Die Fach- und Fortbildungsschulen (1914)

Textdaten
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Autor: Hermann von Seefeld
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Titel: Die Fach- und Fortbildungsschulen
Untertitel:
aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band, Neuntes Buch, S. 78–94
Herausgeber: Siegfried Körte, Friedrich Wilhelm von Loebell, Georg von Rheinbaben, Hans von Schwerin-Löwitz, Adolph Wagner
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Reimar Hobbing
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Erscheinungsort: Berlin
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[1128]
Die Fach- und Fortbildungsschulen
Von Geh. Oberregierungsrat Dr. von Seefeld, Berlin


Es ist ein gemeinsames Kennzeichen unserer Volksschulen und unserer höheren Schulen, daß das Ziel, nach dem sie hinarbeiten, die allgemeine Bildung ist, und daß sie von der Vorbereitung für einen bestimmten Beruf absehen. Da die Volksschule die Vorbildung für einen bestimmten Beruf nicht erstrebt, so handelt ein Lehrer nicht schlechterdings verkehrt, der beim Rechnen eingekleideter Aufgaben Preisverhältnisse zugrunde legt, die dem wirtschaftlichen Leben nicht entsprechen, oder der im Kopfrechnen Operationen ausführen läßt, bei denen der Kaufmann oder der Bankier zur Feder greifen würde: er will die Rechenfertigkeit der Schüler üben, und diese Absicht wird erreicht. Die Söhne der wohlhabenderen Klassen, die auf einer höheren Schule das Reifezeugnis erlangt haben, gewinnen ihre Berufsbildung im allgemeinen durch den Besuch der Universität oder einer Hochschule, und der Weg bis zur selbständigen Betätigung in dem erwählten Berufe ist lang und kostspielig. Die Frage ist nicht unberechtigt, ob er für die meisten gelehrten Berufe nicht reichlich lang ist. In dem Alter, wo z. B. der junge Philologe, der Mediziner und besonders der Jurist sich zuerst mit eigener Verantwortung vor selbständige Aufgaben gestellt sieht, ist es nichts Ungewöhnliches, daß sein Altersgenosse, der sich dem Handel oder der Industrie gewidmet hat, bereits befugt ist, als Prokurist die Firma eines großen Unternehmens verbindlich zu zeichnen.

Notwendigkeit besonderer Berufsbildung.

Gleichwohl − die Notwendigkeit einer besonderen Berufsbildung ist hier unbestritten. Bei den Tausenden von jungen Menschen, die alljährlich zu Ostern von der Volksschule in das wirtschaftliche Leben übertreten, den industriellen und den ländlichen Arbeitern, den Handwerkern und den Kaufleuten, besteht diese Übereinstimmung nicht. Noch heutigentags wird von Zeit zu Zeit die Frage aufgeworfen, ob diese Massen überhaupt noch den Unterricht in einer besonderen Berufsschule brauchen und ob nicht eine solche Schule der Praxis einen Teil ihrer kostbaren Zeit und damit einen Teil ihrer Wirksamkeit nimmt. Und doch ist die Frage schon seit länger als 100 Jahren durch die praktische Erfahrung im bejahenden Sinne beantwortet. Zwar ist es zweifellos eine der starken Seiten im wirtschaftlichen Leben Deutschlands, daß die Heranbildung des Nachwuchses für Handel und Gewerbe vornehmlich in Werkstatt und Kontor erfolgt und nicht den Schulen allein überlassen ist, und die Gesetzgebung des Deutschen Reiches hat sich seit den 80er Jahren mit Erfolg bemüht, dem Lehrverhältnis erhöhte Geltung [1129] und Wirksamkeit zu verleihen. Aber ebenso gewiß ist es, daß die praktische Lehre nur noch in Ausnahmefällen dem Lehrling die gründliche und die vielseitige Ausbildung zu geben vermag, deren der Anfänger bedarf, um unter den heutigen Verhältnissen des immer schärfer werdenden Wettbewerbs seine Stelle auszufüllen und sein Fortkommen zu finden. So sind, nicht aus Doktrinarismus oder aus bureaukratischem Bevormundungsstreben, sondern durch die Bedürfnisse des gewerblichen Lebens selbst neben die gewerbliche Praxis gewerbliche Schulen gestellt worden, die die Aufgabe haben, dem Nachwuchs im Handel und Gewerbe das Wissen und Können zu vermitteln, dessen er neben der praktischen Ausbildung bedarf. Diese Schulen führen von alters her die Namen Fach- und Fortbildungsschulen. Ihre Unterscheidung war nicht immer klar und ist auch jetzt nicht streng durchgeführt. Im allgemeinen aber kann man sagen, daß die Fortbildungsschulen die Berufsschulen für die Gesamtheit des gewerblichen Nachwuchses sind, während die Fachschulen nur für einzelne Zweige des gewerblichen Berufs bestimmt sind, diesen aber ein über die Fortbildungsschule hinausreichendes Können zu vermitteln haben.

Entstehung der Fortbildungs- und Fachschulen.

Die Entstehung sowohl der Fortbildungs- wie der Fachschulen fällt in die Zeit vor dem Jahre 1888 und kann daher hier nur kurz angedeutet werden. Die ersten Anfänge der Fortbildungsschulen liegen in den Sonntagsschulen, wie sie in fürstlichen Verordnungen des 18. (z. B. den Schulreglements Friedrichs des Großen von 1763 und 1765) und des beginnenden 19. Jahrhunderts vorgeschrieben wurden, um bei den Landeskindern das in der Volksschule erworbene Wissen zu erhalten und zu ergänzen. Diese Sonntagsschulen, die noch jetzt in Bayern bestehen, sind nicht Berufsschulen in unserem Sinne, sind aber oft ihre Vorläufer gewesen. Die Entstehung eigentlicher gewerblicher Fortbildungsschulen geht zurück auf die im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts errichteten Handwerker-Zeichenschulen und erhielt alsdann einen überaus wirksamen Anstoß dadurch, daß die Gewerbeordnung von 1869 die Fortbildungsschulpflicht in die Regelung des gewerblichen Arbeitsverhältnisses einbezog. In der Folgezeit baute die Gesetzgebung die dürftige Vorschrift vom Jahre 1869 Schritt für Schritt aus, so daß sie zur Grundlage umfassender, in dieser Art bisher nicht gekannter Schulorganisationen werden konnte.

Auch die Entstehung der Fachschulen reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück; denn die damals von fürstlicher Freigebigkeit gegründeten Akademien sollten nicht nur der hohen Kunst dienen, sondern auch kunstverständige Handwerker erziehen und fördern. Aber die damals gepflanzten Keime gingen bis auf wenige Reste unter in der Not der napoleonischen Jahre, und das 19. Jahrhundert mußte mit der Errichtung von Fachschulen im wesentlichen von vorn anfangen. Die Anregungen zu den Neugründungen kamen zum Teil vom Staat (Gewerbe-Akademie in Berlin und Provinzial-Gewerbeschulen), zum Teil von der Industrie (Textilschulen). Von großem Einfluß war die durch die ersten Londoner Weltausstellungen (1851) verbreitete Erkenntnis [1130] von der Überlegenheit der französischen Kunstindustrie und die dadurch gewonnene Einsicht, daß in der kunstgewerblichen Erziehung des Handwerks auf deutschem Boden schwere Versäumnisse nachzuholen waren.

