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Autor: Adolf Matthias
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Titel: Höhere Schulen
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aus: Handbuch der Politik Dritter Band: Die Aufgaben der Politik, Fünfzehntes Hauptstück: Bildung, 79. Abschnitt, S. 127−131
Herausgeber: Paul Laban, Adolf Wach, Adolf Wagner, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Georg von Schanz, Fritz Berolzheimer
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Dr. Walther Rothschild
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Erscheinungsort: Berlin und Leipzig
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[127]
79. Abschnitt.


Höhere Schulen.
Von
Wirklichem Geh. Ober-Regierungsrat Dr. Adolf Matthias (Berlin).


1. Literatur: Bearbeiten

C. Rethwisch, R. Lehmann, G. Bäumer, Die höheren Lehranstalten und das Mädchenschulwesen im Deutschen Reich, herausgegeben von W. Lexis. Berlin 1904, A. Asher u. Co. –
P. Stötzner, Das öffentliche Unterrichtswesen Deutschlands in der Gegenwart. Leipzig 1901, Göschen. –
R. Knabe, Das deutsche Unterrichtswesen der Gegenwart. Leipzig 1910, B. G. Teubner. –
Statistisches Jahrbuch der höheren Schulen Deutschlands, Luxemburgs und der Schweiz. Nach amtlichen Quellen bearbeitet. XXXII. Jahrgang. 2 Teile. Leipzig 1911, B. G. Teubner. –
E. Horn, Das höhere Schulwesen der Staaten Europas. Eine Zusammenstellung der Stundenpläne. 2. vermehrte verb. Auflage. Berlin 1907, Trowitzsch u. Sohn. –
A. Beier, Die höheren Schulen in Preussen und ihre Lehrer. 3. Auflage. Halle 1909. Waisenhaus. –
Für Bayern: Schulordnung vom 23. Juli 1891. (Kult.-Min.-Blatt S. 235–286) besonders erschienen in Ansbach 1891, Brügel u. Sohn. –
Schulordnung für die Realschulen vom 11. September 1894 (Kult.-Min.-Bl. S. 287–332) besonders erschienen in Ansbach 1898. Brügel u. Sohn. –
J. F. Kretzschmar, Das höhere Schulwesen im Königreich Sachsen. Leipzig 1903, Rossberg. –
G. Fehleisen, Sammlung der wichtigsten Bestimmungen für die Gelehrten- und Realschulen Württembergs. Stuttgart 1900, Kohlhammer. –
Aug. Joos, Die Mittelschulen im Grossherzogtum Baden. 2. Aufl. Karlsruhe 1898, Lang. –
Ders. die Mittelschulen im Grossherzogtum Baden. 2. Teil Ergänzungsband: Lehramt an Mittelschulen, Berechtigung der Mittelschulen. Karlsruhe 1909. Lang. –
L. Nodnagel, Das höhere Schulwesen im Grossherzogtum Hessen. Giessen 1903, Roth. –
Ders. 1. Nachtrag März 1903–Juli 1904; ebenda 1905. –
Ders. 2. Nachtrag Juli 1904–Juli 1906; ebenda 1906. –
Ders. 3. Nachtrag bis zum Juni 1908, ebenda 1908. –
G. Krüger, Verordnungen und Gesetze für die Gymnasien und Realanstalten des Herzogtums Anhalt. Dessau 1902, Dünnhanpt. –
Ders., Erstes Ergänzungsheft, ebenda 1907. –
O. Liermann, Reformschulen nach Frankfurter u. Altonaer System. Teil 1. Berlin 1903. Weidmann. –
G. Steinbart, Zur Weiterführung der Schulreform in Preussen. Duisburg 1910. Ewich. –
Ders. Zur Durchführung der preussischen Schulreform in ganz Deutschland. Ebenda 1910.
A. Matthias, Erlebtes und Zukunftsfragen aus Schulverwaltung, Unterricht u. Erziehung. Berlin 1913. Weidmann.

1. Der Bestand der höheren Schulen des deutschen Reiches ergibt sich aus folgender Übersicht:

Im Jahre 1910 Gym-
nasien
Real-
gym-
nasien
Ober-
real-
schulen
Progym-
nasien
Realpro-
gym-
nasien
Real-
schulen
Gym-
nasiale
Realgym-
nasiale
Realis-
tische
Im ganzen
Anstalten
Preussen 333 125 8 35 49 160 368 174 242 784
Im übrigen
Deutschen Reich
185 65 56 43 29 208 228 94 264 586
Im Deutschen Reich 518 190 138 78 78 368 596 268 506 1370

Reformanstalten: Von diesen höheren Lehranstalten sind nach dem sogenannten Frankfurter System eingerichtet in Preussen 120, in den anderen deutschen Staaten: 27, im ganzen also 147 höhere Schulen; nach dem Altonaer System in Preussen 8, in den anderen deutschen Staaten 6, im ganzen 14. Reformanstalten überhaupt im ganzen: 161. (Über die Lehrpläne der Reformschulen siehe unten.)

