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Autor: Georg Kerschensteiner
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Titel: Die Volksschule
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aus: Handbuch der Politik Dritter Band: Die Aufgaben der Politik, Fünfzehntes Hauptstück: Bildung, 78. Abschnitt, S. 119−126
Herausgeber: Paul Laban, Adolf Wach, Adolf Wagner, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Georg von Schanz, Fritz Berolzheimer
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Dr. Walther Rothschild
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Erscheinungsort: Berlin und Leipzig
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[119]
Fünfzehntes Hauptstück.


Bildung.




78. Abschnitt.


Die Volksschule.
Von
Kgl. Oberstudienrat Dr. Georg Kerschensteiner, M. d. R., München.


Literatur: Bearbeiten

W. Lexis, „Das Unterrichtswesen im deutschen Reich“, Bd. III, Berlin, Asher & Co. 1904.
Sendler & Kobel, „Übersichtliche Darstellung des Volkserziehungswesens der europäischen und aussereuropäischen Kulturvölker“, 2 Bde., 1900, Breslau. Max Woywood.
I. Tews, Artikel über Unterrichtsgesetzgebung, Unterrichtsstatistik, Volksschule, Vorschule, im IX. Band des Enzyklopädischen Handbuches der Pädagogik von W. Rein, 2. Auflage 1909, Langensalza, Verlag Beyer & Söhne. – (Hier auch der Artikel von W. Rein selbst über „Die allgemeine Volksschule“, sowie reichliche Literaturangaben.)
Dr. Rudolf von Gneist, „Die staatsrechtlichen Fragen des preussischen Volksschulgesetzes“, Berlin, 1892, Rudolf Springer.
Dr. Rudolf von Gneist, „Die Selbstverwaltung der Volksschule“, Berlin 1869, Julius Springer.
A. Petersilie, „Das öffentliche Unterrichtswesen im deutschen Reiche und den übrigen europäischen Kulturländern“, Leipzig 1897.
Dr. Georg Kerschensteiner, „Grundfragen der Schulorganisation“, 3. Aufl. B. G. Teubner, Leipzig.
Dr. Georg Kerschensteiner, „Die staatsbürgerliche Erziehung der deutschen Jugend“, 5. Aufl. Carl Villaret, Erfurt.
Dr. Georg Kerschensteiner, „Begriff der staatsbürgerlichen Erziehung“, 2. Aufl. B. G. Teubner, Leipzig.
K. Schneider & H. von Bremen, „Das Volksschulwesen im preussischen Staate in systematischer Zusammenstellung der auf seine innere Einrichtung und seine Rechtsverhältnisse sowie auf seine Leitung und Beaufsichtigung bezüglichen Gesetze und Verordnungen“, 3 Bde. Berlin 1887.
E. von Bremen, „Die preussische Volksschule“, Berlin 1905.
Engelmann-Stingl, „Handbuch des bayerischen Volksschulrechtes“, Lindauer, München, 1905 5. Aufl.
K. A. Kopp, „Die badische Volksschulgesetzgebung“, Karlsruhe, J. Lang 1898.
Ernst Schütz & Karl Hepp, „Die Württembergische Volksschulgesetzgebung“, Stuttgart 1909. Hess.
O. E. Walter, „Das sächsische Volksschulrecht“, Dresden 1891.

[120]

Sammlung landesherrlicher Verordnungen im Herzogtum Sachsen-Meiningen, (Nr. 5), Volksschulgesetz vom 3. Januar 1908.
Heinrich von Treitschke, „Der Entwurf des preussischen Volksschulgesetzes“, Stuttgart 1892, Cotta.
Der Zerstörungsgeist der staatlichen Volksschule, Mainz, Franz Kirchheim 1897.
V. Rintelen, „Das Verhältnis der Volksschule Preussens zu Staat und Kirche“, Paderborn 1888.
H. Rosin, Geschichte des preussischen Unterrichtsgesetzes von L. Clausnitzer, Hamburg 1908, 4. Aufl.
Dr. Theob. Ziegler, „Die Simultanschule“ (Pädagogische Zeit- und Streitfragen 1. Heft), Berlin 1905.
M. Neefe, Statistisches Jahrbuch der deutschen Städte, Breslau 1910. Kapitel XXX, Professor H. Schöbel, „Unterrichtswesen“.

