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wahren. „Die höhere Staatsgewalt, die sich im 18. Jahrhundert in umfangreichen Schulordnungen äusserte, konnte die kirchliche Souveränität nicht depositieren, wohl aber mediatisieren.“ (Rudolf von Gneist.)

In der Übertragung der Schullast auf die Gemeinden haben wir es gleichfalls mit einer historischen Notwendigkeit zu tun. Als in Deutschland die einzelnen Staaten zum Schulzwange übergingen, waren sie infolge des dreissigjährigen Krieges und insbesondere Preussen auch infolge des siebenjährigen Krieges blutarme Staaten. Man musste die Mittel aufbringen, wo und wie es ging. Die alten Küsterwohnungen wurden als Schulräume beibehalten, die altgewohnten Naturalabgaben, Hand- und Spanndienste konnten auch diesem Zwecke zugeführt werden, Gutsherrschaften konnten zu kleinen Beiträgen angehalten werden, bescheidene Schulgelder mussten helfen und so wurden die Kommunen Träger der Ausgaben. „Zu den alten Pflichten des Kommunalverbandes (Polizeilast, Wegelast, Armenlast) tritt nunmehr auch die Schullast.“

Aus dieser historischen Entwicklung heraus und nur aus dieser, ist der Stand des Volksschulwesens in Deutschland heute verständlich. Vor allem ist es begreiflich, dass nur wenige deutsche Staaten, und vor allem nicht die grösseren Staaten, wie Preussen und Bayern, vollendete Schulgesetze haben. Denn dieser Schulgesetzgebung stehen heute noch in grossen, paritätisch stark gemischten Staaten schwere Hindernisse entgegen, von denen nicht bloss die grossen Ansprüche, welche die Kirchen auf den Einfluss des Schulregimentes machen und die Schwierigkeit der Beschaffung der Geldmittel für ein gut ausgebautes Volksschulsystem hervorzuheben sind, sondern vor allem auch die politischen Parteibildungen und die ungenügende Klärung der Vorstellungen von dem Umfange, den Zwecken und den Aufgaben der Volksschule selbst. Im allgemeinen helfen sich die meisten Staaten mit beweglichen Verordnungen und verzichten auf die Form von Verwaltungsgesetzen, da ja ersichtlich der Boden für solche, namentlich auf kirchenpolitischem Gebiete, noch nicht bereitet ist. Einzelne Staaten haben sich auch damit geholfen, dass sie Gesetzesentwürfe, welche die äusseren Verhältnisse der Volksschule regeln, in Angriff genommen haben und auf jene vorläufig verzichten, welche die schwierige Materie der inneren Verhältnisse behandeln.

In den grösseren deutschen Staaten sind für das Volksschulunterrichtswesen folgende Bestimmungen massgebend:

In Preussen, abgesehen von dem General-Landschul-Reglement Friedrich d. Gr. von 1763, das allgemeine Landrecht von 1794, von dem einzelne Bestimmungen durch das Schulaufsichtsgesetz von 1872 und das Schulunterhaltungsgesetz von 1906 ersetzt wurden; weiterhin die Artikel 20–26 der preussischen Verfassungsurkunde von 1850 und eine Anzahl spezieller Regulative und Schulordnungen für ältere oder auch später einverleibte Provinzen. In Bayern ist vor allem Massgebend das Schulbedarfsgesetz von 1902, die Schulpflichtsverordnung vom Jahre 1903 mit Ergänzungen vom Jahre 1907 und die Verordnung vom Jahre 1905 über Gründung, Leitung und Beaufsichtigung von Erziehungs- und Unterrichtsanstalten. Für Sachsen ist massgebend das Volksschulgesetz von 1875. Dieser Staat bereitet gegenwärtig einen neuen Entwurf vor. Für Württemberg gilt das neue Volksschulgesetz vom Jahre 1909, für Baden das Volksschulgesetz von 1868, das allerdings später durch eine Reihe von gesetzgeberischen Massnahmen abgeändert und ergänzt wurde. Am 18. Juni 1910 haben die Kammern den Entwurf eines neuen Schulgesetzes angenommen. Das hessische Volksschulgesetz wurde 1874 erlassen. Von den kleineren Staaten ist insbesondere das neue Volksschulgesetz des Herzogtums Sachsen-Meiningen von Bedeutung, das im Jahre 1908 erlassen wurde, und ebenso das Schulgesetz, welches das altenburgische Schulwesen regelt, vom April 1889. Von den deutschen Staaten sind die beiden Mecklenburg die einzigen, welche keine Materie durch irgend ein Schulgesetz geregelt haben.

Die wesentlichen Angelegenheiten, welche durch diese Gesetze teils in ihrer Gesamtheit, teils einzeln behandelt werden, sind die Fragen der Schulpflicht und der Klassenbildung, der Schulunterhaltungspflicht, der Schulaufsicht, der Konfessionalität, der Lehrerbildung und Lehrerbesoldung, der Aufgabe und des Lehrplanes der Schulen.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/137&oldid=- (Version vom 20.11.2021)