Die Gymnasien, Realgymnasien und Oberrealschulen sind neunstufige Vollanstalten. Die Progymnasien, Realprogymnasien und Realschulen bilden zu den Vollanstalten die entsprechenden sechsstufigen Nichtvollanstalten; in Württemberg, Baden und Mecklenburg-Strelitz und Schwarzburg-Rudolstadt sind die Realprogymnasien siebenstufig; in Hessen die Progymnasien und Realschulen, in Sachsen-Meiningen und Bremen die Realschulen, es fehlen also diesen Anstalten die drei oder die zwei oberen Klassen.

[128] 2. Die Lehrpläne dieser Anstalten (geringere Unterschiede bleiben ausser Betracht) sind folgendermassen gestaltet:

In den Gymnasien stehen im Mittelpunkt des Unterrichts die lateinische und griechische Sprache, die etwa ein Drittel aller Unterrichtsstunden bilden. Diese Schulen beginnen in Preussen in Sexta das Latein, setzen in Quarta mit dem Französischen ein, in Untertertia mit dem Griechischen und in Obersekunda mit wahlfreiem Englisch. Die meisten deutschen Bundesstaaten haben einen ähnlichen Lehrplan wie den preussischen. Abweichungen finden sich im Französischen in Elsass-Lothringen, wo diese Sprache in Quinta einsetzt, und in Bayern, wo mit dem Französischen in der sechsten Klasse begonnen wird, die der preussischen Untersekunda entspricht. (In Bayern wird Sexta als erste, Quinta als zweite Klasse u. s. f. bezeichnet.) Das Englische ist in der preussischen Provinz Hannover, in Braunschweig, Oldenburg, in Hamburg und Lübeck Pflichtfach, in Hamburg uud Lübeck setzt es ausserdem schon in Untersekunda ein. In Baden ist Englisch schon von Untersekunda wahlfreies Lehrfach.

Die Realgymnasien entsprechen mehr als die Gymnasien den Forderungen der Neuzeit: sie legen Nachdruck auf die beiden neueren Sprachen und bieten eingehendere Kenntnisse in Mathematik und Naturwissenschaft. Den Zusammenhang mit der antiken Kultur wahren sie durch Beibehaltung der lateinischen Sprache im Unterrichtsplan. In ihrem Unterbau bis Quarta einschliesslich sind die Realgymnasien in den meisten deutschen Staaten den Gymnasien sehr ähnlich, setzen also in Sexta mit Latein, in Quarta mit Französisch ein; in Untertertia kommt die englische Sprache hinzu. In Elsass-Lothringen beginnt wie an den Gymnasien das Französische in Quinta; das Königreich Sachsen lässt das Englische in Obertertia beginnen. Wesentliche Abweichungen finden sich an den Realgymnasien Bayerns und Württembergs. Dort ist der Unterbau bis zur dritten Klasse (der Quarta in Preussen entsprechend) völlig gleich; erst in der vierten Klasse (der Untertertia) setzt das Französische ein und das Englische beginnt in der sechsten Klasse, der preussischen Untersekunda. In Württemberg überwiegt im starken Masse an den Realgymnasien das Lateinische, so dass man besser diese Schulen als Gymnasien ohne Griechisch bezeichnen könnte. Die Zahl der lateinischen Gesamtstunden beträgt hier siebenundsechzig, während sie an den preussischen Gymnasien achtundsechzig ausmacht, an den preussischen Realgymnasien nur neunundvierzig. Das Französische setzt in der dritten Klasse (der preussischen Quarta) ein, das Englische erst in der sechsten (der preussischen Untersekunda).