Die Rechtsverhältnisse wie die Organisation der heutigen Volksschule sind viel weniger das Ergebnis planmässiger Konstruktion als das einer jahrhundertlangen Entwicklung. Hatte ursprünglich die Kirche ein Interesse, ihre Gläubigen in den Lehren ihrer Religion zu unterrichten, so entstanden mit dem Aufblühen der Städte im 12. und 13. Jahrhundert sowohl in Deutschland als in den Niederlanden neben den alten Kloster- und Domschulen städtische Lateinschulen. Bald entwickelten sich dann auch in allen Städten sogenannte deutsche Schulen für Lesen, Schreiben und Rechnen; auf dem Lande dagegen stand es um den Elementarunterricht in der Muttersprache bis zur Reformation wenig günstig, wenn auch die Existenz von Dorfschulen nicht bezweifelt werden kann. Die Dorfschulen waren jedenfalls meist Pfarrschulen und suchten hauptsächlich Kleriker und Sänger für den Kirchendienst auszubilden. Von einem allgemeinen Volksunterricht konnte aber selbst in der zweiten Hälfte des Mittelalters weder in den deutschen Städten noch auf dem Lande gesprochen werden. Erst mit dem Beginn des 18. Jahrhunderts erkennen die deutschen Fürsten den Volksschulunterricht als eine der Verwaltungsaufgaben ihrer Staaten an. Die Unterweisung des gesamten Volkes wird nun eine neue Aufgabe des Staates, indem eine Anzahl von deutschen Staaten, wie Hessen-Darmstadt, Sachsen-Gotha, Preussen unter Friedrich Wilhelm I. und insbesondere unter Friedrich II., drei von einander untrennbare neue wesentliche Grundsätze für die Schulpolitik aufstellen: den Schulzwang, die Gleichberechtigung der Kirchen in den Schulen, die Übertragung der Schullast auf die weltlichen Gemeinden.

Der Schulzwang vollzog sich begreiflicherweise unter wachsendem Widerspruch der kirchlichen Gewalten. Selbstverständlich war, dass ein Staat, welcher Schulzwang, Parität und Gemeindeschullast einführte, auch die Verpflichtung und das Recht übernommen hatte, sowohl die Schulaufsicht selbst zu üben, als auch insbesondere für die Ausbildung von Lehrern aus dem Laienstande zu sorgen, die befähigt waren, wenigstens in allen weltlichen Unterrichtsgegenständen einen Unterricht zu erteilen, an dem die Kinder verschiedener Konfessionen teilnehmen konnten. Der immer grössere Widerspruch der Kirche kann daher nicht befremden. Auf römisch-katholischer Seite ging man zuletzt so weit, das Recht der Hausväter gegen die Schulzwangtyrannei des Staates ins Feld zu führen; in der belgischen wie französischen Verfassung wurde im Jahre 1831 sogar ein grundsätzliches Verbot des Schulzwanges ausgesprochen.

Ebenso fand die Parität der verschiedenen Kirchen den heftigsten Widerstand. Denn wo vorher auf dem Lande Schulen gewesen waren, war nicht bloss das Schuleinkommen meistens ein Teil des Küstereinkommens, die Küsterwohnung meistens zugleich Schulhaus, sondern auch die Kirche hatte im wesentlichen die Herrschaft über diese Schulen und duldete in ihren Schulen keinen Andersgläubigen. Der Staat aber war nach und nach paritätisch geworden, und immer mehr wurde in den Verfassungen die allen Bürgern gewährte Freiheit der Religionsausübung zum Staatsgrundgesetz gemacht. In der vom Staate eingerichteten Schule konnten nicht die verschiedenen Konfessionen regieren; die Regierung der Schule musste in die Hand eines Einzigen übergehen, und dieser Einzige konnte naturgemäss nur der Staat sein. Allerdings konnte zu der Zeit, da die Volksschule entstanden, der Staat auch nicht daran denken, die Kirchen aus seinen neuen Zwangsschulen zu verdrängen; nicht nur das alte Recht bestand, das die Kirche für sich in bezug auf den Unterricht in den Lehren des Christentums beansprucht, sondern auch der Staat der Aufkläruugszeit hatte, so gerne er auch heute als ein atheistischer Staat dargestellt wird, das grösste Interesse an der religiösen Erziehung der Massen. So musste er dem Religionsunterricht der Kirchen den Besitzstand [121] wahren. „Die höhere Staatsgewalt, die sich im 18. Jahrhundert in umfangreichen Schulordnungen äusserte, konnte die kirchliche Souveränität nicht depositieren, wohl aber mediatisieren.“ (Rudolf von Gneist.)

In der Übertragung der Schullast auf die Gemeinden haben wir es gleichfalls mit einer historischen Notwendigkeit zu tun. Als in Deutschland die einzelnen Staaten zum Schulzwange übergingen, waren sie infolge des dreissigjährigen Krieges und insbesondere Preussen auch infolge des siebenjährigen Krieges blutarme Staaten. Man musste die Mittel aufbringen, wo und wie es ging. Die alten Küsterwohnungen wurden als Schulräume beibehalten, die altgewohnten Naturalabgaben, Hand- und Spanndienste konnten auch diesem Zwecke zugeführt werden, Gutsherrschaften konnten zu kleinen Beiträgen angehalten werden, bescheidene Schulgelder mussten helfen und so wurden die Kommunen Träger der Ausgaben. „Zu den alten Pflichten des Kommunalverbandes (Polizeilast, Wegelast, Armenlast) tritt nunmehr auch die Schullast.“