Fragt man nun, was in der Entwicklung der Fach- und Fortbildungsschulen die Periode von 1888 bis 1913 bedeutet, so ist festzustellen, daß an dem wirtschaftlichen Aufschwung, den unser Volk in diesen 25 Jahren erlebt hat, auch das gewerbliche Schulwesen teilgehabt hat, aktiv durch seine Mitwirkung bei der Heranbildung tüchtiger Hilfskräfte für Werkstatt und Kontor, passiv dadurch, daß von den reichen Mitteln, die das aufstrebende Wirtschaftsleben in Umlauf setzte, auch den gewerblichen Schulen ihr Teil zufloß. Man kann nicht sagen, daß gerade das Jahr 1888 in der Entwicklung des gewerblichen Schulwesens einen Abschnitt bedeutet, gekennzeichnet aber ist die Zeit von 1888 bis 1913 dadurch, daß Staat, Gemeinden und wirtschaftliche Verbände in gemeinsamer Arbeit das Schulwesen durch Ausbau des Bestehenden und durch zahlreiche Neugründungen gefördert haben. Groß sind die Opfer, die Staat, Gemeinden und Körperschaften für die gewerblichen Schulen gebracht haben und Jahr für Jahr noch bringen. Denn gute Schulen kosten Geld, aber sie erstatten es zurück in der erhöhten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ihrer Zöglinge.

Verwaltung der Fach- und Fortbildungsschulen.

Die staatlichen, kommunalen und anderen Selbstverwaltungsorgane, die die Gründung und Ausgestaltung gewerblicher Schulen in Angriff nahmen, sahen sich vor Aufgaben gestellt, die nicht nur großenteils neu, sondern die auch besonders vielgestaltig waren. Handelt es sich doch darum, dem Tischler wie dem Schlosser, dem Schneider wie dem Schuhmacher, dem Bäcker und dem Fleischer wie dem Friseur und dem Installateur, dem Goldschmied wie dem Maschinenbauer, dem Handelslehrling wie dem Laufburschen das Maß von Berufsbildung in schulmäßiger Gestalt darzubieten, dessen sie alle für ihr Fortkommen bedürfen. Suchte man hier die Schulform zu bestimmen, den Lehrstoff abzugrenzen, die Lehrer auszuwählen und vorzubereiten, die Lehrmethode zu entwickeln, so gelangte man häufig genug auf wenig betretenes Gebiet. Es fehlten hier die tief ausgefahrenen Geleise, die die Fahrt zwar eintönig machen mögen, aber die Gewißheit bieten, daß man ans Ziel kommt. Es konnte kaum ausbleiben, daß ab und zu der richtige Weg verfehlt wurde und ein Umkehren nötig war. Diesen Schwierigkeiten konnte in den kleineren Bundesstaaten verhältnismäßig am leichtesten begegnet werden, wo es möglich war, ohne das Gefüge der Verwaltung zu stören, die Angelegenheiten des gewerblichen Unterrichts besonderen Fachbehörden zu übertragen. So wurde in Württemberg der Gewerbe-Oberschulrat, in Hessen die Zentralstelle für die Gewerbe, und in Baden das Großherzogliche Landes-Gewerbeamt errichtet, in dessen Geschäftskreis das gewerbliche Unterrichtswesen eine besonders wichtige Stellung einnimmt. In Preußen dagegen ging es nicht an, das gewerbliche Unterrichtswesen den Behörden zu entziehen, denen sowohl das Schulwesen wie die Förderung von Handel und Gewerbe anvertraut ist. Die Angelegenheiten des gewerblichen Unterrichts gehören daher zur Zuständigkeit der Regierungspräsidenten. [1131] Diesen sind jedoch zu deren Bearbeitung seit dem Jahre 1900 besondere technische Beamte mit der Amtsbezeichnung „Regierungs- und Gewerbeschulrat“ beigeordnet. Ferner ist zur ständigen technischen Beratung des Ministers für Handel und Gewerbe, dem seit 1885 das gewerbliche Unterrichtswesen untersteht, das Königliche Landes-Gewerbeamt errichtet, eine kollegiale Behörde, die die Aufgabe hat, an der Beaufsichtigung der gewerblichen Unterrichtsanstalten teilzunehmen, die im Inlande erscheinenden, das gewerbliche Unterrichtswesen betreffenden Veröffentlichungen zu sammeln und systematisch zu ordnen, und über die Entwicklung des gewerblichen Unterrichtswesens Verwaltungsberichte zu erstatten. Diese Verwaltungsberichte sind bisher in den Jahren 1905, 1907, 1909 und 1911 erschienen und bieten zur Orientierung über den Stand des gewerblichen Unterrichtswesens in Preußen das beste Hilfsmittel. Die Einrichtung, daß die Fach- und Fortbildungsschulen nicht dem Unterrichtsministerium, sondern demjenigen Ministerium unterstellt sind, das zur Pflege von Handel und Gewerbe berufen ist, findet sich auch in mehreren anderen Bundesstaaten.

Die Fortbildungsschulen.

Allgemeine Fortbildungsschulen.

Zu Beginn der Periode, von der hier zu handeln ist, also am Ende der 80er Jahre, bestand in den süddeutschen und in mehreren thüringischen Staaten sowie im Königreich Sachsen ein planmäßig entwickeltes System von allgemeinen Fortbildungsschulen. Durch Landesgesetze, die zumeist in den 70er Jahren erlassen waren, war vorgeschrieben, daß in Anlehnung an die Volksschulen Fortbildungsschulen zu errichten seien, deren Aufgabe es war, das in der Volksschule erworbene Wissen zu erhalten und zu befestigen. Zum Besuch dieser Fortbildungsschulen waren die aus der Volksschule entlassenen Knaben 1, 2 oder 3 Jahre in wenigen Wochenstunden verpflichtet. Ganz vereinzelt, nämlich in Baden und Sachsen-Meiningen, findet sich eine solche Verpflichtung auch für die schulentlassenen Mädchen, in anderen Bundesstaaten ist es den Gemeinden überlassen, die Verpflichtung auf die Mädchen auszudehnen. Die Aufgabe der allgemeinen Fortbildungsschulen ist, wie gesagt, die Pflege des Volksschulwissens; sie sind daher nicht in dem Sinne Berufsschulen, in dem wir davon gesprochen haben. Trotzdem sind sie für die Entwicklung der beruflich gerichteten gewerblichen und kaufmännischen Fortbildungsschulen von großer Bedeutung gewesen, da durchweg in den gesetzlichen Bestimmungen vorgesehen war, daß der Schulpflicht auch durch den Besuch einer gewerblichen oder kaufmännischen Fortbildungsschule genügt werden konnte. Dies hatte zur Folge, daß die Gewerbetreibenden den Besuch dieser Schulen bevorzugten und ihre Errichtung förderten. Auf diesem Wege gelangte besonders in Baden das gewerbliche Fortbildungsschulwesen zu hoher Blüte.

Berufliche Fortbildungsschulen.

