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Süddeutschland hervorragende Beamte und Schulmänner tätig, auf deren Spuren die heutige Generation noch jetzt wandelt. Damals aber fehlte ihnen die Gefolgschaft; es fehlten vor allem die Mittel, ohne die sich ein leistungsfähiges Fachschulwesen nicht organisieren läßt. Nicht nur der Staat hielt sich zurück, sondern vielfach auch die Gemeinden, so daß stellenweise der Fachunterricht dem Unternehmungsgeist von Vereinen, wo nicht gar von einzelnen Personen anheimfiel. Dies hatte zur Folge, daß es zum Teil an einheitlichen Grundsätzen für die Schulen derselben Fachrichtung fehlte, daß die Anstellungsverhältnisse der Lehrer ungeregelt waren, und daß der Ausbau der Schulen und die Errichtung neuer Anstalten mit dem Bedürfnis nicht annähernd Schritt hielt. In allen diesen Beziehungen ist in den letzten 25 Jahren eine weitgehende Besserung eingetreten. Das blühende Fachschulwesen, dessen sich Deutschland jetzt erfreut, ist das gemeinsame Werk des Staates, der Gemeindeverwaltungen und der an den Schulen interessierten Kreise von Handel und Gewerbe. Die Fachschulen sind jetzt nach Zahl und Art so mannigfaltig, daß eine vollständige Aufzählung nicht möglich ist und auch wohl eher verwirrend als belehrend wirken würde; es sollen daher nur die wichtigsten Gruppen erwähnt werden. Einer bemerkenswerten Verschiedenheit in der Organisation der preußischen Anstalten einerseits und derer in mehreren anderen Bundesstaaten sei dabei besonders Erwähnung getan. In Preußen gilt, abgesehen von den Handwerker- und Kunstgewerbeschulen, der Grundsatz, daß die Schulen als Spezialschulen für einzelne Gewerbszweige eingerichtet werden, während sich in den anderen Bundesstaaten, übereinstimmend mit dem von Österreich in der Einrichtung der Staats-Gewerbeschulen gegebenen Beispiel, verschiedentlich große Zentralanstalten finden, in denen Bildungsgelegenheiten für verschiedene Gewerbszweige vereinigt sind. So umfaßt die Gewerbe-Akademie in Chemnitz die Aufgabe einer Maschinenbauschule, einer Baugewerksschule, einer gewerblichen Zeichenschule und einer Färbereischule; die Baugewerksschule in Karlsruhe neben der Gewerbe-Lehrabteilung eine bautechnische und eine maschinentechnische Abteilung. Ähnliche Verbindungen finden sich an den technischen Schulen in Bremen, Straßburg und an anderen Orten.

Handwerker- und Kunstgewerbeschulen.

Unter den Fachschulen sind die verbreitetste Gruppe die Handwerker- und Kunstgewerbeschulen. Sie sind bestimmt für die Angehörigen derjenigen Gewerbe, zu deren Ausbildung eine weitergehende geschmackliche und zeichnerische Durchbildung erforderlich ist, also für Dekorationsmaler, Modelleure, Tischler, Möbelzeichner, Metalltreiber, Ziseleure, Graveure, Lithographen, Schmiede und Schlosser und andere mehr. Sie haben in der Regel keinen festen klassenmäßigen Aufbau, sondern sind gegliedert in Kurse, die sich der Eigenart des einzelnen Gewerbes anpassen. In weitem Umfange nehmen sie durch Darbietung von Sonntag- und Abendunterricht darauf Rücksicht, daß ihre Besucher genötigt sind, sich durch gewerbliche Tätigkeit ihren Unterhalt zu verdienen. Daneben stehen Tagesklassen offen für diejenigen, die in der Lage sind, sich ganz der Ausbildung in der Schule für kürzere oder längere Zeit zu widmen. In den 80er Jahren bis hinein in die 90er Jahre waren die Handwerker- und Kunstgewerbeschulen ganz

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/701&oldid=- (Version vom 20.8.2021)