Aus dieser historischen Entwicklung heraus und nur aus dieser, ist der Stand des Volksschulwesens in Deutschland heute verständlich. Vor allem ist es begreiflich, dass nur wenige deutsche Staaten, und vor allem nicht die grösseren Staaten, wie Preussen und Bayern, vollendete Schulgesetze haben. Denn dieser Schulgesetzgebung stehen heute noch in grossen, paritätisch stark gemischten Staaten schwere Hindernisse entgegen, von denen nicht bloss die grossen Ansprüche, welche die Kirchen auf den Einfluss des Schulregimentes machen und die Schwierigkeit der Beschaffung der Geldmittel für ein gut ausgebautes Volksschulsystem hervorzuheben sind, sondern vor allem auch die politischen Parteibildungen und die ungenügende Klärung der Vorstellungen von dem Umfange, den Zwecken und den Aufgaben der Volksschule selbst. Im allgemeinen helfen sich die meisten Staaten mit beweglichen Verordnungen und verzichten auf die Form von Verwaltungsgesetzen, da ja ersichtlich der Boden für solche, namentlich auf kirchenpolitischem Gebiete, noch nicht bereitet ist. Einzelne Staaten haben sich auch damit geholfen, dass sie Gesetzesentwürfe, welche die äusseren Verhältnisse der Volksschule regeln, in Angriff genommen haben und auf jene vorläufig verzichten, welche die schwierige Materie der inneren Verhältnisse behandeln.

In den grösseren deutschen Staaten sind für das Volksschulunterrichtswesen folgende Bestimmungen massgebend:

In Preussen, abgesehen von dem General-Landschul-Reglement Friedrich d. Gr. von 1763, das allgemeine Landrecht von 1794, von dem einzelne Bestimmungen durch das Schulaufsichtsgesetz von 1872 und das Schulunterhaltungsgesetz von 1906 ersetzt wurden; weiterhin die Artikel 20–26 der preussischen Verfassungsurkunde von 1850 und eine Anzahl spezieller Regulative und Schulordnungen für ältere oder auch später einverleibte Provinzen. In Bayern ist vor allem Massgebend das Schulbedarfsgesetz von 1902, die Schulpflichtsverordnung vom Jahre 1903 mit Ergänzungen vom Jahre 1907 und die Verordnung vom Jahre 1905 über Gründung, Leitung und Beaufsichtigung von Erziehungs- und Unterrichtsanstalten. Für Sachsen ist massgebend das Volksschulgesetz von 1875. Dieser Staat bereitet gegenwärtig einen neuen Entwurf vor. Für Württemberg gilt das neue Volksschulgesetz vom Jahre 1909, für Baden das Volksschulgesetz von 1868, das allerdings später durch eine Reihe von gesetzgeberischen Massnahmen abgeändert und ergänzt wurde. Am 18. Juni 1910 haben die Kammern den Entwurf eines neuen Schulgesetzes angenommen. Das hessische Volksschulgesetz wurde 1874 erlassen. Von den kleineren Staaten ist insbesondere das neue Volksschulgesetz des Herzogtums Sachsen-Meiningen von Bedeutung, das im Jahre 1908 erlassen wurde, und ebenso das Schulgesetz, welches das altenburgische Schulwesen regelt, vom April 1889. Von den deutschen Staaten sind die beiden Mecklenburg die einzigen, welche keine Materie durch irgend ein Schulgesetz geregelt haben.

Die wesentlichen Angelegenheiten, welche durch diese Gesetze teils in ihrer Gesamtheit, teils einzeln behandelt werden, sind die Fragen der Schulpflicht und der Klassenbildung, der Schulunterhaltungspflicht, der Schulaufsicht, der Konfessionalität, der Lehrerbildung und Lehrerbesoldung, der Aufgabe und des Lehrplanes der Schulen.

[122] Schulpflicht. Was die Schulpflicht betrifft, so ist sie in allen deutschen Staaten auf mindestens 7 Jahre ausgedehnt. Volle achtjährige Schulpflicht für beide Geschlechter haben Sachsen, Hessen und die drei Hansastädte. In Baden besteht sie nur für Knaben, in Bayern für einzelne grosse Städte, in Württemberg und Elsass-Lothringen nirgends. In Preussen liegen die Verhältnisse sehr verschieden. In der Provinz Schleswig-Holstein dauert die Schulpflicht sogar länger als 8 Jahre, in anderen Landesteilen gilt als Grundsatz, dass jedes Kind an dem Entlassungstermin aus der Schule entlassen wird, der der Vollendung seines 14. Lebensjahres folgt. Da aber in den meisten Schulen nur ein Aufnahmetermin, dagegen zwei Entlassungstermine zu Ostern und Michaeli stattfinden, so kommt es, dass (vgl. Statistisches Jahrbuch der deutschen Städte, Seite 679) ein nicht kleiner Prozentsatz der Kinder die Schule nur 7½ oder 7 Jahre besucht.