Die Oberrealschulen betreiben nachdrücklich die französische und englische Sprache nebst Mathematik und Naturwissenschaften und können, da sie auf das Lateinische als Pflichtfach verzichten, auf Deutsch, Erdkunde und Zeichnen mehr Zeit verwenden, als die beiden anderen Anstaltsarten. Um den Zusammenhang mit den antiken Geistesschätzen festzuhalten, werden treffliche Übersetzungen der klassischen Schriftsteller des Altertums gelesen. In Preussen hat man an vielen Stellen von Obersekunda ab wahlfreien lateinischen Unterricht, dessen Lehrziel bedingt ist durch die Aufgabe, geeignete, den Zutritt zu den höheren Studien erstrebende Schüler in das Verständnis leichter lateinischer Schriftsteller einzuführen. Die erste fremde Unterrichtssprache an den Obrrrealschulen ist die französische, die in Sexta beginnt. Englisch folgt in Untertertia. In Hessen beginnt man mit dem Französischen erst in Quinta, in Hamburg mit dem Englischen schon in Quarta, in Bayern fängt man das Englische erst in der fünften Klasse (der preussischen Obertertia) an. An einigen Realschulen in der Provinz Hannover und auch in Hamburg beginnt man in Sexta nicht mit der französischen, sondern mit der englischen Sprache.

Die Reformschulen Altonaer und Frankfurter Systems gehen von dem einheitlichen Gedanken aus, das Lateinische weiter hinaufzuschieben und im fremdsprachlichen Unterricht vom Näheren zum Entfernteren vorzuschreiten. Sie haben in den untersten Klassen anstatt des Lateinischen das Französische. Das Altonaer System (begonnen im Jahre 1878 am Realgymnasium in Altona), hat für Realgymnasium und Realschule einen gemeinsamen Unterbau von Sexta bis Quarta; in Sexta und Quinta ist Französisch alleinige Fremdsprache, in Quarta kommt Englisch hinzu, in Untertertia setzt für das Realgymnasium Lateinisch ein; die Realschule geht mit nur zwei Sprachen weiter.

Das Frankfurter System (begonnen im Jahre 1892) dehnte das Altonaer System auch auf das Gymnasium aus und betonte in der Betreibung der fremden Sprachen die alte gesunde pädagogische [129] Forderung des Nacheinander statt des Nebeneinander. Von Sexta bis Quarta einschliesslich wird nur die französische Sprache betrieben, dann kommt für Gymnasium und Realgymnasium mit Untertertia das Lateinische hinzu; in Untertertia und Obertertia werden Französisch und Lateinisch gelehrt; in Untersekunda nimmt der gymnasiale Ast Griechisch, der realgymnasiale Ast Englisch hinzu. Die lateinlose Realschule (Oberrealschule) zweigt sich in Untertertia mit Englisch als zweiter Fremdsprache ab. – Die Vorteile des Frankfurter Systems bestehen also darin, dass es die Oberrealschule in ihrem Bestande unberührt lässt, indem es in Untertertia und nicht schon in Quarta, wie das Altonaer System, das Englische beginnt und dass es alle drei Anstaltsarten in dem gemeinsamen Unterbau zusammenfasst. Die Anstalten Altonaer Systems, die überhaupt nicht zahlreich sind, gehen deshalb allmählich zum Frankfurter System über. Die Mutteranstalt in Altona wird selbst schon wankend in ihrem eigenen System.

3. Die Frage der Berechtigungen und damit die Frage der Zukunft der drei verschiedenen höheren Lehranstalten wurde durch den Allerhöchsten Erlass vom 20. November 1900 in bester Form entschieden. Bis dahin waren die Berechtigungen im wesentlichen dem Gymnasium vorbehalten; dieses hatte eine Art von Monopol, die anderen beiden Arten waren gehemmt in ihrer gesunden Entwicklung durch die Zurücksetzung in ihren Rechten. Der erwähnte Erlass machte diesem ungesunden und ungerechten Zustande ein Ende, indem er folgenden Grundsatz aussprach: „Bezüglich der Berechtigungen ist davon auszugehen, dass das Gymnasium, das Realgymnasium und die Oberrealschule in der Erziehung zur allgemeinen Geistesbildung als gleichwertig anzusehen sind und nur insofern eine Ergänzung erforderlich bleibt, als es für manche Studien und Berufszweige noch besonderer Vorkenntnisse bedarf, deren Vermittelung nicht oder doch nicht in demselben Umfange zu den Aufgaben jeder Anstalt gehört. Dementsprechend ist auf die Ausdehnung der Berechtigungen der realistischen Anstalten Bedacht zu nehmen.“ Damit ist zugleich der beste Weg gewiesen, das Ansehen und den Besuch dieser Anstalten zu fördern und so auf die grössere Verallgemeinerung des realistischen Wissens hinzuwirken! Aus diesen Grundsatz wurden zunächst für Preussen die gegebenen Folgerungen gezogen. Die anderen deutschen Staaten folgten mit grösseren oder geringeren Klauseln und Vorbedingungen nach. Zur Zeit stellt sich für die einzelnen Berufsarten die Sache folgendermassen:

Von den Universitätsstudien ist die theologische Fakultät in den Grundsatz der Gleichberechtigung nicht einbezogen. Für das Theologiestudium ist auch weiterhin Gymnasialreifezeugnis Vorbedingung. Nur in Baden sind für evangelische Theologen die Reifezeugnisse der Realgymnasien und Oberrealschulen vollgültig.