In Preußen und den meisten anderen norddeutschen Bundesstaaten sowie in Elsaß-Lothringen [1132] bestanden zu dieser Zeit in eben nicht großer Zahl gewerbliche und kaufmännische Fortbildungsschulen. Sie waren den Aufgaben und dem Plan nach Berufsschulen, unterschieden sich aber in ihrem Lehrstoff und ihren Leistungen nicht allzusehr von den allgemeinen Fortbildungsschulen. Sie standen schon dadurch zu den Volksschulen in starker Abhängigkeit, daß es durchweg die Volksschullehrer waren, die den Unterricht erteilten. Sie wiesen außerdem zum großen Teil den Nachteil auf, daß für die Schüler keine Verpflichtung zum Schulbesuch bestand und daß in den Schulen deswegen ein planmäßiger Aufbau und eine feste Zucht fehlte. In diesen Beziehungen brachten die 90er Jahre eine wesentliche Wendung zum Besseren. Man machte Ernst damit, die gewerblichen und die kaufmännischen Fortbildungsschulen in Wirklichkeit zu dem zu machen, was sie in ihren Namen vorgaben zu sein, nämlich zu gewerblichen Berufsschulen. Man schuf, gestützt auf Vorschriften, die der preußische Handelsminister am 5. Juli 1897 erließ, neue Lehrpläne, in denen man den gewerblichen Beruf der Schüler in den Mittelpunkt des Unterrichts stellte und den gesamten Lehrstoff unter dem Gesichtspunkt der beruflichen Förderung der Schüler auswählte und gliederte. Man gab in Kursen den Lehrern die ihnen fehlende Anleitung zur Erteilung des Unterrichts, und man wandte bedeutende Mittel zur besseren Ausstattung der Schulen mit Lehrmitteln auf. Hierzu kam, daß vom Beginn des neuen Jahrhunderts ab die Verwaltungen der großen Industriestädte den Gedanken der Pflichtfortbildungsschule aufgriffen und, während die Fortbildungsschulen bis dahin meist nur die Handwerker und allenfalls die Kaufleute umfaßt hatten, durch statutarische Bestimmungen alle unter die Gewerbeordnung fallenden Gruppen von gewerblichen Arbeitern, insbesondere auch die ungelernten und die Fabrikarbeiter, der Fortbildungsschulpflicht unterwarfen. Bahnbrechend ging auf diesem Gebiete in Norddeutschland Magdeburg, in Süddeutschland München vor, denen in den folgenden Jahren nahezu alle Industriezentren, 1905 auch Berlin folgte.

Gesetzliche Grundlagen.

Inzwischen schuf auch die Reichsgesetzgebung neue Handhaben zur Förderung des Fortbildungsschulbesuchs der jugendlichen Arbeiter. Die Novelle zur Gewerbeordnung vom 26. Juli 1897 (das sogenannte Handwerkergesetz) und das neue Handelsgesetzbuch schärften den Lehrherren die Verpflichtung ein, die Lehrlinge zum Besuch der Fortbildungsschule anzuhalten und den Schulbesuch zu überwachen. Spätere Novellen zur Gewerbeordnung (vom 30. November 1900 und vom 27. Dezember 1911) erweiterten den Kreis der der Fortbildungsschulpflicht zu unterwerfenden Personen auf die weiblichen gewerblichen Arbeiter und verliehen schließlich den höheren Verwaltungsbehörden die tief eingreifende Befugnis, unter bestimmten Voraussetzungen über den Kopf der Gemeindeverwaltung hinweg die Fortbildungsschulpflicht einzuführen. Nach der jetzt geltenden Fassung des § 120 der Gewerbeordnung sind die gewerblichen Unternehmer verpflichtet, ihren Arbeitern unter 18 Jahren zum Besuch der Fortbildungsschule die erforderliche Zeit zu gewähren, die Gemeinden und die weiteren Kommunalverbände sind befugt, im Wege statutarischer Anordnung die Fortbildungsschulpflicht [1133] für die gewerblichen Arbeiter beiderlei Geschlechts unter 18 Jahren einzuführen und diejenigen Anordnungen zu treffen, die zur Sicherung eines regelmäßigen Schulbesuchs erforderlich sind und dazu dienen, die Ordnung in der Fortbildungsschule und ein gebührliches Verhalten der Schüler zu sichern. Die Fortbildungsschulpflicht erstreckt sich, wenn sie in dieser Weise eingeführt ist, auch auf die Zeit der Arbeitslosigkeit. Die Gesetzgebung einzelner Bundesstaaten hat die von der Reichs-Gewerbeordnung getroffene Anordnung in glücklicher Weise dadurch ergänzt, daß sie an die Stelle der vom Ermessen der Gemeinden und weiteren Kommunalverbände abhängigen statutarischen Schulpflicht eine gesetzliche Fortbildungsschulpflicht der jugendlichen gewerblichen Arbeiter eingeführt und gleichzeitig den Gemeinden die Verpflichtung zur Errichtung gewerblicher und kaufmännischer Fortbildungsschulen auferlegt hat; so insbesondere Württemberg, das durch Gesetz vom 22. Juli 1906 diese Anordnung für alle Gemeinden getroffen hat, in denen dauernd mindestens 40 schulpflichtige gewerbliche Arbeiter vorhanden sind. In Preußen, wo zwar die Bestimmungen der Gewerbeordnung in die Novelle zum allgemeinen Berggesetz vom 24. Juni 1892 (§ 87) übernommen sind, war ein ähnliches gesetzgeberisches Vorgehen wie in Württemberg geplant, ist aber nicht zum Ziel gekommen. Der Entwurf eines Pflichtfortbildungsschulgesetzes, den die Staatsregierung im Frühjahr 1911 vorlegte und der die Errichtung von Fortbildungsschulen in allen Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern vorsah, ist nicht über die Beratung in der Kommission des Abgeordnetenhauses hinausgelangt und nach Schluß der Landtagssession nicht wieder vorgelegt worden.

Erzieherische Aufgaben.

Die Ausgestaltung der Fortbildungsschule zu einer gewerblichen und kaufmännischen Berufsschule hat wesentlich dazu beigetragen, die Gegnerschaft der Gewerbetreibenden gegen die Fortbildungsschule, die von ihnen wegen der Nötigung, den jugendlichen Arbeitern die Zeit zum Schulbesuch freizugeben, als lästige Einrichtung empfunden wurde, zu beseitigen oder doch zu mildern. Trotzdem hat es nicht an Stimmen gefehlt, die diese Entwicklung als einen Irrweg verwerfen. Kein Geringerer als der Generalfeldmarschall Graf von Haeseler hat im Herrenhause (am 21. Mai 1912) Klage darüber geführt, daß die städtischen Fortbildungsschulen lediglich zu Fachschulen geworden seien. Darin liegt der Vorwurf, daß die Schule über ihren unterrichtlichen ihre erzieherischen Aufgaben vergessen habe. Begründet ist dieser Vorwurf nicht. Mögen einzelne Schulmänner bei der Entwicklung des fachlichen Charakters des Unterrichts in einer Art Entdeckerfreude zu weit gegangen sein, im allgemeinen kann die Fortbildungsschule für sich in Anspruch nehmen, daß sie sich ihrer erzieherischen Pflicht immer bewußt geblieben ist. Es ist kein Wort darüber zu verlieren, daß die jungen Menschen, die mit 14 Jahren die Volksschule verlassen und ins Leben treten, keine reifen Charaktere sind, sondern noch der Leitung und Erziehung bedürfen; nur möge man nicht glauben, daß ein allgemeiner, in den Bahnen der Volksschule sich bewegender Unterricht die Jugend fesseln und einer sittlichen Beeinflussung den Weg ebnen würde. Der junge Mensch, der als Arbeiter oder Lehrling in das gewerbliche Leben eingetreten ist, bewertet den Unterricht, zu [1134] dessen Besuch Staat und Gemeinde ihn zwingen, ganz von selbst danach, ob er ihm für den erwählten Beruf erkennbaren Nutzen bringt oder nicht. Nur wenn er erkennt, daß das in der Schule Gebotene ihn beruflich fördert, wird er der erzieherischen Einwirkung des Lehrers zugänglich sein. Die fachliche Gestaltung des Unterrichts steht somit nicht im Widerspruch zu den erzieherischen Aufgaben der Schule, sondern bildet vielmehr für deren Erfüllung die unentbehrliche Voraussetzung. Ganz in Übereinstimmung hiermit sagen die neuen Bestimmungen des preußischen Handelsministers (vom 1. Juli 1911) über Einrichtung und Lehrpläne der Fortbildungsschulen: „Die Pflichtfortbildungsschule hat die Aufgabe, die berufliche Ausbildung der jungen Leute zwischen 14 und 18 Jahren zu fördern und an ihrer Erziehung zu tüchtigen Staatsbürgern und Menschen mitzuwirken.“