Klassenbildung. In den meisten Staaten, in Preussen, Bayern, Württemberg, Hessen, Braunschweig und in den Hansastädten, sowie in Elsass-Lothringen, ist die Pflichtschule nach dem Grundsatze der Ganztag-Schule ausgebaut, d. h. jede Klasse muss einen besonderen Klassenlehrer und ein besonderes Klassenzimmer haben. Anders liegen die Verhältnisse in Sachsen und Baden. Hier bilden Volksschulen, in denen für jede Klasse ein besonderer Lehrer und ein besonderes Klassenzimmer vorhanden sind, eine Ausnahme. (Vergl. Statistisches Jahrbuch der deutschen Städte, Seite 656.) Die eigentlichen Volksschulen in Sachsen und Baden sind meist reine Halbtag-Schulen, in denen zwei Klassen von einem Lehrer geführt werden. Doch sind in Staaten mit der billigen Halbtagschuleinrichtung die Klassenfrequenzen nicht unbedeutend kleiner als in den Staaten mit dem kostspieligen Betriebe der Ganztagschule. Aber es ist fraglich, ob die niedrigere Klassenfrequenz ein Ersatz ist für die Verkürzung der Gesamtschulzeit durch Halbtagsunterricht.

Als Normalzahl für die Besetzung der Klassen wird 50 (Hamburg, Lübeck, Waldeck), 50 bis 60 (Bremen), 60 (Sachsen-Meiningen), 70 (Preussen für mehrklassige Schulen), 80 (Preussen für einklassige Schulen, Bayern, Württemberg für Schulen mit 2 und mehr Lehrstellen) festgestellt. In diesem Punkt ist Deutschland hinter den anderen germanischen Staaten (Schweden, Norwegen, Dänemark, England, Vereinigte Staaten) ziemlich weit zurück. In den grossen Städten aller deutschen Staaten sinken allerdings die durchschnittlichen Klassenfrequenzen wesentlich unter diese Ziffern. So hatte beispielsweise Lübeck im Jahre 1910 eine durchschnittliche Schülerzahl von 41 pro Klasse, Charlottenburg von 42, Zwickau von 43, Augsburg von 45, München von 49.

Schulunterhaltungspflicht. In allen deutschen Staaten obliegt die Pflicht der Schulunterhaltung den politischen oder den besonders dazu gebildeten Schulgemeinden. Nur in Anhalt ist die Volksschule ausschliesslich eine Staatsanstalt. Schulgeld wird noch in vielen Landgemeinden erhoben. Es schwankt zwischen 2 und 10 Mk. im Jahre. Auch das Kirchenvermögen sowie örtliche Stiftungen werden neben einem besonderen Schulvermögen beigezogen. An einzelnen Orten, so besonders in einigen preussischen Provinzen, werden die Schulen noch von Standesherren unterhalten. Für die eigentlichen Volksschulen (im Gegensatz zu den in manchen Staaten vorhandenen gehobenen Volksschulen oder Mittelschulen) haben die meisten Städte auf das Schulgeld verzichtet. Was nicht durch die hier flüssig werdenden Mittel gedeckt werden kann, haben die Gemeinden aus ihrem Steuersoll zu bestreiten, soferne sie nicht durch Staatszuschüsse oder Zuschüsse der grösseren Kommunalverbände (Provinzen, Regierungsbezirke, Kreise, Distrikte) entlastet werden. Aus diesen Mitteln haben die Gemeinden zu bestreiten: Gehälter und teilweise auch Pensionen der Lehrkräfte, die Baukosten und den Unterhalt des Schulhauses, Beschaffung von Lehrmitteln und andere Schulbedürfnisse. Neuerdings macht sich mehr und mehr das Bestreben geltend, wenn nicht die ganze so doch einen grossen Teil der gemeindlichen Schullast der Staatskasse zuzuschieben. Aber es ist gar kein Zweifel, dass mit der Verringerung der Pflichten Schritt für Schritt auch die Verringerung der Rechte auf dem Schulgebiete für die Gemeinden Hand in Hand gehen würde. Das wäre kein Glück für die deutsche Volksschule. Denn gerade der Autonomie der Gemeinden, insbesondere der grossen Städte, verdankt Deutschland die Entwicklung seines blühenden Volksschulwesens. Der Zentralisation der Macht folgt mit psychischer Notwendigkeit die Uniformierung der Organisation. Sobald diese aber sich nicht mehr beschränkt auf die Regelung der äusseren Verhältnisse, sondern auch das innere [123] Leben der Volksschule ergreift, etwa die gesetzlichen Lehrpläne, „dann ist das Verfassungssystem des chinesischen Reiches auf dem Gebiete des Schulwesens nicht mehr fern.“