Für das Studium der Jurisprudenz erhielten in Preussen die Zeugnisse aller drei Anstaltsarten Gleichberechtigung mit der Massgabe, dass die Studierenden der Rechte sich die für ein gründliches Studium der Quellen des römischen Rechts erforderlichen sprachlichen und sachlichen Vorkenntnisse anderweit anzueignen haben. Die meisten deutschen Bundesstaaten folgten nach. Andere stellten grössere oder geringere Vorbedingungen fest. So fordern Lübeck und Hamburg von den Oberrealschulabiturienten bei der Meldung zum Referendarexamen genügende Kenntnis im Lateinischen. Bayern lässt diese Schülergattung nur zu nach Erwerb eines gymnasialen oder realgymnasialen Reifezeugnisses im Lateinischen. In Braunschweig müssen Realgymnasial- und Oberrealschulabiturienten vor der Meldung zum Referendarexamen eine Ergänzungsprüfung am Gymnasium in Latein ablegen. Die beiden Mecklenburg schliessen Realgymnasial- und Oberrealabiturienten aus, Württemberg und Bremen die Oberrealschulabiturienten.

Für die Mediziner ist im ganzen Deutschen Reich gleichmässig die Gleichberechtigung ausgesprochen mit der Bedingung, dass die Oberrealschulabiturienten bei der Meldung zur medizinischen Prüfung die Kenntnisse im Lateinischen nachzuweisen haben, die an den Realgymnasien für die Versetzung in die Obersekunda gefordert werden. Was die philosophische Fakultät anbelangt, so haben für Preussen und die meisten Bundesstaaten die Zeugnisse aller drei Anstaltsarten gleiche Berechtigung. Bayern, Sachsen, Württemberg und die beiden Mecklenburg schliessen beim Oberlehrerexamen für Altphilologen die Realgymnasiasten und Oberrealschüler aus, Württemberg und die beiden Mecklenburg ebenso die Oberrealschule für das Studium der Neuphilologie.

[130] Ausserdem schliesst Württemberg beim Postfach die Oberrealschule aus, beim Staatsbau- und Maschinenfach fordert es von den Gymnasialabiturienten den Nachweis englischer Sprachkenntnisse, während Mecklenburg-Schwerin von diesem Fach die Oberrealschüler ausschliesst. Für das Forstfach haben in Württemberg und Mecklenburg-Schwerin die Oberrealschulabiturienten keinen Zutritt.

Im ganzen und grossen ist also die Kette der Gleichberechtigung aller drei Schularten geschlossen. Wenn die Erfahrungen, die unter Preussens Führung in allen den Staaten gemacht werden, welche die weitherzigsten Bestimmungen getroffen haben, günstige sind, so werden sicherlich weitere Fortschritte auf diesem Gebiete gemacht und jedenfalls solche seltsamen Widersprüche verschwinden, wie zwischen Württemberg und Mecklenburg-Schwerin im Staatsbau- und Maschinenfach.