Am Schluß der Periode von 1888 bis 1913 hebt, wenn nicht alle Zeichen trügen, für die Entwicklung der Fortbildungsschule eine neue Epoche an. Während nämlich von der Bestimmung der Gewerbeordnungs-Novelle vom Jahre 1900, wonach die als Handlungsgehilfen oder -lehrlinge beschäftigten jungen Mädchen unter 18 Jahren der statutarischen Fortbildungsschulpflicht unterworfen werden konnten, auffallend wenig Gebrauch gemacht worden ist, scheint, nachdem die Novelle von 1911 diese Beschränkung beseitigt und die Einführung der Fortbildungsschulpflicht für alle Gruppen der gewerblichen Arbeiterinnen unter 18 Jahren ermöglicht hat, das Interesse der Gemeinden für diesen Zweig des Fortbildungsschulwesens erwacht zu sein. Zu Ostern 1913 hat die Stadt Berlin die Pflichtfortbildungsschule für die jugendlichen Arbeiterinnen aller gewerblichen Berufszweige eröffnet, und eine Reihe von Gemeinden ist im Begriff, diesem Beispiel zu folgen.

Lehrpläne der gewerblichen Fortbildungsschulen.

Die gesetzlichen und die statutarischen Bestimmungen sehen im allgemeinen eine dreijährige Verpflichtung zum Besuch der Fortbildungsschule vor. Dem entspricht der die Regel bildende dreiklassige Aufbau der Fortbildungsschule. In kleineren Orten müssen allerdings der geringeren Schülerzahl wegen alle drei Jahrgänge in zwei oder sogar in einer Klasse vereint werden. Der Unterricht in der Fortbildungsschule soll, wie schon erwähnt, die Ausbildung in Werkstatt und Kontor fördern und ergänzen. Im Mittelpunkte des Lehrplans steht daher der Beruf des Schülers. Da die Schule die Praxis nicht verdrängen oder ersetzen will, beschränkt sich der Unterricht auf wenige Stunden in der Woche; in der Regel sind es sechs, seltener acht oder mehr, und bei den ungelernten Arbeitern häufig sogar nur vier Stunden wöchentlich, die die jungen Leute der Fortbildungsschule angehören. Innerhalb dieser geringen Unterrichtszeit aber soll die Schule bieten was möglich ist, um die Schüler beruflich zu fördern. Bei der gewerblichen Fortbildungsschule für die einem gelernten Beruf angehörigen Schüler steht daher in erster Linie die Einführung in die Fachkunde. Die Arbeitsvorgänge, die dem Schüler aus der Werkstatt vertraut sind, die Rohmaterialien, die Werkzeuge und Maschinen, mit denen er arbeitet, werden ihm zu tieferem Verständnis gebracht, um ihn [1135] dadurch zu denkendem, pflichtbewußtem Arbeiten zu erziehen. In den Dienst der Fachkunde tritt auch der Zeichenunterricht, der den Schüler zum Verständnis von Werkzeichnungen und zur eigenen Anfertigung einfacher technischer Zeichnungen aus seinem Beruf zu führen hat. Auch der Rechenunterricht dient der beruflichen Ausbildung. Die Übung der bloßen Fertigkeit tritt ganz zurück. Die Schüler sollen lernen, die für das bürgerliche und berufliche Leben notwendigen Aufgaben aufzusuchen und zu lösen. Dazu gehört, daß die Schüler mit Münzen, Maßen und Gewichten genau vertraut werden, daß auch die Flächen- und Körperberechnung geübt wird, soweit sie für das Gewerbe in Betracht kommt, und daß allen Übungen Aufgaben und Verhältnisse zugrund gelegt werden, die der Praxis des gewerblichen Lebens entsprechen. Ergänzend treten Unterweisungen in der gewerblichen und der Haushaltungsbuchführung hinzu. Der beruflichen Ausbildung dient auch der Unterricht in der Geschäftskunde. Die Schüler werden angeleitet, die im geschäftlichen Leben an sie herantretenden schriftlichen Arbeiten sachgemäß zu erledigen, die üblichen Formulare mit Verständnis auszufüllen, der Verkehr mit Post und Eisenbahn, die Einrichtungen und Hilfsmittel des Geldverkehrs werden erläutert. Das Maß, in dem alle diese Gebiete in den Lehrplänen der einzelnen Schulen berücksichtigt sind, ist sehr verschieden, da natürlich an kleinen Schulen, in deren Klassen mehrere Berufe vereinigt sind, die eigentliche Fachkunde in geringerem Umfange berücksichtigt werden kann als in Einberufsklassen.

Aber die Schüler sind nicht bloß angehende Gewerbetreibende, sie sind auch werdende Staatsbürger. Sie werden nach wenigen Jahren berufen sein, als Wähler, als Beisitzer in Schiedsgerichten und Gewerbegerichten, als Mitglieder von Kassenvorständen und an anderen Stellen in den öffentlichen Dingen entscheidend mitzuwirken, und sie werden an der politischen Entwickelung unseres Landes das Maß von Verantwortung mitzutragen haben, das jedem Staatsbürger zufällt. Für diesen ihren staatsbürgerlichen Beruf hat die Fortbildungsschule die Jugend ebenso vorzubereiten wie für den gewerblichen. Als weiteres Lehrfach kommt daher hinzu die Bürgerkunde. Sie hat die Aufgabe, den Zusammenhang des einzelnen und seiner Berufsarbeit mit dem gemeinschaftlichen Leben in Familie, Schule und Werkstatt, in Gemeinde, Staat und Reich zum Bewußtsein zu bringen, das Werden und Wesen wichtiger Einrichtungen des öffentlichen Lebens zu erklären, die Ehrfurcht vor der Verfassung und Rechtsordnung, die Liebe zu Heimat, Vaterland und Herrscher zu pflegen und Ziele für freudige Mitarbeit im Staate vor Augen zu stellen.

Die hier angeführten Stoffgebiete sind bei den gewerblichen Fortbildungsschulen der verschiedenen Bundesstaaten verschieden zusammengefaßt. Die preußischen Bestimmungen von 1911 unterscheiden die drei Lehrfächer Berufs- und Bürgerkunde, Rechnen und Buchführung und Zeichnen. Bei den süddeutschen Schulen ist die Gliederung vielfach eine weitergehende. Bei den größeren badischen Fortbildungsschulen (Gewerbeschulen) kommt als besonderes Fach die praktische Arbeit in eigenen Schulwerkstätten hinzu mit dem Ziele, einzelne Techniken zu üben, die der Lehrling in der Meisterlehre in der Regel nicht erlernt. In besonders bemerkenswerter Ausgestaltung findet sich der praktische Unterricht in den von dem Stadtschulrat Georg Kerschensteiner organisierten [1136] Fortbildungsschulen der Stadt München, an denen der praktische Unterricht nicht nur den Zweck hat, die Ausbildung in der Meisterlehre, wo sie mangelhaft ist, zu ergänzen, sondern besonders dazu dient, in der Form der gemeinsamen Arbeit die erzieherischen Aufgaben der Fortbildungsschule zu fördern.

Ungelernte Arbeiter.

