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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Forderung des Nacheinander statt des Nebeneinander. Von Sexta bis Quarta einschliesslich wird nur die französische Sprache betrieben, dann kommt für Gymnasium und Realgymnasium mit Untertertia das Lateinische hinzu; in Untertertia und Obertertia werden Französisch und Lateinisch gelehrt; in Untersekunda nimmt der gymnasiale Ast Griechisch, der realgymnasiale Ast Englisch hinzu. Die lateinlose Realschule (Oberrealschule) zweigt sich in Untertertia mit Englisch als zweiter Fremdsprache ab. – Die Vorteile des Frankfurter Systems bestehen also darin, dass es die Oberrealschule in ihrem Bestande unberührt lässt, indem es in Untertertia und nicht schon in Quarta, wie das Altonaer System, das Englische beginnt und dass es alle drei Anstaltsarten in dem gemeinsamen Unterbau zusammenfasst. Die Anstalten Altonaer Systems, die überhaupt nicht zahlreich sind, gehen deshalb allmählich zum Frankfurter System über. Die Mutteranstalt in Altona wird selbst schon wankend in ihrem eigenen System.

3. Die Frage der Berechtigungen und damit die Frage der Zukunft der drei verschiedenen höheren Lehranstalten wurde durch den Allerhöchsten Erlass vom 20. November 1900 in bester Form entschieden. Bis dahin waren die Berechtigungen im wesentlichen dem Gymnasium vorbehalten; dieses hatte eine Art von Monopol, die anderen beiden Arten waren gehemmt in ihrer gesunden Entwicklung durch die Zurücksetzung in ihren Rechten. Der erwähnte Erlass machte diesem ungesunden und ungerechten Zustande ein Ende, indem er folgenden Grundsatz aussprach: „Bezüglich der Berechtigungen ist davon auszugehen, dass das Gymnasium, das Realgymnasium und die Oberrealschule in der Erziehung zur allgemeinen Geistesbildung als gleichwertig anzusehen sind und nur insofern eine Ergänzung erforderlich bleibt, als es für manche Studien und Berufszweige noch besonderer Vorkenntnisse bedarf, deren Vermittelung nicht oder doch nicht in demselben Umfange zu den Aufgaben jeder Anstalt gehört. Dementsprechend ist auf die Ausdehnung der Berechtigungen der realistischen Anstalten Bedacht zu nehmen.“ Damit ist zugleich der beste Weg gewiesen, das Ansehen und den Besuch dieser Anstalten zu fördern und so auf die grössere Verallgemeinerung des realistischen Wissens hinzuwirken! Aus diesen Grundsatz wurden zunächst für Preussen die gegebenen Folgerungen gezogen. Die anderen deutschen Staaten folgten mit grösseren oder geringeren Klauseln und Vorbedingungen nach. Zur Zeit stellt sich für die einzelnen Berufsarten die Sache folgendermassen:

Von den Universitätsstudien ist die theologische Fakultät in den Grundsatz der Gleichberechtigung nicht einbezogen. Für das Theologiestudium ist auch weiterhin Gymnasialreifezeugnis Vorbedingung. Nur in Baden sind für evangelische Theologen die Reifezeugnisse der Realgymnasien und Oberrealschulen vollgültig.

Für das Studium der Jurisprudenz erhielten in Preussen die Zeugnisse aller drei Anstaltsarten Gleichberechtigung mit der Massgabe, dass die Studierenden der Rechte sich die für ein gründliches Studium der Quellen des römischen Rechts erforderlichen sprachlichen und sachlichen Vorkenntnisse anderweit anzueignen haben. Die meisten deutschen Bundesstaaten folgten nach. Andere stellten grössere oder geringere Vorbedingungen fest. So fordern Lübeck und Hamburg von den Oberrealschulabiturienten bei der Meldung zum Referendarexamen genügende Kenntnis im Lateinischen. Bayern lässt diese Schülergattung nur zu nach Erwerb eines gymnasialen oder realgymnasialen Reifezeugnisses im Lateinischen. In Braunschweig müssen Realgymnasial- und Oberrealschulabiturienten vor der Meldung zum Referendarexamen eine Ergänzungsprüfung am Gymnasium in Latein ablegen. Die beiden Mecklenburg schliessen Realgymnasial- und Oberrealabiturienten aus, Württemberg und Bremen die Oberrealschulabiturienten.

Für die Mediziner ist im ganzen Deutschen Reich gleichmässig die Gleichberechtigung ausgesprochen mit der Bedingung, dass die Oberrealschulabiturienten bei der Meldung zur medizinischen Prüfung die Kenntnisse im Lateinischen nachzuweisen haben, die an den Realgymnasien für die Versetzung in die Obersekunda gefordert werden. Was die philosophische Fakultät anbelangt, so haben für Preussen und die meisten Bundesstaaten die Zeugnisse aller drei Anstaltsarten gleiche Berechtigung. Bayern, Sachsen, Württemberg und die beiden Mecklenburg schliessen beim Oberlehrerexamen für Altphilologen die Realgymnasiasten und Oberrealschüler aus, Württemberg und die beiden Mecklenburg ebenso die Oberrealschule für das Studium der Neuphilologie.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/145&oldid=- (Version vom 20.11.2021)