Die Schulaufsicht. Eine schwierige Materie für gesetzliche Regelung ist von jeher die Schulaufsicht gewesen. Denn gerade hier machen sich die kirchlichen Anschauungen am stärksten geltend. Die katholische Kirche leitet „aus dem prinzipalen, der Kirche kraft göttlichen Rechts zukommendem Recht auf christliche Erziehung der heranwachsenden Jugend direkt das akzessorische Recht ab, allen übrigen Unterricht der Jugend in massgebender Weise zu bestimmen und zu leiten“. (Hinschius, Kirchenrecht IV, 573.) Die Ansprüche der strenggläubigen evangelischen Kirche stehen nur wenig hinter den Ansprüchen der strenggläubigen katholischen Kirche. Um der kirchlichen Herrschaft über die Volkserziehung freie Bahn zu machen, hat in Belgien die katholische Kirche sogar ein verfassungsmässiges Verbot des Schulzwanges durchgesetzt. Wie Rudolf von Gneist ausführt, eröffnete auch Dr. Windthorst den Feldzug gegen das preussische Schulsystem sehr sachgemäss mit einem Probestoss gegen den Schulzwang. Und erst, als er sah, dass keine Aussicht auf einen Sieg vorhanden war, liess es der kluge Taktiker bei dem Probestoss bewenden und wählte den in der belgischen Praxis bewährten Seitenangriff vom Prinzip der Unterrichtsfreiheit (enseignement libre), das heisst der Freiheit von jeder staatlichen Bevormundung und Aufsicht. Indes ist im allgemeinen nach dem gegenwärtigen Stand der Schulgesetzgebung in Deutschland nur in der untersten Instanz, in der Ortschulaufsicht, die geistliche Schulaufsicht aufrecht erhalten, so in Preussen, Bayern, Sachsen, Oldenburg, Waldeck, Schwarzburg-Rudolstadt. Dagegen ist sie auch hier (wie in allen germanischen Staaten ohne Ausnahme) beseitigt in Baden, Hessen, Weimar, Gotha, Koburg, Meiningen, Altenburg, Anhalt, Reuss j. L., Hamburg, Lübeck, Bremen. Schulvorstandschaften kirchlich konfessionellen Charakters, nach Konfessionen getrennt, mit einem Geistlichen an der Spitze, sind in den meisten deutschen Staaten durch die neuere Schulgesetzgebung beseitigt worden. Häufig ist allerdings der Pfarrer Mit-Vorsitzender oder I. Vorsitzender des Schulvorstandes. In Preussen hat das Schulunterhaltungsgesetz von 1906 eine einheitliche Regelung für die kommunalen Schulbehörden gebracht. In Bayern sind die Hauptnormen für die Bildung von Ortsschulbehörden durch Verordnung von 1821 und Ministerialerlass von 1897 gegeben. In Württemberg sind, wo es notwendig ist, die Ortsschulbehörden konfessionell getrennt. In den meisten der kleineren Staaten führt der Bürgermeister den Vorsitz. Über den Ortsschulbehörden stehen die Kreis- oder Bezirksschulbehörden, über diesen die Landes- oder Regierungsbehörden und über allen die Unterrichtsverwaltung, das Ministerium. In allen diesen höheren Instanzen ist die staatliche Schulaufsicht in Deutschland nahezu vollkommen durchgeführt, wobei es aber z. B. das preussische Schulaufsichtsgesetz von 1872 den Regierungen überlässt, ob sie Geistliche, Verwaltungsbeamte oder Pädagogen mit der Funktion des staatlichen Schulinspektors betrauen wollen. In den meisten Staaten sind diese Kreisschulinspektoren hauptamtlich angestellt, so in Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Sachsen-Weimar, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Koburg-Gotha, Sachsen-Meiningen, Schaumburg-Lippe, Bremen, Hamburg, Lübeck. Eisass-Lothringen. In Preussen ist etwa ein Drittel der Kreisschulinspektoren hauptamtlich verwendet.