Besondere Schwierigkeiten bietet die Aufstellung von Lehrplänen für die Klassen der ungelernten Arbeiter. Hierzu fehlt der Mittelpunkt eines bestimmten Berufes, den die Schüler ergriffen haben, um ihm für ihr weiteres Leben treu zu bleiben. An die Stelle der Fachkunde müssen deshalb Belehrungen über die gesetzliche Ordnung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse treten, in denen die Schüler stehen. Diese jungen Leute sind außerdem, da sie die Arbeitsstätte oft wechseln und der erziehliche Einfluß einer geordneten Lehre fehlt, ein recht unstetes Element. Um so dringlicher tritt an die Fortbildungsschule die Aufgabe heran, sie durch Belehrung und Erziehung auf den Weg einer vernünftigen Lebensführung leiten.

Ersatzschulen.

Einen Ersatz für die Pflichtschulen bilden in nicht seltenen Fällen Schulen, die von gewerblichen Unternehmern für ihre Arbeiter eingerichtet werden. Der Unterricht wird dann in der Regel in den Fabrikräumen und zum Teil von Angestellten des Werkes erteilt. Die Einrichtung bietet den Vorteil, daß die Zeit für die Schulwege gespart und die Belehrungen in die engste Beziehung zu der Tätigkeit der Schüler gebracht werden können.

In beschränkter Zahl haben auch die Innungen Schulen für die ihr angehörigen Lehrlinge errichtet. Ihnen fällt meist die Aufgabe zu, den Unterricht in der Fortbildungsschule nach der praktischen Seite hin zu ergänzen, seltener übernehmen sie die Aufgaben der Fortbildungsschule in ganzem Umfange.

Lehrpläne der kaufmännischen Fortbildungsschulen.

Bei den kaufmännischen Fortbildungsschulen nimmt die Stelle, die bei den gewerblichen Schulen die Fachkunde beansprucht, die Handelskunde ein. Der kaufmännische Briefwechsel wird geübt mit den dazugehörigen sachlichen Belehrungen aus dem Gebiete des Handelsrechts, der Wechsel- und Scheckkunde, des Verkehrswesens und des Bankwesens. Der Rechenunterricht tritt in ähnlicher Weise wie bei den gewerblichen Fortbildungsschulen ergänzend zur Fachkunde hinzu. Zugleich aber soll er die Schüler auch zur sicheren Beherrschung der dem kaufmännischen Berufe eigenen Rechnungsarten, wie der Prozent-, Zins-, Diskont-, Terminrechnung, der Warenrechnung, Kontokorrent, Effekten- und Devisenrechnung führen. Der Unterricht in der Buchführung erstreckt sich auf die einfache und die doppelte Buchführung bis zur Anfertigung einfacher Abschlüsse. Hinzu kommt ein beschränkter Unterricht in der Wirtschaftsgeographie, und die bürgerkundlichen Belehrungen nehmen denselben Platz ein wie bei den gewerblichen Fortbildungsschulen. Im Bedarfsfalle wird Unterricht im Schönschreiben, in Kurzschrift [1137] und Maschinenschreiben geboten; wenn ausreichende Zeit zur Verfügung steht, auch Unterricht in fremden Sprachen.

Auf die Einrichtung der Mädchen-Fortbildungsschulen wird später in anderem Zusammenhange näher eingegangen werden.

Ausbildung der Lehrer.

Der größte Teil des Unterrichts an den Fortbildungsschulen wird noch immer von Volksschullehrern im Nebenamte erteilt. Diese waren hierzu ohne weiteres befähigt, solange sich die Fortbildungsschule von den Bahnen der Volksschule nicht weit entfernte. Als aber der gewerbliche Charakter des Unterrichts zur Geltung kam, erwies sich bald, daß auch der tüchtige Volksschullehrer ohne besondere Anleitung zur Durchführung der neuen Lehrpläne nicht imstande war. Man zog Techniker und Handwerksmeister zur Erteilung des Unterrichts heran und machte damit gute Erfahrungen, wenn diese hinreichendes Lehrgeschick von Hause besaßen oder sich erarbeiteten. Allgemein aber trat die Notwendigkeit hervor, für eine besondere Ausbildung der an der Fortbildungsschule tätigen Lehrer, der Berufslehrer sowohl wie der Praktiker, zu sorgen. Für die große Zahl der im Nebenamt mit wenigen Stunden an der Fortbildungsschule beschäftigten Lehrer mußten und müssen Kurse von wenigen Wochen ausreichen, in denen eine notwendige Anleitung zur Aneignung und zur zweckmäßigen Behandlung des Lehrstoffes geboten wird.

Gründlicher mußte für die Lehrer gesorgt werden, die den Unterricht an der Fortbildungsschule als Lebensberuf ergreifen wollen. Für die hauptamtlichen Lehrer der kaufmännischen Fortbildungsschulen ist schon seit Ende des vorigen Jahrhunderts dadurch gesorgt worden, daß die Handelshochschulen die Ausbildung von Handelslehrern unter ihre Aufgaben aufnahmen und auch die Möglichkeit boten, die Ausbildung durch Ablegung einer Prüfung abzuschließen. Für die Ausbildung der hauptamtlichen Lehrer an gewerblichen Fortbildungsschulen hat zuerst Baden gesorgt, indem es an der Großherzoglichen Baugewerksschule in Karlsruhe eine besondere Abteilung zur Heranbildung von Gewerbelehrern einrichtete. Neuerdings ist auch Sachsen mit Schaffung einer ähnlichen Einrichtung bei der Gewerbe-Akademie in Chemnitz und Preußen durch Eröffnung eines Seminarkurses von einjähriger Dauer in Charlottenburg gefolgt.

Fachschulen.

Entwicklung.

Mehr noch, wie von den Fortbildungsschulen, kann man von den Fachschulen sagen, daß zu Beginn der Periode 1888–1913 nur Anfänge vorhanden waren, und nicht einmal immer viel versprechende. Nicht daß an den maßgebenden Stellen die Einsicht gefehlt hätte, was not tat und welche Bedeutung gut eingerichtete Fachschulen erlangen können. Es waren gerade zu jener Zeit in Nord- wie in [1138] Süddeutschland hervorragende Beamte und Schulmänner tätig, auf deren Spuren die heutige Generation noch jetzt wandelt. Damals aber fehlte ihnen die Gefolgschaft; es fehlten vor allem die Mittel, ohne die sich ein leistungsfähiges Fachschulwesen nicht organisieren läßt. Nicht nur der Staat hielt sich zurück, sondern vielfach auch die Gemeinden, so daß stellenweise der Fachunterricht dem Unternehmungsgeist von Vereinen, wo nicht gar von einzelnen Personen anheimfiel. Dies hatte zur Folge, daß es zum Teil an einheitlichen Grundsätzen für die Schulen derselben Fachrichtung fehlte, daß die Anstellungsverhältnisse der Lehrer ungeregelt waren, und daß der Ausbau der Schulen und die Errichtung neuer Anstalten mit dem Bedürfnis nicht annähernd Schritt hielt. In allen diesen Beziehungen ist in den letzten 25 Jahren eine weitgehende Besserung eingetreten. Das blühende Fachschulwesen, dessen sich Deutschland jetzt erfreut, ist das gemeinsame Werk des Staates, der Gemeindeverwaltungen und der an den Schulen interessierten Kreise von Handel und Gewerbe. Die Fachschulen sind jetzt nach Zahl und Art so mannigfaltig, daß eine vollständige Aufzählung nicht möglich ist und auch wohl eher verwirrend als belehrend wirken würde; es sollen daher nur die wichtigsten Gruppen erwähnt werden. Einer bemerkenswerten Verschiedenheit in der Organisation der preußischen Anstalten einerseits und derer in mehreren anderen Bundesstaaten sei dabei besonders Erwähnung getan. In Preußen gilt, abgesehen von den Handwerker- und Kunstgewerbeschulen, der Grundsatz, daß die Schulen als Spezialschulen für einzelne Gewerbszweige eingerichtet werden, während sich in den anderen Bundesstaaten, übereinstimmend mit dem von Österreich in der Einrichtung der Staats-Gewerbeschulen gegebenen Beispiel, verschiedentlich große Zentralanstalten finden, in denen Bildungsgelegenheiten für verschiedene Gewerbszweige vereinigt sind. So umfaßt die Gewerbe-Akademie in Chemnitz die Aufgabe einer Maschinenbauschule, einer Baugewerksschule, einer gewerblichen Zeichenschule und einer Färbereischule; die Baugewerksschule in Karlsruhe neben der Gewerbe-Lehrabteilung eine bautechnische und eine maschinentechnische Abteilung. Ähnliche Verbindungen finden sich an den technischen Schulen in Bremen, Straßburg und an anderen Orten.

