Verbesserung, welche die Rechtsstellung der Frauen durch dasselbe erfahren hat. In allem wesentlichen dürfte die erfolgte Regelung der Frauenrechte durchaus den Anforderungen und Bedürfnissen der modernen Zeit entsprechen.
- ↑ Davon 134 700 im industriellen Hausgewerbe.