Konfessionalität. Den stärksten Streit der Meinungen hat aber in Deutschland die Frage der Konfessionalität der Volksschule entfacht. Vor 100 Jahren war diese Frage nicht entfernt so brennend als heute. War die Simultanschule auch nicht die ausgesprochene Norm in den meisten Staaten, so standen doch die Regierungen im wesentlichen inbezug auf die Konfessionalität der Schule auf einem neutralen Standpunkte. Nach dem heute noch geltenden preussischen Landrecht gab es in Preussen, wie Rudolf von Gneist klar beweist, bis zum Schulbedarfsgesetz von 1906 keine konfessionelle Schule, keine Simultanschule, keine konfessionslose Schule, keine interkonfessionelle Schule, sondern einfach „nur eine gemeinschaftliche Schule der weltlichen Gemeinden (mit Parallelklassen für den Religionsunterricht) unter geordneter Aufsicht der Staatsbehörden“. Die neueren Gesetze haben gerade in den beiden grössten Staaten Preussen und Bayern das konfessionelle Moment wieder stärker betont. Nur in kleineren Staaten ist die Simultanschule gesetzlich eingeführt, so in Baden, Hessen, Weimar, Meiningen. Eine besondere Eigentümlichkeit ist die nassauische Simultanschule des ehemaligen Herzogtums Nassau, die sich von der Simultanschule [124] der eben erwähnten kleinen Staaten dadurch unterscheidet, dass anstelle des konfessionell getrennten Religionsunterrichtes ein gemeinsamer allgemeiner Religionsunterricht eingeführt ist, an dem alle Schüler der drei christlichen Konfessionen teilnehmen. (Schuledikt von 1817.) Dieser für deutsche Verhältnisse interessante Ausnahmefall ist selbst in dem 1906 erlassenen Schulbedarfsgesetz Preussens nach § 42 nicht geändert worden. Sonst ist fast im ganzen Deutschen Reiche der konfessionelle Religionsunterricht ein obligatorischer Bestandteil des Lehrplanes der Volksschule und die Überwachung dieses Religionsunterrichtes ist auch an den Simultanschulen den einschlägigen kirchlichen Behörden übertragen. In vielen Bundesstaaten ist auch die Erteilung des Religionsunterrichtes den Geistlichen der betreffenden Kirchen zugestanden. Nur in Meiningen ist der Geistliche in der Unterrichts-Aufsicht durch das neue Gesetz ausgeschaltet. Dort steht die Aufsicht über den Religionsunterricht wie bei den übrigen Lehrgegenständen lediglich dem Kreisschulinspektor zu. So unterscheiden sich denn die deutschen Simultanschulen wesentlich von den französischen, englischen und nordamerikanischen, in welchen konfessioneller Religionsunterricht überhaupt ausgeschlossen ist. Die französischen haben an seine Stelle Moralunterricht gesetzt, in den englischen wird die Bibel gelesen, die amerikanischen haben religiöse Unterweisung ebenso wie systematischen Moralunterricht als besonderen Unterrichtsgegenstand aus ihren Schulen ganz ausgeschlossen. Und trotzdem ist namentlich das englische Volk eines der religiösesten Völker. In den Schulkämpfen von 1892 und 1906 ist unendlich viel für und wider die Simultanschule geschrieben worden. Selbst wenn man auf dem Standpunkt steht, dass der Staat das grösste Interesse hat an der religiösen Erziehung seines Volkes, dass auch die Veredelung der in den meisten Menschen vorhandenen religiösen Gefühle zu den wesentlichen Aufgaben der Volkserziehung gehört, dass weiter die sittliche Erziehung auf religiöser Grundlage im allgemeinen weit erfolgreicher ist als eine sittliche Erziehung auf Grund wissenschaftlicher Ethik, so lässt sich daraus durchaus nicht beweisen, dass die Konfessionsschule eine unbedingte Notwendigkeit ist. Diejenigen Bestandteile der positiven Religionen, welche in Wahrheit für die sittliche Erziehung ein ausgezeichnetes Mittel liefern, sind nahezu allen theistischen Religionen gemeinsam. Umgekehrt ist es aber ebenso wenig eine Konsequenz der konfessionellen Schule, dass sie notwendigerweise die Staatseinheit zerstören muss, indem sie die Angehörigen der verschiedenen Konfessionen angeblich ein ander entfremdet. Aufgabe des Staates, dessen ausschliessliches Schulaufsichtsrecht allerdings das oberste Grundgesetz sein muss, ist es, durch Ausbildung der Lehrer und durch Organisation der Lehrpläne dafür zu sorgen, dass der Geist der Konfessionsschule ebenso wenig der staatsbürgerlichen Erziehung Eintrag tut, wie der Geist der Simultanschule der religiösen und sittlichen. Für keinen Fall aber ist es vom Standpunkt der Staatsaufgabe zulässig, im Interesse der Konfessionalisierung der Schulen mehrklassige Simultanschulen in ungeteilte Konfessionsschulen aufzulösen. Immer muss es oberster Grundsatz bleiben, dass die für die Erziehung und den Unterricht der Bürger bessere Schulorganisation die einzig zulässige ist.

Aufgabe und Lehrplan der Volksschule. Denn die Aufgabe der Volksschule ist und bleibt, Staatsbürger heranzubilden, die durch ihre Tätigkeit den gesellschaftlichen Verband, dem sie durch ihren Staat angehören, so weit als möglich zu einer Gemeinschaft selbständiger, sittlich freier Personen zu machen bemüht sind. Die allgemeine Volksschule kann nicht zweien Herren dienen. Sie kann nicht dem Staate ebenso dienen, wie der Kirche, denn Staat und Kirche stehen oft genug im heftigen Gegensatz zu einander. Wenn der Artikel 1 des neuen württembergischen Volksschulgesetzes erklärt, Zweck der Volksschulen ist religiös-sittliche Bildung und Unterweisung der Jugend in den für das bürgerliche Leben nötigen, allgemeinen Kenntnissen und Fertigkeiten, so kann man im allgemeinen nichts dagegen einwenden. Etwas schärfer noch ist diese Aufgabe ausgedrückt im Artikel 1 des neuen Volksschulgesetzes des Herzogtums Sachsen-Meiningen: „Die Volksschule hat die Aufgabe, ihren Zöglingen unter sorgsamer Berücksichtigung des körperlichen Gedeihens durch Unterricht, Übung und Erziehung die Grundlagen religiös-sittlicher und nationaler Bildung und die für das bürgerliche Leben notwendigen allgemeinen Kenntnisse und Fertigkeiten zu gewähren.“ Dagegen kann eine Fassung, wie sie die Entwürfe der Kultusminister von Bethmann-Hollweg [125] und von Müller zeigten, wonach die Volksschule die Aufgabe hat, der Jugend für das Leben in Staat und Kirche die Grundlagen der Bildung und sittlichen Tüchtigkeit zu geben, zu einem bedenklichen Zwiespalt in der Einheit des Erziehungsplanes führen.