Handwerker- und Kunstgewerbeschulen.

Unter den Fachschulen sind die verbreitetste Gruppe die Handwerker- und Kunstgewerbeschulen. Sie sind bestimmt für die Angehörigen derjenigen Gewerbe, zu deren Ausbildung eine weitergehende geschmackliche und zeichnerische Durchbildung erforderlich ist, also für Dekorationsmaler, Modelleure, Tischler, Möbelzeichner, Metalltreiber, Ziseleure, Graveure, Lithographen, Schmiede und Schlosser und andere mehr. Sie haben in der Regel keinen festen klassenmäßigen Aufbau, sondern sind gegliedert in Kurse, die sich der Eigenart des einzelnen Gewerbes anpassen. In weitem Umfange nehmen sie durch Darbietung von Sonntag- und Abendunterricht darauf Rücksicht, daß ihre Besucher genötigt sind, sich durch gewerbliche Tätigkeit ihren Unterhalt zu verdienen. Daneben stehen Tagesklassen offen für diejenigen, die in der Lage sind, sich ganz der Ausbildung in der Schule für kürzere oder längere Zeit zu widmen. In den 80er Jahren bis hinein in die 90er Jahre waren die Handwerker- und Kunstgewerbeschulen ganz [1139] überwiegend Zeichenschulen, in denen die historischen Stilarten gepflegt und das Ornamentieren gelehrt wurde. Als sich dann von den 90er Jahren ab in Kunst und Kunstgewerbe die große innere Wandlung vollzog, die zu der Abkehr von den Stilnachahmungen führte und als Ziel das sachgemäße und materialgerechte Bilden setzte, ergriff diese Bewegung auch die Kunstgewerbeschulen. Die Pflege der historischen Stile wurde dem kunstgeschichtlichen Unterricht überlassen und ein eifriges und liebevolles Studium der Natur zum Ausgangspunkt der kunstgewerblichen Erziehung gemacht. Jetzt konnte auch die Schule, die ihre Schüler zum sachgemäßen und materialgerechten Bilden erziehen wollte, nicht mehr bloße Zeichenschule bleiben. Die Schüler mußten die Möglichkeit haben, in ihrem Material zu arbeiten und Ausführungsproben zu ihren Entwürfen zu machen. So geschah es, daß nach und nach bei allen Handwerker- und Kunstgewerbeschulen Werkstätten eingerichtet wurden. Diese dienen nicht dazu, Gegenstände für den Absatz herzustellen, sondern sie sind eines der wichtigsten Mittel zur Bildung und Erziehung des kunstgewerblichen Nachwuchses. Welche Bedeutung die kunstgewerblichen Lehranstalten als Bildungsstätten für die Jugend besitzen, kann man daran erkennen, daß die preußischen Schulen (für die übrigen stehen die Zahlen nicht zur Verfügung) im Winter 1912–1913 von 3525 Tagesschülern und 11 728 Abendschülern besucht wurden. Der kunstgewerblichen Erziehung dienen außer den Handwerker- und Kunstgewerbeschulen noch eine Reihe von Spezialfachschulen, wie die Holzschnitzschulen, die keramischen und Glas-Fachschulen, die photographischen Lehranstalten und mehrere andere.

Baugewerbeschulen.

Bei den Fachschulen für das Baugewerbe ist in den letzten 25 Jahren eine für das ganze Reich maßgebende einheitliche Organisation durchgeführt. Die Führung hierbei hat die preußische Regierung gehabt, indem sie die vorhandenen Baugewerksschulen bis auf eine verstaatlichte, ihre Zahl durch eine Reihe von Neugründungen vermehrte, die Anstellungs-, Besoldungs- und Titelverhältnisse der Lehrer nach dem Muster der höheren Lehranstalten regelte, und schließlich einheitliche Lehrpläne und Prüfungen einführte. Den im Besitz der Einjährigen-Berechtigung befindlichen Absolventen der Baugewerksschulen wurde außerdem von den zuständigen Staats- und Reichsbehörden die Laufbahn der Bausekretäre, der technischen Eisenbahnsekretäre, Eisenbahn-Betriebsingenieure und Eisenbahn-Ingenieure sowie der technischen Sekretariats-Aspiranten bei der Marineverwaltung eröffnet. Der Wunsch, diese Berechtigungen auch den Absolventen ihrer Baugewerksschulen zu verschaffen, veranlaßte die übrigen Bundesstaaten, die preußische Organisation und die preußischen Lehrpläne anzunehmen. Der im Jahre 1899 erlassene Normallehrplan, der einen viersemestrigen Aufbau vorsah, wurde vom Jahre 1908 dahin umgestaltet, daß der Lehrgang auf 5 Halbjahre erweitert wurde. Die Baugewerksschulen zerfallen in Hoch- und Tiefbauabteilungen. Beide Abteilungen haben in den ersten 3 Halbjahren gemeinsamen, in den letzten beiden Halbjahren getrennten Unterricht. Aufnahmefähig sind junge Leute, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, den Lehrstoff einer mehrklassigen Volksschule beherrschen und eine handwerksmäßige Tätigkeit im Baugewerbe von 12 Monaten nachweisen können.

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Schulen für die Metallgewerbe.

Ähnlich ist die Entwicklung bei der wichtigsten Gruppe unter den Fachschulen für das Metallgewerbe gewesen, den Maschinenbauschulen. Diese sind teils als höhere Maschinenbauschulen zur Heranbildung von Maschinentechnikern und Technikern für Konstruktionsbureaus, teils als (niedere) Maschinenbauschulen zur Heranbildung von Werkmeistern und ähnlichen Betriebsbeamten und Hilfskräften für Konstruktionsbureaus eingerichtet. Auch hier haben die den Absolventen zugestandenen Berechtigungen für den Eintritt in die mittleren Beamtenstellen der Reichs- und Staatsbetriebe dahin geführt, daß die meisten außerpreußischen Anstalten sich der preußischen Organisation angeschlossen haben. Ebenfalls sind hier seit 1910 neue Lehrpläne eingeführt, die für die höheren Maschinenbauschulen einen fünfsemestrigen und für die Maschinenbauschulen einen viersemestrigen Lehrgang vorsehen. Die Aufnahme in die höhere Maschinenbauschule setzt die wissenschaftliche Befähigung zum Einjährig-Freiwilligendienst oder Ablegung einer entsprechenden Prüfung und eine mindestens zweijährige praktische Werkstatt-Tätigkeit, die Aufnahme in eine Maschinenbauschule gute Volksschulbildung und mindestens vierjährige praktische Werkstatt-Tätigkeit voraus. Der Unterricht ist ein theoretischer und ein zeichnerischer und wird unterstützt durch Übungen im Laboratorium.