4. Ausblick in die weitere Entwicklung des höheren Schulwesens. Die Zunahme der Realanstalten im letzten Jahrzehnt weist darauf hin, wie in Zukunft die Entwicklung unseres Schulwesens verlaufen wird. Einige vergleichende Zahlen mögen das erweisen. Vor dem Beginne der Schulreform in Preussen vom Jahre 1900 waren im Winter 1899/1900 341 gymnasiale Anstalten vorhanden, im Winter 1908/1909, also neun Jahre später, 371; das macht eine Zunahme von 9 vom Hundert; realgymnasiale Anstalten gab es Winter 1899/1900: 100; 1908/1909 183, also eine Vermehrung von 83 vom Hundert; lateinlose Realschulen und Oberrealschulen 1899 bis 1900: 167, 1908/1909: 254, also Zunahme von 52 vom Hundert. Trotz der erfreulichen Zunahme der Realanstalten ist noch ein Missstand vorhanden, dem die Zukunft abhelfen muss. Es ist nämlich trotz der Anerkennung der Gleichwertigkeit der drei höheren Schularten, trotz der grösstenteils durchgeführten Gleichberechtigung derselben das Gymnasium gleichwohl noch eine Art von Zwangsanstalt für weite Kreise geblieben. Es gibt in Preussen augenblicklich 593 Vollanstalten (341 Gymnasien, 159 Realgymnasien und 93 Oberrealschulen); diese verteilen sich auf 352 Städte. Von diesen haben 187 nur gymnasiale Vollanstalten. Also allen Eltern, die an einem solchen Orte wohnen und ihre Kinder bis zum Abiturientenexamen gehen lassen wollen, sind gezwungen, sie das Gymnasium durchmachen zu lassen; auch wenn ein Schüler Technik oder Naturwissenschaften studieren will, so muss er durch das Gymnasium gehen. Unter diesen 187 Anstalten sind wiederum 107, die nicht einmal Ersatzunterricht für das Griechische durch das Englische von Untertertia bis Untersekunda haben; es muss also jeder, der das Einjährig-Freiwilligen-Zeugnis erlangen will, Lateinisch und Griechisch lernen. Ein weiterer Missstand, den dieses ungerechte Vorherrschen des Gymnasiums mit sich bringt, liegt darin, dass jeder Offizier und Beamte, der öfterer Versetzung unterworfen ist, gezwungen ist, auch in den Städten, wo er die Auswahl hat, das Gymnasium für seine Söhne zu wählen. Es ist deshalb die Forderung, die von den Freunden vollster Gleichberechtigung und Gerechtigkeit gestellt wird, nicht unberechtigt, dass an allen isolierten Gymnasien der sogenannte Ersatzunterricht, d. h. Englisch statt Griechisch in Untertertia bis Untersekunda in Gymnasien eingeführt werde und dass bei genügender Anzahl von Schülern, die nach Obersekunda übertreten wollen, dieser englische Ersatzunterricht in realgymnasialen Oberklassen bis zum Abiturientenexamen fortgesetzt wird. Andrerseits müsste zum Ausgleich an den wenigen isolierten Realgymnasien in den obersten Klassen für diejenigen Schüler gesorgt werden, welche für ihr späteres Studium griechische Kenntnisse nachzuweisen haben. – Ein anderer Missstand in unserem höheren Schulwesen liegt darin, dass im Unterbau noch eine zu grosse Vielgestaltigkeit herrscht, die beim Übergange von einer Stadt in die andere und von einer Schulart zur anderen recht erhebliche Schwierigkeiten und Verlegenheiten für Eltern und Schüler bereitet. Diese Vielgestaltigkeit würde ein Ende nehmen können, wenn das sogenannte Frankfurter System an Umfang gewönne und, wo möglich, zum einheitlichen Unterbau aller Schulen sich ausgestaltete. Auch deshalb erscheint diese Entwicklung wünschenswert, weil die Schulen nach dem Frankfurter System in engerer organischer Verbindung mit der Volksschule stehen als Gymnasium und Realgymnasium alten Systems; denn im Deutschen, Rechnen und auch in Erdkunde verfügen sie über mehr Stunden als jene Anstalten mit ihrem stark überwiegendem Latein auf der Unterstufe. Je mehr solche Schulen entstehen, um so mehr sind die kleineren Städte, die sich überhaupt keine höhere Schule leisten können, in der glücklichen Lage im Hinblick auf nahegelegene Reformschulen durch gehobene Volksschulklassen oder durch Mittelschulen sich zu helfen, und die Eltern sind nicht gezwungen, schon im zehnten [131] Jahre ihre Kinder nach auswärts zu geben. Auch in Dörfern und auf allein gelegenen Gütern können die Kinder länger daheim bleiben, da die Möglichkeit, Französisch unterrichten zu lassen, näher liegt, weil die Mütter oder Erzieherinnen eher zur Verfügung stehen als lateinkundige Lehrer. Kurz die sozialen und finanziellen Vorteile, welche diese Schulen vor den Schulen alten Systems voraus haben, sind so gross, dass demgegenüber schultechnische oder didaktische Bedenken, wenn diese überhaupt stichhaltig sind, zurücktreten müssen. Der Vorteil allein, dass die Muttersprache in den neuen Schulen mehr zu ihrem Rechte kommt und dass die Kinder länger im Elternhause erzogen werden können, ist von solcher Bedeutung, dass man deshalb schon eine Entwicklung unseres höheren Schulwesens in der Richtung nach Einheitlichkeit im Unterbau und möglichst auch im Mittelbau wünschen muss. Und je einheitlicher und fester die Grundlagen sind, um so mehr wird man in den Oberklassen der Bewegungsfreiheit Spielraum lassen und der individuellen Ausbildung der einzelnen Schüler Berücksichtigung schenken können.