Zur Durchführung dieser Aufgabe dient der Lehrplan, der in den Bundesstaaten Deutschlands nicht wesentlich verschieden ist. Er erstreckt sich auf Religion, deutsche Sprache (Lesen, Schreiben, Aufsatz, Sprachlehre), Rechnen und Anfänge der Raumlehre, Geographie, Geschichte, Naturkunde, Gesang, Zeichnen, Turnen und Handarbeiten. Es gibt Bestrebungen, die darauf abzielen, aus der obligatorischen Volksschule den Religionsunterricht gänzlich auszuschalten. Vom Standpunkt einer gesunden Unterrichtspolitik darf einem solchen Vorschlag, selbst wenn er nicht die heftigste Opposition eines grossen Teiles der Staatsbürger hervorrufen würde, nicht zugestimmt werden. Es soll nur nebenbei erwähnt sein, dass die Berücksichtigung dieses Vorschlages in einem Staat mit garantierter Gewissensfreiheit und starkem religiösen Leben sofort zu einer Überschwemmung mit Privatschulen aller Konfessionen führen müsste, deren Überwachung im Interesse des Staates kaum wirksam durchgeführt werden kann. Von noch grösserer Bedeutung aber ist, dass der Staat tatsächlich ein Interesse an der religiösen Erziehung seiner Bürger hat, nicht wegen irgend eines religiösen Bekenntnisses, sondern einfach deshalb, weil bei einer sehr grossen Zahl, vielleicht bei der grössten Zahl von Menschen, die wahrhaft sittliche Erziehung am ehesten auf dem Boden irgend eines religiösen Bekenntnisses gelingt. Die Pflichtenlehre eines neutralen ethischen Unterrichtes vermag bei der reiferen Jugend in der Hand eines sittlich hochstehenden Lehrers gewiss zu einem klaren System sittlicher Begriffe mit stärker entwickelten Wertgefühlen verhelfen. Aber der Besitz von klaren sittlichen Begriffen ist noch lange keine. Sittlichkeit. Wo dagegen die starken religiösen Impulse wirken, ist, wenn auch nicht die höchste, so doch eine hohe sittliche Stufe selbst da möglich, wo kein System sittlicher Begriffe zu voller theoretischer Klarheit herausgearbeitet ist. Allerdings muss man sich bewusst sein, dass der Religionsunterricht mehr als jeder andere Unterricht einen Lehrer verlangt, der selbst von den religiösen Wahrheiten, die er lehrt, erfüllt ist, und dass der Zwang zur Teilnahme an diesem Unterricht von dem Augenblicke an unheilvoll wirkt, wo er vom Schüler als ein intellektueller Zwang gefühlt wird.

Mehr und mehr machen sich in der neueren Zeit auch Bestrebungen geltend, den Lehrplan der Volksschule durch weitgehende Einführung praktischer Betätigung wirksamer nicht bloss für die intellektuelle, sondern auch für die Charakterbildung zu machen, die sogenannte Buchschule in eine Arbeitsschule zu verwandeln. Diesen Bestrebungen ist der grösste Vorschub zu leisten. Die heutige Volksschule leidet an ihrer historischen Entwicklung aus den mittelalterlichen Buchschulen heraus. Ihr Betrieb läuft selbst da isoliert vom Leben des Kindes, wo sie, wie in den Landgemeinden, in engste Verbindung mit dem häuslichen Leben des Kindes gebracht werden könnte. Vor allem aber leidet der Betrieb daran, dass er keine oder doch viel zu wenig Rücksicht nimmt auf die normale Seelenverfassung des Kindes zwischen 6 und 14 Jahren, deren Grundzug starke Aktivität ist. Es scheint indes, dass diese für die staatliche Organisation der Volksschule fundamentale Erkenntnis sich langsam Bahn bricht.