Zu den Fachschulen für die Metallgewerbe gehören noch mehrere Gruppen von weniger zahlreich vertretenen Schulen, wie die höheren Schiff- und Schiffmaschinenbauschulen in Kiel und Hamburg, die Hüttenschulen in Duisburg und Gleiwitz, die Schlosserschule in Roßwein, die Kupferschmiedeschule in Hannover, die Installateurschule in Köln, die Feinmechanikerschule in Göttingen und schließlich eine Gruppe von Schulen für die Kleineisenindustrie und einige andere vornehmlich als Hausindustrie an bestimmten Orten vertretene Gewerbszweige (Schmalkalden, Iserlohn, Siegen, Remscheid). Diese letzten weisen die Besonderheit auf, daß sie eine vollständige handwerksmäßige Ausbildung bieten.

Schulen für die Textilindustrie.

Auch die Fachschulen für die Textilindustrie haben an der günstigen Entwickelung des gesamten Fachschulwesens teilgenommen. Zwar ist hier nicht wie bei den Baugewerkschulen und den Maschinenbauschulen eine völlige Übernahme auf den Staat erfolgt, wohl aber haben die Regierungen der beteiligten Bundesstaaten die Webeschulen (oder Fachschulen für die Textilindustrie, wie sie in Preußen seit 1900 genannt werden) unter Beibehaltung ihres Charakters als kommunaler, Vereins- oder Privatunternehmen aus Staatsmitteln reichlich unterstützt und für Einführung verbesserter Lehrpläne sowie für Ergänzung und Erneuerung der Ausstattung gesorgt. Besonders gilt dies für Preußen, wo zunächst die Schule in Krefeld reorganisiert und für die Fächer der Färberei und Appretur ausgebaut wurde. Im weiteren Verlauf wurden die Anstalten in Webeschulen (Fachschulen für Textilindustrie) zur Ausbildung von Werkmeistern und höhere Webeschulen (höhere Fachschule für Textilindustrie) zur Ausbildung von Fabrikanten und Fabrikdirektoren geschieden. Dann wurde in die Lehrpläne Unterricht für Färber, Appreteure und Musterzeichner, sowie für Kaufleute aus der Manufakturwarenbranche, ferner [1141] Kurse in der Wäsche- und Kleiderkonfektion aufgenommen. Auf der anderen Seite wurde das Arbeitsgebiet der einzelnen Schulen auf den anderen Sitz der vorherrschende Zweig der Textilindustrie, nämlich die Wollen-, Baumwollen-, Seiden- und Samt- oder Leinenindustrie beschränkt. Der Unterricht ist theoretisch und praktisch, zu welchem Zweck die Schulen mit Webstühlen und anderen maschinellen Hilfsmitteln reichhaltig ausgestattet sind. 1912 bestanden in Preußen 13 Fachschulen für Textilindustrie (mit 2416 Schülern), in Bayern 6, in Sachsen 18, in Württemberg 2, in Hessen, Reuß ä. L. und Elsaß-Lothringen je 1.

Spezialschulen für Schiffahrt und Bergbau.

Zur Ausbildung der seeschiffahrttreibenden Bevölkerung dienen in den Uferstaaten der Nord- und Ostsee die Navigationsschulen, die Schiff- und Schiffmaschinenbauschulen (Kiel und Hamburg) und die Seedampfschiff-Maschinistenschulen, zur Ausbildung von Steigern und Markscheidern für die Bergbaubetriebe die Bergschulen und Bergvorschulen in Preußen und Sachsen.

Handelsschulen.

Während Deutschland ein aufblühendes kaufmännisches Fortbildungsschulwesen und eine reichlich ausreichende Zahl von Handelshochschulen besitzt, ist das mittlere Handelsschulwesen schwach und ungleichmäßig entwickelt. Wohl besitzt Sachsen eine Anzahl Handelsschulen, deren dreijähriger Jahrgang auf der Volksschule aufbaut und deren Abschlußprüfung die Berechtigung zum Einjährig-Freiwilligendienst verleiht, wohl finden sich auch an einer größeren Zahl bayrischer Realschulen Handelsabteilungen, dagegen sind in Preußen sog. Handelsrealschulen nur in geringer Zahl vorhanden und die kaufmännischen Fächer nehmen an ihnen eine vergleichsweise bescheidene Stellung ein. Zahlreicher sind die öffentlichen Handelsschulen, deren Aufgabe es ist, in einjährigem (bisweilen auch 1½ oder 2jährigem) Lehrgang den Schülern vor dem Eintritt in die kaufmännische Lehre die Kenntnisse und Fertigleiten zu vermitteln, die das Lehrziel der kaufmännischen Fortbildungsschule bilden. Der erfolgreiche Besuch einer solchen Handelsschule gewährt gewöhnlich Befreiung vom Besuch der kaufmännischen Fortbildungsschule. Wird bei diesen Schulen als Aufnahmebedingung der Besitz der Einjährig-Freiwilligen-Berechtigung oder eine entsprechende Mädchenschulbildung verlangt, so führen sie die Bezeichnung Höhere Handelsschulen und pflegen im Lehrplan zwei fremde Sprachen zu berücksichtigen.

Schulen für die weibliche Jugend.

Grundsätzliches.

Die Berufsstatistik lehrt, daß die Frau zu den gewerblichen Berufen, die ihr von alters her eigen sind, immer neue hinzuerobert. Auf zahlreichen Gebieten ist sie mit dem Manne in Wettbewerb getreten, an vielen Stellen hat sie sich unentbehrlich gemacht. Wer es unternimmt, diese Entwickelung zu [1142] fördern, muß sich bewußt bleiben, daß mit jeder Stelle, aus der der Mann verdrängt wird, den sie bisher ernährt hat, sich auch die Möglichkeit der Familiengründung und damit die Heiratsaussicht der Frau verringert. Und dennoch dürfen der Frau die Gelegenheiten zur Berufsausbildung nicht vorenthalten bleiben, die dem Manne geboten werden. Man beseitigt den Wettbewerb zwischen Mann und Frau nicht dadurch, daß man die Bedingungen des einen Teils in parteiischer Weise verschlechtert. Für den Mann ist überdies der Wettbewerb der wenig leistenden und darum schlecht gelohnten Frau verderblicher als derjenige der gut vorgebildeten und deshalb zu höheren Lohnansprüchen berechtigten Frau.

Pflichtfortbildungsschulen.

