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der eben erwähnten kleinen Staaten dadurch unterscheidet, dass anstelle des konfessionell getrennten Religionsunterrichtes ein gemeinsamer allgemeiner Religionsunterricht eingeführt ist, an dem alle Schüler der drei christlichen Konfessionen teilnehmen. (Schuledikt von 1817.) Dieser für deutsche Verhältnisse interessante Ausnahmefall ist selbst in dem 1906 erlassenen Schulbedarfsgesetz Preussens nach § 42 nicht geändert worden. Sonst ist fast im ganzen Deutschen Reiche der konfessionelle Religionsunterricht ein obligatorischer Bestandteil des Lehrplanes der Volksschule und die Überwachung dieses Religionsunterrichtes ist auch an den Simultanschulen den einschlägigen kirchlichen Behörden übertragen. In vielen Bundesstaaten ist auch die Erteilung des Religionsunterrichtes den Geistlichen der betreffenden Kirchen zugestanden. Nur in Meiningen ist der Geistliche in der Unterrichts-Aufsicht durch das neue Gesetz ausgeschaltet. Dort steht die Aufsicht über den Religionsunterricht wie bei den übrigen Lehrgegenständen lediglich dem Kreisschulinspektor zu. So unterscheiden sich denn die deutschen Simultanschulen wesentlich von den französischen, englischen und nordamerikanischen, in welchen konfessioneller Religionsunterricht überhaupt ausgeschlossen ist. Die französischen haben an seine Stelle Moralunterricht gesetzt, in den englischen wird die Bibel gelesen, die amerikanischen haben religiöse Unterweisung ebenso wie systematischen Moralunterricht als besonderen Unterrichtsgegenstand aus ihren Schulen ganz ausgeschlossen. Und trotzdem ist namentlich das englische Volk eines der religiösesten Völker. In den Schulkämpfen von 1892 und 1906 ist unendlich viel für und wider die Simultanschule geschrieben worden. Selbst wenn man auf dem Standpunkt steht, dass der Staat das grösste Interesse hat an der religiösen Erziehung seines Volkes, dass auch die Veredelung der in den meisten Menschen vorhandenen religiösen Gefühle zu den wesentlichen Aufgaben der Volkserziehung gehört, dass weiter die sittliche Erziehung auf religiöser Grundlage im allgemeinen weit erfolgreicher ist als eine sittliche Erziehung auf Grund wissenschaftlicher Ethik, so lässt sich daraus durchaus nicht beweisen, dass die Konfessionsschule eine unbedingte Notwendigkeit ist. Diejenigen Bestandteile der positiven Religionen, welche in Wahrheit für die sittliche Erziehung ein ausgezeichnetes Mittel liefern, sind nahezu allen theistischen Religionen gemeinsam. Umgekehrt ist es aber ebenso wenig eine Konsequenz der konfessionellen Schule, dass sie notwendigerweise die Staatseinheit zerstören muss, indem sie die Angehörigen der verschiedenen Konfessionen angeblich ein ander entfremdet. Aufgabe des Staates, dessen ausschliessliches Schulaufsichtsrecht allerdings das oberste Grundgesetz sein muss, ist es, durch Ausbildung der Lehrer und durch Organisation der Lehrpläne dafür zu sorgen, dass der Geist der Konfessionsschule ebenso wenig der staatsbürgerlichen Erziehung Eintrag tut, wie der Geist der Simultanschule der religiösen und sittlichen. Für keinen Fall aber ist es vom Standpunkt der Staatsaufgabe zulässig, im Interesse der Konfessionalisierung der Schulen mehrklassige Simultanschulen in ungeteilte Konfessionsschulen aufzulösen. Immer muss es oberster Grundsatz bleiben, dass die für die Erziehung und den Unterricht der Bürger bessere Schulorganisation die einzig zulässige ist.

Aufgabe und Lehrplan der Volksschule. Denn die Aufgabe der Volksschule ist und bleibt, Staatsbürger heranzubilden, die durch ihre Tätigkeit den gesellschaftlichen Verband, dem sie durch ihren Staat angehören, so weit als möglich zu einer Gemeinschaft selbständiger, sittlich freier Personen zu machen bemüht sind. Die allgemeine Volksschule kann nicht zweien Herren dienen. Sie kann nicht dem Staate ebenso dienen, wie der Kirche, denn Staat und Kirche stehen oft genug im heftigen Gegensatz zu einander. Wenn der Artikel 1 des neuen württembergischen Volksschulgesetzes erklärt, Zweck der Volksschulen ist religiös-sittliche Bildung und Unterweisung der Jugend in den für das bürgerliche Leben nötigen, allgemeinen Kenntnissen und Fertigkeiten, so kann man im allgemeinen nichts dagegen einwenden. Etwas schärfer noch ist diese Aufgabe ausgedrückt im Artikel 1 des neuen Volksschulgesetzes des Herzogtums Sachsen-Meiningen: „Die Volksschule hat die Aufgabe, ihren Zöglingen unter sorgsamer Berücksichtigung des körperlichen Gedeihens durch Unterricht, Übung und Erziehung die Grundlagen religiös-sittlicher und nationaler Bildung und die für das bürgerliche Leben notwendigen allgemeinen Kenntnisse und Fertigkeiten zu gewähren.“ Dagegen kann eine Fassung, wie sie die Entwürfe der Kultusminister von Bethmann-Hollweg

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/140&oldid=- (Version vom 20.11.2021)