Im allgemeinen verteilen sich die Unterrichtsgegenstände der Volksschule auf 3 Stufen, die Unterstufe mit etwa 22 Stunden wöchentlichen Unterrichtes, die Mittelstufe mit etwa 28 Stunden wöchentlichen Unterrichtes und die Oberstufe mit etwa 30–32 Stunden. In den achtklassigen Schulsystemen gehören die 4 ersten Klassen der Unter- und Mittelstufe an, die 4 letzten Klassen der Oberstufe. In manchen Staaten ist diese Oberstufe zu einer gehobenen Volksschule (Mittelschule, Bürgerschule) ausgebaut durch Erweiterung des Unterrichtes, nicht selten sogar durch eine fremde Sprache. Bei jährlich 40 Unterrichtswochen erstreckt sich somit die gesamte Unterrichtszeit in den deutschen Volksschulen während 8 Schuljahren, wenigstens in den Staaten, deren Schulwesen auf dem Prinzip der Ganztagschule (für jede Klasse ein Lehrer und ein Schulraum) aufgebaut ist, auf etwa 9000 Unterrichtsstunden. Nicht unbeträchtlich niedriger ist die Zahl in jenen Staaten, die sich, wie Sachsen, mit der billigeren Halbtagschuleinrichtung (für je 2 Klassen ein Lehrer und ein Schulraum) begnügen. In sächsischen Grossstädten, wie Chemnitz und Plauen, haben nach Professor Schöbel (Statistisches Jahrbuch der deutschen Städte, Seite 657) drei Viertel aller Schulkinder während ihrer achtjährigen Schulzeit über 1800 Unterrichtsstunden [126] weniger, als sie haben würden, wenn sie in einer beliebigen preussischen Stadt die Volksschule acht Jahre lang besuchen würden und sogar noch 600 Stunden weniger, als bei einem nur siebenjährigen Besuch einer bayerischen Volksschule.

Lehrerbildung und Lehrerbesoldung. Um die Aufgabe der Volksschule: sittlich gerichtete und für das praktische Leben brauchbare Staatsbürger auszubilden, zu erfüllen, haben sich die deutschen Bundesstaaten seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts auch immer mehr der Lehrerbildung angenommen. Die Organisation der Lehrerbildungsanstalten ist im Deutschen Reiche nicht wesentlich verschieden. Sie schliessen sich unmittelbar an die Volksschule an und erstrecken sich auf 5, 6 oder 7 Jahre. Das Unterscheidende der deutschen Lehrerbildung von der Lehrerbildung anderer germanischer Staaten ist, dass sie von Anbeginn an in speziellen Unterrichtsanstalten erfolgt. Diese Massnahme war so lange notwendig, als die geringen Bezahlungen und die untergeordnete Stellung der Volksschullehrer begabte und halbwegs bemittelte Schüler abhielten, nach Absolvierung der höheren, allgemein bildenden Lehranstalten sich dem Volksschullehrerberuf zuzuwenden. Das hat sich heute in vielen Bundesstaaten geändert. Man könnte sehr wohl die deutsche sechsklassige Realschule als Grundlage für das auf drei Jahre auszudehnende Lehrerseminar benützen, wodurch sicherlich ein Hauptwunsch der deutschen Lehrerschaft nach grösserer Vertiefung ihrer Bildung erfüllt würde. Heute dagegen geht der normale Weg, der in den Lehrerberuf führt, zunächst durch eine dreijährige, nur für angehende Schullehrer zugängliche Präparandenschule, die sich an die sieben- oder achtklassige Volksschule unmittelbar anschliesst. Auf diese Präparandenschule folgt alsdann ein zwei- oder dreijähriges Lehrerseminar, nach dessen Absolvierung der junge 18 bis 19 jährige Schüler unmittelbar in die Praxis eintreten kann, und überall, wo Lehrermangel herrscht, auch wirklich eintritt.

Was die Besoldung betrifft, so ist sie gerade im letzten Dezennium nicht unbeträchtlich gewachsen und man kann heute wohl behaupten, dass der deutsche Volksschullehrer im Durchschnitt der bestbezahlte Volksschullehrer von allen Kulturstaaten ist, wenn auch noch vieles zu wünschen übrig bleibt, wenigstens für den Landlehrer einzelner Staaten. Im einzelnen auf die Gehaltsverhältnisse einzugehen, ist bei der Mannigfaltigkeit dieser Verhältnisse unmöglich. Der niedrigste bezug des definitiven Lehrers dürfte heute mit 1500 M. anzusetzen sein, der höchste (München) mit 5520 M. In den meisten Fällen ist der Gesamtbezug pensionsfähig und zwar von 30–75%.

Schluss. Betrachtet man die Entwicklung des deutschen Volksschulwesens im Laufe des 19. Jahrhunderts, so kann man nicht in Abrede stellen, dass sie eine durchaus erfreuliche ist. Nichtsdestoweniger entspricht die heutige Volksschule nicht mehr den völlig veränderten sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen des Deutschen Reiches, die einesteils eine grosse Menge alter Erziehungskräfte aufgelöst haben und andernteils an den einzelnen Staatsbürger kraft seiner politischen Rechte, die ihm das 19. Jahrhundert gebracht hat. sehr viel bedeutendere Anforderungen in bezug auf seine Einsicht und Charakterbildung stellen. Das 20. Jahrhundert wird die grosse Aufgabe zu lösen haben, durch eine Umwandlung der inneren Organisation der Volksschule auf der Grundlage des oben erwähnten Prinzips der Aktivität und durch eine wirksame Ausgestaltung der Fortbildungsschule bis zum 18. Lebensjahr, die als ein integrierender Bestandteil des Volksbildungswesens betrachtet werden muss, jene schweren Mängel zu beheben, die heute die achtklassige Volksschule bei aller Fürsorge, welche ihr die Staaten zugewendet haben, und bei allen Opfern, die für sie gebracht werden, noch aufweist.