Es ist deshalb zu begrüßen, daß wenigstens am Schluß der Periode von 1888–1913 die Errichtung von Mädchen-Pflichtfortbildungsschulen in Fluß kommt. Diese neue Entwickelung hat in ihren ersten Anfängen bereits eine lebhaft erörterte Streitfrage gezeitigt. Ein großer Verband von Handlungsgehilfen, der mit Besorgnis auf das zunehmende Eindringen weiblicher Arbeitskräfte in den Handel blickt, fordert, daß in der Mädchen-Fortbildungsschule ausschließlich hauswirtschaftlicher Unterricht erteilt werde, um die jungen Mädchen auf den natürlichen Beruf des Weibes als Frau und Mutter vorzubereiten. Die radikalen Organisationen der Frauen dagegen verlangen, daß der Fortbildungsunterricht für die jungen Mädchen genau so gestaltet werde wie für die jungen Männer, mit denen sie in Wettbewerb zu treten haben, daß er also unter Ausschluß des hauswirtschaftlichen Unterrichts rein fachlich sei. Diesen Standpunkt haben sich auch mehrere Handelskammern und andere Vertreter des kaufmännischen Unternehmertums zu eigen gemacht. Bei der Entscheidung dieser Streitfrage muß die Gesamtheit der Lebensverhältnisse der gewerblich tätigen Mädchen in Betracht gezogen werden. Nun lehrt die Statistik, daß von den gewerblich tätigen Mädchen der größte Teil – erfreulicherweise – heiratet. Das Mädchen steht also dem gewerblichen Beruf von vornherein anders gegenüber als der Mann. Für diesen ist er Lebensinhalt, für das Mädchen eine Übergangsbeschäftigung, auch wenn häufig genug an die Frau nach der Verheiratung die Gelegenheit oder sogar die Notwendigkeit herantreten wird, im Geschäfte des Mannes oder als Witwe gewerblich tätig zu sein. Fehlt den gewerblich tätigen Mädchen die Förderung, die der männlichen Jugend die Fortbildungsschule bietet, so wächst die Gefahr, daß das Mädchen bei minderwertigen Leistungen als Lohndrückerin wirkt. Wird die Gelegenheit, die die Fortbildungsschule bietet, nicht benutzt, bei der weiblichen Jugend die hauswirtschaftlichen Kenntnisse und Fertigkeiten zu pflegen, so ist vorauszusehen, daß zahllose Mädchen, wenn sie sich verheiraten, nicht imstande sind, eine ordentliche Wirtschaft zu führen, dem Manne ein nahrhaftes Essen zu bereiten, das Einkommen der Familie verständig einzuteilen, bei Kinder- und Krankenpflege sachgemäß zu verfahren. Unglückliche Ehen und zerstörtes Familienleben mit allen ihren für das Volksganze so traurigen Wirkungen sind die Folge. Soll die Fortbildungsschule einmal eine Berufsschule sein, so bleibt nichts anderes übrig, als daß sie dem doppelten Beruf der gewerblich tätigen Frau als gewerbliche [1143] Arbeiterin und als künftige Gattin und Mutter Rechnung trägt. Die Frage des Lehrplans löst sich verhältnismäßig am leichtesten für die Klassen der ungelernten Arbeiterinnen; hier kann dem hauswirtschaftlichen Unterricht neben der Lebenskunde ohne weiteres der größte Platz eingeräumt werden. Bei den übrigen Gruppen, also den gelernten weiblichen Arbeiterinnen, den Kontoristinnen und den Verkäuferinnen, bleibt, wenn es nicht möglich ist, die Zahl der Unterrichtsstunden zu vermehren, nichts anderes übrig, als den fachlichen Unterricht soweit einzuschränken, daß etwa ein Viertel der Unterrichtszeit dem hauswirtschaftlichen Unterricht gewidmet werden kann. Dies ist auch der Standpunkt, den der preußische Handelsminister der erwähnten Streitfrage gegenüber eingenommen hat.

Fachschulen.

Früher als das Fortbildungsschulwesen ist das Fachschulwesen für die weibliche Jugend zur Entwickelung gelangt. Es entsprach nach dem Gesagten und einem Gebote der Gerechtigkeit, daß der Frau die Pforten derjenigen Fachschulen geöffnet würden, die für ihre Erwerbstätigkeit in Betracht kommen. So haben Frauen Zutritt zu den Kursen der Kunstgewerbeschulen und der Textilfachschulen, und sie finden dort auch besondere Klassen zur Pflege der weiblichen Kunsthandarbeiten und der Konfektion. Außerdem aber sind – und das gilt in besonderem Maße von den letzten 25 Jahren – besondere Fachschulen für die weibliche Jugend errichtet worden. Zum Teil dienen sie der Pflege einzelner Zweige der weiblichen Kunstfertigkeit, wie Stickschulen, Spitzenklöppelschulen, Handschuh- und Kravattennähschulen. Indes haben diese Schulen, so wertvoll sie im einzelnen sind, zumeist mehr örtliche Bedeutung. Von sehr viel weiter reichender Wirksamkeit sind die zahlreichen und immer noch einer weiteren Vermehrung bedürftigen Gewerbe- und Haushaltungsschulen. Sie verdanken ihre Entstehung der Wirksamkeit weitblickender Volksfreunde (Lette) und gemeinnütziger Vereine (Vaterländischer Frauenverein), erst in den letzten Jahren haben sich der Staat und die Gemeindeverwaltungen dieser Schulen angenommen. In Preußen bestehen sogar vierstaatliche Anstalten (Posen, Potsdam, Rheydt und Thorn), von denen jedoch drei als Privatunternehmen entstanden sind. Die größeren Anstalten dieser Art umfassen (außer einer Handelsschule, siehe oben) in der Regel eine Haushaltungsschule mit einjährigem Lehrgang für Kochen, Backen und Einmachen, Waschen und Plätten, Hausarbeit, einfache Handarbeiten, Maschinennähen, Gesundheitslehre, Kinder- und Krankenpflege. Alle diese Gebiete werden in dem Umfange behandelt, in dem das junge Mädchen sie später an der eigenen Wirtschaft beherrschen muß. Eine weitere Abteilung dieser Anstalten bilden die Gewerbeschulen mit teilweise längeren Lehrgängen für einfache Handarbeit, Maschinennähen und Wäscheanfertigung, Schneidern, Putzmachen, Waschen und Plätten, Kochen und Backen, Kunsthandarbeiten, Zeichnen und Malen, in denen die Schülerinnen so weit gefördert werden, daß sie zur gewerblichen Betätigung auf dem erwählten Gebiet befähigt sind. Einzelne dieser Anstalten sind mit Pensionaten und mit Seminaren sowohl für Handarbeits- und Hauswirtschaftslehrerinnen wie für Gewerbeschullehrerinnen verbunden.

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Rückblick.

Die Zeit von 1888–1913 umschließt auf beiden Gebieten des gewerblichen Unterrichtswesens eine kräftige und gesunde Entwicklung. Der große, volkserzieherische Gedanke der Pflichtfortbildungsschule ist zur Anerkennung gelangt, den Schulen sind klare Ziele gesteckt und materielle Mittel zu ihrem Gedeihen in reichem Maße zuteil geworden. Die Fachschulen sind aus ihrer Aschenbrödelstellung gegenüber den anderen öffentlichen Schulen mehr und mehr befreit worden; Staat und Gemeinden haben sich ihrer angenommen, ihre Zahl ist vermehrt, ihre innere Einrichtung geregelt und ihre äußere Ausstattung verbessert worden. Aber von einer abgeschlossenen Entwicklung ist nicht die Rede, große Aufgaben harren noch der Lösung. In den meisten Bundesstaaten, darunter auch in Preußen, entbehrt die Fortbildungsschule noch der festen gesetzlichen Regelung. Ihre vom Ermessen zahlloser Gemeindeverwaltungen abhängige Organisation ist lückenhaft und weist zahlreiche, sachlich nicht begründete Verschiedenheiten auf. Die Mädchen-Pflichtfortbildungsschule steht erst in den frühesten Anfängen. Auf dem Gebiete der Fachschulen kann es der Natur der Sache nach keinen Abschluß der Entwicklung geben, solange Technik und Wirtschaft fortschreiten. Neue technische Unternehmungen erfordern, je höher sie stehen, um so dringlicher Hilfskräfte, die über eine besondere Berufsvorbildung verfügen; man denke nur an elektrische Überlandzentralen, Automobilwesen und Luftschiffahrt. Gewiß sind es andere Mächte, die den Sieg im wirtschaftlichen Wettkampf der Völker entscheiden, aber für die Führer in diesem Kampf sind die Fortbildungsschulen wie die Fachschulen treue und unentbehrliche Bundesgenossen.