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bestanden zu dieser Zeit in eben nicht großer Zahl gewerbliche und kaufmännische Fortbildungsschulen. Sie waren den Aufgaben und dem Plan nach Berufsschulen, unterschieden sich aber in ihrem Lehrstoff und ihren Leistungen nicht allzusehr von den allgemeinen Fortbildungsschulen. Sie standen schon dadurch zu den Volksschulen in starker Abhängigkeit, daß es durchweg die Volksschullehrer waren, die den Unterricht erteilten. Sie wiesen außerdem zum großen Teil den Nachteil auf, daß für die Schüler keine Verpflichtung zum Schulbesuch bestand und daß in den Schulen deswegen ein planmäßiger Aufbau und eine feste Zucht fehlte. In diesen Beziehungen brachten die 90er Jahre eine wesentliche Wendung zum Besseren. Man machte Ernst damit, die gewerblichen und die kaufmännischen Fortbildungsschulen in Wirklichkeit zu dem zu machen, was sie in ihren Namen vorgaben zu sein, nämlich zu gewerblichen Berufsschulen. Man schuf, gestützt auf Vorschriften, die der preußische Handelsminister am 5. Juli 1897 erließ, neue Lehrpläne, in denen man den gewerblichen Beruf der Schüler in den Mittelpunkt des Unterrichts stellte und den gesamten Lehrstoff unter dem Gesichtspunkt der beruflichen Förderung der Schüler auswählte und gliederte. Man gab in Kursen den Lehrern die ihnen fehlende Anleitung zur Erteilung des Unterrichts, und man wandte bedeutende Mittel zur besseren Ausstattung der Schulen mit Lehrmitteln auf. Hierzu kam, daß vom Beginn des neuen Jahrhunderts ab die Verwaltungen der großen Industriestädte den Gedanken der Pflichtfortbildungsschule aufgriffen und, während die Fortbildungsschulen bis dahin meist nur die Handwerker und allenfalls die Kaufleute umfaßt hatten, durch statutarische Bestimmungen alle unter die Gewerbeordnung fallenden Gruppen von gewerblichen Arbeitern, insbesondere auch die ungelernten und die Fabrikarbeiter, der Fortbildungsschulpflicht unterwarfen. Bahnbrechend ging auf diesem Gebiete in Norddeutschland Magdeburg, in Süddeutschland München vor, denen in den folgenden Jahren nahezu alle Industriezentren, 1905 auch Berlin folgte.

Gesetzliche Grundlagen.

Inzwischen schuf auch die Reichsgesetzgebung neue Handhaben zur Förderung des Fortbildungsschulbesuchs der jugendlichen Arbeiter. Die Novelle zur Gewerbeordnung vom 26. Juli 1897 (das sogenannte Handwerkergesetz) und das neue Handelsgesetzbuch schärften den Lehrherren die Verpflichtung ein, die Lehrlinge zum Besuch der Fortbildungsschule anzuhalten und den Schulbesuch zu überwachen. Spätere Novellen zur Gewerbeordnung (vom 30. November 1900 und vom 27. Dezember 1911) erweiterten den Kreis der der Fortbildungsschulpflicht zu unterwerfenden Personen auf die weiblichen gewerblichen Arbeiter und verliehen schließlich den höheren Verwaltungsbehörden die tief eingreifende Befugnis, unter bestimmten Voraussetzungen über den Kopf der Gemeindeverwaltung hinweg die Fortbildungsschulpflicht einzuführen. Nach der jetzt geltenden Fassung des § 120 der Gewerbeordnung sind die gewerblichen Unternehmer verpflichtet, ihren Arbeitern unter 18 Jahren zum Besuch der Fortbildungsschule die erforderliche Zeit zu gewähren, die Gemeinden und die weiteren Kommunalverbände sind befugt, im Wege statutarischer Anordnung die Fortbildungsschulpflicht

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/695&oldid=- (Version vom 20.8.2021)